„Die Tür ist endlich offen“

Von der Strafbarkeit überhöhter Rechnungen durch Schlüsseldienste



Das Bestehen einer Zwangslage des Ausgesperrten war dabei in der Vergangenheit mehrfach in der obergerichtlichen Rechtsprechung verneint worden. Denn eine solche würde nicht ohne Weiteres bereits dann vorliegen, wenn der Betroffene lediglich aus seiner Wohnung ausgesperrt wäre.9 Maßgeblich wären vielmehr die Umstände des Einzelfalles, wobei auch die Situation in der nunmehr nicht mehr zugänglichen Wohnung selbst zu berücksichtigen wäre. So sollte etwa zusätzlich ein eingeschalteter Herd oder ein hungriger Säugling in der Wohnung, eine extreme Witterung, die Dringlichkeit anderweitiger Verpflichtungen des Ausgesperrten bzw. die Unerreichbarkeit der Hilfe Dritter für das Bestehen einer Zwangslage i.S.d. § 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB erforderlich sein.10 Eine derartige Differenzierung war leider wenig praxistauglich und verkomplizierte etwaige Ermittlungsmaßnahmen erheblich. Wäre etwa auch ein satter Säugling in der Wohnung relevant? Sind 15°C bei kurzer Hose noch zumutbar oder 10°C bei langer? Diese Abgrenzungsschwierigkeiten beendet der 1. Senat nun dankenswerterweise. Mit Verweis auf die Gesetzesbegründung11 wird überspannten Anforderungen an die Zwangslage eine deutliche Absage erteilt. Systematisch begründet der Senat dies mit einer Abgrenzung zu der „wirtschaftlichen Not“ i.S.d. § 291 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB, deren Bedeutung praktisch leerliefe, wenn bereits die Zwangslage i.S.d. § 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB das Drohen schwerwiegender Konsequenzen für den Betroffenen erfordern würde. Folgerichtig wird eine Zwangslage bejaht und diesbezüglich ausgeführt: „Der ausgesperrte Wohnungsnutzer befindet sich nahezu stets in einer misslichen Ausnahmesituation, die ihn wegen der Eilbedürftigkeit an der ihm sonst möglichen Auswahl eines Handwerkers hindert und zumeist den ‚Nächstbesten‘ beauftragen lässt. Mit diesem wird er regelmäßig den Werklohn nicht aushandeln können; vielmehr ist er dessen Preisbestimmung ‚ausgesetzt‘. Bereits das Ausgesperrtsein bringt den Wohnungsnutzer in eine Schwächesituation, die der Handwerker ‚ausbeuten‘ kann. Diese Unterlegenheit muss nicht durch weitere - nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilende - Gefahrenmomente (wie etwa einen eingeschalteten Herd, einen zurückgelassenen Säugling, Kälte) verschärft werden“.12


Hinsichtlich des erforderlichen Ausbeutens dieser Zwangslage stellt der Senat klar, dass ein solches bereits durch ein Ausnutzen derselben erfüllt werde. Hierfür reiche bereits die Mitursächlichkeit der Zwangslage aus, was aufgrund der Situation der Ausgesperrten stets erfüllt sein dürfte.13

 


Bezüglich des notwendigen auffälligen Missverhältnisses zwischen Werkleistung und Gegenleistung finden sich in den Urteilsgründen lediglich kurze Ausführungen. Ein solches Missverhältnis wäre grundsätzlich gegeben, wenn der geforderte Werklohn den üblichen Marktpreis um mehr als das Doppelte übersteige. Hinsichtlich der Marktüblichkeit bezieht sich der Senat auf die Preisempfehlungen des Bundesverbandes Metall-Vereinigung Deutscher Metallhandwerke vom 1. August 2011, die für eine Türöffnung ohne etwaige Zuschläge einen Preis von ca. 100 Ä und für eine solche mit allen denkbaren Zusatzbeträgen (Wochenende, Nachtzeit etc.) etwa 200 Ä (jeweils inkl. USt.) als angemessen vorsehen.14


Auf die subjektiven Voraussetzungen des Wuchers i.S.d. § 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB geht der Senat nicht explizit ein. Hierfür ist bedingter Vorsatz bezüglich aller objektiver Tatbestandsmerkmale erforderlich. Es reicht daher aus, wenn der Täter die maßgeblichen Tatumstände kennt und ihnen im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre die Bedeutung zumisst, an die das Gesetz anknüpft.15 Hinsichtlich überhöhter Rechnungen durch Schlüsseldienste bedeutet dies, dass der Täter die Lage des Geschädigten und die Unangemessenheit seiner Werklohnforderung für wahrscheinlich halten sowie billigend in Kauf nehmen muss, was im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens grundsätzlich unproblematisch feststellbar sein dürfte.

