Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§ 176 Abs. 1 StGB – Sexueller Missbrauch von Kindern; hier: Ausziehen als sexuelle Handlung an einem Kind. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB – Gefährliche Körperverletzung; hier: beschuhter Fuß. § 261 StGB – Geldwäsche; hier: Verwahrung. § 261 StGB – Geldwäsche; hier: Vortatfeststellung. (...)

II Prozessuales Strafrecht

§§ 102, 105 StPO – Durchsuchung bei Beschuldigten; hier: selbst herbeigeführte Gefahr im Verzug. Polizisten wollten einen Durchsuchungsbeschluss in einem Mehrfamilienhaus vollstrecken; brachen diesen Versuch jedoch ab. Dabei fiel ihnen im Haus ein leichter und auch nicht näher lokalisierbarer Geruch von Marihuana auf. Einige Tage später versuchten sie erneut erfolglos den Durchsuchungsbeschluss zu vollstrecken. Zur Unterstützung waren weitere sechs Polizeibeamte dabei. Diesmal nahmen sie bereits auf dem Gehweg vor dem Haus einen intensiven Marihuanageruch wahr, der einer Wohnung im dritten Obergeschoss zuzuordnen war und der im Keller befindliche Stromzähler für die Wohnung drehte auffällig schnell; Verdacht: Marihuanaanbau. Sie verteilten sich vor und im Haus. Problematisch war jedoch ein nicht einzusehender Bereich nach hinten. Währenddessen versuchte der Gruppenleiter über einen Zeitraum von 10 bis 15 Minuten mehrfach – mindestens dreimal – erfolglos, den Eildienst der StA telefonisch zu erreichen, um diesen zu veranlassen, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken. Andere Hausbewohner wurden langsam aufmerksam und fragten nach. Man entschloss sich, an der betreffenden Wohnungstür zu klopfen und gab sich zu erkennen. Geräusche waren zu hören und die Türe wurde von innen verschlossen. Aufgrund drohenden Beweismittelverlustes sah die Polizei Gefahr im Verzug und beschloss die Tür gewaltsam zu öffnen. Nach mehreren Versuchen wurde die Tür von innen geöffnet. Die Polizeibeamten betraten daraufhin die Wohnung und fanden zahlreiche Marihuanapflanzen mit insgesamt 1.242,55 Gramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 97,6?g THC vor. Nach Belehrung gab der Angeklagte an, dass er an ADHS erkrankt sei, ohne „Gras“ nicht klar komme und deshalb „ohne Ende kiffe“. Er würde täglich 5 Gramm Marihuana benötigen. Handel treiben würde er nicht, wohl aber „Kollegen“ mitrauchen lassen.

Der Begriff „Gefahr im Verzuge“ im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG ist eng auszulegen. Dieser ist nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme (regelmäßig die Sicherstellung von Beweismitteln) gefährdet wird. Kann hingegen der Richter mit dem Durchsuchungsbegehren befasst werden und über dieses entscheiden, ohne dass damit ein Risiko des Verlusts von Beweismitteln verbunden ist, ist für einen Rückgriff auf die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden kein Raum. Ob ein angemessener Zeitraum zur Verfügung steht, innerhalb dessen eine Entscheidung des zuständigen Richters erwartet werden kann, haben die Ermittlungsbehörden nach der Konzeption des Art. 13 Abs. 2 GG zunächst selbst zu prüfen. Dabei haben sie die von der Verfassung vorgesehene „Verteilung der Gewichte“, nämlich die Regelzuständigkeit des Richters, zu beachten. Der Ausnahmecharakter der nichtrichterlichen Eilanordnung nach § 105 Abs. 1 StPO schließt es aus, mit dem Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung zu warten, bis die Gefahr eines Beweismittelverlusts eingetreten ist. Selbst herbeigeführte tatsächliche Voraussetzungen können die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen nicht begründen. Dem Strafverfahrensrecht ist ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd. Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist von Verfassungs wegen nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden, geboten. Dies war hier der Fall. Bei gröblicher Missachtung des in § 105 Abs. 1 StPO normierten Richtervorbehalts können Erwägungen zu einem hypothetisch rechtmäßigen Alternativverhalten der Ermittlungsbehörden die Annahme eines Beweisverwertungsverbots nicht hindern. (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.6.2016 – III-3 RVs 46/16)

