Vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung durch den Einsatz von automatischen Kennzeichenlesesystemen


3.2 Gesetzgebungskompetenz


Eine ganze Reihe von Befugnisnormen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts der Länder – als Beispiele sollen insoweit § 24c Abs. 1 ASOG Bln, § 36a Abs. 1 BbgPolG und Art. 33 Abs. 2 Satz 2 i. V. mit Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 BayPAG dienen – stellen im Rahmen der anlassbezogenen automatischen Kennzeichenfahndung mit AKLS zumindest in einer Tatbestandsvariante auf die konkrete Gefahr als tatbestandlicher Grundbaustein ab. Dabei wird die Gefahr innerhalb dieser Ermächtigungen in der Berliner und Brandenburger Regelung zugleich kumulativ zeitlich und qualitativ gesteigert, so dass sich die Gesetzgebungskompetenz diesbezüglich als verfassungsrechtlich unproblematisch darstellt. Die Gesetzgebungszuständigkeit für klassisches, tradiertes allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht fällt unzweifelhaft nicht in die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes nach Art. 72, 74 GG. Infolge Nichtbenennung dieser Rechtsmaterie ist das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht gem. Art. 30, 70 GG eindeutig Ländersache.71
Da beim Einsatz der automatisierten Kennzeichenfahndung bzw. -erkennung im Regelfall aber kaum eine konkrete Gefahr vorliegen wird, eine solche sich in der Einsatzwirklichkeit zusammen mit dem Zweck des Einsatzes von AKLS auch örtlich und zeitlich nur schwer prognostizieren lässt – muss von dieser tatbestandlich tatsächlich ausgegangen werden, drohen Normvarianten, die eine solche Gefahr voraussetzen, einsatztaktisch tatsächlich ein Schattendasein zu fristen – kann als Zweck nur die Rechtsfigur der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 VE ME PolG 1986 in Betracht kommen. Zu den Problemen normativer Gestaltung im Zusammenhang mit der Gesetzgebungskompetenz der Länder wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen, obwohl gerichtlich die Kompetenz der Länder zur Verhütung von Straftaten einschließlich der Verhütungsvorsorge – soweit ersichtlich – bislang nicht in Frage gestellt worden ist.72 In Teilen des Schrifttums wird zudem die Auffassung vertreten, dass der Bund von seiner Kompetenz konkurrierender Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, 72 GG abschließend Gebrauch gemacht habe, indem er eine Befugnisnorm zur Einrichtung von Kontrollstellen an öffentlich zugänglichen Orten nach § 111 StPO schuf. Damit sei den Landesgesetzgebern die Schaffung einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung in Form anlassbezogener automatischer Kennzeichenfahndung – wohlgemerkt zur Strafverfolgung – ohnehin verwehrt, weil der Bundesgesetzgeber mit § 111 StPO für allgemeine Kontrollen im öffentlichen Straßenverkehr zu Zwecken der Strafverfolgung nur bestimmte Maßnahmen zugelassen hat.
Der Vollständigkeit wegen sei angemerkt, dass für Verkehrskontrollen im Straßenverkehr in § 36 Abs. 5 Satz 1 StVO, § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG ebenfalls eine spezielle und abschließend geregelte gefahrenabwehrrechtliche Regelung bzw. Befugnis existiert. Verkehrskontrollen sind präventive, verkehrsbezogene Maßnahmen. Auch hier gelten die Regelungen konkurrierender Gesetzgebungskompetenz zugunsten des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Alt. 1, 72 GG. Im Ergebnis könnte dies bedeuten: Alle Länderermächtigungen zur Kennzeichenerfassung verstoßen gegen die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG, soweit diese der Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr dienen.73 Dies ist jedoch – nicht nur – nach hier vertretener Auffassung keineswegs der Fall. Vielmehr verfolgen die einschlägigen Befugnisnormen der Länder zum einen ausschließlich Zwecke der Gefahrenabwehr, also nicht der Strafverfolgung; zum anderen dienen präventive verkehrsrechtliche Kontrollen der Feststellung der Fahrtüchtigkeit des Fahrzeugführers, der Kontrolle der nach den Verkehrsvorschriften mitzuführenden Papiere sowie der Prüfung des Zustandes, der Ausrüstung und der Beladung der Fahrzeuge.74 Maßnahmen der anlassbezogenen automatischen Kennzeichenfahndung, die auch nicht unter dem Gesetzesbegriff der „Verkehrserhebungen“ im Sinne des § 36 Abs. 5 Satz 1 StVO fallen, greifen daher nicht kompetenzwidrig in die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes ein. Sie regeln gefahrenabwehrrechtlich etwas völlig anderes.
