Irreguläre Migration und Schleusungskriminalität – die unheilvolle Allianz



Schleusungskriminalität – ein facettenreiches kriminelles Geschäftsmodell


In Hinblick auf die Tatsache, dass der Terminus „Schleusen“ national und international und auch in offiziellen Verlautbarungen unterschiedlich gebraucht wird, zum Teil auch als Schleppen oder Menschenschmuggel bezeichnet wird, häufig auch fälschlicherweise mit Menschenhandel gleichgesetzt wird, soll nachfolgend einem UN-Abkommen folgend unter „Schleusung von Migranten“ die Herbeiführung der unerlaubten Einreise einer Person in einen Vertragsstaat mit dem Ziel, sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen,1 verstanden werden. Schleusungskriminalität soll als untechnischer Sammelbegriff für alle Handlungen gebraucht werden, die im Zusammenhang mit Schleusungen stehen und nach nationalem Recht strafbewehrt sind.
Grundsätzlich liegen über die Strukturen der Schleusergruppierungen außerhalb des Schengenraumes nur wenige belastbare Informationen vor, da die hierzu erforderlichen Strukturermittlungen in den meisten Ausgangs- und Transitländern aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich sind. Welche Länder z.B. in Frage kommen, verdeutlicht das Frachterunglück im Frühjahr mit über 800 Toten. Die Überlebenden kamen aus Eritrea, Mali, Gambia, der Elfenbeinküste, dem Senegal, Sierra Leone, Bangladesh und Tunesien. Anfang August des Jahres wurde in Deutschland ein Schleuser festgenommen, der zu einer Gruppe gehört, die das Flüchtlingsschiff „Blue Sky M“ mit 800 Migranten an Bord führerlos auf die italienische Küste zutreiben ließ und die sich beim Verlassen des Schiffes unter die Flüchtlinge mischte. Die Ermittlungen ergaben Hinweise auf eine kriminelle Organisation, die in der Türkei, in Syrien, im Libanon und in Rumänien tätig ist. Allein in Griechenland werden 200 Schleuserorganisationen vermutet.
Bei den Schleusergruppierungen handelt es sich meistens um lose dezentrale Netzwerke innerhalb sich abschottender ethnischer Gruppen, die sich über Anlaufstellen und Treffpunkte vernetzen und deliktsübergreifend inter- und transnational agieren. Gleichwohl verfügen sie über eine hochdifferenzierte Logistik, leistungsfähige Kommunikationsmittel und ein weitgespanntes Netz korrumpierter Mittelsmänner und Kontaktleute unmittelbar an den Schleusungsrouten, aber auch bis hinein in die Führungsebenen der Sicherheitsbehörden unterschiedlicher Länder. Die kriminellen Dienstleistungen unterscheiden sich jeweils danach, ob sie am Anfang, während oder am Ende der Route erbracht werden. So gibt es Gruppierungen, die für die Kontaktaufnahme mit Migranten zuständig sind, andere für die Logistik der Transportmittel, wieder andere für die Aktivierung von Mittelsmännern und Hilfspersonal und letztlich diejenigen, die die gesamte Finanzierung abwickeln.
Ihre weiträumige Verteilung in den Hauptherkunfts- und Transitländern ermöglicht eine rasche Verschiebung der jeweiligen kriminellen Anlaufstellen und erschweren die Fahndung. Auch reagieren sie virtuos, flexibel und reaktionsschnell bereits nach wenigen Tagen auf veränderte Strategien von Sicherheitsbehörden. Schwachstellen bei den Abwehrmechanismen und veränderte staatliche Gegenmaßnahmen werden schnell erkannt und konsequent ausgenutzt oder umgangen. Das Übersetzen von der türkischen Küste auf die die vorgelagerten griechischen Inseln und die Wahl der Balkanroute, zunächst über Ungarn, dann über Kroatien und Slowenien belegen die schnelle Anpassungsfähigkeit. Als Deutschland vorübergehend die Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze wiedereinführte, wichen die Schleuser innerhalb einer Nacht auf die grüne Grenze und ungesicherte Nebengrenzübergänge aus.
