Die Verständigung im Strafverfahren

Von Staatsanwalt Dr. Sören Pansa, Kiel

2.2 Bindungswirkung des Inhalts von Verständigungsgesprächen bei fehlgeschlagener Verständigung

Aus Sicht der Verteidigung dürften die geschaffenen Verständigungsregelungen einen großen Vorteil im Vergleich zur vorherigen Rechtslage darstellen. Ein Gericht wird sich aufgrund der bekannten, erheblichen Belastung der Justiz nur selten dem Angebot des Verteidigers auf Gespräche i.S.d. §§ 257b, 257c StPO verschließen. Ein solches Angebot des Verteidigers dürfte ferner zur Wahrung der Interessen des Angeklagten sogar grundsätzlich geboten sein, um die dem Mandanten drohenden Risiken eruieren zu können. Die Staatsanwaltschaft kann, auch wenn sie an einer Verständigung22 nicht interessiert sein sollte, solche Gespräche nicht verhindern, sondern lediglich die eigene Teilnahme verweigern. Der Verteidiger hat im Rahmen dieser Gespräche die Möglichkeit, sich Vorstellungen der Verfahrensbeteiligten über das Strafmaß für den Fall eines Geständnisses anzuhören und anschließend mit dem Angeklagten hierüber zu beraten. Das Gericht muss gemäß § 243 Abs. 4 S. 2 StPO den Inhalt dieses Gesprächs, unabhängig vom Zustandekommen einer Verständigung, anschließend in öffentlicher Hauptverhandlung mitteilen.

Fraglich ist jedoch, ob sich der Angeklagte nach dem Scheitern der Verhandlungen hinsichtlich einer Absprache, trotzdem auf die seitens des Gerichts geäußerten Strafvorstellungen berufen kann. Als Beispiel sei etwa die Konstellation genannt, dass der Vorsitzende einer Großen Strafkammer im Rahmen der Gespräche für den Fall eines Geständnisses eine Freiheitsstrafe in Höhe von ca. 3 Jahren in Aussicht gestellt hat. Eine diesbezügliche Einigung ließ sich mit den Verfahrensbeteiligten jedoch nicht erzielen. Der Angeklagte legt anschließend ein Geständnis ab und das Gericht verurteilt ihn zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von 4 Jahren. Kann der Angeklagte nun seine Revision auf die Abweichung von dem zugesagten Strafrahmen stützen? Dem ist seitens des 1., 4. und des 5. Senats des Bundesgerichtshofs eine deutliche Absage erteilt worden. Denn außerhalb einer Verständigung gemäß § 257c StPO bestehe keine Bindung des Tatgerichts an den von ihm für den Fall des Zustandekommens einer Absprache in Aussicht gestellten Strafrahmens.23 Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist diese höchstrichterliche Rechtsprechung, gerade auch in ihrer Deutlichkeit, sehr zu begrüßen. Denn ansonsten wäre es möglich, was gerade für den Angeklagten verfahrenstaktisch von Vorteil wäre, eine Bindung des Gerichts auch ohne Zustandekommen einer ordnungsgemäßen Verständigung herbeizuführen. Hierdurch würde aber gerade die Intention des § 257c StPO konterkariert werden, eine verbindliche Verfahrensabsprache gerade von der Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten abhängig zu machen. Insofern lässt eine aktuelle Entscheidung des 5. Senats des Bundesgerichtshofs leider eine besorgniserregende Tendenz erkennen. Diese betrifft Sachverhalte, in welchen im Rahmen von (nichtöffentlichen) Verständigungsgesprächen das Gericht Strafvorstellungen geäußert hat, jedoch keine Einigung erzielt werden konnte; typischerweise aufgrund einer „Verweigerung“ der Staatsanwaltschaft. Das Gericht entschließt sich dennoch in der unmittelbar angeschlossenen Hauptverhandlung gegenüber dem Angeklagten die Strafvorstellung des Gerichts für den Fall eines Geständnisses in Aussicht zu stellen. Daraufhin gesteht der Angeklagte und wird, wenig überraschend, zu einer der Äußerung des Gerichts entsprechenden Strafe verurteilt. Der 5. Senat führt diesbezüglich aus, ein solches Verhalten des Gerichts begründe weder die Besorgnis der Befangenheit i.S.d. § 24 Abs. 2 StPO noch stelle es eine Umgehung des § 257c StPO dar.24 Dies erscheint schwerlich nachvollziehbar. Die Erklärung des Gerichts zur Fortgeltung seines Verständigungsvorschlags zeitlich unmittelbar nach Scheitern der Verständigungsgespräche kann nur so verstanden werden, dass das Verfahrensergebnis ungeachtet der Sichtweise der Staatsanwaltschaft von vornherein feststeht, sofern sich nur der Angeklagte vertrauensvoll in die kundigen Hände des Gerichts begibt. Dies entspricht dem bipolaren Verständigungsmodell, dem 2009 durch die Einführung der gesetzlichen Regelungen gerade eine Absage erteilt worden ist. Derart signalisiert das Gericht deutlich, die fehlende Akzeptanz der Staatsanwaltschaft als vollwertigen Beteiligten an Verständigungsgesprächen. Dies widerspricht deutlich der Konzeption des § 257c StPO und begründet deshalb die Besorgnis der Befangenheit i.S.d. § 24 Abs. 2 StPO.25

 


B 3: Landgericht Kiel

 

 

