Atomterrorismus

Eine Bewertung von Risiken, Motiven und Gegenstrategien


Die Politik sieht dies offenbar genauso und folgt den beschwichtigenden Stimmen im Schrifttum auch bei der Frage nach atomterroristischen Motiven nicht. Der damalige britische Premierminister David Cameron hat dies so formuliert: “Wir wissen, dass die Terroristen, mit denen wir es heute zu tun haben, so viele Menschen wie sie nur können töten würden, und zwar mit allem, was sie dazu irgendwie in die Finger kriegen.”8 (The Independent (2016), 01.04.).
Warum trotz Motiv dann aber so relativ wenige Aktivitäten von Terroristen in diese Richtung? Die sehr viel wahrscheinlichere Antwort ist, dass Terroristen tatsächlich rational handeln, aber nur insoweit, als es ihnen durch unabänderliche äußere Umstände auferlegt ist. Die Erlangung von Atomwaffen ist aus den genannten Gründen ausgesprochen schwierig und sehr aufwendig. Der erforderliche Einsatz an Personen, Material, Geld und Zeit wäre erheblich. Wegen der Größe einer solchen Operation wäre auch das Entdeckungsrisiko hoch – und damit das Risiko des Verlustes von Personen und Material. Dem steht eine ausgesprochen geringe Erfolgswahrscheinlichkeit gegenüber. Der Kosten-Nutzen-Effekt von Versuchen, an Atomwaffen zu kommen, wäre für Terrororganisationen also extrem schlecht. Er wäre insbesondere sehr viel schlechter als bei allen anderen möglichen Anschlagsvarianten. Eine Terrororganisation müsste also nicht nur überhaupt über entsprechend Personal und Mittel verfügen, um ein solches Unterfangen zu beginnen. Sie müsste sich auch leisten können, ein solches Unterfangen womöglich über Jahre mit zunächst nicht propagandistisch nutzbarem Erfolg zu betreiben und auch ein Scheitern zu überleben. Dieser Preis scheint den allermeisten Terrororganisationen offenbar schlicht zu hoch (vgl. Levi (2007)).
Dass dieser Preis zu hoch ist, liegt teils an technischen Schwierigkeiten der Sache selbst – also physikalischen Gesetzen, die nicht erst durch Politik und Sicherheitsorgane geschaffen werden müssen (vgl. Anet (2001)).
Dass es so schwierig ist, an atomares Material zu gelangen, liegt aber eben auch daran, dass das Sicherheitsmanagement derartiger Waffen extrem hoch ist. Und es liegt auch daran, dass Terrororganisationen unter hohem Verfolgungsdruck stehen, der das Entdeckungsrisiko für Operationen der für Atomterrorismus erforderlichen Größe als ernstliches taktisches Problem erscheinen lässt – wobei der Verfolgungsdruck umso größer wird, je mehr eine Organisation selbst die Größe erreicht, die nötig ist, um ein so gewaltiges Unterfangen wie Atomterrorismus zu beginnen.
Das anscheinend geringe tatsächlich feststellbare Interesse vieler Terroristen an Atomwaffen spricht also nicht etwa dafür, dass die Gefahr zu hoch angesetzt oder gar die Abwehrmaßnahmen gegen Terrorismus insgesamt übertrieben wären, sondern im Gegenteil dafür, dass die aufwendigen Abwehrmaßnahmen gerade wirken.
Dies wird teilweise auch von denjenigen Stimmen anerkannt, die meinen, die Gefahr sei überzeichnet (vgl. Martin (2014), S. 198). Sie ist aber nicht übertrieben, wenn sie nur gering ist, weil man sie gering macht.