 

3 Auswirkungen des Urteils auf die Durchführung staatsanwaltschaftlicher und polizeilicher Ermittlungen


Die Ausführungen des Urteils hinsichtlich § 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB sind uneingeschränkt zu begrüßen. Endlich liegt eine höchstrichterliche Entscheidung vor, welche aufgrund ihrer Klarheit erfreulicherweise auch diesbezüglicher staatsanwaltschaftlicher und polizeilicher Ermittlungen förderlich sein dürfte. Überhöhte Rechnungen seitens Schlüsseldiensten sind damit eindeutig dem Bereich strafrechtlich relevanten Verhaltens verortet worden. Es bedarf nun seitens der Ermittlungsbehörden keiner langwierigen Feststellungen überflüssiger Details mehr, etwa der den Ausgesperrten bedrohenden klimatischen Verhältnisse, wie es die bezeichneten obergerichtlichen Entscheidungen noch forderten. Lediglich die Feststellung des notwendigen auffälligen Missverhältnisses zwischen Werkleistung und Gegenleistung könnte sich auch zukünftig als problematisch erweisen. Die Urteilsgründe nehmen hinsichtlich der marktüblichen Preise zwar Bezug auf die Preisempfehlungen des Bundesverbandes Metall-Vereinigung Deutscher Metallhandwerke vom 1. August 2011. Diese sind jedoch inzwischen nicht mehr ohne weiteres online abrufbar und eventuell auch nicht mehr aktuell. Eine effektive Alternative dürfte die aktuelle umfangreiche Preisstudie der Mellon Services GmbH darstellen. Jene steht online zur Verfügung und schlüsselt die Preisstruktur ferner regional auf. Mehr als ca. 150 Ä inkl. USt. sollte eine Türöffnung nach deren Ergebnissen grundsätzlich nicht kosten.16 Des Weiteren sei noch darauf hingewiesen, dass den Tatbestand des § 291 StGB auch ein Täter erfüllt, der sich eine unangemessene Gegenleistung lediglich versprechen lässt. Dies ist bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Fall, weshalb es einer Bezahlung nicht bedarf.17


Es bleibt zu hoffen, dass die Ermittlungsbehörden die durch das Urteil nunmehr eröffneten Möglichkeiten auch effektiv nutzen werden. Zwei Aspekte dürften hierfür entscheidend sein. Zum einen schnelles Handeln, welches die Identifizierung der vor Ort „eingesetzten“ Täter erlaubt. Denn nach deren Verschwinden dürfte eine Identifizierung kaum mehr möglich sein. Zum anderen die Bereitschaft, die Täterstrukturen entschlossen und detailliert aufzudecken. Der dem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt hat eindrucksvoll dokumentiert, dass man es wohl grundsätzlich mit umfangreich organisierten und überregional agierenden Gruppierungen zu tun haben dürfte. Effektiv können diese nur bekämpft werden, wenn die Hintermänner identifiziert und zur Rechenschaft gezogen werden. Dies erfordert zentral geführte, umfangreiche Ermittlungen unter Übernahme zahlreicher Verfahren aus dem gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Hier ist sicherlich überobligatorischer Einsatz gefragt. Ein solcher in Kombination mit steter und unbürokratischer Kooperation verschiedener Dienststellen ist jedoch erfahrungsgemäß bei der Bekämpfung überregional agierender Tätergruppierungen ohnehin unerlässlich. Dass sich dies lohnt, haben insbesondere die zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kleve sowie die tätigen Polizei- und Finanzbeamten eindrucksvoll bewiesen.

 

Anmerkungen

 

  1. Der Verfasser ist bei der Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein tätig. Der Beitrag gibt ausschließlich seine persönliche Auffassung wieder.
  2. Vgl. statt vieler AG Bergisch Gladbach, Urteil vom 16. Dezember 2013 - 68 C 404/13-, VUR 2015, 430.
  3. Vgl. etwa www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/ausgesperrt-wo-der-schluesseldienst-besonders-viel-verlangt/21135544.html.
  4. So hat die „Bild-Zeitung“ laut eigener Auskunft erwirkt, dass über die Suchmaschine „Google“ keine derartigen Werbeanzeigen bezüglich des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland mehr geschaltet würden: www.bild.de/digital/internet/internet/dank-bild-recherche-schluesseldienst-abzocker-von-google-verbannt-62080180.bild.html.
  5. Vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2020 – 1 StR 113/19–, JR 2020, 565 (566).
  6. Vgl. LG Bonn, Urteil vom 5. Mai 2006 – 37 M 2/06 -, zitiert nach juris.
  7. Restriktiv etwa OLG Brandenburg Beschluss vom 7. November 2019 – (2) 53 Ss 119/19 (44/19), BeckRS 2019, 31132.
  8. BGH, Urteil vom 16. Januar 2020 – 1 StR 113/19–, JR 2020, 565.
  9. OLG Brandenburg, Beschluss vom 7. November 2019 – (2) 53 Ss 119/19 (44/19), BeckRS 2019, 31132.
  10. OLG Köln, Urteil vom 22. November 2016 – III-1 RVs 210/16 –, StraFo 2017, 165.
  11. BT-Drucks. 7/3441, S. 40f.
  12. BGH, Urteil vom 16. Januar 2020 – 1 StR 113/19–, JR 2020, 565 (567f.).
  13. BGH, Urteil vom 16. Januar 2020 – 1 StR 113/19–, JR 2020, 565 (568).
  14. BGH, Urteil vom 16. Januar 2020 – 1 StR 113/19–, JR 2020, 565 (569).
  15. Heine/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 291 Rdnr. 35f.
  16. Abrufbar unter: getmellon.de/media/preisstudie-schluesseldienste.
  17. Vgl. Pananis in MüKoStGB, 3. Aufl. 2019, § 291 Rn. 21f.

 

 

Seite: << zurück12