Supervision im Polizeiberuf als Instrument zur professionellen Selbstreflexion

Interdisziplinäre Betrachtung in der Polizei Rheinland-Pfalz. Masterarbeit an der Deutschen Hochschule der Polizei, Studienjahr 2010/2012

6. Supervision als Instrument zur Selbstreflexion in der Polizei

6.1 Handlungsbedarf in der Polizei Rheinland-Pfalz

Die untersuchten Belastungen im Polizeiberuf mit den erkannten Schwerpunkten hinsichtlich des Erlebens toter und schwerverletzter Menschen, der Beteiligung von Kindern sowie Gewalterfahrungen in Ausübung des Polizeidienstes, lassen deutlichen Handlungsbedarf erkennen. Hierbei werden neben dem Umgang mit Betroffenen und Angehörigen insbesondere die Empathie und die Wahrnehmung durch Sehen, Hören und Riechen als zentrale Aspekte belastender Situationen angesehen. Die Organisationskultur und die zunehmende Komplexität des Polizeidienstes sind dabei verstärkende Faktoren.
Zur Kompensation dieser Belastungen bietet die rheinland-pfälzische Polizei ihren Beamten bereits einige Betreuungsangebote. Konkrete Angebote beziehen sich, wie bereits dargestellt, nur auf Akutphasen oder spezifische Einzelfälle.
Individuell erlebte Belastungssituationen bleiben unberücksichtigt, genau wie die Zeit vor und teilweise nach den jeweiligen Akutphasen. Das individuelle Belastungsempfinden der Polizisten sowie eine präventive Vorbereitung auf potenziell belastende Einsatzsituationen finden keine Berücksichtigung.
Dennoch wird jeder Polizist in seinem dienstlichen Alltag schwere Verkehrsunfälle erleben und mit toten und schwerverletzten Menschen umgehen müssen. In diesem Zusammenhang erscheint eine Vorbereitung junger Polizisten auf gewisse Situationen zielführend, um den Umgang und die Bewältigung solcher Einsätze zu erleichtern. Bei diensterfahrenen Polizisten führen dagegen die Häufigkeit und Vielzahl bisher erlebter Einsatzsituationen zu kumulierenden Belastungen, die durch jeden weiteren Einsatz verstärkt werden können. Daher ist eine Selbstreflexion für jeden Polizeibeamten notwendige Voraussetzung zur Bewältigung akuter und zum professionellen Umgang mit künftigen belastenden Einsatzsituationen. Die Durchführung von Supervision könnte hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.
Hinsichtlich der Zielgruppe, ergibt sich, wie bereits erörtert, ein eindeutiger Schwerpunkt im Bereich des Wechselschichtdienstes der Schutzpolizei und des Kriminaldauerdienstes. Darüber hinaus besteht weiterer Handlungsbedarf bei den Mitarbeitern von Kriminalkommissariaten, die sich mit Sexualdelikten, Gewalt gegen Kinder und Frauen sowie mit Todesermittlungen und Spurensicherung befassen.
Für die genannten Zielgruppen würde sich Supervision im Team anbieten, bei der die Polizisten einer Dienstgruppe oder eines Kommissariats als Team gemeinsam solche Einsatzereignisse reflektieren könnten. Insbesondere jüngere Polizisten könnten sich somit präventiv auf solche belastende Ereignisse vorbereiten und im Vorfeld Handlungsstrategien für den Umgang mit diesen Belastungen erlernen. Erfahrene Beamte könnten bereits erlebte Situationen und bestehende Belastungen aufarbeiten und im Rahmen der Teamsupervision zudem ihre Erfahrungen im Umgang mit schwierigen Situationen an jüngere Kollegen weitergeben. Somit könnte die Supervision im Team präventive Aspekte mit der Verarbeitung erlebter Belastungen sinnvoll verknüpfen. Die Teammitglieder könnten dadurch mit Hilfe der Supervision voneinander lernen, was nicht zuletzt die gegenseitige Wertschätzung zwischen jungen und dienstälteren Kollegen positiv beeinflussen würde.
Dagegen erscheint die Vorbereitung auf größere Schadenslagen und Katastrophen mit den dadurch verbundenen Belastungen generell nur schwer möglich. Grundsätzlich ist auch bei der Verarbeitung schwerwiegender Belastungen infolge derartiger Einsatzlagen an das Instrument der Supervision zu denken. Dabei ist jedoch die strenge Abgrenzung zwischen Belastungen und schweren Beeinträchtigungen der Polizisten wie z.B. durch posttraumatische Belastungsstörungen, zwingend erforderlich, da die Beamten in einem solchen Fall einer professionellen psychologischen Therapie zugeführt werden müssen.

