Rechtsextremisten in deutschen Sicherheitsbehörden

Eine aktuelle Analyse

3.1 Fälle von Rechtsextremismus und Rassismus in der Bundespolizei

Seit Anfang 2017 bis Juni 2020 wurden nach Angaben des Bundespolizeipräsidiums in der Bundespolizei 24 rechtsextremistische und 20 rassistische Verdachtsfälle registriert.11 „Das entspricht einem Anteil von 0,085 Prozent der Beschäftigten der Bundespolizei“, wurde auf Anfrage mitgeteilt.12 Bereits im Mai 2015 war im Bundespolizeipräsidium eine interne Vertrauensstelle geschaffen worden, die seit Kurzem auch eine „Whistleblower“-Strategie verfolgt. Diese Stelle ist beim Bundespolizeipräsidium angesiedelt und untersteht direkt dem Präsidenten Dr. Dieter Romann. Sie nimmt Beschwerden und sachdienliche Hinweise von Beamten der Bundespolizei entgegen. Abgeschlossen werden konnten demnach bisher 21 der Verfahren, zwei dieser Fälle endeten mit einer Einstellung, neun Mal wurden Disziplinarmaßnahmen verhängt, in zehn Fällen wurden die Beamten entlassen beziehungsweise nach Beendigung der Ausbildung nicht übernommen. Von diesen insgesamt 44 Fällen seien 31 durch interne Hinweise aus der Bundespolizei bekannt geworden.13

3.2 Rechtsextremistische Chats von Polizisten in Nordrhein-Westfalen

Mitte September 2020 wurde bekannt, dass die Polizei NRW wegen rechtsextremistischen Chat-Inhalten gegen 30 Polizistinnen und Polizisten ermittelt. Der Innenminister von NRW, Herbert Reul, betonte, dass er nicht akzeptieren wolle, „dass es in der Polizei Menschen gibt, die rechtsextremistische Meinungen haben. Solche Menschen müssen entfernt werden“.„Dieser Vorgang ist eine Schande für die NRW-Polizei“, befand Reul.14 Die Berichte über diese rechtsextremistischen Chats von Polizisten in NRW seien „in höchstem Maße alarmierend“, erklärte ein Sprecher von Bundesinnenminister Horst Seehofer. Es sei auch „ein Schlag ins Gesicht“ aller Polizisten, die in großer Loyalität zur demokratischen Grundordnung stünden. Mitte September durchsuchten 200 Polizeibeamte 34 Polizeidienststellen und Privatwohnungen in NRW, 29 Polizeibeamte wurden vorläufig suspendiert. Insgesamt 160 Bilddateien mit strafrelevanten Inhalten sollen in fünf WhatsApp-Chatgruppen verteilt worden sein. Man rede über übelste rassistische, neonazistische Hetze, so Reul. Der NRW-Verfassungsschutz klassifiziert die Bilder als „Hardcore-Rechtsextremisten-Material“. Eine dieser rechtsextremistischen Chatgruppen existiert nach Angaben des Innenministers von NRW wohl seit 2012, eine andere mit den meisten Dateien seit 2015. Die Hälfte der Verdächtigen habe laut den Ermittlern aktiv Bilder eingestellt, die andere Hälfte mitgelesen. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) reagierte bestürzt auf die Vorfälle in NRW. Dass es Beamte gebe, die in Chatgruppen rechtsradikale, fremdenfeindliche Inhalte teilten, sei unerträglich, erklärte der stellvertretende GdP-Landesvorsitzende Michael Maatz.15

In den fünf aufgedeckten rechtsextremistischen Chat-Gruppen wurden Reul zufolge mindestens 126 Bilddateien verteilt, darunter Fotos von Adolf Hitler sowie die fiktive Darstellung eines Flüchtlings in einer Gaskammer. Auch von Hakenkreuzen und Reichskriegsflaggen war die Rede. Reul zufolge ist in „verächtlichmachender Darstellung“ zu sehen, wie Menschen mit schwarzer Hautfarbe erschossen würden. Der Innenminister von NRW sprach von „übelster und widerwärtigster neonazistischer, rassistischer und flüchtlingsfeindlicher Hetze“. Nach seiner Auffassung haben die beschuldigten Polizisten das Ansehen der rund 50.000 Polizisten in Nordrhein-Westfalen geschädigt. „Ich weiß, dass der weitaus größte Teil der Polizei anständige Menschen sind.“16

