EU-Datenschutzreform

– das Ende der Einwilligung als Rechtsgrundlage für die polizeiliche Datenverarbeitung?

4 Vorgaben der JI-Richtlinie hinsichtlich der Datenverarbeitung


Zur Frage der Einwilligung als Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung macht die JI-Richtlinie selbst keine Vorgaben, sondern gibt den Mitgliedstaaten nur auf, vorzusehen, dass „die Verarbeitung nur dann rechtmäßig ist, wenn und soweit diese Verarbeitung für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich ist, die von der zuständigen Behörde zu den in Artikel 1 Absatz 1 genannten Zwecken wahrgenommenen wird, und auf Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts der Mitgliedstaaten erfolgt.“20Damit ist die Einwilligung als Rechtsgrundlage weder ausdrücklich vorgesehen noch ausgeschlossen. Hinweise ergeben sich allein aus den 107 Erwägungsgründen, die das Europäische Parlament und der Rat den Normen der JI-Richtlinie vorangestellt haben. Zur Zulässigkeit der Datenverarbeitung auf Grundlage einer Einwilligung gibt es in den Erwägungsgründen zwei Fundstellen. Im Erwägungsgrund Nr. 35 der JI-Richtlinie sollte in Fällen, in denen die Person zur Verfolgung oder Verhütung einer Straftat aufgefordert wird, eine rechtliche Verpflichtung nachzukommen, die Einwilligung der betroffenen Person aufgrund der fehlenden Wahlfreiheit keine rechtliche Grundlage für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch die zuständige Behörde darstellen. Im Umkehrschluss ist eine Einwilligung außerhalb solcher Verpflichtungen nicht ausgeschlossen, wie z.B. bei der Verarbeitung von Daten zur Gefahrenabwehr ohne Bezug zu Straftaten oder die Einwilligung in die Verarbeitung von Vergleichsfingerabdrücken des Wohnungsinhabers nach einem Wohnungseinbruchsdiebstahl. Darüber hinaus verweist der Erwägungsgrund im Weiteren auf die Zulässigkeit von Rechtsvorschriften, die vorsehen, dass die betroffene Person der Datenverarbeitung zustimmen kann und nennt das Beispiel der DNA-Analyse. Der Begriff „Zustimmung“ ist hier als Sonderfall der Einwilligung zu sehen, bei dem trotz gesetzlicher Befugnis zur Datenverarbeitung eine Zustimmung der betroffenen Person erforderlich ist. Die „Einwilligung“ als nicht normgebundene Einwilligung in die Datenverarbeitung ist damit jedoch weiterhin in allen Fällen zulässig, in denen die betroffene Person keiner rechtlichen Verpflichtung unterliegt und damit eine echte Wahlfreiheit besteht. Diese Auslegung wird auch durch den Erwägungsgrund 37 der JI-Richtlinie gestützt. Dieser stellt klar, dass die Einwilligung in die Verarbeitung sensibler Daten, die besonders stark in die Privatsphäre der betroffenen Person eingreift, nicht möglich sein sollte. Im Umkehrschluss kann die Einwilligung ohne Bezug zu derartig sensiblen Daten grundsätzlich eine rechtliche Grundlage für die Datenverarbeitung darstellen, denn sonst wäre die Einschränkung bezogen auf die Einwilligung im Zusammenhang mit der Verarbeitung besonders sensible Daten unnötig. Die Auslegung, dass bereits der Erwägungsgrund Nr. 35 der JI-Richtlinie jegliche Einwilligung der betroffenen Person in die Verarbeitung personenbezogener Daten unmöglich macht, ist mit den Ausführungen zu besonders sensiblen Daten im Erwägungsgrund Nr. 37 der JI-Richtlinie demnach nicht in Einklang zu bringen.

Im Ergebnis sollte nach den Erwägungsgründen Nr. 35 und 37 der JI-Richtlinie eine Einwilligung zur Datenverarbeitung nicht ausreichen,

  • wenn es aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung im Rahmen der Verhütung und Verfolgung von Straftaten keine Wahlfreiheit gibt oder
  • im Rahmen der Verhütung und Verfolgung von Straftaten besonders sensible Daten verarbeitet werden sollen.

In allen anderen Fällen ist eine Einwilligung in die Datenverarbeitung als Rechtsgrundlage nicht ausgeschlossen. Das gilt insbesondere für polizeiliche Datenverarbeitung zur „reinen“ Gefahrenabwehr, die von der JI-Richtlinie eigentlich nicht erfasst wird. Unberührt bleibt zudem die Möglichkeit der Zustimmung zur Datenverarbeitung, soweit die Datenverarbeitung auf Grundlage einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung erfolgt.

