Auslandseinsatz in der EU Mission - EULEX Kosovo

Überblick – Einblicke – Erfahrungen

Von Alban Ragg, Kriminaldirektor, Hochschule der Polizei, Rheinland-Pfalz

Vorwort


Im ZeitraumFebruar 2014 bis September 2015 war ich in der European Rule of Law Mission (EULEX Kosovo) als Polizeibeamter mit zwei Führungsfunktionen betraut. Die Rechtstaatlichkeitsmission EULEX ist die größte zivile Mission der EU mit aktuell ca. 1500 Mitarbeitern, unterstützt von allen 28 EU Mitgliedstaaten sowie Kanada, Norwegen, Schweiz, Türkei und USA. Im Februar 2014 habe ich meinen Auslandseinsatz als Chief of Staff (Leiter Führungsstab) im Special Police Department (Direktion Einsatz) im Norden des Kosovos in Mitrovica begonnen. Im August 2014 bis September 2015 habe ich die Funktion des Head of Executive Police (Leiter Polizeieinsatz) und damit die Leitung der Polizeikomponente innerhalb EULEX in Pristina, Hauptstadt des Kosovo, übernommen.

Dem Head of Executive Police ist das Special Police Department (Direktion Einsatz), das Executive Criminal Investigation Department (Direktion Ermittlungen) sowie das Witness Security Department (Direktion Zeugenschutz) nachgeordnet. Bedeutsam zu wissen, hinter dem Begriff Executive Police verbirgt sich rechtlich die Ausstattung der internationalen Polizeibeamten mit polizeilichen Eingriffsbefugnissen im Kosovo.
Die Leitung aller mit hoheitlichen Befugnissen internationalen Polizeikräfte zählt zu den schönsten Herausforderungen in meinem bisherigen dienstlichen Werdegang. Grundsätzlich unterscheidet sich die Aufgabe hinsichtlich der täglichen Anforderungen wie Personalführung, operativer und strategischer Planung sowie Einsatzbewältigung kaum von vergleichbaren Leitungsaufgaben in der Polizei Rheinland-Pfalz. Die Besonderheit ergibt sich aus Einsatzraum und Lage sowie der Zusammenarbeit mit der Führung der kosovarischen Polizei und der Einsatzkomponente des internationalen Militärs (KFOR).

1. Einleitung


In Begegnungen zu Hause werde ich bisweilen nach dem Nutzwert des EU Engagements im Kosovo gefragt. Meine Antwort ist gleichförmig, Frieden auf dem Balkan. Es wird leicht vergessen, dass die 90er von einem blutigen Krieg in Teilen der Balkanregion (siehe Abb. 1) insbesondere in Kroatien und Bosnien dominiert waren.
Der Konflikt im Kosovo eskalierte erst Ende der 90er und wurde 1999 mit dem Einmarsch von NATO Truppen sowie der Bombardierung von Belgrad beendet. Dies leitet zur Frage über, wie stabil der Frieden heute auf dem Balkan eigentlich ist.
Nach meiner persönlichen Einschätzung ist die Situation im Kosovo selbst wegen der Spannungen zwischen der albanischen und serbischen Ethnie nicht gesichert stabil. Diese interethnischen Differenzen sind mittlerweile innerhalb des Kosovo zwar regional oder lokal eingrenzbar, beinhalten jedoch immer auch ein gewisses Potenzial zur landesweiten Eskalation. Die letzten massiven landesweiten Unruhen ereigneten sich im März 2004 ausgelöst durch die Verbreitung einer falschen Information zum Ertrinken von drei albanischen Kindern. So wurde behauptet, die Kinder seien von Personen serbischer Herkunft in den Fluss Ibar getrieben worden. Im Rahmen dieser Unruhen wurde die serbische Bevölkerung massiv angegriffen. Darüber hinaus wurden serbische Kulturdenkmäler darunter 35 serbisch-orthodoxe Kirchen zerstört.


