Wenn Betreuung polizeitaktisch wird

Hört man das Wort „Betreuung“, denkt man zunächst möglicherweise an die Beaufsichtigung von Kindern, an den Mannschaftsbetreuer im Sportverein oder aber an die vormundschaftliche Begleitung von minderjährigen, erkrankten oder älteren Menschen. Im Sprachgebrauch ebenso bekannt sind die medizinische oder die psychosoziale Betreuung.

4 Gibt es auch eine strategische Betreuung?

Erfahrene Ausbilder/innen wissen, dass es gar nicht so einfach ist, dem Polizeinachwuchs trennscharf zu vermitteln, worin der Unterschied zwischen taktischem und strategischem Polizeihandeln liegt. Diese Begriffe werden tatsächlich wohl mindestens so häufig verwechselt oder vermischt, wie z.B. die Wortpaare „Effektivität und Effizienz“ oder „Radikalismus und Extremismus“. Ähnliches gilt sicher auch bei Maßnahmen-Paaren wie „Räumung und Evakuierung“, „Schutz und Sicherung“, „Aufklärung und Voraufsicht“ oder „Durchsuchung und Razzia“.

Das Wort „Strategie“ ist abgeleitet vom altgriechischen „Strategos“ (der Feldherr). „Taktik“ hingegen stammt vom ebenfalls altgriechischen „Taktika“, der Kunst, ein Heer in Schlachtordnung zu stellen. Von Clausewitz nannte es etwas einfacher „die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht“11. Die PDV 100 hingegen definiert Strategie als „vorausschauend geplante polizeiliche Verhaltensweisen“12. Strategie ist demnach die Fähigkeit, vorausblickend und Ebenen übergreifend zu denken und zu planen. Eine Strategie soll skizzieren, nach welchen übergeordneten Gesichtspunkten, Vorgaben und Ziele – polizeiliches – Handeln erfolgen soll, kann und darf. Eine Strategie bildet somit den Rahmen, in dem Akteure sich bewegen können.

Die Dienstvorschrift definiert Taktik als den „Einsatz von Kräften und Führungs- und Einsatzmitteln zur Erreichung polizeilicher Ziele unter Anwendung geeigneter Verfahrensweisen im Einzelfall“13. In Fragen formuliert: Wie löse ich ganz konkret diese akute Einsatzsituation? Welche Maßnahmen muss ich hier und jetzt ergreifen, wie viele Kräfte benötige ich, welches konkrete Personal setze ich ein, welche Einsatzmittel stehen mir zur Verfügung oder sind hier tatsächlich erfolgversprechend? Polizeitaktik ist somit die Umsetzung einer Lagebeurteilung in eine Entschlussfassung und dessen Durchführungsplanung im ganz konkreten Einzelfall.

Bei den oben erwähnten Polizeistudent/innen kann es hilfreich sein, die Begriffe Strategie und Taktik am Beispiel „Fußball“ anschaulicher zu machen. Auch hier sprechen Reporter ja gelegentlich von taktischem oder strategischem Foulspiel. Danach wäre ein taktisches Foul jenes, das gezielt die Bereinigung einer bestimmten Spielsituation bewirken soll, z.B. den Torschuss im Strafraum. Spricht der Kommentator hingegen von einem strategischen Foul, ist damit eine Untat gemeint, die nicht zwingend den Einzelfall bewältigen soll, sondern darauf ausgerichtet ist, vorausschauend Wirkung zu erzielen. Dies ist z.B. der Fall, wenn bereits zu Spielbeginn im „Niemandsland“ überhart eingestiegen wird, um dem Gegner – insbesondere den Angreifern – frühzeitig zu vermitteln, was sie für den Rest des Spiels erwarten dürfen. Strategie ist hier also ein eher „wirkungsorientiertes“ Handeln auf längere Sicht, während Taktik die „lösungsorientierte“ Bereinigung einer Einzelsituation darstellt.