Besonders perfide Methoden entwickelten die Schleuser im Mittelmeer. Die verstärkten Seenotrettungsbemühungen der EU haben den Strom der Migrationswilligen noch anschwellen lassen, spekulieren doch die Schleusernetzwerke damit, dass die von ihnen zusammengestellte Menschenfracht von einem Schiff aufgenommen wird. Die Seenotrettung wird provoziert. Dies führt dazu, dass die Schleuser keinen Wert mehr auf hochseetüchtige Boote legen und diese lediglich nur noch mit einem Treibstoffvorrat ausstatten, der für das Verlassen der libyschen Hoheitsgewässer oder zum Erreichender der Hauptschifffahrtlinien reicht. Allenfalls erfolgt eine Kurzeinweisung in Technik und Nautik. Der Kurs wird so gewählt, dass der Seeweg von Handelsschiffen gekreuzt wird, der vorher aufgeklärt wird. Ein Zusammentreffen mit den Staatsschiffen von Frontex oder der im Mittelmeer eingesetzten Marineschiffe soll vermieden werden, um dem Ermitteln von Schleusungsdaten z.B. durch Auslesen von Handy-Daten vorzubeugen. Bei größeren Schleuserschiffen wird das Automatische Identifikationssystem, das dem Austausch von Navigationsdaten dient, außer Betrieb gesetzt. Zusätzlich versucht man die Kommunikation von Hilfsorganisationen, die bei Notrufen von Schlepperbooten tätig werden, mit Störsendern zu unterbinden.
Das besondere Kennzeichen der Schleusungen neue Zeitrechnung ist die exzessive Verwendung moderner Kommunikationsmittel, die die ohnehin vorhandene Mundpropaganda am Ausgangs- und Zielort unheilvoll ergänzen. Sowohl Schleuser als auch Migranten verfügen über Smartphones und Notebooks mit Internetzugang, so dass aktuell bereits die Hälfte der Kontaktaufnahmen online erfolgt. Moderne Kommunikationsmittel garantieren Verbindungsaufnahme in Echtzeit zwischen dem Anwerber in Ägypten, dem Skipper an der türkischen Küste, dem Vermieter in Bulgarien und dem Kassierer in Österreich. Einige Organisationen wickeln die Terminabsprachen und ihr sonstiges Zeitmanagement für eine Etappenschleusung sogar über eine Hotline unter Inanspruchnahme von WhatsApp ab oder nutzen diesen Chat-Dienst zum Crowdsourcing. Bei diesem neuartigen Arbeitsmodell werden bestimmte eigentlich organisationsinterne Aufgaben wie zum Beispiel Bereitstellen von Fahrzeugen, Schleusungsbegleitung oder Übersetzungen kurzfristig und zeitlich limitiert an Externe vergeben.
In Facebook wimmelt es von Eintragungen, mit denen die kriminellen Transporteure ihre Dienste mit Telefonnummern anbieten. Die Kontaktaufnahme erfolgt über WhatsApp, Twitter oder Viber. Kaum ein Migrant, der nicht mit einer längeren Telefonliste den Weg ins Ungewisse antritt. Über die Internetplattformen werden aber auch frei von Verfolgungsbefürchtungen gefälschte Pässe, Ausweise und Visa angeboten. Laut Frontex werben Busunternehmen öffentlich damit, Angehörigen des Kosovo Möglichkeiten zum Missbrauch der Sozial- und Rückkehrhilfen in der EU verschaffen zu können.
Migranten tauschen Erfahrungsberichte über bestimmte Routen und offene Grenzübergänge aus, am Zielort Angekommene geben Tipps sowie Hinweise auf Unterstützungsleistungen durch helfende Hände beim Marsch durch Transitländer und warnen auch vor betrügerischen Schleusern. Besonders begehrte Informationen sind Hinweise auf Leistungen am Zielort, den Gang des Asylverfahrens und Tricks bei der Anerkennung. Im Gegenzug versuchen Schleuserorganisationen das ohnehin lukrative Geschäft dadurch zu beleben, dass sie Falschmeldungen über die Modalitäten und Chancen in möglichen Zielländern ins Netz stellen.
