Supervision im Polizeiberuf als Instrument zur professionellen Selbstreflexion
Interdisziplinäre Betrachtung in der Polizei Rheinland-Pfalz. Masterarbeit an der Deutschen Hochschule der Polizei, Studienjahr 2010/2012
4.3 Supervisionsformen für die Polizei
Für die Durchführung von Supervision gibt es zahlreiche Varianten und Möglichkeiten. Bei der berufsbegleitenden Supervision erfolgt üblicherweise eine Differenzierung der Settings in Gruppen-, Einzel- und Teamsupervision.33
Während Supervision im sozialen Bereich über einen langen Zeitraum grundsätzlich in Einzelsettings durchgeführt wurde, brachte erst die Erforschung gruppendynamischer Prozesse die Idee, den Gruppenvorteil auch im Bereich der Supervision zu nutzen.34 Hieraus ergeben sich die Möglichkeiten der Gruppen- und Teamsupervisionen.
Bei der Gruppensupervision finden Gespräche eines Supervisors mit verschiedenen Personen in einer Gruppe statt, wobei die Teilnehmer in gleichen, ähnlichen oder anderen beruflichen Funktionen, jedoch nicht in einem gemeinsamen institutionellen Rahmen tätig sind.35 Eine andere Situation ergibt sich beim Setting der Teamsupervision. Hierbei werden kooperierende Arbeitsgruppen von jeweils einem Supervisor beraten.36 Im Unterschied zur Gruppe besteht ein Team aus einem festen Personengefüge, das über einen längeren Zeitraum zusammen arbeitet und dabei gemeinsam vorgegebene Leistungsanforderungen bzw. Arbeitsergebnisse erreichen soll. Aufgrund der gemeinsamen Aufgabenbewältigung besteht in einem Team meist eine gemeinsame Wertvorstellung im Sinne eines Wir-Gefühls.
Die dienstliche Tätigkeit und die Arbeitsanforderungen innerhalb der Polizeiorganisation führen automatisch zu ausgeprägten Formen der Teamarbeit. Ohne die Arbeit im Team ist ein Großteil der polizeilichen Aufgaben gar nicht zu bewältigen. Die Zusammenarbeit im täglichen Dienst, die gemeinsame Bewältigung von Einsatzlagen in der Gefahrengemeinschaft und das Wissen um persönliche Hintergründe eröffnen einer Supervision im Teamsetting ganz andere Möglichkeiten, als dies in einer Einzel- oder Gruppensupervision der Fall ist. Innerhalb einer Dienstgruppe werden supervisionsrelevante Ereignisse bei entsprechenden Einsatzlagen gemeinsam erlebt und abgearbeitet. Daher ist es naheliegend, die daraus resultierenden Belastungen und Konflikte auch gemeinsam in diesem Team supervisorisch zu beleuchten.
Teamsupervision ermöglicht den Teilnehmern einen identitätsstiftenden Wert, aber auch vielfältige Erfahrungen menschlicher Verbundenheit und erhält daher als Ort kollektiven Handelns „ihren besonderen Wert schon durch sich selbst.“37 Vor dem dargestellten Hintergrund polizeilicher Aufgabenbewältigung bietet die Teamsupervision ein zielführendes Instrument zur Reflexion dienstlicher Ereignisse.
5. Selbstreflexion als Professionalisierungsmerkmal im Polizeidienst
Das Instrument der Supervision ermöglicht den Supervisanden die Reflexion bestimmter Situationen bzw. die Selbstreflexion der eigenen Empfindungen und Verhaltensweisen. Unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Durchführung von Supervision ist jedoch die Bereitschaft zur Reflexion des eigenen Handelns.
Insbesondere in komplexen Situationen sichert die Reflexion dem Supervisanden seine Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit durch die Förderung von Erkenntnissen, da eine Reflexion grundsätzlich neue Zugänge zu Aufgaben, Anliegen, Problemen und Konflikten eröffnet.38 Individuelle Reflexion kann die Fähigkeit zur Entwicklung situationsübergreifender, methodisch-systematischer Problemlösungstechniken stärken und zu einem angemessenen Umgang mit unbekannten Situationen führen.39 Dadurch fördert eine Reflexion durch Supervision die Fähigkeit in der Auseinandersetzung mit der eigenen Person und auch mit den Kollegen und trägt somit zu einer Professionalisierung des beruflichen Handelns bei.40 Nur wer seine Verhaltensweisen im Gesamtkontext reflektiert, kann seine Entscheidungs- und Kommunikationsfähigkeit, Handlungssicherheit und letztendlich auch seine persönlichen und sozialen Kompetenzen erweitern.
5.1 Individualethische Aspekte
Bezogen auf das Individuum des Polizisten stellt sich die Frage, welche Rolle im Polizeidienst die Bereitschaft spielt, das eigene Handeln und belastende Einsatzgeschehen im Nachhinein zu reflektieren.
