Islamistisch-salafistische sowie jihadistische Akteure und ihre Verbindung zur aktuellen Flüchtlingssituation in Deutschland

3. Staatliche Gegenmaßnahmen


Um zu verhindern, dass gewaltbereite deutsche Islamisten, in der Regel Salafisten, Deutschland in Richtung syrisch-irakisches Kampfgebiet verlassen (sog. „Jihad-Reisende“) und möglicherweise mit Kampferfahrung und einem hohen Gefechtswert zurückkehren, versuchen die deutschen Sicherheitsbehörden, Ausreiseplanungen frühzeitig wahrzunehmen und zu deren Unterbindung beizutragen.44
Auf der Ebene präventiver Maßnahmen haben verschiedene Landesämter für Verfassungsschutz und das Bundesamt für Verfassungsschutz Informationsbroschüren, Info-Flyer als Aufklärungsmaßnahme für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Flüchtlingsunterkünften sowie mit der Flüchtlingsarbeit in deren Umfeld betraute Beschäftigte erstellt, um zu informieren und zu sensibilisieren.45 Nach Angaben des Landesamtes für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen zeigen diese Informations- und Aufklärungsmaßnahmen erste Wirkung, da die Zahl der Hinweise von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Flüchtlingsunterkünften, die von Anwerbungsversuchen durch salafistische Akteure berichten, gestiegen sei.46 Parallel zu den Informationen in Schriftform finden – nach geographischer Priorität – Informations- und Aufklärungsveranstaltungen, die sich an Beschäftigte in Aufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsunterkünften sowie in der Flüchtlingsarbeit richten.

3.1. Probleme der Sicherheitsbehörden

Der aktuelle Fall des Verbots von „Die wahre Religion“ alias „Lies!“ durch das deutsche Bundesministerium des Innern, dessen juristische Vorbereitung so lange dauerte, dass „Die wahre Religion“ von 2011 bis 2016 unkontrolliert wirken konnte, zeigt, dass es sehr schwierig ist, den amorphen salafistischen Strukturen „strukturelle politische Ziele gegen die Verfassungsordnung“ nachzuweisen. Schon 2011 – zu Beginn der „Lies“ Aktionen der DWR – verwies die deutsche Innenministerkonferenz darauf, dass „zahlreiche der ideologischen Positionen der salafistischen Gruppen dazu geeignet sind, Parallelgesellschaften in Deutschland zu befördern.47
Die Anschläge und Attentate von islamistisch-terroristischen Einzeltätern (Hannover, Essen, Nizza, Würzburg, Ansbach und Berlin) stellen ein besonderes Problem für die westlichen Sicherheitsbehörden dar, da der Prozess der Radikalisierung dieser Einzeltäter ohne Kommunikation – virtuell oder in der realen Welt – kaum zu detektieren ist. Die offensichtlich relativ große operative Autonomie der islamistischen Einzeltäter und der jihadistischen Zellen ist ein weiteres wichtiges Merkmal der aktuellen terroristischen Bedrohung, welche die europäischen Sicherheitsbehörden vor erhebliche Probleme der Detektion und Vorfeldaufklärung stellt. Ein weiteres Problem der europäischen Sicherheitsbehörden ist die ethnische, sprachliche, organisatorische und strategisch-taktische Heterogenität der islamistisch-salafistischen und jihadistischen Akteure, wodurch diese sehr schwer aufzuklären sind. In Bezug auf die Identifizierung von Individuen, die der Personengruppe internationaler jihadistischer Organisationen oder dem Spektrum der Jihadrückkehrer aus Syrien und/oder dem Irak angehören stellt die Tatsache, dass im Zeitraum Januar 2015 bis Oktober 2016 bis zu 80% der Flüchtlinge ohne Pass bzw. Ausweisdokumente nach Deutschland kamen.48 In weniger als 18 Monaten Aufenthaltszeit in Deutschland soll der islamistisch-terroristische Attentäter auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz über 14 Identitäten benutzt haben.49 Eine weitere Schwierigkeit liegt in der technischen Überwachung der Kommunikation von Islamisten und Jihadisten. „Das grundlegende Problem ist: Wir wissen nicht, wer miteinander chattet“, sagt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.50 Weiter führt er aus, dass es sehr hohe rechtliche Hürden dafür gebe, Kommunikation in Echtzeit mitzulesen oder mitzuhören. Eine weitere Schwierigkeit liege darin, dass viele Provider ihren Sitz im Ausland haben, so dass es „Tage bis Monate dauern könne“ bis Daten übermittelt werden, falls dies überhaupt geschieht. Abschließend ist das Problem des verbotenen, sehr restriktiv gehandhabten, mangelnden oder verzögerten Austausches von personenbezogenen Daten und Informationen zum Personenbereich islamistischer Terrorismus durch die europäischen Sicherheitsbehörden zu nennen. Hierzu kritisierte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz ungewöhnlich scharf als „ausgesprochen schädlich“ für die Terrorabwehr, so werde das „Urteil der terroristischen Gefahr für Deutschland nicht hinreichend gerecht“, da der internationale Austausch von Daten und Informationen zwischen Nachrichtendiensten durch den Richterspruch erschwert werde.51