Die Steuerhinterziehung

§ 370 AO im Überblick

2.2.2 Pflichtwidriges in Unkenntnis Lassen über steuerlich erhebliche Tatsachen

§ 370 I Nr. 2 AO stellt ab auf das pflichtwidrige in Unkenntnis Lassen der Finanzbehörde; tatbestandlich ist also das Verletzen einer Erklärungspflicht über steuerlich erhebliche Tatsachen.24 Steuerliche Erklärungspflichten ergeben sich etwa aus § 149 I 1 AO i.V.m. den Steuergesetzen25 oder § 153 AO.26 Ob es sich hierbei um ein echtes oder unechtes Unterlassungsdelikt handelt27 wurde teilweise unterschiedlich beurteilt.28 Dies hat jedoch kaum praktische Relevanz, da die auch tatbestandlich durch das Merkmal „pflichtwidrig“ vorausgesetzte Aufklärungspflicht die Anforderungen an eine Garantenpflicht i.S.d. § 13 StGB erfüllen dürfte.29


Aktuell wird diskutiert, ob eine Tatvollendung die Unkenntnis der Finanzbehörde über die steuerlich erheblichen Tatsachen voraussetzt.30 Bereits zur Nr. 1 ist diese Frage umstritten,31 obgleich ein Irrtumserfordernis von der Rspr. insbesondere mit der Begründung abgelehnt wird, das sich dies im Gegensatz zu § 263 StGB nicht aus dem Wortlaut der Norm ergebe32 und zugleich § 370 2 III Nr. 3 AO zeige, dass die eine Kenntnis voraussetzende Mitwirkung des Finanzbeamten regelmäßig straferschwerend zu berücksichtigen ist, die Unkenntnis dann nicht schon Grundvoraussetzung der Tatbestandsverwirklichung sein könne33 – eine Kenntnis des Veranlagungsbeamten stelle zudem keinen Fall der eigenverantwortlichen Selbstschädigung dar34. Zumindest § 370 I Nr. 2 AO aber knüpft seinem Wortlaut an das in Unkenntnis Lassen an; entsprechend ist nach dem OLG Köln35 die Unkenntnis objektives Tatbestandsmerkmal der Nr. 2, ein in Unkenntnis Lassen sei bei Kenntnis der Finanzbehörde bereits begrifflich unmöglich. Die Entscheidung wurde jedoch mitunter kritisch rezipiert36, die weitere Entwicklung in dieser Frage bleibt abzuwarten.

 

Angaben hat A gerade nicht gemacht; er könnte die Finanzbehörde aber pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen haben. Gem. 41a I 1 Nr. 1 EStG ist der Arbeitgeber zur Lohnsteueranmeldung verpflichtet. A hat es unterlassen, eine entsprechende Steuererklärung abzugeben, hat die Finanzbehörde also über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen. Fraglich ist allein, ob dies pflichtwidrig erfolgte. Gem. § 1 I LStDV sind Arbeitnehmer Personen, die aus einem Dienstverhältnis Arbeitslohn beziehen. Wesentliche Kriterien für ein Vorliegen eines entsprechenden Dienstverhältnisses und daraus resultierend die Arbeitnehmerstellung im lohnsteuerrechtlichen Sinne sind nach § 1 II LStDV das Schulden der Arbeitskraft, die persönliche Weisungsgebundenheit, die organisatorische Eingliederung in den Betrieb eines anderen37; zudem das fehlende Unternehmerrisiko38. Ob ein solches Dienstverhältnis vorliegt, ergibt sich aus dem Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall,39 die von den Beteiligten gewählte Vertragsform ist hierbei unerheblich, es kommt auf die tatsächlichen Gegebenheiten an40. Ausweislich des Sachverhalts waren die weiteren Handwerker hiernach Arbeitnehmer des A, der A also nach § 41a I 1 Nr. 1 EStG zur Steueranmeldung verpflichtet. Das Unterlassen erfolgte somit auch pflichtwidrig.

 