Hinsichtlich des AKLS-Einsatzes liegt also keine Kompetenzsperre für die Länder vor. Im Übrigen ist es – abgesehen vom generellen Fehlen einer strafverfolgenden Ermächtigung der Länder zum Einsatz von AKLS, was verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich unzweifelhaft richtig ist, man denke nur an Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG und § 6 EGStPO – zweifelhaft, ob sich aus den §§ 111, 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO tatsächlich überhaupt ein entsprechender legislatorisch definitiver Regelungswille des Bundes in Hinblick auf den Einsatz von AKLS ableiten lässt.75 § 111 StPO greift insoweit nicht unmittelbar in die Rechte des Einzelnen ein, sondern bildet lediglich die Grundlage dafür, dass die Polizei zur Fahndung nach Straftätern und Erlangung von Beweismitteln gegenüber einer unbestimmten Personenzahl zu jeder Tages- und Nachtzeit Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen – § 111 Abs. 1 Satz 2 StPO – vornehmen darf.76 Man bedenke: § 111 StPO war eine Neuregelung durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 14.4.197877 und ist im Zuge der Anti-Terrorgesetzgebung in Hochzeiten der „RAF“ neben anderen Vorschriften im Zuge einer nicht unumstrittenen Gesetzesnovelle in die StPO eingefügt worden. Daraus erklärt sich auch sein spezifischer Regelungszweck, der in der Ergreifung des Täters und in der Sicherstellung von Beweismitteln liegt, die der Aufklärung der Straftat dienen können, wobei die potenzielle Beweiserheblichkeit ausreicht.78 Eine irgendwie geartete Kennzeichenerfassung mittels Einsatzes technischer Mittel war vom Normzweck dieser Ermächtigungsgrundlage (damals) nicht bezweckt, nie gewollt und auch von diesem niemals gedeckt. Hierfür fehlte eine so genannte bereichsspezifische Regelung im Rahmen der automatisierten Datenverarbeitung in Gestalt der Datenerhebung, des Datenabgleichs und der Datenspeicherung. Man bedenke: Die Rechtsfigur des AKLS bestand von Anfang an aus mehreren eingriffsrechtlich relevanten Phasen. Hierzu zählen nach wie vor das optische (digitale) Erfassen des Fahrzeugs durch eine stationäre oder mobile Videokamera, das Auslesen der Buchstaben- und Zeichenfolge des Kennzeichens aus der Bildaufnahme, das automatische Abgleichen mit polizeilichen Fahndungsdateien in einem Datenbanksystem gespeicherter Datensätze (der Fahndungsdateien), gegebenenfalls das Ausgeben einer Treffermeldung, wenn das Kennzeichen in diesen Dateien enthalten ist und (nur) in diesem Fall das (temporäre) Speichern des Kennzeichens sowie weiterer Informationen in der Datenbank auf diesem Rechner.79
Ebenso hat § 100h StPO mit dem Einsatz von AKLS überhaupt nichts zu tun. Der Vorläufer des § 100h StPO, § 100c StPO a. F., ist durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15.7.1992 – als Maßnahme der kurz- oder längerfristigen Observation durch den Einsatz technischer Mittel außerhalb des durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützten Bereichs privater Wohnräume – in die StPO eingefügt worden.80 Der Wille des historischen Gesetzgebers, der für die Auslegung von Gesetzen heranzuziehen ist, war in beiden Fällen also ein vollkommen anderer.

