Banker zwischen Bestrafung und Bewährung

Götterdämmerung


Auf der Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 wurde die Frage nach der Eignung des Führungspersonals endlich sehr laut gestellt. Mächtige Fondsgesellschaften und Aktionärsgruppen hatten nicht nur Jain heftig angegriffen. Sie entzogen ihm und Fitschen gleichermaßen das Vertrauen. Die Attacken gingen weit über das in Hauptversammlungen Übliche hinaus. Jain mag ein hochintelligenter Manager gewesen sein. Viele bezweifeln aber, dass er ein politischer Kopf ist, der nicht nur die Interessen der Aktionäre, sondern auch jene des Landes im Blick hat. In Deutschland war dieser Banker jedenfalls nie angekommen.17 Es ist immer noch nicht erkennbar, ob dies jemals zu seinen leidenschaftlich verfolgten Ambitionen gehörte. Wie auch immer: Im Vorfeld der Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 schien Achleitner als Aufsichtsratsvorsitzender erst einmal Handlungsstärke beweisen zu wollen. In Wahrheit reagierte er aber nur auf enormen Druck. Nicht nur die britische Aktionärsberatung „Hermes Equity Ownership Services“ hatte dem bis dahin amtierenden Vorstand das Misstrauen ausgesprochen. Wichtige Stimmrechtsberater wie „Institutional Shareholder Service“, „Glass Lewis“ und die deutsche „Ivox“ rieten den Anteilseignern, die Entlastung zu verweigern.
Die Ausgangslage war für das Management der Deutschen Bank unmittelbar vor der Hauptversammlung dennoch nicht ganz ungünstig. Anders als bei vielen anderen Dax-Unternehmen befinden sich bei der Deutschen Bank nennenswerte Anteile nicht in der Hand von Großaktionären. 94 Prozent der Aktien liegen in Streubesitz. Das Management musste für eine Entlastung gar nicht so viele Anteilseigner für sich gewinnen, weil in Deutschland bei Hauptversammlungen in der Regel nur 30 bis 40 Prozent des stimmrechtsfähigen Kapitals anwesend sind. Sind insgesamt nur 15 bis 20 Prozent der Aktionäre für eine Entlastung, reicht dies jedenfalls formal aus. Dies galt auch unmittelbar vor Beginn der Eröffnung der Hauptversammlung als ausreichend, da drei der großen Aktionäre, die als Unterstützer von Jain und Fitschen galten, schon zusammen rund 14 Prozent der Anteile halten. Dazu zählt die US-Fondsgesellschaft „Blackrock“, deren Chef Larry Fink mit Jain sehr befreundet sein soll. Die „Paramount Services Holding“ aus Katar und die „Deutsche Asset Management Americas“, die konzerneigene Vermögensverwaltung, schienen ebenfalls eng mit Jain verbunden gewesen zu sein.18
Einen Tag nach der Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 verfiel die Deutsche Bank zunächst in Schweigen. Die Anteilseigner hatten ihrer Führung ein beispielloses Misstrauen ausgesprochen. Nie zuvor hatten 39 Prozent der Aktionäre dem Vorstand die Entlastung verweigert. Selbst langjährige Beobachter konnten sich an eine derartige Ohrfeige nicht erinnern.19 Als normal gelten Ablehnungsquoten von einem, zwei, höchstens einmal fünf Prozent. Schlimmer noch: Die Verweigerung kam diesmal nicht von ein paar krakeelenden Kleinaktionären, sondern von Großinvestoren und Aktionärsberatern, denen die ganze Richtung nicht passt. Das ist für die Deutsche Bank eine echte Bedrohung. Von dort kommt nämlich etwas für sie Unverzichtbares: Kapital. Jain und Fitschen konnten damals nur noch entlastet werden, weil so wenige Aktionäre anwesend waren. Bei dem Tagesordnungspunkt „Entlastung“ stimmten nur 30 Prozent mit. Ein großer Teil der Zustimmung kam von der Fondsgesellschaft „Blackrock“ und vom Scheich von Katar, bis dahin notorische Freunde des Managements.20 Kurz vor der Hauptversammlung hatte Jain noch zuversichtlich herumgetönt, dass die Unterstützung der Investoren stark sei. Am Tag danach war immerhin klar, dass es keine weitere Chance geben wird. Weder die Vorstandsvorsitzenden noch der Aufsichtsrat hätten sich auf einer Hauptversammlung eine weitere Schlappe erlauben können. Wenige Tage später forderten sowohl Mitarbeiter als auch Aktionäre auf einem Flugblatt den Rücktritt von Jain, weil er als ehemaliger Chef des Investmentbankings die vielen Rechtsrisiken und Milliardenstrafen zu verantworten habe.21
