Anwalt der ersten Stunde

Von ORR Ass. jur. Frank Grantz, Altenholz



Eine Neuerung ist die in § 142 IV StPO geregelte Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft. Eine besondere Eilbedürftigkeit ist gegeben, wenn angesichts der Umstände des Falles eine Bestellung durch das nach § 142 III StPO zuständige Gericht nicht abgewartet werden kann, etwa weil eine Vernehmung oder Gegenüberstellung keinen Aufschub duldet, wie bspw. in Fällen des § 141a Nr. 1 und 2 StPO.69 Eine ablehnende Bescheidung ist schriftlich zu begründen.70 In jedem Falle ist die Entscheidung innerhalb einer Wochenfrist durch das gem. § 142 III StPO zuständige Gericht zu bestätigen. Der Beschuldigte selbst kann zudem jederzeit selbstständig die gerichtliche Entscheidung beantragen, so z.B. falls nicht der gewählte Pflichtverteidiger bestellt oder der Antrag durch Staatsanwaltschaft oder Polizei abgelehnt wurde.71


Gem. § 142 V S. 1 StPO soll dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben werden, in angemessener Frist selbst einen Pflichtverteidiger zu wählen. Auch hierauf bezogen ist im Rahmen der Vernehmung entsprechend § 136 I S. 3 und 4 StPO zu belehren. Das bedeutet zudem, dass ihm Informationen zur Verfügung zu stellen sind, die es ermöglichen, einen bestimmten Verteidiger zu bezeichnen.72 Was die Person des Verteidigers angeht, ist das Auswahlverfahren von dem Gedanken geprägt, dass der Beschuldigte grundsätzlich das Recht auf freie Wahl hat. Deshalb muss ihm auch in Eilfällen regelmäßig Gelegenheit gegeben werden, einen Pflichtverteidiger seiner Wahl zu bezeichnen; der vom Beschuldigten benannte Verteidiger ist dann auch grundsätzlich zu bestellen.73 Einen Rechtsanspruch auf Beiordnung des gewünschten Verteidigers unter allen Umständen hat der Beschuldigte allerdings nicht.74 Auch der Verteidiger kann nicht verlangen, in einer bestimmten Sache bestellt zu werden.75 Unter Bezug auf das aus dem Rechtstaatsprinzip folgende Recht auf ein faires Verfahren, muss das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidiger jedoch immer beachtet werden.76


Hinsichtlich der angemessenen Frist gibt das Gesetz keinen konkreten Hinweis. In der Begründung zum Regierungsentwurf heißt es in Bezug auf die genannten Einzelfälle, dass eine kurze knappe Zeit einzuräumen sei, ein Anspruch auf Verschiebung aber nicht bestehe.77 Die Länge der gewährten Frist hängt damit von den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der gegebenen Verfahrenssituation ab. Insbesondere in Haft- oder Unterbringungsfällen kann diese Frist auf eine kurze Bedenkzeit reduziert werden. In Eilfällen kann die Anhörung sogar telefonisch stattfinden.78


Gründe, die gegen einen gewählten Verteidiger sprechen, können sich aus dem Gesetz aber auch aus sonstigen Verfahrensgrundsätzen ergeben. Zunächst kann der gewählte Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen. Das wäre bspw. der Fall, wenn der Verteidiger ein Mandat ablehnt oder aus terminlichen Gründen nicht wahrnehmen kann bzw. ein Zuwarten wegen der Eilbedürftigkeit nicht vertretbar ist.79 Darüber hinaus kann die Verteidigerwahl auch im Rahmen von Interessenkonflikten nicht vertretbar sein, wenn es z.B. ein Fall der Mehrfachverteidigung darstellen würde.80 Unbeachtlich sind eine fehlende Ortsansässigkeit des gewählten Verteidigers oder eine verwandtschaftliche Beziehung.81 Schließlich ist auch eine Verteidigerwahl abzulehnen, wo erkennbar ist, dass der gewählte Verteidiger die Verteidigung nicht sachgerecht oder ordnungsgemäß führt, sondern verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden.82


Bezeichnet der Beschuldigte keinen Pflichtverteidiger oder wird ihm aus wichtigem Grund nicht der bezeichnete Verteidiger bestellt, ist er zwingend aus dem Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer auszuwählen, um eine angemessene Qualität der Verteidigung zu gewähren.83 Dabei muss es sich entweder um Fachanwälte für Strafrecht oder um Rechtsanwälte handeln, die gegenüber der Rechtsanwaltskammer ihr Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigung angezeigt haben und für eine Verteidigungsübernahme geeignet sind. Insbesondere sind auch die Bestellung eines in der Ausbildung fortgeschrittenen Rechtsreferendars84 sowie eines beamteten Hochschullehrers durch das Gericht nicht mehr zulässig.85

2.3.6 §§ 143 ff StPO – Ergänzende Regelungen

In den vollständig neu gefassten §§ 143-144 StPO werden die Fragen der Dauer der Pflichtverteidigung, des Verteidigerwechsels und der Bestellung von zusätzlichen Verteidigern zur Verfahrenssicherung, zu denen sich zuvor lediglich fragmentarisch Vorschriften gefunden haben, umfassend geregelt. Die Bestellung endet nach § 143 I StPO grundsätzlich mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens. Sie kann und soll in den in § 143 II StPO genannten Fällen vorher aufgehoben werden, wenn kein notwendiger Fall der Verteidigung mehr besteht. § 143a StPO sieht weitreichenden Möglichkeiten des Beschuldigten zum Wechsel des Verteidigers vor. Bislang nicht gesetzlich geregelte aber von der Rechtsprechung anerkannte Möglichkeit zusätzliche Verteidiger zur Verfahrenssicherung zu bestellen, ist nun § 144 StPO geregelt.

 

3 Zusammenfassung


Insgesamt ist festzuhalten, dass das neugestaltete Recht in Zusammenhang mit der Pflichtverteidigerbestellung in systematischer Hinsicht an Klarheit gewonnen hat. Für die polizeiliche Praxis ergeben sich insbesondere durch die jetzt erst mögliche Antragstellung durch den Beschuldigten sowie der daraus resultierenden Belehrungspflichten eine besondere Bedeutung. Zudem ist teilweise bereits von den Ermittlungspersonen, die regelmäßig die ersten Maßnahmen durchführen, in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft zu bewerten, ob die Voraussetzung der notwendigen Verteidigung vorliegen. Da die Bewertung der Tatbestände zunächst durch die Polizei erfolgt, kann damit sehr frühzeitig ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegen. Inwiefern diese Regelungen tatsächlich in der Praxis eine weitgehende Auswirkung haben werden wird sich zeigen.