Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist

 

II Prozessuales Strafrecht

 


§ 81g StPO – DNA-Identitätsfeststellung; hier: Bloße ab-strakte Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Mit Urteil vom 22.1.2018 wurde der Beschwerdeführer B wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften in vier Fällen sowie wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Anschließend wurde mit Beschluss angeordnet, dass Körperzellen entnommen und diese zur Feststellung der DNA-Identifizierungsmuster sowie des Geschlechts molekulargenetisch untersucht werden.


Die Prognoseentscheidung muss sich dabei mit den Umständen des Einzelfalls auseinandersetzen. Eine bloß abstrakte Wahrscheinlichkeit eines künftigen Strafverfahrens genügt für die Anordnung der Maßnahme nach § 81g StPO nicht. Dementsprechend genügt die bloße kriminalistische Erfahrung, dass bei Personen, die geneigt sind, sich aus sexueller Motivation kinderpornographische Bilder zu beschaffen und zu betrachten, nicht, auch wenn bei diesen Personen grundsätzlich von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit künftiger gleich gelagerter Straftaten auszugehen ist. Zudem ist die Feststellung von Nöten, aus welcher Motivation heraus sich der B kinderpornographische Schriften verschafft und verbreitet hat. Ferner genügt allein die Tatsache, dass der B (auch) wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften verurteilt worden ist, nicht, um eine Negativprognose zu begründen. Erforderlich ist das Hinzutreten weiterer besonderer Umstände. (LG Braunschweig, Beschl. v. 19.4.2018 - 4 Qs 72/18)


§§ 110c, 136a StPO – Befugnisse des Verdeckten Ermittlers; hier: Täuschungsverbot; Mordfall „Ramona“. Der Beschuldigte M befand sich aufgrund Haftbefehls seit dem 29.1.2019 in Untersuchungshaft. Mit dem auf den Tatvorwurf des Mordes (§ 211 StGB) und den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gestützten Haftbefehl wird ihm zur Last gelegt, am 15.8.1996 im Laufe des Vormittags die 10-jährige R getötet zu haben. Der dringende Tatverdacht wird maßgeblich darauf gestützt, dass der wegen Sexualstraftaten vorbestrafte M die Tatbegehung gegenüber den im Vorfeld eingesetzten Verdeckten Ermittlern „grundsätzlich“ eingeräumt habe. Nachdem alle weiteren Ermittlungsansätze nicht zum Erfolg geführt hatten, genehmigte das Amtsgericht den Einsatz von bis zu fünf Verdeckten Ermittlern. Nach Schaffung eines Vertrauensverhältnisses wurde schließlich seitens der Verdeckten Ermittler das Angebot unterbreitet, dass man eine krebskranke Person besorgen könne, die gegen ein Entgelt für den M ins Gefängnis gehe. Damit das funktioniere, müsse diese Person aber mit konkreten Informationen („Fakten“) über die Tat versorgt werden. Nach anfänglichem Zögern offenbarte sich M schließlich.


Das zuvor Aufgezeigte seitens der Verdeckten Ermittler geht eindeutig in unzulässiger Weise über die aus § 136a StPO und den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit herzuleitenden Grenzen hinaus. Dies gilt erst recht, wenn die Verdeckten Ermittler den M auf der Grundlage dieser Täuschung selbst dann noch massiv zu weiteren Äußerungen und zur Mitwirkung an einer (vermeintlich) selbstbelastenden „Tatrekonstruktion“ im Rahmen von Tatort- und Leichenfundortbesichtigungen bedrängten haben, nachdem dieser auf das vorgetäuschte Angebot zunächst ablehnend reagiert und mehrfach und eindeutig betont hatte, dass er mit dieser Tat nichts zu tun habe, dass er dazu nichts sagen könne und dass er sich deshalb leider von den Verdeckten Ermittlern (seinen potentiellen Geschäftspartnern) verabschieden müsse. Eine solche Beweisgewinnung verstößt gegen den Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst zu belasten („nemo tenetur se ipsum accusare“) und hat regelmäßig ein Beweisverwertungsverbot zur Folge. (OLG Jena, Beschl. v. 31.7.2019 – 1 Ws 242/19)


§ 261 StPO – Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung; hier: Beweiswert einer Wahllichtbildvorlage. Eine sequentielle Wahllichtbildvorlage zeichnet sich dadurch aus, dass der Zeuge das Lichtbild von jeweils einer Person sieht und ihm nacheinander die Lichtbilder mehrerer Personen gezeigt werden. Der Beweiswert einer sequentiellen Wahllichtbildvorlage ist höher als der einer simultan durchgeführten. Dies beruht darauf, dass dem Zeugen in Ermangelung zeitgleich vorgelegter weiterer Lichtbilder die Identifizierung im Wege eines – in der Praxis häufig vorkommenden – Ausschlussverfahrens am Maßstab eines (relativen) Ähnlichkeitsurteils regelmäßig verschlossen ist. Der Zeuge kann und muss vielmehr bei jedem einzelnen Bild beziehungsweise bei jeder einzelnen Person ausschließlich auf sein aktuelles Erinnerungsbild zurückgreifen. (BGH, Urt. v. 12.3.2020 – 4 StR 544/19)

 

 

III Sonstiges


Einen sehr interessanten Aufsatz von Dr. Julian Rodenbeck über den „Lügendetektor“ samt bisheriger Rechtsprechung finden Sie im Der Strafverteidiger, StV 07/20, S. 479 – 483, unter dem Titel: „Lügendetektor 2.0 – Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Aufdeckung bewusst unwahrer Aussagen im Strafverfahren“.

 

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