5 Umsetzung der JI-Richtlinie durch das LDSG-SH


Das LDSG-SH wurde durch das Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 vom 2. Mai 2018 angepasst.21 Im Hinblick auf die o.g. Problematik der drohenden uneinheitlichen Regelungen zur Datenverarbeitung durch die Polizei bestimmt das LDSG-SH in § 20 (Anwendungsbereich), dass der Abschnitt zur Umsetzung der JI-Richtlinie „den Schutz vor und die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die für die Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung, Verfolgung oder Ahndung von Straftaten zuständigen öffentlichen Stellen“ mit einschließt.Damit ist die Datenverarbeitung der Vollzugspolizei sowohl zur Strafverfolgung als auch zur Gefahrenabwehr umfasst und zugleich die nicht-polizeiliche Gefahrenabwehr durch Verwaltungsbehörden ausgenommen. Für sie gilt grundsätzlich die DSGVO. Bezogen auf die Einwilligung als Rechtsgrundlage für die polizeiliche Datenverarbeitung enthält das LDSG-SH ebenfalls keine Regelung. Die bisher in § 11 LDSG-SH (a.F.)22 enthaltene Regelung zur Zulässigkeit der Datenverarbeitung, die u.a. auch einen Einwilligungstatbestand enthielt, wurde durch eine allgemeine Regelung zur Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogenen Daten in den §§ 3, 23 LDSG-SH ersetzt. In der Neuregelung heißt es nur noch: „Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist zulässig, wenn sie für die Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgabe oder in Ausübung öffentlicher Gewalt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde, erforderlich ist.“ Nach der Gesetzesbegründung zu § 3 LDSG-SH wurde mit dieser Norm „eine allgemeine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen geschaffen“.23Die Regelung zur Einwilligung aus § 27 LDSG-SH normiert laut Gesetzesbegründung die „Voraussetzungen für eine wirksame Einwilligung“24 und nicht die Frage, ob die Einwilligung Rechtsgrundlage einer polizeilichen Datenverarbeitung darstellen kann. Das Vorhandensein dieser Regelung im Abschnitt 3 des LDSG-SH spricht ebenfalls dafür, dass auch der Gesetzgeber von einer Rechtfertigung einer Datenverarbeitung durch Einwilligung ausgeht. § 27 Abs. 1 LDSG-SH normiert lediglich eine Nachweispflicht für die Polizei, soweit die Verarbeitung personenbezogener Daten auf Grundlage einer Rechtsvorschrift, welche die Einwilligung der betroffenen Person vorsieht, erfolgt. Hieraus im Umkehrschluss zu folgern, dass eine Einwilligung nur noch bei vorhandener Rechtsvorschrift, welche die Einwilligung ausdrücklich vorsieht, in Betracht kommt, geht fehl. Die Erwägungsgründe zur JI-Richtlinie unterscheiden deutlich zwischen der Einwilligung und der Zustimmung zu einer Datenverarbeitung nach einer Rechtsnorm. Nachdem der Gesetzgeber offensichtlich darauf verzichtet hat, sowohl die Zulässigkeit der Datenverarbeitung durch Einwilligung in § 23 LDSG-SH zu regeln als auch die Unterscheidung zwischen Einwilligung und Zustimmung vorzunehmen, ist davon auszugehen, dass die Klärung dieser Fragen der Neuregelung des LVwG und weiteren Gesetzen vorbehalten ist, die als speziellere Normen den allgemeinen Regelungen des LDSG-SH vorgehen.

6 Novellierung der Polizeigesetze


Neben der aktuellen sicherheitspolitischen Diskussion zur Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus hat auch die notwendige und mittlerweile zeitkritische Umsetzung der EU-Datenschutzreform zu umfassenden Novellierungsvorhaben bei Bund und Ländern geführt. Zugleich soll ein Musterpolizeigesetz die Harmonisierung der Polizeigesetze fördern, um ein einheitliches Sicherheitsniveau in Deutschland und eine gleichförmige Anwendung von gefahrenabwehrrechtlichen Befugnissen sowie datenschutzrechtlichen Vorgaben zu erreichen.25 Die derzeitige Prüfung des Novellierungsbedarfs des letztmalig im Jahr 2007 überarbeiteten schleswig-holsteinischen LVwG umfasst daher auch die erforderlichen Anpassungen aufgrund der EU-Datenschutzreform. Bezogen auf die Einwilligung zeigen bereits überarbeitete Polizeigesetze, dass an der Möglichkeit der Einwilligung als Rechtsgrundlage für die polizeiliche Datenverarbeitung festgehalten wird.26