Die „Strategie 2020“ galt als demaskiert und wurde als Stärkung des Investmentbankings zu Lasten des Privatkundengeschäfts verstanden. Die Kritik an der Macht der angelsächsisch geprägten Investmentbanker innerhalb der Bank und den von ihnen verschuldeten hohen Strafzahlungen zog sich seinerzeit auf der Hauptversammlung durch die Redebeiträge fast aller Anteilseigner. Die Rekordstrafe wegen der Manipulationen am Referenzzinssatz Libor wurde als Schlag in das Gesicht des propagierten Kulturwandels bezeichnet.22 Die Aktionäre zahlten die Zeche für die Casino-Zockereien der Investmentbanker der Deutschen Bank. Man artikulierte die Furcht, dass die Bank den Investmentbankern dauerhaft in die Hände fällt, sie aber ihr Ertragsversprechen vor allem gegenüber sich selbst und nicht gegenüber der Bank einlösen. Folgt man einem Kommentator, dann drückte sich in dem Applaus für den scheidenden Privatkundevorstand Neske nicht nur Anerkennung für ein Vierteljahrhundert guter und loyaler Arbeit aus, sondern auch Wehmut angesichts des von ihm verlorenen Machtkampfs gegen die Investmentbanker. Berechtigt erschien dann auch die Frage, warum die Postbank noch ein Jahr früher als Bestandteil der Deutschen Bank gerühmt und nun als Fremdkörper beschrieben wurde. Furcht besteht auch insoweit, dass eine Bank, die in 7000 Rechtsstreitigkeiten verwickelt ist und unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielt, nicht nur schlecht geführt wird, sondern auch ihr in fast 150 Jahren aufgebautes Ansehen verspielt. Und natürlich kam auch die Furcht auf, dass die Deutsche Bank die versprochene Wende zum Besseren vielleicht nicht schafft. Bessere Jahresergebnisse und ein höherer Aktienkurs werden jedenfalls nicht genügen, um die Entfremdung zwischen der Deutschen Bank und einem nicht geringen Teil der deutschen Öffentlichkeit zu überwinden. Entscheidend war in der Tat die Frage, wie lange man Jain noch als den richtigen Mann betrachten würde, der die Reputation der Bank und ihrer Führung verbessern kann. Die Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 hat deutlich gemacht, dass viele Aktionäre nicht dieser Meinung waren.23 Jain und Fitschen schienen die Botschaft aber erst zwei Wochen später verstanden zu haben.

Finale


Am Sonntag, dem 7. Juni 2015 war der Paukenschlag nicht nur in der Bankenwelt zu hören. Am „Tag danach“ war den Titelseiten der Zeitungen zu entnehmen, dass Jain die Deutsche Bank zum Ende des gleichen Monats verlassen, aber von Juli 2015 bis Januar 2016 als „Berater“ zur Verfügung stehen würde. Fitschen hingegen soll bis zur nächsten Hauptversammlung im Frühjahr 2016 an Bord bleiben und dann die Bank verlassen.
John Cryan, wiederum ein Brite, wird wohl im Juli 2016 der alleinige Nachfolger werden. Der Aufsichtsratschef Achleitner konnte es sich nicht verkneifen, den bisherigen Vorstandsvorsitzenden dafür zu danken, dass die Deutsche Bank ihre (angeblich) weltweite Führungsposition aufgrund des jahrzehntelangen Einsatzes von Jain und Fitschen erreicht habe. Die Rücktrittsentscheidung zeige zudem auf beeindruckende Weise deren Einstellung, die Interessen der Bank vor ihre eigenen zu stellen. Es ist fraglich ist, ob Achleitner noch weiß, was er redet, hatte Jain doch – was inzwischen jeder wissen dürfte – zehn Jahre lang das Investmentbanking des Konzerns geleitet, also jene Sparte, in welcher der Großteil der „Skandale“ geschehen ist, deren juristische Aufarbeitung die Bank inzwischen annähernd einen zweistelligen Milliardenbetrag gekostet hat. Bis jetzt sind Jain allerdings immer noch keine persönlichen Verfehlungen nachzuweisen. Immerhin steht schon fest, dass es angesichts der hohen Strafzahlungen und der zu geringen Verringerung der Kosten im operativen Geschäft Jain und Fitschen nicht gelungen ist, die Ertragsschwäche der Deutschen Bank zu überwinden. Strategische Entscheidungen (z. B. Verkauf der Postbank; Schließung von ca. 200 Filialen; neue Aufgabenverteilung im Vorstand) blieben weitgehend wirkungslos.