2.3 Taterfolg

Die Vollendungsstrafbarkeit nach § 370 AO setzt zudem eine Steuerverkürzung oder das Erlangen eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils voraus. Verkürzt ist eine Steuer dann, wenn die Ist-Steuer hinter der Soll-Steuer zurückbleibt.41 Der Zeitpunkt, nach dem sich bemisst, wann eine Steuerverkürzung bei unrichtiger oder unvollständiger Angabe oder pflichtwidrigem Unterlassen vorliegt, ergibt sich aus § 370 IV S. 1 Hs. 1 AO: Hiernach abzustellen ist auf die Steuerfestsetzung. Hierzu soll kurz auf das Steuerfestsetzungsverfahren bei Bestehen eines Steueranspruchs (§ 37 AO) eingegangen werden: Der Steueranspruch selbst entsteht ausweislich § 38 AO mit Verwirklichung des Steuertatbestandes - einer Mitwirkung der Steuerbehörde bedarf es hierbei nicht. Damit allerdings der Steueranspruch verwirklicht werden kann (vgl. § 218 AO), bedarf es seiner Konkretisierung42, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, seiner Festsetzung (vgl. § 85 AO) durch die Finanzbehörde mittels Steuerbescheid (vgl. § 155 I 1 AO). Bei Veranlagungssteuern – also solchen, die einer Steuerfestsetzung durch die Finanzbehörde bedürfen, etwa die Einkommensteuer – liegt eine Steuerverkürzung durch unrichtige oder unvollständige Angabe somit erst mit wirksamer Steuerfestsetzung, nach § 124 I 1 AO also Bekanntgabe des Steuerbescheids, vor. Bei Fälligkeitssteuern, bspw. der Umsatzsteuer im Hinblick auf ihre Voranmeldung (vgl. § 18 III UStG), ergibt sich hingegen aus § 150 I 3 AO (i.V.m. § 18 UStG) die Pflicht des Steuerpflichtigen, die Höhe der Steuer selbst zu errechnen; in diesem Fall erklärt § 167 I AO die Steuerfestsetzung nur dann für erforderlich, wenn sich hieraus ein abweichender Betrag ergibt oder der Steuerpflichtige seiner Anmeldungspflicht nicht nachkommt, § 168 AO stellt die Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Es bedarf hier im Regelfall also keiner Mitwirkung der Finanzbehörde. Für den Vollendungszeitpunkt kommt es damit i.d.R. auf den Eingang der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde an.43 Hinsichtlich des Vollendungszeitpunktes des § 370 I Nr. 2 AO – also das in Unkenntnis Lassen – kann naturgemäß nicht auf eine Handlung des Steuerpflichtigen abgestellt werden. Bei Fälligkeitssteuern tritt Vollendung dann mit Ablauf der Frist zur Steueranmeldung ein44; Veranlagungssteuern hingegen setzten ein Tätigwerden der Finanzbehörden voraus, somit tritt Tatvollendung erst mit Abschluss der Veranlagung der betroffenen Steuer im Bezirk der zuständigen Finanzbehörde ein.45 Wird dem bereits steuerlich geführten Steuerpflichtigen zuvor hingegen ein Schätzungsbescheid mit zu niedriger Festsetzung bekannt gegeben, so ist dieser Zeitpunkt maßgeblich.46 Die recht komplizierte Bestimmung des konkreten Vollendungszeitpunktes des § 370 AO ist u.a. deshalb von Relevanz, weil bis zur Vollendung die Möglichkeit des Täters besteht, strafbefreiend von dem Versuch der Steuerhinterziehung (vgl. § 370 II AO) gem. § 369 II AO i.V.m. § 24 StGB zurückzutreten.47 Nach Vollendung kann eine Straffreiheit allein durch Selbstanzeige gem. § 371 AO unter den dort genannten Voraussetzungen erreicht werden.


Der Begriff des Steuervorteils ist in Literatur und Rspr. umstritten.48 Nach überwiegender Literaturansicht erfolgt die Abgrenzung zwischen Steuerverkürzung und Steuervorteil nach Verfahrensstadien:49 Danach sind Steuervorteile steuerliche Besserstellungen des Steuerpflichtigen oder eines Dritten, die die Finanzbehörde außerhalb des Festsetzungsverfahrens gewährt.50

 

Aufgrund der unterlassenen Steueranmeldung ist mit Ablauf des Anmeldungszeitraums (vgl. § 41a I EStG) eine Steuerverkürzung ausweislich des Sachverhalts i.H.v. 101.382,65 Ä eingetreten. Bei der Lohnsteuer handelt es sich jedoch nicht um eine selbstständige Steuerart, sondern die in einem besonderen Verfahren - dem Lohnsteuerabzugsverfahren (vgl. §§ 38ff. EStG) - erhobene Einkommensteuer für Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit.51 Da es sich bei Lohnsteuer und Einkommensteuer also um dieselbe Steuer handelt, der Arbeitgeber nur nach §§ 38 III i.V.m. § 41a EStG zur Anmeldung und Abführung verpflichtet ist, könnte es einer Steuerverkürzung entgegenstehen, wenn die Handwerker die erzielten Honorare in ihrer Steuererklärung ordnungsgemäß angegeben hätten. Ob dies der Fall ist, teilt der Sachverhalt nicht mit. Hierauf kommt es jedoch nach § 370 IV 1 AO nicht an, da eine Steuer bereits dann verkürzt ist, wenn sie nicht rechtzeitig festgesetzt worden ist.52