4 Verfassungsrechtliche Anforderungen


Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 11.3.2008 den Einsatz automatisierter Kennzeichenerkennungssysteme zwar grundsätzlich als mit dem Grundgesetz zu vereinbaren angesehen, dabei jedoch strenge Anforderungen bzw. Maßstäbe an die gesetzliche Befugnisnorm für den Einsatz gestellt.81 So hat das BVerfG unmissverständlich erklärt, dass eine automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen zwecks Abgleich mit dem Fahndungsbestand dann in das RiS (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eingreift, wenn der Abgleich nicht unverzüglich erfolgt und das Kennzeichen nicht ohne weitere Auswertung sofort und spurenlos gelöscht wird.82 Das Gericht legte somit den Zeitpunkt und die technischen Bedingungen fest, ab wann von einem Grundrechtseingriff auszugehen ist. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage zum Einsatz des AKLS richten sich nach dem Gewicht der Beeinträchtigung, das insbesondere von der Art der erfassten Informationen, dem Anlass und den Umständen ihrer Erhebung, dem betroffenen Personenkreis und der Art oder Verwertung der Daten beeinflusst wird.83
Die Ermächtigungen zur automatisierten Kennzeichenerfassung sind bundesweit nicht einheitlich geregelt. Sie erlauben Grundrechtseingriffe von unterschiedlichem Gewicht. Nicht alle Regelungen – Tatbestandsvarianten – zum Einsatz des AKLS sind z.B. mit dem Vorliegen einer kumulativ, d.h. zeitlich und qualitativ gesteigerten konkreten Gefahr für bestimmte bedeutsame bzw. wesentliche Rechtsgüter verbunden. In solchen Fällen bedarf es in besonderer Weise einer Abwägung der kollidierenden (Rechts-) Güter und Interessen in concreto.84 Damit kommt zugleich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ins Spiel. So muss der Erfolg des polizeilichen Eingriffs zum Schutz der öffentlichen Sicherheit (oder Ordnung) in einem angemessenen und ausgewogenen Verhältnis zur Schwere und Tragweite des Eingriffs in ein Grundrecht stehen.85 Eine Maßnahme ist demnach dann angemessen, wenn die mit der Maßnahme verbundenen Nachteile für den Betroffenen bzw. für die Allgemeinheit in einem vernünftigen Verhältnis stehen zu den von der handelnden staatlichen Instanz verfolgten Zwecken oder Zielen.86 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne bzw. das Übermaßverbot erfordert insoweit nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG87 und BVerwG ein vernünftiges Verhältnis zwischen Anlass, Zweck und Ausmaß der Regelung (sog. Mittel-Zweck-Relation). Dies ist bei Normierung des Einsatzes von AKLS unbedingt zu beachten.88 Die bloße Benennung des Zwecks, das Kraftfahrzeugkennzeichen mit dem gesetzlich nicht näher definierten Fahndungsbestand abzugleichen, genügt den Anforderungen an die Normenbestimmtheit nicht.89 Derartige Ermächtigungen gleichen eher einem Zielkatalog denn einer normenklaren und inhaltlich ausreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage. Dem unbefangenen, objektiven Betrachter drängt sich deshalb die Frage auf, ob die Tatbestandsalternativen aller für den Einsatz des AKLS einschlägigen Befugnisnormen der Länder diese verfassungsgerichtliche Vorgabe tatsächlich umsetzen.
Insoweit ist insbesondere an Art. 33 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG zu denken. Dieses Normgefüge ermächtigt die Polizei – unbeschadet des Art. 30 Abs. 3 Satz 2 BayPAG (Zulässigkeit verdeckter polizeilicher Datenerhebung) –, durch den verdeckten Einsatz automatisierter Kennzeichenerkennungssysteme bei Vorliegen entsprechender Lageerkenntnisse im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km sowie auf Durchgangsstraßen (Bundesautobahnen, Europastraßen und andere Straßen von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr) zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze oder des unerlaubten Aufenthalts und zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität Kennzeichen von Kraftfahrzeugen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung zu erfassen und die Kennzeichen der Fahrzeuge mit den näher bezeichneten polizeilichen Fahndungsbeständen abzugleichen. Es fällt schwer, in diesem Fall von tatbestandlichen Voraussetzungen zu sprechen, die einerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen von Normenklarheit und Bestimmtheit gerecht werden und andererseits in ermächtigungsbegrenzender Weise wirken. Vielmehr wird hier nur der Zweck des Eingriffs angegeben, der in der Erhebung von Daten – Kraftfahrzeugkennzeichen – und deren Abgleich in näher bezeichneten polizeilichen Fahndungsbeständen besteht. Diese Regelung gleicht eher einer Blankettvollmacht denn einer durch klare tatbestandliche Voraussetzungen gekennzeichneten Ermächtigungsgrundlage. Das Erfordernis entsprechender Lageerkenntnisse kann nicht wirklich als klassisches Tatbestandsmerkmal im materiellen Sinne angesehen werden.
Der verfassungskräftige Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne – also das Übermaßverbot – ist im Übrigen nicht gewahrt, wenn die gesetzliche Ermächtigung die automatisierte Erfassung und Auswertung von Kraftfahrzeugkennzeichen ermöglicht, ohne dass konkrete Gefahrenlagen, sondern allgemein gesteigerte Risiken von Rechtsgutgefährdungen oder -verletzungen einen Anlass zur Einrichtung der Kennzeichenerfassung geben. Sicherlich zielt Art. 33 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG gerade auf diese gesteigerten Risiken ab, wenn es von entsprechenden Lageerkenntnissen ausgeht. Ebenso einleuchtend wie klar ist die Aussage des BVerfG, wenn es verlangt, dass die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden darf.90 Dem steht eindeutig das Prinzip der Erforderlichkeit – Eingriffs- bzw. Interventionsminimum genannt – entgegen. Auch könnten durch einen derartigen Einsatz von AKLS so genannte Bewegungsbilder angefertigt werden, was wiederum mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht in Einklang stünde.91