Abb. 1 Balkanregion


Diese Ereignisse schlagen sich noch heute in Misstrauen und Angst der serbischen Minderheit nieder und sind insbesondere im Norden Kosovos in der Region Mitrovica virulent.
Darüber hinaus besteht angesichts der in Serbien und in Mazedonien in Grenznähe zum Kosovo ansässigen albanischen Minderheiten ein übergreifendes Potenzial zur Eskalation ethnischer Spannungen. Solidarisierungseffekte von Teilen der dortigen albanischen Bevölkerung insbesondere aus den Reihen von Mitgliedern der früheren Kosovo Liberation Army (KLA) mit nationalistisch orientierten Gruppierungen im Kosovo sind leicht vorstellbar.
Neben der eingangs erwähnten Fragestellung wird oft der Befund zur kosovarischen Polizei hinterfragt. Auf einen Nenner gebracht, würde ich die kosovarische Polizei als professionell bezeichnen, was mit großer Sicherheit auch ein Verdienst der hier tätigen internationalen Polizeibeamten ist.
Dies bestätigt auch eine aktuelle Umfrage, wonach knapp 70% der kosovarischen Bevölkerung ihrer Polizei das Vertrauen schenken. Ein Wert der auf dem Westbalkan im Vergleich als herausragend gelten darf.
Sicher besteht bei einer solch jungen Organisation auch Potenzial zur Fortentwicklung, das naturgemäß höher liegen mag, als in einer über mehr als fünfzig Jahre etablierten Polizeiorganisation. Hinzukommen die besonderen Umstände einer Nachkriegsgesellschaft in der Akteure im Kriegsgeschehen heute maßgeblich politische Verantwortung tragen. Die Verbindung zu den Herausforderungen bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität und der Korruption lässt sich leicht erahnen. Leider wird der Erfolg polizeilicher Arbeit von einer wenig dynamischen agierenden Justiz mit wenig akzeptablen Bearbeitungszeiten einhergehend mit einem ausgesprochen hohen Verfahrensrückstau geschmälert.

2. Ausgewählte Einblicke in den Kosovo von 2008 bis heute


Das zentrale Thema für Serbien und Kosovo ist die einseitige Erklärung Kosovos zur unabhängigen Republik im Februar 2008. Wenngleich anerkannt von den Vereinigten Staaten und auch einer Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten betont die serbische Seite bei jeder Gelegenheit einer Unabhängigkeit des Kosovo niemals zuzustimmen. Andererseits strebt Serbien den EU-Beitritt an und so legte eine in 2013 in Brüssel getroffene Vereinbarung die Grundlage für eine Kooperation mit dem Kosovo. Dabei soll die Unabhängigkeit nicht anerkannt werden, dem Kosovo wurde jedoch eingeräumt im Sinne eines unabhängigen Staates zu agieren. Damit wurde ein von Brüssel moderierter Dialog initiiert, der die Sensibilität des Themas wahrend als Pristina-Belgrad-Dialog und eben nicht als Kosovo-Serbien-Dialog bezeichnet wird. Solche semantischen Fragen finden sich vielfältigst auch in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit wieder und formieren bisweilen schwer überwindbare Hürden. Als ein Beispiel mag die Diskussion um den Grenzbereich zu Serbien im Norden Kosovos dienen.