7 Fazit


Die Einwilligung als Rechtsgrundlage für die polizeiliche Datenverarbeitung zur Strafverfolgung und zur Gefahrenabwehr ist durch die EU-Datenschutzreform keinesfalls abgeschafft, vielmehr gibt es je nach Umsetzung der JI-Richtlinie in die nationalen Gesetze unterschiedliche Voraussetzungen für eine wirksame Einwilligung. Die Gesetzgeber sind aufgefordert, den Gestaltungsspielraum nach der EU-Datenschutzreform zu erkennen und normenklare Befugnisse für die polizeiliche Datenverarbeitung zu schaffen. Die Gesetzgeber schießen über die Idee der Einführung eines Mindeststandards bei der Datenverarbeitung innerhalb der EU hinaus, wenn sie die Grundrechtsträger durch eine zu enge Auslegung der EU-Datenschutzreform entmündigen, im Einzelfall über die Preisgabe ihrer persönlichen Daten informiert und selbstbestimmt zu entscheiden.

Anmerkungen

  1. Dirk Staack ist Polizeidirektor und Angehöriger des LKA Schleswig-Holstein. Er ist Herausgeber und Autoren von zahlreichen Fachpublikationen sowie Lehrbeauftragter im Masterstudiengang „Public Administration – Police Management“. Der Beitrag berücksichtigt die Gesetzgebungsverfahren bis zum 28.2.2019.
  2. Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 (DSGVO), Amtsblatt der Europäischen Union L 119/1.
  3. Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 (JI-Richtlinie), Amtsblatt der Europäischen Union L 119/89.
  4. Den Straftaten im Sinne der JI-Richtlinie dürften auch Ordnungswidrigkeiten zuzurechnen sein. Vgl. Schwabenbauer, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2018, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage, S. 881 m.w.N. und LT-Drs. SH 19/429, S. 151.
  5. Vgl. Schenke/Graulich/Ruthig, 2019, Sicherheitsrecht des Bundes, S. 7.
  6. Vgl. Petri, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2018, a.a.O., S. 924 und LT-Drs. SH 19/752, S. 17.
  7. Vgl. Becker/Brüning, 2014, Öffentliches Recht in Schleswig-Holstein, S. 188.
  8. Vgl. Art. 99 DSGVO und § 1 BDSG.
  9. Vgl. Art. 1 Abs. 1 Verordnung (EU) 2016/679 (DSVGO).
  10. Vgl. Art. 2 Abs. 1 Verordnung (EU) 2016/679 (DSVGO).
  11. Vgl. Art. 2 Abs. 2d Verordnung (EU) 2016/679 (DSVGO).
  12. Vgl. Art. 1 Richtlinie (EU) 2016/680 (JI-Richtlinie).
  13. Vgl. Kugelmann, 2018, Die Anpassung der Fachgesetze an die DS-GVO, DUD, S. 482; Schwabenbauer, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2018, a.a.O., S. 872.
  14. BGBl 2017 I, S. 2097.
  15. GVOBl SH 2018, S. 162.
  16. Vgl. Schwabenbauer, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2018, a.a.O., S. 873; Kugelmann, 2018, a.a.O., DUD, S. 482.
  17. Vgl. Art. 1 Richtlinie (EU) 2016/680 (JI-Richtlinie).
  18. Vgl. Schwabenbauer, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2018, a.a.O., S. 882.
  19. Richtlinie (EU) 2016/680 (JI-Richtlinie), Erwägungsgrund 12.
  20. Vgl. Art. 8 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2016/680 (JI-Richtlinie).
  21. GVOBl SH 2018, S. 162.
  22. GVOBl SH 2000, S. 169.
  23. Vgl. LT-Drs. SH 19/429, S. 132.
  24. Vgl. LT-Drs. SH 19/429, S. 152.
  25. Vgl. Staack, 2018, Die Kriminalpolizei, Heft 3, S. 9.
  26. Vgl. z.B. § 9 PolG NRW, Art. 31 BayPAG, § 32 TH PAG und § 39 Abs. 3 i.V.m. § 9 Abs. 3 BKAG.




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