3.3 Rechtsextremistische Chats von Polizisten in Mecklenburg-Vorpommern

Nach dem Skandal um rassistische Chats wurden in Mecklenburg-Vorpommern Mitte September 2020 nach einer Hausdurchsuchung zwei Polizisten suspendiert. Der zu diesem Zeitpunkt noch amtierende Innenminister Lorenz Caffier sprach von beschämenden Ergebnissen der Ermittlungen. Insgesamt stünden 17 Beamte und ein Tarifangestellter der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern im Verdacht, rechtsextremistisches Gedankengut in Internet-Chats ausgetauscht zu haben. Seit drei Jahren wurden durch polizeiinterne Ermittlungen immer neue Fälle von Rechtsextremisten in der Polizei Mecklenburg-Vorpommern bekannt. Ausgangspunkt war ein Verfahren gegen die mutmaßlich rechtsextremistische Prepper-Gruppe „Nordkreuz“. In diesem Zusammenhang war bei einem ehemaligen Mitglied des Spezialeinsatzkommandos (SEK) Mecklenburg-Vorpommern umfangreiches Datenmaterial sichergestellt worden. Caffier sprach von beschämenden Ergebnissen der Ermittlungen, ein rechtsextremistisches Netzwerk sei jedoch nicht zu erkennen. „Es sind faule Äpfel an einem sonst gesunden Baum“, sagte er. „Wir müssen sie restlos aussortieren.“ Solche Personen hätten bei der Polizei nichts zu suchen.17

3.4 Rechtsextremistische Chats von Berliner Polizisten

Anfang Oktober 2020 wurde eine rechtsextremistische Chatgruppe von mehr als 25 Berliner Polizisten aufgedeckt. Die Beamten der Berliner Polizei sollen  Muslime in der Chatgruppe als „fanatische Primatenkultur“ und Neonazis als mögliche „Verbündete“ bei „linken Demonstrationen“ bezeichnet haben.18 Die Berliner Polizei hat Strafverfahren gegen Mitglieder der rechtsextremistischen Chatgruppe eingeleitet. Vor allem sieben Beamte sollen sich darin regelmäßig klar rassistisch sowie rechtsextremistisch geäußert haben. Die Kollegen hätten die Äußerungen zudem häufig mit Zustimmung kommentiert. In dieser Chatgruppe sollen Flüchtlinge mit Vergewaltigern oder Ratten gleichgesetzt worden sein. Ein Vorgesetzter der Gruppe sei über die rassistischen Äußerungen in dem Chat informiert gewesen. In einer internen E-Mail habe er die Beamten demnach aufgefordert, keine strafrechtlich relevanten Inhalte zu teilen. Berlins Innensenator Andreas Geisel erklärte dazu: „Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, ist dies absolut inakzeptabel und hat nichts mit einer modernen, weltoffenen Hauptstadtpolizei zu tun.“  Die Berliner Polizeibehörde erklärte inzwischen, es sei „unerträglich, solche unter uns zu wissen, die sich aufgrund ihrer Herkunft über andere erheben und den Ruf eines ganzen Berufsstandes schädigen“. Gegen die verdächtigten Kollegen seien unmittelbar ein Strafverfahren eingeleitet und die Ermittlungen aufgenommen worden, heißt es in der Stellungnahme.19

3.5 „NSU 2.0“ und Polizisten

Unter dem Namen „NSU 2.0“ (eine Anspielung an die rechtsterroristische Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund, NSU, die zwischen 2000 und 2007 neun Menschen mit Migrationshintergrund sowie eine Polizistin ermordete sowie 43 Mordversuche beging und drei Sprengstoffanschläge verübte) wurden in den letzten Monaten Hassbotschaften und Todesdrohungen, überwiegend an Frauen, an Personen des öffentlichen Lebens verschickt worden. Von wem, wird noch ermittelt. Daten der Betroffenen sind offenbar nicht nur von Polizeicomputern in Wiesbaden abgerufen worden, sondern auch aus Frankfurt. Dort haben die Ermittler jetzt einen aktiven Polizeibeamten im Verdacht.20 Mehr als 80 rechtsextremistische Drohschreiben, unterzeichnet mit „NSU 2.0“ sind in den vergangenen zwei Jahren an Politikerinnen, eine Anwältin, Künstlerinnen und Aktivistinnen verschickt worden. Seit Anfang 2018 erhalten Frauen wie die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, die Künstlerin İdil Baydar oder die hessische Politikerin der Partei Die Linke, Janine Wissler, anonyme Schreiben, in denen ihnen im Namen von „NSU 2.0“ Gewalt angedroht wird. Ermittler des hessischen Landeskriminalamtes haben Informationen über insgesamt rund 80 rechtsextremistische Drohschreiben, die mit dem genannten Kürzel seit Spätsommer 2018 an verschiedene Empfänger versendet wurden. Die Drohungen wurden von unterschiedlichen Mailadressen versendet. Seit mehreren Wochen nehmen die Polizeien ein erhöhtes Aufkommen der Drohmails wahr. Sie gehen in einigen Fällen von Trittbrettfahrern aus, die wohl nichts mit den ursprünglichen Haupttätern zu tun haben. Mindestens drei der 70 Drohschreiben sollen Informationen enthalten, die zuvor durch Datenabfragen in hessischen Polizeistellen gewonnen wurden. Polizeibeamte sollen auf Polizeicomputern unerlaubt Daten abgefragt und rechtsextremistische Drohungen versendet haben. Im Rahmen der Ermittlungen wurde in den vergangenen beiden Jahren bisher fünf Polizeibeamte vorläufig vom Dienst suspendiert, gegen mehrere Dutzend wird noch ermittelt.21

 

„Null-Toleranz-Strategie“ bei rechtsextremistischen Tendenzen in Sicherheitsbehörden.