Abb. 2 Ethnien im Norden Kosovo


Innenpolitisch stehen Parlament und Regierung des Kosovo vor ungelösten Fragen und kontroversen Auseinandersetzungen, die mit der Parlamentswahl im Mai 2014 und einer monatelangen Diskussion um die Regierungsbildung unter Einbindung des Verfassungsgerichts begonnen hatte. Aus meiner Sicht hat dieser auch wirtschaftlich spürbare Stillstand mit zur Migrationswelle aus dem Kosovo beigetragen.
Die Befassung mit Kriegsverbrechen nicht nur auf serbischer sondern eben auch auf kosovarischer Seite als Teil der Vergangenheitsbewältigung war und wird auch zukünftig Thema höchst kontroverser Diskussionen und von mitunter gewalttätig verlaufenden Demonstrationen sein. Für ehemalige Mitglieder der Kosovo Liberation Army – von serbischer Seite als Terrorgruppe eingestuft – sind Kriegsverbrechen auch Einzelner ein Tabuthema, sehen sie sich doch mehr als Kriegshelden. So stößt die Einsetzung eines internationalen Gerichts, vereinbart zwischen EU und Kosovo auf bisweilen erheblichen Widerstand sowohl innerhalb als auch außerhalb des Parlaments.
Jüngst wurde in Brüssel im Rahmen des Pristina-Belgrad-Dialogs ein Meilenstein erzielt. So soll die Eigenständigkeit der serbisch dominierten Kommunen im Kosovo gestärkt werden. Hier treffen zwei Argumentationslinien in aller Schärfe aufeinander. Einerseits wird ein solcher Schritt als unabdingbarer Minderheitenschutz begründet und andererseits als Einrichtung unabhängiger serbischer Kommunen im unmittelbaren Einflussbereich der Regierung in Belgrad eingeordnet. Ein Teil der parlamentarischen Opposition kündigte bereits unverhohlen gewalttätigen Widerstand an, sieht sie mithin die Unabhängigkeit des Kosovo in Frage gestellt.
Besonders augenfällig dürften diese Differenzen im von serbischer Bevölkerung dominierten Norden des Kosovos (Abb. 2) werden, der sich seit der Unabhängigkeit vom Rest des Kosovo dem sogenannten Süden besonders deutlich abgrenzt. Dortige Parallelstrukturen in Verwaltung, Polizei und Justiz, offenkundig im Einflussbereich der serbischen Regierung, werden nur in kleinen Schritten abgebaut.
Norden und Süden werden durch den Fluss Ibar nicht nur als natürliche Grenze voneinander getrennt. Die Nichtanerkennung des Kosovo als eigenständige Republik durch die serbische Bevölkerung manifestiert sich an dieser Teilung. In einem Gespräch hat eine Mitarbeiterin der Eulex Mission mit serbischer Herkunft die Gefühlslage auf den Punkt gebracht. „Die Menschen fühlen sich im Widerstand und empfinden die albanische Bevölkerung und kosovarische Regierung als Bedrohung und sie folgen der Diktion der serbischen Regierung, den Kosovo eine als Serbien zugehörige Provinz zu betrachten.“
Diese aus albanischer Perspektive die Unabhängigkeit des Kosovo unterminierende und inakzeptable Abgrenzung hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach in der durch den Ibar geteilten Stadt Mitrovica entladen. Dabei stellt die mit besonderer politischer Symbolik behaftete Austerlitzbrücke (Abb. 3) einen besonderen Brennpunkt dar. Sie ist eine von drei Brücken, die den Nord- und Südteil der Stadt Mitrovica verbinden und ist durch einen nach Ausschreitungen in 2011 aufgeschütteten Erdwall (Abb. 4) nur für Fußgänger und eben nicht für Fahrzeuge passierbar. Aus Sicht der albanischen Bevölkerung stellt sich die Blockade der Brücke als ein von Belgrad gesteuerter Eingriff in die Belange des unabhängigen Kosovo sowie die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung dar und symbolisiert die ablehnende Haltung der serbischen Bevölkerung gegenüber einer Zugehörigkeit zum Kosovo.
Die Brücke hat den Einstieg in die höhere Politik gefunden und ist sogar Gegenstand der Verhandlungen auf EU-Ebene im Pristina-Belgrad-Dialog.

Die serbischen Politiker ihrerseits waren bisher nur zu einem politischen Signal bereit und veranlassten im Mai 2014 quasi über Nacht die Beseitigung des Erdwalls und die Reinigung der Brücke. Nationalistische Kosovo-Albaner aus dem Süden nutzten die Gelegenheit, passierten die Brücke mit Fahrzeugen, um auf der anderen Seite die albanische Flagge begleitet von lautstarkem Skandieren „Hier ist Kosovo“ zu schwenken. Wenige Stunden später wurde die Blockade in Form des “Garden of Peace” (Abb. 5) durch Aufbringung eines Rasens sowie Platzierung von Pflanzkübeln wieder errichtet. Dies zog einen von Kosovo-Albanern initiierten Protest nach sich, der letztlich in einer unfriedlich verlaufenden Demonstration mit schweren Ausschreitungen auf der Südseite der Brücke mündete. Dies erforderte den Einsatz von starken Kräften sowohl der Kosovo Polizei als auch der Einsatzhundertschaft der Eulex Executive Police.