Bei Betrachtung dieses individualethischen Aspektes sind eindeutige Schwerpunkte in der Fehlerkultur der Polizei und in der Kritikfähigkeit des Einzelnen zu erkennen. Unabhängig vom Polizeidienst, fällt es vielen Menschen schwer, sich selbst wahrzunehmen, zu relativieren und eigene Fehler einzugestehen. Darüber hinaus wird deutlich, dass dieser negative Umgang mit Fehlern bei der Polizei sehr ausgeprägt ist. Ursachen hierfür dürften in der Problematisierung der Fehlerkultur durch den Strafverfolgungszwang, aber auch in der bisherigen Polizeikultur liegen, die einen konstruktiven Umgang mit Schwächen und Fehlern nicht zugelassen hat. In dem ausgeprägten Image der starken Polizisten und in der Angst vor disziplinarischen Maßnahmen liegen die Gründe für eine Vermeidung von Selbstreflexion.41 Es muss darum gehen, Schwachstellen nicht mehr zu verheimlichen, sondern zu erkennen, dass Emotionen mit bisher tabuisierten Aspekten wie Angst und Unsicherheit zum Leben gehören.42
Dies ist wichtig, da nicht reflektierte Einsatzbelastungen und verschwiegene Probleme nicht nur für den Betroffenen zu Stress, Erkrankungen, Demotivation oder dem Gefühl mangelnder Wertschätzung, sondern auch zu Schwierigkeiten im unmittelbaren kollegialen Umfeld führen können. Es bedarf Kommunikationsbereitschaft, Offenheit und einer positiven Einstellung als unabdingbare Voraussetzungen für die Reflexion des eigenen Handelns, ohne die eine Bewältigung belastender Ereignisse gar nicht möglich erscheint.
„Die Reflexion über Sinn und Wert des eigenen Tuns eröffnet die Möglichkeit zu alltagspraktischer Selbstfürsorge […], [die] in Zeiten gesellschaftlicher Beschleunigung und Individualisierung und insbesondere im Kontext der Veränderungsprozesse in Organisationen eine immer höhere Bedeutung für die Organisationsangehörigen […] als psychosoziale Ressource bekommt.“43 Daher ist in der Selbstreflexion des beruflichen Handelns und des Selbstbildes ein notwendiger Bestandteil polizeilicher Professionalisierung zu sehen.44
In der individualethischen Betrachtung ist festzustellen, dass die Bereitschaft zur Selbstreflexion eine elementare und wichtige Rolle im Polizeidienst einnimmt. Diese Bereitschaft des Einzelnen scheint jedoch untrennbar mit der vorherrschenden Fehlerkultur verbunden zu sein. Erst wenn das Eingestehen von Fehlern und eine positive Kritikfähigkeit in der Organisationskultur verankert sind, wird eine bedingungslose und konstruktive Reflexion des eigenen Handelns für das Individuum des Polizisten möglich sein.
5.2 Organisationsethische Aspekte
Die Fähigkeit und Bereitschaft zur Reflexion des eigenen Handelns hängt nicht nur vom jeweiligen Individuum ab, sondern unterliegt auch Einflussfaktoren der Organisation sowie des unmittelbaren kollegialen Umfelds des Einzelnen. Insbesondere bürokratische Organisationen wie die Polizei „gelten nicht gerade als Orte der Gefühls- oder Beziehungsarbeit und damit nicht als besonders supervisionsempfänglich.“45
Demgemäß üben Dienstgruppen einen maßgeblichen Einfluss auf die Reflexionsbereitschaft ihrer Mitglieder aus, da sie durch das Zusammengehörigkeitsgefühl für den Einzelnen Unterstützung, Orientierung und sogar die Möglichkeit der Reflexion bieten. Dies wird insbesondere durch Gespräche und Einsatznachbereitungen im Rahmen informeller Treffen der Teams nach Dienstende, aber auch bei gemeinsamen Ausflügen gewährleistet.
Dienstgruppenleiter, Streifenpartner, Praxisanleiter und die sog. „Bärenführer“ werden als zentrale Figuren mit Vorbildfunktion im positiven Sinne verstanden. Dabei spielt die Vertrauensbasis zum Streifenpartner und zur Dienstgruppe eine entscheidende Rolle, um den Betroffenen vertrauliche Gespräche über belastende Ereignisse zu ermöglichen. In einer von Vertrauen geprägten Kollegialität möchten Beschäftigte in schwierigen Situationen die Unterstützung durch Kollegen in Anspruch nehmen.
In diesem Zusammenhang steht der Vorgesetzte in einer besonderen Vorbildfunktion. Der Umgang von Vorgesetzten mit ihren Mitarbeitern wird als entscheidender Faktor für die Motivation, die empfundene Wertschätzung und auch für die Reflexionsbereitschaft der Beamten bewertet.