2.3 Umfang der Mitteilungspflicht des Vorsitzenden über den Inhalt von Verständigungsgesprächen i.S.d. § 243 Abs. 4 StPO

Die Regelung des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO verpflichtet den Vorsitzenden, zu Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen, ob verständigungsbezogene Erörterungen i.S.d. §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben. Hieraus wird aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2014 gefolgert, dass es einer sog. Negativmitteilung bedarf, wenn keine derartigen Gespräche stattgefunden haben.26 Es ist bezeichnend, dass sich das Bundesverfassungsgericht auch noch fünf Jahre nach Schaffung der gesetzlichen Regelungen zu klarstellenden Ausführungen hinsichtlich der Gesetzessystematik gezwungen sah. Da Negativmitteilungen oftmals schlicht vergessen oder für nicht erforderlich gehalten wurden und diese gemäß § 273 Abs. 1a) StPO als wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung protokolliert werden müssen, führte dies zu potentiell revisiblen Fehlern. Die höchstrichterliche Rechtsprechung vermied die ansonsten erforderliche Aufhebung zahlreicher Judikate, indem sie ein Beruhen der Urteile i.S.d. § 337 StPO verneinte, wenn ausgeschlossen werden konnte, dass es zu Verständigungsgesprächen gekommen war, also durch die fehlende Mitteilung keine Nachteile für den Angeklagten entstanden sein konnten.27

Doch jene Aspekte stellen leider bei Weitem nicht die größten potentiellen Fehlerquellen in diesem Bereich dar. Vielmehr resultieren diese aus der Pflicht des Vorsitzenden i.S.d. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO, die wesentlichen Inhalte verständigungsbezogener Gespräche i.S.d. §§ 202a, 212 StPO mitzuteilen, sowie der aus § 243 Abs. 4 S. 2 StPO folgenden Erstreckung dieser Pflicht auf Verständigungsgespräche i.S.d. § 257c StPO. Problematisch ist hierbei bereits die Frage, wann diese Mitteilungspflicht überhaupt ausgelöst wird. Müssen dezidierte Gespräche geführt worden sein oder reichen bereits zwei Sätze anlässlich eines zufälligen Zusammentreffens in der Kantine? Wie so oft, kommt es darauf an. Das Bundesverfassungsgericht sieht die gesetzliche Transparenz- und Dokumentationspflicht als Werkzeug zur effektiven Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht. Zusätzlich dient sie dem Schutz der Grundrechte des von einer Verständigung betroffenen Angeklagten vor einem im Geheimen sich vollziehenden „Schulterschluss“ zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung.28 Insoweit dürfte jeder Kommunikationsakt erfasst werden, welcher sich auf den potentiellen Rechtsfolgenausspruch des Urteils beziehen oder die Art bzw. Höhe des Strafausspruchs in Abhängigkeit vom prozessualen Verhalten des Angeklagten thematisieren.29 Einseitige Gesprächswünsche von Verfahrensbeteiligten, auf welche das Gericht nicht reagiert, lösen die Mitteilungspflicht hingegen nicht aus.30 Auch muss selbstverständlich nichts mitgeteilt werden, wenn die Gespräche ohnehin in öffentlicher Hauptverhandlung stattfanden.31 Jedoch werden auch fehlgeschlagene Verständigungsgespräche von der Mitteilungspflicht erfasst.32

Wird das Vorliegen mitteilungspflichtiger Gespräche bejaht, stellt sich anschließend die Frage, wie detailliert diesbezügliche Mitteilungen auszugestalten sind, um revisible Angriffsflächen zu vermeiden. Der Wortlaut des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO bezieht sich auf „wesentliche Inhalte“. Dies legt eine restriktive Handhabung nahe. Zum Leidwesen vieler Vorsitzenden haben der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht im Laufe der Jahre jedoch die Mitteilungspflicht auf so zahlreiche Aspekte erstreckt, dass eigentlich nur noch die Verlesung eines Wortprotokolls dem Gericht wirklich Sicherheit zu verschaffen mag. Gefordert wird etwa, unabhängig vom Zustandekommen einer Verständigung, mitzuteilen, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist. 33 Ferner muss der Inhalt sämtlicher Gespräch aufgeführt werden, auch wenn einzelne Gespräche identische Inhalte aufgewiesen haben sollten.34 Ferner macht die höchstrichterliche Rechtsprechung den Gerichten das Leben unnötig schwer, indem auch in Konstellationen eine Mitteilung gefordert wird, in welchen deren Sinnhaftigkeit keineswegs auf der Hand liegt. So soll etwa auch für den Fall einer wirksam geschlossenen Vereinbarung der Inhalt sämtlicher Verständigungsvorschläge mitgeteilt werden, über die keine Einigung erzielt werden konnte.35 Ferner ist bei Zustandekommen einer Verständigung und anschließender Aussetzung des Verfahrens, beim erneuten Beginn der Hauptverhandlung zwingend die fehlende Wirksamkeit der Absprache mitzuteilen.36

Die Staatsanwaltschaft wird angesichts dieser Vielzahl zu berücksichtigender Besonderheiten in der Hauptverhandlung stark gefordert. Denn in Ihrer Rolle als „Wächter des Gesetzes“37 hat sie auf die Einhaltung sämtlicher Verfahrensvorschriften hinzuwirken. Der Sitzungsvertreter sollte sich daher im Zweifel den Mitteilungsvermerk des Vorsitzenden aushändigen lassen und keine Scheu haben, auf Ergänzungen zu drängen.