6.2 Voraussetzungen

Die Durchführung von Supervision in der Polizei ist an gewisse Voraussetzungen geknüpft, die in der Verantwortlichkeit der Organisation liegen. Neben der Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel und Ressourcen müssten trotz bzw. aufgrund der steigenden Komplexität des Polizeidienstes Freiräume geschaffen werden, um den Polizisten die Teilnahme an Supervisionsmaßnahmen zu ermöglichen. Hierbei wäre es erforderlich, den Beamten die Durchführung von Supervision außerhalb ihrer normalen Dienstzeit und außerhalb ihrer Dienststellen, jedoch im Team mit ihren vertrauten Kollegen aus den Kommissariaten bzw. Dienstgruppen zu ermöglichen. Zielführend im Sinne der Organisationsentwicklung wäre in diesem Zusammenhang die Aufnahme von Supervision in den allgemeinen Fortbildungskatalog sowie die Implementierung dieses Beratungsinstruments in den Kontext des behördlichen Gesundheitsmanagements.
Es scheint erforderlich „die Thematisierung von persönlichen Empfindungen, subjektivem Belastungserleben und individuellem Entlastungsbedarf als wesentliche Bestandteile der […] Personalentwicklungsprozesse, der Aus- und Fortbildung als auch des Führungsverhaltens in das professionelle Selbstverständnis der Polizei zu integrieren.“52 Aus diesem Grund müsste neben den dargelegten organisationalen Voraussetzungen auch die Organisationskultur einen deutlichen Wandel erfahren. Die Organisation muss sich von einer mangelhaften Fehlerkultur lösen und einen konstruktiv positiven Umgang mit Fehlern glaubwürdig vorgeben. Eine weitere Voraussetzung liegt im generellen Umgang mit Gefühlsarbeit. Die Organisation und insbesondere die Vorgesetzten müssen die Polizisten zur Thematisierung von Empfindungen und Belastungen ermutigen und diese Einstellung auch vorleben. In Verbindung mit einer positiven und konstruktiven Fehlerkultur kann dadurch ein professionelles Selbstverständnis von Supervision und Selbstreflexion in die Organisationskultur der Polizei integriert werden.
Eine entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Implementierung von Supervision liegt in der Akzeptanz und dem Vertrauen der Polizisten in den Supervisor. Die Akzeptanz durch die Supervisanden hängt maßgeblich von den Kompetenzen des handelnden Supervisors ab. In diesem Zusammenhang wird die Feldkompetenz als wichtige Voraussetzung angesehen.53 Hierzu zählen insbesondere das Wissen über die polizeiliche Tätigkeit mit ihren Belastungen und ein Überblick über die Organisationsstruktur der Polizei. Wichtig sind diesbezüglich auch Kenntnisse der Polizeisprache, die das Verstehen beim Supervisor ermöglichen und die Akzeptanz bei den Supervisanden steigert.54
Im Interesse einer professionellen Organisations- und Personalentwicklung wird eine offiziell anerkannte Ausbildung zum Supervisor als zwingende Voraussetzung erachtet.
Eine zielführende Supervision im Sinne gewinnbringender Organisations- und Personalentwicklung setzt auf Seiten der Teilnehmer bestimmte Einstellungen und Verhaltensweisen voraus. Zunächst sind in diesem Zusammenhang die sozialen und persönlichen Kompetenzen zu nennen, die bei Polizisten zur Verarbeitung belastender Ereignisse als notwendig erachtet werden. Neben Kommunikations- und Teamfähigkeit, einer gewissen Belastbarkeit und Menschlichkeit ist auch die Kompetenz zur Gefühlsarbeit eine notwendige Voraussetzung für einen konstruktiven Umgang mit Belastungen.
Die Erörterung individualethischer Aspekte verdeutlicht das Erfordernis an Kommunikationsbereitschaft, Offenheit und positiver Einstellung als wichtige Voraussetzung zur Reflexion des eigenen Handelns. Diesbezüglich wurde bereits festgestellt, dass diese Reflexionsbereitschaft des einzelnen Polizisten untrennbar mit der Fehlerkultur der Organisation verbunden ist, wobei Strafverfolgungszwang und mögliche Disziplinarmaßnahmen es dem Individuum zusätzlich erschweren, eigene Fehler einzugestehen und das Handeln zu reflektieren. Zur Verbesserung der individuellen Reflexionsbereitschaft muss die Organisation demnach im Rahmen ihrer Entwicklung zu einer konstruktiven und positiven Fehlerkultur finden. Dennoch muss jeder einzelne Polizist in einem ständigen Prozess seine Fehlerkultur und seine Kritikfähigkeit verbessern, um eine wirksame Reflexion durch Supervision zu ermöglichen.