Die Organisation Polizei ist auch heute noch durch eine mangelhafte Fehlerkultur geprägt. Notwendig wäre jedoch ein konstruktiver Umgang mit Fehlern. Erst wenn Fehler als potenzielle Grundlage für Verbesserungen erkannt werden, kann der Umgang mit Fehlern zu einem strukturellen Qualitätsmerkmal avancieren und bietet den Mitarbeitern die Chance zur Entwicklung einer eigenen positiven Fehlerkultur.46Dabei darf auch die Gefühlsarbeit im Polizeidienst nicht unberücksichtigt bleiben. „Insgesamt ist das Reden über Gefühle in der Polizei immer noch tabubesetzt oder mindestens ungewohnt.“47 Auch hier ist ein entsprechender Wandel erforderlich.
In diesem Zusammenhang müssen hohe emotionale Fähigkeiten als entscheidende Ressource erkannt und von der Organisation entsprechend gefördert werden.48
Im Ergebnis der organisationsethischen Betrachtung ist eine herausragende Bedeutung von Dienstgruppe und Streifenpartner auf die Reflexionsbereitschaft des einzelnen Polizisten festzustellen. Zur Förderung von Gesprächsbereitschaft und eines vertrauensvollen Umgangs in der Gruppe steht der jeweilige Vorgesetzte in einer wichtigen Vorbildfunktion und trägt demgemäß eine große Verantwortung zur Förderung der Reflexionsbereitschaft. Hierfür muss die Organisation jedoch insbesondere durch eine Verbesserung der Fehlerkultur, das Schaffen von Freiräumen und die Förderung des Selbstverständnisses von Selbstreflexion die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen.
5.3 Gesellschaftsethische Aspekte
Die Polizei verrichtet ihren „Dienst für und mit dem Bürger“49 und legt in ihrem Leitbild Wert auf ein partnerschaftliches Verhältnis. Die Arbeit der Polizei stößt bei vielen Bürgern auf großes Interesse. Die Polizeiarbeit und auch ihre Belastungen werden in den Medien täglich thematisiert. In diesem Kontext stellt sich die Frage, welche gesellschaftlichen Erwartungen an eine professionelle Polizei und an die einzelnen Polizisten hinsichtlich des Umgangs mit polizeispezifischen Belastungen gestellt werden.
Aufgrund ihrer Funktion und Tätigkeit in unserer Gesellschaft steht die Polizei fast selbstverständlich im Rampenlicht der Öffentlichkeit und wird von den Bürgern sowohl aufgrund individueller Erlebnisse als auch im Kontext der Darstellung in Massenmedien wahrgenommen.50 Neben realitätsfremden Darstellungen der Polizeiarbeit in Kriminalfilmen und sog. „Doku-Soaps“, gibt es auch seriöse Berichterstattungen. Diese geben den Bürgern Einblicke in die reale Polizeiarbeit und vermitteln hierbei Informationen über Aufgabenerfüllung, Belastungen im Polizeidienst, polizeiseelsorgerische Maßnahmen und Krisenintervention, was der Wahrnehmung und dem Wissen der Bevölkerung gut tut.
Eine Veränderung gesellschaftlicher Erwartungen durch diese Berichte ist jedoch nicht zu erwarten, da die Bevölkerung nicht nachvollziehen kann, wie belastende Einsatzsituationen von den Polizisten wirklich erlebt werden. Die Bürger erwarten vielmehr, dass die Polizei ihre Probleme regelt, neutral und professionell arbeitet, für Gerechtigkeit eintritt, sich Opfern zuwendet, schnell und sicher handelt und dabei die eigenen Belastungen hinten anstellt. Auch wenn er um die Belastungen des Polizeiberufs weiß, werden diese aber im konkreten Fall von den individuellen Interessen des Bürgers überlagert und somit nicht akzeptiert. Das Interesse nach Berücksichtigung spezifischer Besonderheiten seines konkreten Anliegens steht für den Bürger im Vordergrund.51
Die Bevölkerung erwartet, dass die Polizei in ihrer Gesamtheit funktionsfähig ist und die politische Führung in der Pflicht steht, sich um belastete Polizisten durch geeignete Maßnahmen zu kümmern. Die Polizei ist in vielen Situationen immer der erste Ansprechpartner für den Bürger. Daraus lässt sich auch der hohe Erwartungsdruck der Bevölkerung erklären.
Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Medien die Sichtweise der Bevölkerung über die Polizeiarbeit entscheidend beeinflussen. Dadurch wird auch das Bewusstsein über polizeiliche Belastungen bei den Bürgern geschärft. Dennoch sind die gesellschaftlichen Erwartungen an eine funktionsfähige Polizei sehr hoch, da jeder Mensch im Kontakt mit der Polizei ganz egoistisch nur sein Anliegen sieht und von der Polizei eine professionelle Arbeit verlangt. Aus dieser Erwartungshaltung an voll einsatzfähige Polizisten kann jedoch die Forderung nach Gesunderhaltung bzw. Wiederherstellung der vollen Einsatzfähigkeit bei entsprechenden Beeinträchtigungen abgeleitet werden.
Die Polizei sollte sich daher auch gesellschaftsethisch verpflichtet sehen, Belastungen aufzuarbeiten, um die volle Dienstfähigkeit im Dienst für und mit dem Bürger zu gewährleisten.
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