Forensische Sprecher-Erkennung

Aktuelle Untersuchungsmöglichkeiten in der gutachterlichen Praxis

Automatische Verfahren


Zusätzlich zu der beschriebenen, in der Fallarbeit bewährten und anerkannten kombinierten auditiv-akustischen Methode werden in der jüngeren Vergangenheit in einschlägigen akademischen Kreisen verstärkt Verfahren zur automatischen Sprecher-Erkennung diskutiert und entwickelt. Der Einsatz entsprechender Systeme ist besonders bei in der gutachterlichen Praxis tätigen Sachverständigen umstritten.
Nach derzeitigem Entwicklungsstand kann ein seriöser Einsatz derartiger Verfahren zur automatischen Sprecher-Erkennung nur unter sehr restriktiven Rahmenbedingungen stattfinden. Als problematisch erweisen sich Einflüsse des Übertragungskanals, der Netto-Sprachdauer, der Sprechsituation und der jeweils ausgewählten oder vorhandenen Hintergrundstatistik. Selbst wenn die Vorraussetzungen hierfür gegeben sind, ist das Ergebnis, das aus dem Einsatz eines solchen automatischen Systems resultiert, im Rahmen der Gesamtbewertung lediglich als ein Merkmal unter vielen zu verstehen. Ihm kommt allenfalls eine vergleichbare Wertigkeit wie beispielsweise der Grundfrequenzmessung zu.
Nach eingehender fachlicher Bewertung setzt die Sprecher-Erkennung des LKA Brandenburg das ihr zur Verfügung stehende System zum aktuellen Zeitpunkt explizit nicht in der Fallbearbeitung ein.

Untersuchungsergebnisse und Schlussfolgerung im Gutachten


Jedes zu untersuchende Audio-Material wird zunächst einer Einzelanalyse unterzogen, deren Befunde denen der anderen Aufzeichnungen gegenübergestellt werden. Im Anschluss daran wird in der Gesamtschau der jeweiligen Merkmalskonfigurationen eine verbale Aussage zur Identität oder Nichtidentität auf der nachfolgenden bipolaren Wahrscheinlichkeitsrangskala getroffen:


Identität / Nichtidentität

  • liegt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor
  • liegt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vor
  • liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit vor
  • liegt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor
  • kann nicht beurteilt werden („non liquet“)

Zum besseren Verständnis der Skala soll die Visualisierung in Abbildung 1 dienen.


Wie lautete die Aussage im Leipziger Mordfall?

Die in den untersuchten Audio-Materialien festgestellten Merkmalsübereinstimmungen hinsichtlich Stimme, Sprache und Sprechweise waren in ihrer Anzahl und Typizität so groß, dass zumindest im Vergleich des Audio-Spurenmaterials mit der Heimvideo-Aufzeichnung die Aussage „Identität liegt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor“ getroffen werden konnte. Wegen der kanalbedingten Einschränkungen der Telefonüberwachungsaufzeichnung fiel die Aussage für dieses Audio-Vergleichsmaterial nicht so hoch aus; immerhin wurde noch eine „Identität mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ festgestellt.

Literatur

Baken, R. J., and Robert F. Orlikoff. Clinical Measurement of Speech and Voice. San Diego: Singular Publishing Group, 2000.
Becker, Timo. Automatischer forensischer Stimmenvergleich. Norderstedt: Books on Demand GmbH, 2012.
Braun, Angelika. “Forensische Sprach- und Signalverarbeitung.” In Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, herausgegeben von Jan Bockemühl, 1632-1654. Köln: Wolters Kluwer, 2012.
Hollien, Harry. The Acoustics of Crime. The New Science of Forensic Phonetics. New York: Plenum Press, 1990.
Hollien, Harry. Forensic Voice Identification. London: Academic Press Inc., 2002.
Wendler, Jürgen, Wolfram Seidner, and Ulrich Eysholdt. Lehrbuch der Phoniatrie und Pädaudiologie. Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG, 2005.Wirth, Günther. Sprachstörungen, Sprechstörunge, Kindliche Hörstörungen: Lehrbuch für Ärzte, Logopäden und Sprachheilpädagogen. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag GmbH, 2000.

