„Was Terroristen wollen!“

Konsequenzen für die polizeiliche Analyse und Öffentlichkeitsarbeit im Kontext des islamistischen Terrorismus

Anmerkungen

  1. KR André Malick ist Angehöriger des LKA Hamburg (Staatsschutz). Grundlage des Beitrages ist eine im Jahr 2017 an der DHPol gefertigte Hausarbeit.
  2. Das Verständnis vom Terrorismusbegriff ist dynamisch und wandelt sich im Laufe der Zeit (vgl. Scheerer 2006: 111f.). Es gibt keine allgemein verbindliche Definition, in der Literatur findet man weit mehr als einhundert verschiedene Auslegungen (vgl. Schmid, Jongman et al. 1988; Laqueur 2001: 10). Diese spiegeln meist die Interessen der jeweiligen Organisationen wieder (vgl. Hoffmann 2007: 50 ff.; Scheerer 2002: 25).
  3. Ganz im Unterschied zu anderen Formen politischer Gewalt, die zur Schwächung des Gegners auf Sicherheitskräfte oder Repräsentanten des Staates abzielen (vgl. Richardson 2007: 30).
  4. Was ihn wiederum von anderen Formen politischer Gewalt wie bspw. dem Guerillakrieg unterscheidet. (vgl. Richardson 2007: 30).
  5. Zu diesbezüglichen Statements der al-Qa’ida vgl. Abou-Taam; Bigalke 2006; Lawrence 2005; Kepel / Milelli 2006. Unter dem IS werden regelmäßig im Internet Rache-Botschaften veröffentlicht (vgl. bspw. Flade 2015).
  6. Ein offensichtlicher Selbstzweck wäre beispielsweise eine materielle Bereicherung, wie es regelmäßig das Motiv zum Diebstahl ist.
  7. Dass Terroristen auffällig normal und eben in der Regel nicht bspw. psychopathisch sind vgl. Richardson (2007); darüber hinaus auch Hoffmann (2007: 348): „Der Zorn der Terroristen ist selten unkontrolliert. Im Gegensatz zu weit verbreiteten Auffassungen und Darstellungen in den Medien ist Terrorismus meist weder verrückt noch launenhaft.“ Zur psychologischen Sicht auf die Entwicklung eines Individuums zum Terroristen vgl. Hudson 1999: 19 ff. sowie Robins; Post 2002.
  8. Weswegen in diesem Punkt Führer und Anhänger in der Analyse jeweils unterschiedlich zu bewerten sein dürften.
  9. Vgl. hierzu Richardson 2007: 135 f. – ein Hinweis, der auch für die prognostische Analyse relevant sein dürfte.
  10. Einmal mehr soll hier deutlich werden, dass es höchst relevant ist, Terroristen analytisch zu unterscheiden von Psychopathen, Allgemeinkriminellen usw.
  11. Definitorisch ist fraglich, ob selbstradikalisierte Einzeltäter Terroristen sind. Aber dennoch, auch diese „Lonely Wolfs“ operieren unter Anleitung, trotz Selbstradikalisierung (und letztlich gibt es die Bekennungen der entsprechenden Organisationen), und vermutlich sind es dieselben sekundären Motive, die wirken. Zur vergleichbaren Rationalität und „Normalität“ (im psychischen Sinne) könnte es hier jedoch Unterschiede geben.
  12. Analytisch auch von Bedeutung ist die angestrebte Eindeutigkeit der Gewaltbotschaften, der Sorge, dass diese von der Zielgruppe auch verstanden werden und dass diese in gewünschter Weise reagieren wollen und können (vgl. Waldmann 1998: 35).
  13. Mit der Einschränkung, dass eine zunehmende Isolierung von der Gesellschaft eine eigene, optimistischere Realität begünstigt – was es dennoch nicht weniger rational macht (vgl. Richardson 2007; 139; Hess 2006: 117 ff.).
  14. Auch das wäre ein Punkt, der analytisch herauszuarbeiten wäre: Welche Reaktionen sollen provoziert werden? Von Bedeutung ist die angestrebte Eindeutigkeit der Gewaltbotschaften, die Sorge, dass diese von der Zielgruppe auch verstanden werden und dass diese in gewünschter Weise reagieren wollen und können.
  15. So war beispielsweise die militärische Intervention des Westens in Afghanistan ein Ziel der al-Qa’ida (vgl. Wright 2007: 340 f.).
  16. Um dies zu illustrieren, stellt ein ähnliches Beispiel in diesem Zusammenhang auch die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) in Kolumbien, trotz gescheitertem Friedenvertrag, dar (losgelöst von der begrifflichen Diskussion, ob dies Terroristen oder Guerillakämpfer waren).
  17. Womit hier jedoch nicht der Standpunkt vertreten wird, dass dann jegliche Verhandlungslogiken aufgehoben wären (im Anschluss an Scheerer (2011). Darüber hinaus kann Irrationalität auch eine rationale Strategie sein bzw. haben.
  18. An dieser Stelle sei jedoch auf den Aspekt sozialer Konstruktionen (in etwas anderem Zusammenhang, aber mit ähnlichen Schlussfolgerungen, vgl. Malick 2015) sowie Wahrnehmung und (sprachlich vermittelte) Interpretation (vgl. Malick 2011, Scheerer 2011).