Der Führungswechsel gilt als „überhastet und verkorkst“. Die Deutsche Bank erweckt den Eindruck, als ob sie fast hilflos nach einem neuen Geschäftsmodell sucht. Ein umfassender Neuanfang ist nicht in Sicht. Der in peinlicher Bemühtheit immer wieder propagierte „Kulturwandel“ ist nicht geglückt. Selbst konservative Mittelständler sprechen über die Deutsche Bank mit Hohn und Spott. Was soll man auch von einer Führungskraft wie Jain halten, der immer wieder darüber herumfaselte, dass er für das Verhalten der von ihm zu führenden Mitarbeiter im Investmentbereich die Verantwortung trägt, aber selbst keinerlei Konsequenzen ziehen wollte. Mit dieser Einstellung hätte er auch als Politiker eine veritable Karriere machen können.
Auch der Aufsichtsrat scheint den Schuss noch nicht gehört zu haben. Der Verbleib des Vorstandsvorsitzenden Fitschen im Amt zeigt, dass jedenfalls zunächst kein Neuanfang stattfindet. Das alte System wird einfach nur fortgesetzt. Eine „lahme Ente“ (Fitschen) soll einen international geprägten Manager mit britischem Pass, der in der „Welthochfinanz“ zu Hause ist, einarbeiten und sich gleichzeitig für den Vorwurf des versuchten Betrugs vor einem deutschen Strafgericht verantworten. Insoweit wird teilweise die Tradition des Vorgängers Josef Ackermann fortgesetzt, der im „Mannesmann-Prozess“ vor einem Strafgericht in Düsseldorf seinen Mann gestanden hatte. Anders als Ackermann haben seine Nachfolger aber nicht durchgehalten. Ihre Ablösung erfolgte in einem kommunikativen Durcheinander ziemlich abrupt. Das passte allerdings zu dem Wirklichkeitsverlust, den mindestens Jain erlitten haben muss, da er – wie bereits angedeutet – wenige Tage vor der Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 tatsächlich noch behauptete, dass er auf dieser Veranstaltung eine starke Unterstützung der Investoren erwartete. Deren Trommelfeuer hat aber wenig später hoffentlich auch bei diesem Manager einen Lerneffekt ausgelöst. Es steht jedoch zu vermuten, dass dieser nicht allzu lange andauern wird. Immerhin kann Jain seine auch nicht sehr überzeugenden Versuche einstellen, die deutsche Sprache zu erlernen. Dann wird er auch seinen angeblich „angegriffenen Gemütszustand“24 besser konsolidieren können. Der 52 Jahre alte Manager wird sich in jedem Fall mit seinen Karrieraussichten trösten können. Er ist in der britischen und amerikanischen Finanzszene gut vernetzt und könnte ohne weiteres einen eigenen Hedgefonds gründen. Jain verfügt – wie schon erwähnt – über besonders enge Beziehungen zum Vorstandsvorsitzenden des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock und zu dem „Starinvestor“ Warren Buffet.25 Um Jain muss man sich jedenfalls keine Sorgen machen. Das ist beim Geisteszustand des Aufsichtsrats der Deutschen Bank schon wieder anders. Einen Tag vor der verheerenden Abstimmung auf der Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 hat es diesem Gremium noch gefallen, diesem (ehemals) führenden Mitarbeiter sogar noch die Zuständigkeit für das Ressort „Strategie“ zu übertragen. Die Erarbeitung einer Strategie war zuvor verpatzt worden, obschon deren Notwendigkeit seit dem vergangenen Jahr offensichtlich war.26