Amok, Selbstmordattentat oder terroristischer Amoklauf?

Steigende Kriminalitätsfurcht als Resultat


Gewalttaten wie diese, die uns im Alltag und im öffentlichen Raum unvorbereitet treffen und die vor allem auf zufällige Opfer abzielt, verletzen das allgemeine Sicherheitsempfinden in nachhaltiger Weise. Deutschland erlebt aktuell die Thematisierung unterschiedlicher Arten von Gewalt als regelrecht allgegenwärtig. Der Amoklauf in München wurde von vielen Menschen im ersten Moment instinktiv als islamistischer Terroranschlag bewertet. Und das ist kein Wunder: Am selben Tag veröffentlichte unter anderem die ZEIT einen Artikel zu einer Umfrage von Infratest Dimap über die aktuelle Angst vor Terrorismus, die bei den Befragten einen Anteil von 77% offenbarte, die Angst vor Terroranschlägen in Deutschland hatten.10 Zweifelsohne wirkten hier die Eindrücke der Anschläge in Paris, Brüssel, Nizza und schließlich das offenbar islamistisch motivierte Attentat von Würzburg vier Tage zuvor ein.
Und in keinem Jahr gab es derart viele Anschläge von islamistischen Terroristen sowohl in Deutschland: Bereits am 26. Februar 2016 wurde ein Sprengstoff-Anschlag auf ein Gebetshaus der Sikh durch islamistische Jugendliche verübt. In der Nacht zum 29. Mai 2016 wurde eine 70-jährige Frau in ihrer Wohnung in Bad Friedrichshall ermordet, an mehreren Stellen wurden vom mutmaßlichen pakistanischen Täter islamische Schriftzeichen angebracht. Obwohl Sicherheitsbehörden nicht von einem terroristischen Akt sprechen wollen, können die Tatumstände so gedeutet werden. Laut Anklage wollte der Täter eine „Ungläubige“ töten.11 Im Juli fanden schließlich die Anschläge in Ansbach und bei Würzburg statt.12
Insgesamt steigt die Kriminalitätsfurcht in Deutschland Umfragen zufolge seit rund fünf Jahren an. Die Menschen in Deutschland haben Angst vor Terroranschlägen, vor Überfällen und Frauen vor allem auch vor Übergriffen. Bereits im Januar 2016 zeigte sich nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Allensbach eine steigende Angst in der Bevölkerung, Opfer von Kriminalität zu werden. Vor fünf Jahren fühlten sich noch zwei Drittel der Befragten sicher, lediglich 26 Prozent machten sich Sorgen, Opfer eines Verbrechens werden zu können. 2014 stieg dieser Anteil bereits auf 45 Prozent, im Frühjahr 2016 lag er schließlich bei 51 Prozent. Davon fühlte sich zwar nur eine Minderheit von ca. neun Prozent akut und im Alltag bedroht, jedoch hat sich in den vergangenen Jahren von drei Prozent verdreifacht: Fünf Prozent der Männer und 12 Prozent der Frauen fühlen sich akut bedroht. Vor allem Frauen und Menschen über 60 Jahre fühlen sich häufiger bedroht. Menschen aus Ostdeutschland haben mehr Angst davor, Opfer krimineller Handlungen zu werden, als Menschen aus Westdeutschland. Insgesamt gaben 41 Prozent der befragten Männer und aber 60 Prozent der befragten Frauen an, sich in Deutschland nicht mehr sicher zu fühlen.13
Kriminalitätsfurcht wird in Deutschland ein Thema bleiben. Die Menschen erkennen, dass Gewalt und Terror zu jeder Zeit möglich und nicht nur auf den urbanen Raum beschränkt sind. Zudem erleben sie die Regierung als die politisch verantwortliche Führung im Land nicht als handlungsfähig. Der Terroranschlag von Berlin erschütterte zudem das Vertrauen der Menschen in die Sicherheitsbehörden und in Deutschland als Rechtsstaat. Das Unverständnis darüber, dass den Bürgern umfassende Meldepflichten auferlegt sind, sich jedoch der Terrorist Anis Amri mit sage und schreibe 14 Identitäten und trotz der Einschätzung als sog. „Gefährder“ ungehindert durch das Land und nach dem Anschlag bis nach Italien bewegen konnte, ist dem entsprechend. Einfache Durchhalteparolen oder auch das Absprechen empfundener Furcht fangen die Angst nicht mehr auf. Egal wie irrational die Angst vor einem Terroranschlag angesichts statistischer Werte sein mag: Es geht um die Verletzung des persönlichen Sicherheitsempfindens. Und das birgt angesichts populistischer Stimmungsmache in allen politischen Lagern durch Bestärken oder Verunglimpfen dieser Angst definitiv ein gesellschaftliches Gefährdungspotential. Doch können Erklärungen und Gegenmaßnahmen nie einfach und allgemein gültig sein. Zufriedenstellende, schnelle Antworten auf berechtigte Fragen und das Entsetzen solcher Taten gibt es nicht und kann es auch nicht geben. Die unterschiedlichen und individuellen Hintergründe der Täter und ihre Vorgehensweise von Würzburg und München, aber auch Nizza oder beispielsweise dem barbarischen Mord in Saint-Etienne-du-Rouvray14 oder in Magnanville15 machen es zudem komplizierter, für die Zukunft die richtigen Lehren daraus zu ziehen und wirksame Präventionskonzepte zu erarbeiten, die in der Breite anwendbar sind.

Fazit


Egal, um welche Form von exzessiver Gewalt im öffentlichen Raum es sich handelt, ihnen allen gemein ist der intensive Schrecken und die Unsicherheit in der Bevölkerung, die sie hinterlassen. Taten, die mit dem Suizid der Täter enden, wie bei Selbstmordattentaten und häufig auch bei Amokläufen oder regelrechten „Himmelfahrtskommandos“, bei der die Angreifer davon ausgehen, von der Polizei erschossen zu werden, bzw. dies gezielt durch Angriffe provozieren (u.U. qua „suicide by cop“) erzeugen zudem Ratlosigkeit. Die Jenseitsvorstellungen dieser Täter reichen zum Verständnis einfach nicht aus. Diese Ratlosigkeit führt häufig zu der allgemeinen Feststellung, dass die Täter psychisch nicht gesund gewesen sein können. Sobald wir an die Grenzen dessen kommen, was an menschlichem Verhalten nachvollziehbar ist, liegt die Unterstellung einer psychischen Disposition jenseits der Toleranzen des Normalen nahe. Doch die Täterlogik muss nicht zwangsläufig von jedem nachvollzogen werden können. Gerade die Terroristen orientieren sich an Handlungsmaximen, die in der Perspektive asymmetrischer Kriegstaktiken äußerst sinnvoll, nutzbringend und clever sind, auch wenn dabei das eigene Leben als Mittel eingesetzt und im Endeffekt geopfert wird. Je nachdem, wie die Täter den Wert ihres Lebens in Relation zum Ergebnis ihrer Tat bewerten, ist die Abwägung zu Ungunsten des eigenen Lebens durchaus rational nachvollziehbar. Die schnelle Erklärung des terroristischen Einzeltäters als durch Traumata psychisch erkrankten, irrationalen Lebensmüden greift somit häufig zu kurz und hat besitzt außer einer gewissen Bequemlichkeit wenig wissenschaftlich Verwertbares.