Antizionismus und Antisemitismus im Linksextremismus

Von Dr. Udo Baron, Hannover¹

 

4 Antizionismus/Antisemitismus und die westdeutsche Linke nach 1945


Eigentlich ist im linksextremistischen Denken für Antisemitismus kein Platz. Insofern kann man auch nicht von einem „linken Antisemitismus“ sprechen, gleichwohl von „Antisemitismus unter Linken“. Der Antisemitismus innerhalb der linksextremistischen Szene wird immer dann deutlich, wenn der „jüdische Kapitalist“ als Inbegriff des „raffgierigen Kapitalisten“ erscheint, geheime Mächte im Hintergrund als unsichtbare „Strippenzieher“ ausgemacht werden und Israel als „Jude unter den Staaten“ als einzigem Land auf der Welt das Existenzrecht abgesprochen wird.9


In der bundesdeutschen Linken spielte der Antizionismus bzw. Antisemitismus nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst aber keine Rolle. Über einen längeren Zeitraum war sie vielmehr proisraelisch ausgerichtet. So gab es in den 1950er-Jahren in dem zur damaligen Zeit noch zur SPD gehörenden „Sozialistischen Deutschen Studentenbund“ (SDS) Initiativen zur Wiedergutmachung an den Juden und für die Anerkennung des Staates Israel. SDS und andere linke Gruppierungen betonten, dass man die Judenfeindschaft bekämpfen müsse. Mancher Linker arbeitete in den Kibbuzim-Projekten mit.


Mit dem Sieg Israels im Sechstagekrieg von 1967 über Ägypten wendete sich das Blatt. Israel war in den Augen der Linken vom Opfer zum Täter mutiert. Nunmehr wechselte die bundesrepublikanische Linke die Seiten – nicht mehr für Israel, sondern für die Palästinenser schlug nunmehr das linke Herz. Auf der alljährlichen SDS-Delegiertenkonferenz legte der SDS sich ein antiimperialistisches Selbstverständnis zu. Zugleich präsentierte er im September 1967 eine Nahost-Resolution, in der Israel als der „vorgeschobene Posten des US-Imperialismus“ diskreditiert wurde. Damit verabschiedete sich die westdeutsche Linke von der Solidarität mit Israel und der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland.10 Von nun an spielte Antizionismus und Antisemitismus in der bundesrepublikanischen Linken als auch beim bundesrepublikanischen Linkterrorismus eine nicht unbedeutende Rolle. So sahen die dogmatischen Linken wie sie die „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP) und die ihr nahestehende Jugendorganisation „Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ) repräsentierten, entsprechend den ideologischen Vorgaben der Sowjetunion bzw. der DDR in den Palästinensern „nationale Befreiungsbewegungen“ gegen den westlichen Imperialismus und Kolonialismus und in Israel den Unterdrücker freiheitlicher Bestrebungen.

 

5 Antizionismus/Antisemitismus und Linksterrorismus


Der Linksextremismus schreckte in seiner terroristischen Variante auch nicht vor der Anwendung von Gewalt gegen Juden zurück. So kam es am geschichtsmächtigen 9.11.1969 in Berlin zu einem geplanten Bombenanschlag auf das Jüdische Gemeindehaus. Während dort eine Erinnerungsveranstaltung mit 250 Menschen zum Gedenken an die „Reichskristallnacht“ vom 9.11.1938 stattfand, darunter zahlreiche Holocaust-Überlebende, befand sich eine Bombe im Keller, deren Explosion zahlreiche Menschenleben gekostet hätte. Nur ein technischer Defekt verhinderte letztendlich ein Massaker. Zuvor ausgebildet in palästinensischen Ausbildungslagern in Jordanien, bekannte sich die linksterroristische Gruppe „Tupamaros Westberlin“ des Kommunarden Dieter Kunzelmann später zu diesem Anschlag, mit dem man ein Zeichen gegen Israels Palästinenserpolitik setzen wollte. Möglicherweise ging auch der Brandanschlag auf ein jüdisches Altersheim mit sieben Todesopfern in München am 13.2.1970 auf das Konto der „Tupamaros Westberlin“ und der „Tupamaros München“. Eingeleitete Ermittlungen gegen deren Rädelsführer Kunzelmann und Fritz Teufel wurden aber ergebnislos eingestellt. Dieser Anschlagsplan wies darüber hinaus auch eine antisemitische Dimension auf. Denn die Berliner Juden wurden, weil sie Juden waren für die Politik des Staates Israel verantwortlich gemacht.11


Die Akteure der „Rote Armee Fraktion“ (RAF), der „Bewegung 2. Juni“ und der „Revolutionären Zellen“ (RZ) hatten schließlich keine Probleme mit antisemitisch geprägten palästinensischen Terroristen zu kooperieren und deren Verbrechen zu legitimieren. Der Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München etwa wurde von der RAF gutgeheißen.

RAF-Terroristen wie Andreas Baader, Horst Mahler, Gudrun Ensslin oder Ulrike Meinhof ließen sich zudem in palästinensischen Lagern für den bewaffneten Kampf ausbilden.12


1976 entführte ein „Kommando Guevara von Gaza“, bestehend aus zwei Terroristen der militanten „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) und mit Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann aus zwei Gründungsmitgliedern der RZ, ein französisches Passagierflugzeug der Air France, das sich auf dem Flug von Tel Aviv über Athen nach Paris befand, um so inhaftierte Gesinnungsgenossen aus unterschiedlichen Ländern freizupressen. Nachdem die entführte Maschine in Entebbe, dem Flughafen der ugandischen Hauptstadt Kampala, gelandet war, „selektierten“ ausgerechnet Böse und Kuhlmann in der Transithalle alle 77 jüdischen Passagiere von den übrigen Passagieren. Während alle anderen freigelassen wurden, mussten israelische Staatsbürger und diejenigen, deren Namen einen jüdischen Klang hatten, zurückbleiben. Als ein Überlebender der Schoa daraufhin Böse seine eintätowierte Häftlingsnummer zeigte, um ihn so an die Selektion der Juden durch die Nationalsozialisten in den Konzentrationslagern zu erinnern, soll Böse erwidert haben, er sei kein Nazi, sondern Idealist.13