7. Exkurs: Neue Risiken durch neue Technik?


Gilt das bisher Gesagte für den derzeitigen Stand der Technik, könnten zwei technische Entwicklungen die bisherigen technischen Spielregeln beim Bau von Atomwaffen auf gefährliche Art ändern: das SILEX-Verfahren und der 3-D-Drucker.
Das SILEX-Verfahren ist eine neue, laserbasierte Methode der Urananreicherung, die die bisher nur großtechnisch und aufwendig mögliche Urananreicherung deutlich vereinfachen soll. „Etwaige Uranfabriken sollen nur ein Viertel der Fläche konventioneller Anlagen beanspruchen und auch weniger Energie benötigen. SILEX eignet sich“ neben der Herstellung von angereichertem Uran für Atomkraftwerke dabei auch „zur Gewinnung von Isotopen für Medizin und Mikroelektronik, aber auch zur Herstellung von Kernwaffen“ (PHYSIKonkret (2012)). Ein Patent für diese Methode besteht für die SILEX Systems Limited seit 1996; eine erste Anlage dazu ist seit 2012 in den USA in der Testphase in Betrieb (vgl. Wikipedia (2016)). Wegen der Möglichkeit, waffenfähiges Plutonium leichter als bisher zu produzieren, kann diese Technik unstrittig (auch) die Herstellung von Atomwaffen deutlich erleichtern.
Unter Proliferationsgesichtspunkten ist die Technik deshalb sehr umstritten. Kritiker meinen, entsprechende Anlagen seien wegen der geringeren Größe, des geringeren Verbrauchs und der geringeren Abstrahlung sehr viel besser geheim zu halten und daher ideal geeignet für jeden, der illegal Uran anreichern will (vgl. PHYSIKonkret (2012)). Von den Befürwortern wird dagegen eingewandt, dass dieser Vorwurf aus zwei Gründen unberechtigt sei: Erstens erfordere auch eine SILEX-Anlage noch so viel technischen Aufwand und Ressourcen, dass schon deswegen ein Geheimbetrieb nicht möglich wäre. Und zweitens wiesen solche Anlagen technische Spezifika auf, mit denen sie auch bei geringerer Größe sicher ausgemacht werden könnten (vgl. PHYSIKonkret (2012); NTI (2010)).
Die US-Regierung scheint sich in ihrer Einschätzung derzeit irgendwo zwischen diesen beiden Ansichten zu bewegen: Einerseits wurde wie erwähnt für eine Anlage die Erlaubnis erteilt. Andererseits wurden die technischen Daten zu dem Verfahren indes als vertraulich klassifiziert (vgl. Wikipedia (2016)). Eine gewisse Missbrauchssorge scheint also zu bestehen.
Eine weitere proliferationsrelevante Neuerung könnte der 3-D-Drucker werden. 3-D-Drucker ermöglichen es, komplizierte Produktionsprozesse erheblich zu erleichtern. Dies geschieht, indem der gesamte Produktionsprozess bestimmter Teile vollautomatisch verläuft und der Hersteller neben dem 3-D-Drucker selbst nichts anderes braucht als das in Pulverform benötigte Material und das Computerprogramm, das dem Drucker sagt, was er drucken soll. Ist dies vorhanden, kann nicht nur sehr viel schneller und billiger als in herkömmlichen Verfahren produziert werden, sondern auch mit sehr viel weniger Fachkenntnis seitens des Produzenten, da alles Wesentliche im Computerprogramm enthalten ist. Dabei können 3-D-Drucker schon jetzt außerordentlich komplizierte Produktionsprozesse ersetzen und werden bereits heute auch in der Rüstungsindustrie eingesetzt (vgl. Kroenig/ Volpe (2015), S. 8 ff.).
Für atomaren Terrorismus bedeutet dies nun nicht, dass es möglich wäre, mit einem 3-D-Drucker aus dem Nichts eine Atombombe zu drucken. Für den Bau der Bombe selbst braucht man nach wie vor die Bestandteile, aus denen eine solche Bombe auch heute besteht, darunter waffenfähiges Plutonium, das nicht gedruckt werden kann, sondern nur wie bisher auch in Zentrifugen angereichert werden muss. Bei den entscheidenden Aspekten des Produktionsprozesses nützt ein 3-D-Drucker mithin unmittelbar nichts (vgl. Kroenig/ Volpe (2015), S. 12). Er könnte aber dabei nützen, die für die Produktion der Bombe nötigen Geräte zu bekommen sowie womöglich Teile der Bombe selbst zu bauen und damit mittelbar den Bau zu erleichtern. Und darin liegt die eigentliche Gefahr (vgl. Kroenig/ Volpe (2015), S. 10 ff.; Mirror (2016), 25.1.). Bis jetzt macht sich schon verdächtig, wer die Geräte zusammenzukriegen versucht, die für den Bau der Bombe gebraucht werden. Schon hier droht einem Täter die Entdeckung. In Zukunft könnte dies zumindest hinsichtlich des Druckers schwerer werden, denn der Kauf eines solchen Gerätes nebst dem erforderlichen Material ist als solcher völlig unverdächtig. Nur der Versuch, die nötigen Programme etwa für den Druck von Zentrifugen zu bekommen, wäre verdächtig, aber wegen der Kopierbarkeit von solchen Programmen gleichwohl viel schwerer zu entdecken. Erst wenn die gedruckten Maschinen und Geräte in Betrieb genommen und etwa mit der Urananreicherung in gedruckten Zentrifugen begonnen wird, bestünde dann das gleiche Entdeckungsrisiko wie heute auch (vgl. Kroenig/ Volpe (2015), S. 10 ff.).
Wie diese drohende Gefahr am Ende einzuschätzen und mit ihr umzugehen sein wird, ist noch Zukunftsmusik, auch wenn die Politik bereits erkannt hat, dass genau beobachtet werden muss, inwieweit 3-D-Drucker das Nonproliferationsrisiko erhöhen (Mirror (2016), 25.1.).
Große Sorgen können beide neuen Techniken jedoch unzweifelhaft begründen, wenn es um den illegalen Bau von Atomwaffen durch Staaten geht. Soweit es die Gefahr von Atomterrorismus betrifft, sollte man bei beiden neuen Verfahren freilich bedenken, dass der Bau einer Bombe für Terroristen von allen Erlangungsformen wie dargelegt die höchsten Hürden bietet und SILEX wie auch der 3-D-Drucker den Bau vielleicht leichter, aber gleichwohl nicht leicht machen werden. Insoweit könnte die neue Technik vielleicht für Staaten die entscheidende Vereinfachung sein. Für stets schlechter ausgestattete und gefährdetere nichtstaatliche Akteure würden Laser und Drucker aber womöglich nichts daran ändern, dass der eigene Bau zu aufwendig, zu schwierig und zu riskant bliebe.
Von besonderer Bedeutung wäre bei erleichtertem Bau aber gleichwohl in jedem Fall eine möglichst vollständige internationale und bzw. oder nachrichtendienstliche Kontrolle möglicher Kandidaten für Atomterrorismus. Denn wenn man vollständig im Blick hat, was diese tun, wäre nicht nur die Produktion der Bombe gleich mit welchem Verfahren, sondern eben auch schon der ansonsten unauffällige Kauf eines 3-D-Druckers nicht mehr heimlich möglich und bestünde die Möglichkeit rechtzeitiger Intervention.