Überträgt man dies auf den Polizeibereich, wird deutlich, dass durchaus auch eine strategische Betreuung zum polizeilichen Organisationsrepertoire gehören sollte. Vorrangiges Ziel ist z.B. die Verstetigung eines Sicherheitsgefühls durch die regelmäßige Präsenz bekannter Polizisten – z.B. als BüNaBe (Bürgernahe Beamt/innen). Zu einer strategischen Betreuung zählen gewiss auch die sog. SKB (Szenekundige Beamte) im Umfeld von Fußballfangruppen. Auch die Abkehr vom herkömmlichen Tatortprinzip zum Wohnortprinzip bei polizeilichen Ermittlungen gegen Jugendliche, einhergehend mit festen Jugendsachbearbeitern, ist eine Form der strategischen – das heißt einer auf längere Sicht angelegten – Betreuung. Sogar die sog. Schülerpraktika können als strategische Betreuung verstanden werden, weil es der Polizei hierbei weniger um den einzelnen Jugendlichen geht, sondern um ein Konzept zur mittel- bis langfristigen Nachwuchssicherung14.

In diesem Kontext könnte man vermuten, dass es oberhalb der taktischen, d.h. der Einzelfall bezogenen Kommunikation auch eine strategische Kommunikation geben müsste. Nimmt man die Argumentation der strategischen Betreuung zu Hilfe, ist dies eindeutig zu bejahen. Die wirkungsorientierte und auf längere Sicht ausgelegte, also nachhaltige Kommunikation der Polizei mit der Bevölkerung oder besonderen Einwohnergruppen nennt die Polizei jedoch nicht strategische Kommunikation, sondern schlicht und einfach Öffentlichkeitsarbeit.

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Anmerkungen

  1. Polizeidirektor Frank Ritter ist seit 1983 Angehöriger der Landespolizei Schleswig-Holstein und seit 2003 im höheren Polizeivollzugsdienst. Zahlreichen Linienfunktionen folgte die aktuelle Verwendung als Personalreferent im schleswig-holsteinischen Innenministerium. Seit 2003 ist PD Ritter Dozent für Einsatzmanagement im Fachbereich Polizei der FHVD.
  2. PDV 100 „Führung und Einsatz der Polizei“, Ausgabe 2012; Stand 4/2017 – teilweise eingestuft als VS-NfD (Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch). Die für diesen Fachaufsatz relevanten Ziffern der PDV 100 sind allesamt nicht als Verschlusssache gekennzeichnet.
  3. BOS: Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben.
  4. PDV 100, Anlage 20, S. 5.
  5. Einer Polizeidienstvorschrift bedürfte es hierfür formell gar nicht – allein das Gefahrenabwehrrecht der Länder bestimmt für solche Fälle, dass unabwendbar Notwendiges zu tun ist.
  6. Es ist deutlich zwischen einer Räumung und einer Evakuierung zu unterscheiden. Die Öffentlichkeit, die Medien und zuweilen auch die Polizeikräfte benutzen den Begriff „Evakuierung“ häufig synonym für jegliche Form des Freimachens einer Örtlichkeit. Von Evakuierung kann erst dann gesprochen werden, wenn einer Räumung weiterführende Unterbringungsmaßnahmen gefolgt sind.
  7. PDV 100 Ziffer 3.22, Seiten 80-82 sowie Anlage 20, S. 16.
  8. Beispiele: Gebäudebrände, Explosionen im öffentlichen Raum, AMOK-Läufe, terroristische Attentate u.Ä.
  9. PDV 100 Ziffer 3.23, S. 82-83 sowie Anlage 20, S. 16. Die taktische Kommunikation zielt im Wesentlichen auf die polizeiliche Beeinflussung (konflikt- oder gewaltgeneigter) Personengruppen, bezieht sich in der Definition jedoch auch auf Einzelpersonen.
  10. PDV 100, S. 80, Ziffer 3.22.2.2.
  11. Carl von Clausewitz (1780–1831), Vom Kriege, 4. Auflage 1880
  12. PDV 100, Anlage 20, S. 16.
  13. Ebenda.
  14. Der Katalog der polizeilichen Betreuungsmaßnahmen, die weder taktischer noch strategischer Natur sind, dürfte am Ende recht überschaubar bleiben: Zu nennen wären beispielsweise die Betreuung von Parlamentariern in Versammlungseinsätzen oder eine – über die übliche Öffentlichkeitsarbeit deutlich hinausgehende – Betreuung von Medienvertretern in größeren Einsatzlagen, wie z.B. anlässlich der Castor-Transporte in der Region Gorleben. Im Wesentlichen dürfte es also bei Betreuungsaktivitäten bleiben, die bis zum Erscheinen originär zuständiger BOS unabwendbar zu ergreifen sind, um Gefahren von Betroffenen abzuwenden.
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