UNTERSUCHUNGEN BEI SCHWER VERSTÄNDLICHEN AUFZEICHNUNGEN


Die Verständlichkeit von Sprachaufzeichnungen kann durch unterschiedliche Störfaktoren beeinträchtigt sein. Um aus solchen Materialien dennoch möglichst viele Informationen zu extrahieren, stehen zwei Herangehensweisen zur Verfügung.
Zum einen kann eine technische Aufbereitung des beeinträchtigten Materials angestrebt werden. Zu diesem Zweck wird in der Regel auf auditiv-spektralanalytischem Weg ein Profil der vorliegenden Störkomponenten erstellt, die in ihrer Gesamtheit zur Beeinträchtigung der Verständlichkeit des Nutzsignals geführt haben. Auf Grundlage dieses „Störprofils“ wird in der Folge unter Einsatz spezialisierter softwarebasierter Werkzeuge versucht, diese unerwünschten Einflüsse zu reduzieren und die relevanten Signalanteile nach Möglichkeit prominenter abzubilden. Die daraus resultierende Fassung der Aufzeichnung wird im Anschluss dem Auftraggeber zur weiteren Verwendung übersandt. Liegen allerdings Störprofile vor, die sich aus verschiedenen nicht-konstanten Störkomponenten zusammensetzen, kann die technische Aufbereitung an ihre Grenzen stoßen.

In solchen Fällen bietet sich das zweite Verfahren zum Umgang mit schwer verständlichen Aufzeichnungen, die phonetische Textanalyse, an. Hierbei wird eine sprachwissenschaftlich fundierte auditiv-phonetische Analyse unter optimalen technisch-akustischen Abhörbedingungen durchgeführt. Das Ergebnis einer phonetischen Textanalyse besteht in einer detaillierten Verschriftung, die mit dem Anspruch größtmöglicher Objektivität erstellt wird. Dementsprechend werden beispielsweise nicht eindeutig verständliche Äußerungen als solche gekennzeichnet oder unter Angabe von plausiblen Alternativen notiert. Unverständliche Sprachanteile werden speziell gekennzeichnet. Neben der eigentlichen phonetischen Textanalyse können bei Bedarf Zusatzinformationen, wie über relevante Hintergrundgeräusche und -sprecher, zur Verfügung gestellt werden. Weiterhin können bereits vorliegende Verschriftungen auf Wunsch hinsichtlich ihrer phonetischen Plausibilität geprüft werden. Da es sich bei der phonetischen Textanalyse grundsätzlich um eine sehr aufwändige Untersuchungsmethode handelt, sollte die zu verschriftende Passage fünf Minuten Aufzeichnungsdauer nicht wesentlich überschreiten.


Wichtiges in Kürze

Von Gunhild v. d. Groeben, Journalistin, Mainz

Stille Post: Digitale Überwachungsmaßnahmen nehmen zu


Digitale Überwachungstechnik wird von den Sicherheitsbehörden in Deutschland verstärkt eingesetzt. Das ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz verschickte im ersten Halbjahr 2014 fast 53000 sogenannte stille SMS zur Ortung von Handys. Das waren fast doppelt so viele wie im ersten Halbjahr 2013. Das BKA versandte in den ersten sechs Monaten des Jahres fast 35 000 solcher Kurzmitteilungen, die Bundespolizei fast 69 000. Über den Versand von "stillen SMS" beim Zoll machte die Regierung keine Angaben; sie wurden als Verschlusssache eingestuft.
Beim BKA gab es in der ersten Jahreshälfte 704 Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). Etwa 200 hatten bereits im vergangenen Jahr begonnen. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2013 blieben die Zahlen laut BKA in etwa gleich.
Drei Mal machte das BKA in der ersten Jahreshälfte 2014 von der Möglichkeit der Funkzellenabfrage Gebrauch, die Bundespolizei weniger als 50 Mal, der Zoll 100 Mal.
Der Einsatz sogenannter IMSI-Catcher zum Abhören von Telefongesprächen nahm leicht ab; der Zoll setzte diese Technik öfter ein als zuvor.Mehr: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/022/1802257.pdf

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