§§ 102, 105 StPO – Durchsuchung bei Beschuldigten; hier: Angaben zum Tatzeitraum im Durchsuchungsbeschluss. Ein gerichtlicher Durchsuchungsbeschluss muss Angaben zum Tatzeitraum bezüglich aller Beschuldigter enthalten, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen und insbesondere der Begrenzungsfunktion zu genügen. Beim Tatvorwurf der Beihilfe zur Steuerhinterziehung genügt der Hinweis „über Jahre hinweg“ diesen Anforderungen ebenso wenig wie die isolierte Angabe, wann einer der Beschuldigten frühestens strafbar gehandelt hat. (BVerfG, Beschl. v. 4.4.2017 – 2 BvR 2551/12)

§§ 103, 95 StPO – Durchsuchung bei anderen Personen; hier: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Aufforderung zur freiwilligen Herausgabe. Auf Antrag des Finanzamtes für Fahndung und Strafsachen Braunschweig vom 30.11.2015 wurde durch Beschluss des AG Braunschweig vom 11.12.2015 unter anderem die Durchsuchung der Geschäftsräume der unbeteiligten S. zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln (Buchführungsunterlagen, Aufzeichnungen über Einnahmen oder Ausgaben, Kontoauszüge, Bankbelege, Schriftwechsel sowie sämtliche Unterlagen, aus denen die Entstehung oder die Verwendung von Einkünften oder Vermögenswerten des Beschuldigten ersichtlich sind) angeordnet. Zu einer Vollstreckung des Durchsuchungsbeschlusses am 14.12.2015 kam es nicht, nachdem die vom Durchsuchungsbeschluss umfassten Beweismittel durch die S. freiwillig herausgegeben wurden.

Eine Durchsuchung nach § 103 StPO darf nur ergehen, wenn nach dem Prinzip des geringsten möglichen Eingriffs eine den Beschwerdeführer weniger belastende Maßnahme im gleichen Umfang nicht erfolgversprechend ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert in aller Regel, dass der unbeteiligte Dritte zunächst zu einer freiwilligen Herausgabe der gesuchten Beweismittel aufgefordert wird. Dem Herausgabeverlangen gemäß § 95 Abs. 1 StPO wird auch nicht dadurch Genüge getan, dass die Aufforderung unmittelbar vor der bevorstehenden Vollstreckung der Durchsuchungsanordnung erfolgt, da in diesen Fällen die Einwilligung unter dem Eindruck der bevorstehenden Durchsuchung steht und nicht frei von Zwang abgegeben wird. (LG Braunschweig, Beschl. v. 11.07.2016 – 16 Qs 135/16)

§ 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO – Verlesung der Erklärungen von Behörden und Sachverständigen; hier: erweiterter Urkundenbeweis; Verlesung polizeilicher Observationsberichte. Polizeiliche Observationsberichte können grundsätzlich gem. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesen werden. Aus dem Wortlaut des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO ergibt sich weder, dass Observationsberichte im Speziellen von einer Verlesung ausgenommen sein sollen, noch dass Ermittlungshandlungen im Sinne der Vorschrift ausschließlich „Routinemaßnahmen“ betreffen. Den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 15/1508, 26?f.) ist eine dahingehende Einschränkung gleichfalls nicht zu entnehmen. Ziel der Einführung der Vorschrift war es, zu einer „Entlastung der Strafverfolgungsbehörden und der Hauptverhandlung“ beizutragen. (BGH, Beschl. v. 8.3.2016 – 3 StR 484/15)

Anmerkung: Urkunden dürfen zu Beweiszwecken nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO auch dann verlesen werden, wenn sie nicht für das anhängige, sondern für ein anderes Strafverfahren erstellt worden sind. (BGH, Beschl. v. 13.4.2015 ? 5 StR 110/15)

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