Neben den organisierten Schleusungen gibt es aber auch Spontan- und Selbsthilfeaktionen im Rahmen familiärer oder verwandtschaftlicher Beziehungen. Entlang der Schleusungsrouten existiert eine Heerschar von Gelegenheits- bzw. Zufallsschleusern und kurzfristig angeworbenen Hilfskräften, die aus Interesse am schnellen Geld den unter Zwang stehenden Migranten ihre Dienste anbieten. Es gibt im Gegensatz zum europäischen Binnenraum, in dem Europol z.B. in Frankreich im Bereich der illegalen Beschäftigung bereits geschlossene Syndikate ermittelt hat, keine geschlossenen Organisationen oder Hauptquartiere. Bei pauschaler Betrachtung lassen sich bei Schleusungen zwei Geschäftsmodelle unterscheiden. Zum einen der dezentrale und durch Zufallsfaktoren bestimmte Marsch ins Ungewisse, der zum Teil unter Inkaufnahme riesiger Umwege durch mehrere Länder führt. Zum anderen die finanziell aufwändig geplante Schleusung, an der Akteure und Kontaktpersonen im Herkunfts-, Transit- und Zielland beteiligt sind, die fallweise mit lokalen Residenten und Organisationen zusammenarbeiten. Dabei kann die erste Variante Jahre dauern, während bei der zweiten Variante dank der Spezialisierung der Schleuser bei einigen Routen – so zum Beispiel über den Balkan – das Verbringen über mehrere Landesgrenzen hinweg schon nach einer Woche abgeschlossen sein kann. Für die kriminelle Energie der Schleuserorganisationen spricht der Umstand, dass man Familienmitglieder trennt und erst im Zielland wieder zusammenführt, um solchermaßen Abhängigkeiten herzustellen.
Einige der involvierten Gruppierungen entsprechen wohl einem kriminellen Geschäftsmodell, das das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende Kriminalität in Artikel 2 als strukturierte Gruppe bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine Gruppe, die nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung einer Straftat gebildet wird und die nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für ihre Mitglieder, eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur erforderlich macht. Dabei sind im Binnenraum der EU, wie die umfangreichen Ermittlungsaktionen der Strafverfolgungsbehörden beweisen, die Übergänge zur organisierten kriminellen Gruppe allerdings fließend. Dem Lagebericht 2014 des BKA zur Organisierten Kriminalität zufolge steht Schleusungskriminalität nach Rauschgiftkriminalität, Eigentumskriminalität, Wirtschaftskriminalität sowie Steuer- und Zollkriminalität an fünfter Stelle. Im ersten Halbjahr 2015 verdoppelte sich die Zahl gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Gruppierungen werden von Türken und Syrern dominiert, wobei zunehmend das Asylrecht von Georgiern missbraucht wird, um in Deutschland Wohnungseinbrüche zu begehen.Die wichtigsten Flüchtlingsrouten sind bekannt. Sie führen über die östlichen EU-Grenzen und das Mittelmeer aktuell mit Schwerpunkt über den Balkan. Die Routen des Elends werden hauptsächlich aus den Krisengebieten des Nahen und mittleren Osten und aus den den Staaten der Subsahara- Mali, Niger, Sudan und Eritrea- in Richtung Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten und Libyen gespeist. Anlaufpunkt für die Routen aus dem Subsahararaum vor der Durchquerung der Sahara sind Agadez in Niger und Adré im Tschad, von wo regelmäßig Konvois in Richtung Mittelmeer fahren. Die Südgrenze von Libyen ist offen wie ein Scheunentor, ein Zustand, der bereits zu Zeiten des gestürzten Diktators Gaddafi die Regel war. Wie viele Migranten beim Horrortrip durch die Sahara Opfer von Entbehrungen und marodierenden Banden wurden oder den Milizen in die Hände fallen, die die Bootsflüchtlinge als neue Einnahmequellen entdeckt haben und die mit den Schleuserorganisationen zusammenarbeiten, ist bisher nicht ermittelt worden. Bekannt sind lediglich die Knotenpunkte, an denen sich Migrationsbewegungen konzentrieren: Sabha, Tripolis und Benghasi in Libyen, Mersin und Istanbul in der Türkei und Athen, Rom, Mailand, München, Calais, Frankfurt(M) und Hamburg im EU-Binnenraum.