Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§§ 56c Abs. 1, 184b StGB; Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 u. 2, Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG – Weisungen; hier: Internetverbot als Bewährungsweisung. § 168 Abs. 1 StGB – Störung der Totenruhe; hier: Wegnahme von Zahngold. §§ 185, 193 StGB – Beleidigung; hier: Berechtigte Beleidigung von Polizeibeamten. (...)



II. Prozessuales Strafrecht


§§ 81g Abs. 3 S. 1, 81a Abs. 3, 261 StPO – Erstellung eines DNA-Identifizierungsmusters; hier: Verwertung einer DNA-Analyse trotz verfahrensfehlerhaft herangezogener Speichelprobe. Der Angeklagte (A.) beging 2012 im Drogenmilieu eine versuchte besonders schwere räuberische Erpressung in Tateinheit mit einer fahrlässigen Körperverletzung und wurde festgenommen. Bei der Gelegenheit gab er eine freiwillige Speichelprobe ab. Ihm wurde eine formularmäßige Einwilligungserklärung zur Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung von Körperzellen zu Vergleichszwecken vorgelegt, die sich auf die molekulargenetische Untersuchung im laufenden Strafverfahren (§ 81e StPO) bezog und diese unterschrieb er auch. Dies war jedoch ein Versehen der ermittelnden Polizei, die beabsichtigte, auf die molekulargenetische Untersuchung zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren (§ 81g StPO) abzuzielen. Eine solche Erklärung unterschrieb A. nicht. An Hand des genetischen Fingerabdruckes konnte dem A. auch eine gefährliche Körperverletzung aus 2008 zugeordnet werden (Hautschuppen in einer verwendeten Strumpfmaske).
Der BGH stellte fest, dass die Verwertung einer DNA-Analyse trotz verfahrensfehlerhaft herangezogener Speichelprobe möglich ist. Zwar ist die Untersuchung von zu anderen Zwecken entnommenen Körperzellen, um sie zur Erstellung eines DNA-Identifizierungsmusters zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren zu verwenden, nicht durch die Verwendungsregelung, § 81a Abs. 3 Hs. 1 StPO, gedeckt, jedoch führt nicht jeder Rechtsverstoß bei der Beweiserhebung zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der dadurch erlangten Erkenntnisse. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalls unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (sog. Abwägungslehre). Die Ausnahme des Beweisverwertungsverbotes greift insbesondere bei schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden. (BGH, Beschl. v. 20.05.2015 – 4 StR 555/14)

§ 102 StPO – Wohnungsdurchsuchung; hier: Verhältnismäßigkeit. Der Beschwerdeführer wandte sich gegen die Durchsuchung seiner Wohnräume in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verleumdung und der falschen Verdächtigung. Er obsiegte mit einer Verfassungsbeschwerde und das BVerfG stellte unter anderem fest, dass sich die Unverhältnismäßigkeit einer Wohnungsdurchsuchung aus dem geringen Grad des Anfangsverdachts und daraus ergeben, dass weitere zur Ermittlung zur Verfügung stehende Maßnahmen nicht ergriffen wurden. Insbesondere bei einem nur vagen Auffindeverdacht ist die Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung wegen der Schwere des Eingriffs eingehend zu begründen. (BVerfG, Beschl. v. 16.12.2014 – 2 BvR 2393/12)

§§ 103, 105 Abs. 1 StPO – Wohnungsdurchsuchung bei anderen Personen; hier: Mögliche Auffindung des Banners einer gegnerischen Fangruppierung beim Kopf der Gruppierung. Im Rahmen von Raubermittlungen bei verfeindeten „Ultra-Gruppierungen“ wurde der ermittelnden Staatsanwaltschaft zugesichert, dass sich das in Rede stehende Fanbanner bei dem Kopf der gegnerischen Fangruppierung befinden würde. Diese Aussage wurde als sehr vertrauenswürdig eingestuft. Polizeiliche Ermittlungen ergaben jedoch, dass unbekannt sei, in wessen Besitz sich das Banner befinde. Es werde vermutet, dass es gut versteckt, aber jederzeit verwendbar sei und angenommen, dass es eher unwahrscheinlich sei, dass eine der Führungskräfte einer Gruppierung das Banner in seinen Privaträumen bereithalte. Die Staatsanwaltschaft erwirkte einen Durchsuchungsbeschluss beim Kopf der Gruppierung; dem „unverdächtigen Dritten“.
Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Die Unverletzlichkeit der Wohnung steht unter einem besonderen grundrechtlichen Schutz. Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Anlass für einen Eingriff ist der (Anfangs-) Verdacht einer Straftat. Dieser muss auf konkreten Tatsachen beruhen und über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Eine Durchsuchung muss zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich und mit Blick auf den verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein und in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der vorgeworfenen Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen. An die Durchsuchung bei einer nicht verdächtigen Person, die durch ihr Verhalten auch aus Sicht der Ermittlungsbehörden in keiner Weise Anlass zu den Ermittlungsmaßnahmen gegeben hat, sind besondere Anforderungen zu stellen. So müssen konkrete Gründe dafür sprechen, dass der gesuchte Beweisgegenstand in den zu durchsuchenden Räumlichkeiten des Unverdächtigen gefunden werden kann. An ausreichenden Anhaltspunkten für einen Auffindeverdacht fehlt es hier. Nach den szenebezogenen Erkenntnissen von Polizei und Staatsanwaltschaft konnte allenfalls davon ausgegangen werden, dass sich das Banner – gut versteckt, aber leicht erreichbar – irgendwo bei der etwa 60 gewaltaffine Personen umfassenden Gruppierung befindet, wobei es als unwahrscheinlich angesehen wurde, dass eine Führungskraft das Banner aufbewahre. (BVerfG , Beschl. v. 11.01.2016 – 2 BvR 1361/13)

§§ 256 Abs. 1 Nr. 5, 250, 244 Abs. 2 StPO – Behördliches Zeugnis oder Gutachten, Unmittelbarkeitsgrundsatz, Beweisaufnahme; hier: Verlesung polizeilicher Observationsberichte. Polizeiliche Observationsberichte können grundsätzlich gem. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO in der Hauptverhandlung verlesen und somit eingeführt werden. Die Aufklärungspflicht kann aber – nötigenfalls zusätzlich – eine Vernehmung der Ermittlungsperson gebieten. (LG Berlin, Beschl. v. 19.02.2014 – (533) 254 Js 33/13 Kls (33/13))

III. Sonstiges


Zur Thematik: Darf der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren getäuscht werden? – Zur grundsätzlichen Zulässigkeit aktiver Täuschung im Ermittlungsverfahren. Ein lesenswerter Beitrag von Staatsanwalt Bijan Nowrousian in der Zeitschrift Neue Zeitschrift für Strafrecht, NStZ 11/2016, S. 625ff.
In der NStZ 03/2016, S. 139ff ist ein interessanter Beitrag von Staatsanwalt Dr. Benjamin Krause zu dem Thema: IP-Tracking durch Ermittlungsbehörden: Ein Fall für § 100g StPO? – Zugleich Besprechung des BGH-Beschl. v. 23.09.2014 – 1 BGs 210/14 zu finden. Entgegen dem BGH hält der Verfasser für IP-Tracking einen Beschluss nach § 100g StPO für nicht erforderlich.

Seite: << zurück12