Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (Teil 1)

Von Prof. Dr. Dennis Bock und Cathrin Lebro, Kiel

2 Erregung öffentlichen Ärgernisses, § 183a StGB


§ 183a StGB stellt die Erregung öffentlichen Ärgernisses unter Strafe und erweitert damit den Schutz vor ungewollter sexueller Konfrontation.55

Der Täter muss öffentlich eine sexuelle Handlung vornehmen. Öffentlich vorgenommen ist sie, wenn eine unbestimmte Vielzahl oder eine bestimmte, nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbundene Mehrzahl von Personen sie wahrgenommen hat oder hätte wahrnehmen können.56 Hierdurch muss ein Ärgernis erregt, d.h. eine Person in ihrem Empfinden, nicht mit sexuellen Handlungen gegen ihren Willen konfrontiert zu werden, verletzt werden.57

Hinsichtlich der öffentlichen Vornahme der sexuellen Handlungen ist zumindest bedingter Vorsatz erforderlich, die Erregung eines Ärgernisses muss dagegen vom direkten Vorsatz des Täters umfasst sein.58

Auf der Ebene der Konkurrenzen wird § 183a StGB von § 183 StGB verdrängt.59

 

3 Ausübung der verbotenen Prostitution, § 184f StGB


§ 184f StGB stellt die Ausübung der verbotenen Prostitution unter Strafe und schützt das allgemeine Interesse an der Vermeidung von Belästigungen und Gefahren, die mit der Prostitution einhergehen.60

Die Blankettvorschrift ergänzt § 120 I Nr. 1 OWiG und soll die Prostitution in Sperrbezirken bekämpfen.61

Strafbar macht sich, wer einem durch Rechtsverordnung erlassenen Verbot, die Prostitution an bestimmten Orten überhaupt oder zu bestimmten Tageszeiten nachzugehen, beharrlich zuwiderhandelt, d.h. wiederholt zu erkennen gibt, dass er nicht bereit ist, das Verbot zu beachten.62 Der Prostitution geht der Täter bereits nach, wenn er eine Gelegenheit zur Ausübung aufsucht.63

 

4 Sexuelle Belästigung, § 184i StGB


§ 184i StGB stellt die sexuelle Belästigung unter Strafe und wurde im November 2016 als Reaktion auf die Vorkommnisse auf der Kölner Domplatte in der Silvesternacht 2015/2016 neu eingeführt.64 Als Auffangtatbestand (nur subsidiär eingreifend gem. § 184i I StGB) soll sie sexuell unerwünschte Berührungen erfassen, die nicht die Erheblichkeitsschwelle einer sexuellen Handlung nach § 184h Nr. 1 StGB überschreiten, aber gleichwohl geeignet sind, in die sexuelle Selbstbestimmung einzugreifen.65 Die Vorschrift ist in der Praxis von hoher Relevanz: 2019 wurden 13.645 Fälle polizeilich bekannt, was einen Anteil von rund 19,5% an allen Sexualstraftaten ausmachte.66

4.1 Tatbestand

Der Täter macht sich gem. § 184i StGB strafbar, wenn er eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt. Erfasst sind damit Fälle des „Grapschens“, z.B. der flüchtige Griff an die Brust einer Frau.67 Sexuell bestimmt ist die körperliche Berührung, wenn sie die sexuelle Selbstbestimmung über bloße Distanzlosigkeiten hinaus verletzt.68 Tatbestandslos sind daher i.d.R. das In-den-Arm-Nehmen oder ein Kuss auf die Wange.69 Das Opfer muss dadurch belästigt, d.h. im Wohlbefinden mehr als unerheblich beeinträchtigt sein,70 woran es etwa bei einer Einwilligung fehlt oder wenn der Vorgang beim Opfer nur Interesse, Verwunderung oder Vergnügung auslöst.71 Diese rein subjektive Betrachtung macht die Strafbarkeit von den Präferenzen und Emotionen des Opfers abhängig.72 Subjektiv muss der Täter mit direktem Vorsatz bezüglich der sexuell bestimmten Weise der Berührung handeln.

4.2 Sonstiges

§ 184i II hebt den Strafrahmen für besonders schwere Fälle an und nennt die an § 177 VI Nr. 2 StGB angelehnte gemeinschaftliche Tatbegehung als Regelbeispiel. In § 184i III StGB ist ein relatives Strafantragserfordernis normiert. In der Literatur fielen die Reaktionen auf die Einführung des Delikts unterschiedlich aus. Während einige73 die grundsätzliche Strafwürdigkeit sexueller Handlungen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 184h StGB infrage stellen, kritisieren andere74 dagegen die konkrete Umsetzung durch den Gesetzgeber.

 

 

5 Straftaten aus Gruppen, § 184j StGB


§ 184j StGB stellt Straftaten aus Gruppen unter Strafe und wurde vor dem gleichen Hintergrund wie § 184i StGB im November 2016 neu eingeführt, um dem Phänomen der Gruppendynamik und den aufgrund der Vielzahl von Tätern herabgesetzten Verteidigungs- und Fluchtmöglichkeiten Rechnung zu tragen.75

Das als Auffangtatbestand konzipierte konkrete Gefährdungsdelikt soll zudem die Ermittlungen gegen Personen erleichtern, die sich in einer Gruppe befanden, aus der heraus Sexualstraftaten begangen wurden.76

5.1 Tatbestand

Der objektive Tatbestand ist erfüllt, wenn der Täter eine Straftat fördert, indem er sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt.

Vorausgesetzt ist zunächst das Vorliegen einer Gruppe (mindestens drei Personen)77, die zur Begehung einer Straftat eine andere Person bedrängt, d.h. sie mit Nachdruck an der Ausübung ihrer Bewegungsfreiheit oder sonstigen freien Willensbetätigung hindert.78 Dies erfordert eine gewisse Hartnäckigkeit und Intensität, sodass z.B. ein kurzfristiges Einschüchtern durch die lautstarke Präsenz einer Gruppe nicht genügt.79

Weiter muss sich der Täter an der Gruppe beteiligt und dadurch die Straftat gefördert haben. Die Förderung erschöpft sich in der bloßen Beteiligung, die nach der Gesetzesbegründung nicht i.S.d. §§ 25 ff. StGB, sondern umgangssprachlich zu verstehen ist, sodass bereits der einseitige Entschluss, sich einer Gruppe anzuschließen und dadurch den Bedrängungseffekt zu unterstützen, genügt.80 Auf die obigen Punkte muss sich der (mindestens bedingte) Vorsatz beziehen.81

Als objektive Bedingung der Straftat wird nach § 184j StGB zudem die Begehung einer Straftat nach §§ 177, 184i StGB durch einen Gruppenbeteiligten vorausgesetzt, wobei die bedrängte Person nicht zugleich auch Opfer der Sexualstraftat sein muss.82 Weder muss sich der Vorsatz des Täters hierauf beziehen, noch muss er fahrlässig gehandelt haben.83 Damit wird jeder Gruppenbeteiligte bestraft, ohne selbst Täter, Anstifter oder Gehilfe der Tat nach §§ 177, 184i StGB zu sein, und zwar auch dann, wenn die Straftat eines Gruppenmitglieds spontan und für die anderen überraschend erfolgte.