Kriminalpolizeiliche Kompetenz im Festival-Einsatz

Der UA Ermittlungen läuft während des Wacken-Festivals sozusagen im stand-by-Modus. Er wird nur bei herausragenden Straftaten aufgerufen. Hierzu gehören regelmäßig Todesermittlungen, Sexualstraftaten, Raubdelikte und umfangreichere Drogenvergehen. Einen UA oder UUAe GeSa oder Getrako8 gibt es in der Wacken-BOA nicht. Transporte werden durch die Ermittlungsbeamten selbst oder unterstützend durch den Raumschutz geleistet; als mögliche Gefangenensammelstelle wird das Zentralgewahrsam des benachbarten Kreisstadtreviers genutzt. Losgelöst von schweren Straftaten sind Ingewahrsamnahmen nur selten erforderlich, da die Hausrechtsanwendung des Veranstalters und der Ausschluss vom Festival im Regelfall völlig ausreichen.

Für die Bewältigung zahlreicher Szenarien haben sich Produktion und BOS auf die Bildung eines Krisenteams bzw. einer gemeinsamen Koordinierungsgruppe verständigt, für die der Veranstalter – der generell in hohem Maße sicherheitsorientiert ist – die logistische Ausstattung bereitstellt. Eine Krisensitzung findet z.B. auch immer dann statt, wenn es beim WOA-Festival zu einem Todesfall kommt. Selbst wenn offenkundig von natürlicher Todesursache oder einem tragischen Unfalltod ausgegangen werden kann, sorgt die Nachricht „Toter in Wacken“ bei Besuchern schnell für Unruhe und ruft regelmäßig die Medien auf den Plan. Ziel der gemeinsamen Krisensitzung – ohne hier tatsächlich von einer echten Krise sprechen zu können – ist die Herstellung eines einheitlichen Informationsstandes und die Absprache zum weiteren Vorgehen, insbesondere zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Die eigentliche Fallbearbeitung erfolgt natürlich ausschließlich durch den EA Ermittlungen oder ggf. ergänzend durch das zuständige Fachkommissariat der AAO.


Auch Regen und Matsch kann die Besucher nicht schrecken.

4 Nationales und internationales Polizei-Netzwerk

Festivalkriminalität ist ein internationales Phänomen, mit dem sich nahezu alle Open-Air-Großveranstaltungen auseinander setzen müssen. Die internationale Dimension wird insbesondere durch reisende (häufig ausländische) Täter oder Banden untermauert. Eine wesentliche Aufgabe der Kriminalpolizei besteht insofern in der dem Event vorausgehenden büromäßigen Aufklärung. Diese ist deutschlandweit9 mittlerweile sehr gut organisiert.

Ausgangspunkt einer intensiven nationalen (und teilweise internationalen) Vernetzung war eine enorme Welle von Taschendiebstählen in den Jahren 200910 und 2010. Hierbei konnte durch Auffinden regelrechter Terminkalender festgestellt werden, dass reisende Banden die gesamte europäische Festivalsaison für ihre Beutezüge fest im Blick haben. Erstmalig im Jahr 2011 haben sich die verantwortlichen Ermittler mehrerer deutscher Großfestivals in Mayen/Rheinland-Pfalz getroffen und ihre Erkenntnisse ausgetauscht. Ergebnis war u.a. die Erstellung einiger Bundesländer übergreifenden Festival-Datei „Taschendiebe“ und einer Festival-Datei „Ticketfälscher“. Vereinbart wurde darüber hinaus, dass sich die Polizeibehörden, die Festivals betreuen, fortan jährlich zu einer Arbeitstagung treffen11 und sich – auch über Kriminalität hinausgehende Einsatzfacetten – austauschen12. Im Ergebnis erstellen alle Festivalbehörden – zum Teil bereits während ihrer laufenden Veranstaltungen – Berichte über aktuelle und neue Tatformen bzw. Tätertaktiken, die sie den Partnern sehr zeitnah zur Verfügung stellen. Die mehrjährige Erfahrung hat gezeigt, dass sich die Phänomene der ersten Veranstaltungen nahezu durch die gesamte Saison ziehen und die Verantwortlichen der späteren Events sich sehr gut darauf einstellen können. Im Bereich der nationalen und internationalen Vernetzung wird eine bemerkenswerte Arbeit geleistet. Der Erfolg spiegelt sich nicht zuletzt in einer deutlichen Senkung der Fallzahlen auf dem Diebstahlssektor wider.

5 Besondere Lageentwicklungen

Über die Regel-BAO hinaus hat die Polizei Anschlusskonzepte (sog. „Hintergrund-BAOen“13) vorgeplant, die z.B. bei GSGGSK-14 oder Anschlagsszenarien die bestehende Veranstaltungsorganisation erweitern und zusätzliches Fachpersonal der Schutz- und Kriminalpolizei in den Einsatz bringen.

Die zuvor dargestellte Auflistung möglicher Auslöser größerer Schadensereignisse macht deutlich, dass Veranstalter, Ordnungsverwaltung, Polizei und alle anderen BOS bereits im Vorwege intensiv aktiv werden müssen. Kollektiv darauf zu vertrauen, „dass schon alles ruhig bleiben wird“, d.h. gänzlich auf taktische Anpassungsentschlüsse zu verzichten, könnte bei der Dimension eines solchen Open-Air-Festivals die Ebene einer strafbewährten Fahrlässigkeit erreichen. Ordnungsrechtlich wird dem W:O:A-Veranstalter bereits durch die schleswig-holsteinische Versammlungsstättenverordnung und eine komplexe Ordnungsverfügung die konzeptionelle Vorsorge für Lageentwicklungen abverlangt, die über den Regelbetrieb hinausgehen. Generell haben W:O:A-Veranstalter und BOS seit vielen Jahren den Anspruch, das Sicherheitskonzept gemeinsam fortzuentwickeln und den Gesamteinsatz gemeinsam zu verantworteten. Szenarien öffentlicher gegenseitiger Schuldzuweisungen bei Unglücksfällen soll es im Norden nicht geben.