  19. Zur Radikalisierung vgl. bspw. Lützinger (2010).
  20. Die deutsche Übersetzung des Textes „Ritter unter dem Banner des Propheten“ von Ayman Al-Zawahiri (dem heutigen Chef der al-Qa’ida) vgl. Kepel et al. 2006: 352 ff. Hier spricht Al-Zawahiri über die Auswahl der Anschlagsziele und die Bedeutung von Märtyreroperationen (a.a.O.: 336).
  21. Als Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) bezeichnete sich eine im November 2011 bekannt gewordene rechtsextreme terroristische Vereinigung, die über Jahre diverse Morde begangen, sich jedoch erst nach Bekanntwerden der Täter dazu bekannt hat. Aus diesem Grund ist m.E. nach fraglich, ob diese Täter überhaupt als „Terroristen“ im oben ausgeführten Sinne zu bezeichnen sind.
  22. Die Vielzahl von Terroristen sind „normale“, psychisch nicht kranke Menschen und handeln daher in den hier behandelten Deliktsbereichen eher rational, die Taten lassen sich bis hin zum Motiv, der Tatplanung und -ausführung rational nachvollziehen.
  23. Das Hellfeld (also hier bspw. die „identifizierten“ Gefährder) lässt kaum Rückschlüsse auf das Dunkelfeld zu. Aber es ist wohl anzunehmen, dass es eine Vielzahl von Personen gibt, die nur deshalb nicht als Gefährder (o.ä. kategorisiert) eingestuft sind, weil sie den Sicherheitsbehörden bisher nicht bekannt geworden sind.
  24. Das Beispiel dient nur der Illustration und ist seitens des Verfassers kaum valide zu belegen. Doch tatsächlich gab es entsprechende Hinweise auf Einkaufszentren in Oberhausen (vgl. Spiegel Online 2016b) sowie in Essen (vgl. Zeit Online 2017).
  25. Damit sind sog. „weiche Ziele“ gemeint. Dies können Personen oder Dinge sein, die relativ ungeschützt oder verletzlich sind, vor allem gegenüber militärischen oder terroristischen Attacken (vgl. Oxford Dictionaries Online 2017).
  26. Medien neigen gewissermaßen dazu, sich mit Übernahme von Erklärungen der Täter (ungewollt) zu Komplizen machen, wodurch das Verhältnis zwischen Medien und den Terroristen „fast symbiotische Züge“ (Beck; Quandt 2011: 86) annehmen kann.
  27. Dies verdeutlicht sehr gut ein Zitat der Kommunikationswissenschaftlerin Meckel (2008: 254): „Ohne die Bilder in den Medien gibt es keine Bilder in den Köpfen der Menschen […] Und wenn es die nicht gibt, verfehlt der terroristische Anschlag einen wesentlichen Teil seines Zwecks.“
  28. Solch hochexpressiven Gewalttaten im eigenen Land sind für eine gewisse Zeit beherrschendes Thema in den Medien, selbst öffentlich-rechtliche Sender bleiben nicht in einer sachlich-distanzierten Darstellung der Tat und dessen komplexer Entstehungsbedingung. Andere Nachrichten geraten in den Hintergrund, die Berichterstattung wird emotionalisiert geführt mit einer Flut aus Bildern und Videos zum Täter oder der Tat. Dabei ist diese multimediale Präsenz ein „Kernziel des Täters“ (Kahr et al. 2017), dem durch die intensive Berichterstattung sowie der Verbreitung seiner Absichten willfährig entsprochen wird. Dazu kommt, dass eine solche Medienberichterstattung unter bestimmten Voraussetzungen einen großen Einfluss hinsichtlich des Entstehens von Nachahmungstaten hat.
  29. Es sollte bei der Übermittlung von Informationen darauf geachtet werden, dass keine vereinfachenden Erklärungen für Handlungsmotivationen angeboten werden. Medienberichterstattungen sollten nicht romantisieren, es darf keine Heldengeschichte impliziert sein. Insgesamt sollte auf die Folgen der Tat fokussiert, eine konkrete Darstellung des Tathergangs vermieden und emotionales Bildmaterial so weit wie möglich zurückgehalten werden. Grundsätzlich sollte über sensible Informationen wie bspw. Sicherheitslücken oder die Funktionsweise von Sicherheitssystemen nicht berichtet werden. Die Berichterstattung sollte versuchen, Auswege aufzuzeigen, dies kann Nachahmungseffekte verringern (vgl. hierzu Ruddigkeit 2016: 137–150; Robertz 2011). Insgesamt sollte auf eine Wortwahl geachtet werden, die jegliche symbolische Aufladung von Orten oder Methoden verzichtet (vgl. Kahr et al. 2017).

Die Verknüpfung der Anmerkungen mit dem Fließtext finden Sie in unserer PDF-Ausgabe.

Literatur- und Quellenverzeichnis

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