Ausgesprochen umstritten gerade aus polizeitaktischer Sicht war die nicht abwendbare Präsenz des internationalen Militärs (Kosovo Forces – KFOR in der Mitte der Brücke (Abb. 6) inmitten der Brücke. Eine Anti-Riot-Einheit der KFOR hatte sich dort mit Stacheldraht und Fahrzeugen postiert. Ziel war es insbesondere gewalttätige Demonstranten am Überschreiten der Brücke zu hindern. Leicht nachvollziehbar zog dies Einschränkungen für den Aktionsradius der eingesetzten internationalen und lokalen Polizeikräfte und förderte mutmaßlich das Ausmaß der Gewalt.
Neben der symbolträchtigen Brücke bietet die Grenze im Norden zu Serbien mit den beiden Übergängen Brnjak und Jarinje (Abb. 7 Norden farblich gekennzeichnet als „Reconsider your need to travel“ mit Brnjak und Jarinje ) permanenten Anlass zu Diskussionen.
Die Diskussion um die Grenze zu Serbien entbrennt bereits bei der Begrifflichkeit „Grenze“ und kulminiert bei den beiden Übergängen in der Region Nord Mitrovica. Während die serbische Bevölkerung sie nur als Verwaltungsgrenze anerkennt, ist sie aus Sicht der Regierung Kosovos die Grenze eines unabhängigen Staates mit allen rechtlichen Folgen und eben auch der rechtmäßigen Erhebung von Zöllen. Das Unrechtsbewusstsein auf Seiten der serbischen Bevölkerung gegenüber organisiertem Schmuggel insbesondere Benzin in großen Mengen unter Benutzung zahlreicher illegaler Übergänge entlang der grünen Grenze ist dagegen eher gering. Das Thema ist auch permanenter Verhandlungsgegenstand auf EU-Ebene. Als jüngstes Beispiel in der Diskussion vermögen über mehrere Jahre fortwährende Verhandlungen zur Lösung der Frage der gegenseitigen Anerkennung von Kraftfahrzeugversicherungen von im Kosovo oder Serbien zugelassenen Fahrzeugen dienen. Eine internationale Präsenz wäre kaum nötig, wenn auf beiden Seiten ein lösungsorientiertes Vorgehen bestimmend wäre. Nun ist zwar die Versicherungsfrage geklärt, jedoch sind weitere Verhandlungen in Brüssel notwendig, um eine gegenseitige Anerkennung der amtlichen Fahrzeugkennzeichen zu erreichen. Serbien kann ein Kosovokennzeichen mit dem Zusatz RKS (Republic Kosovo) nicht anerkennen, würde es schlussendlich auch die Unabhängigkeit des Kosovo zugestehen. Die kosovarischen Behörden sind im Gegenzug nur mit Mühe davon abzuhalten, von Serbien für den Kosovo ausgegebene Kennzeichen nicht zu beschlagnahmen. Eine Politik der permanenten Nadelstiche.

Abb. 3 Austerlitzbrücke in MitrovicaAbb. 5 „Garden of Peace“
Abb. 4 Erdwall auf der AusterlitzbrückeAbb. 6 Präsenz von KFOR


Abb. 7 Übergänge Jarinje und Brnjak

 

3. Aufgabenbereich Eulex Executive Police

3.1 Besondere Lage


Der Norden des Kosovo stellt einen Schwerpunkt des Einsatzraumes für den Bereich Eulex Executive Police dar. Insofern umschreiben die vorgenannten Ausführungen den Rahmen für die polizeiliche Lagebeurteilung sowie den Einsatz der mit hoheitlichen Befugnissen ausgestatteten internationalen Polizeibeamten. Die Bedingungen hier unterscheiden sich im Norden gravierend vom Rest des Landes insofern die Kräfte ausschließlich in gepanzerten Fahrzeugen ihren Dienst versehen. Dies geht zurück auf einen tödlichen Anschlag gegen einen internationalen Zollbeamten, dessen Fahrzeug auf dem Weg zum Dienst von Mitrovica zu einem nördlichen Grenzübergang unter AK 47 Feuer genommen wurde (Abb. 8).
Während meiner Missionszeit wurden im April 2014 Begleitschutzkräfte auf dem Weg zu einem nördlichen Grenzübergang erneut mit einer AK 47 beschossen, gefunden wurden 25 Patronenhülsen. Dank der Panzerung mit Schutzklasse B 6 und des besonnenen Verhaltens der Fahrer entstand nur Sachschaden. Die Vermutung liegt nahe, dass der Anschlag eine Reaktion auf kurz zuvor durchgeführte Festnahmen von Eulex Executive Police im Norden darstellt. Das Beispiel zeigt auf, dass bei der Planung und Durchführung von Einsatzmaßnahmen immer auch das Potenzial für einer Verschärfung der Sicherheitslage sowie eine Erhöhung der generellen Gefährdung für Beamte der Eulex Police in die Beurteilung der Lage einzubeziehen ist.

3.2 Organisation Executive Police

Dem Head of Executive Police ist neben der Direktion Ermittlungen (Executive Criminal Investigation Department) auch die Direktion Einsatz (Special Police Department) sowie die Direktion Zeugenschutz (Witness Security Department) unterstellt (Abb. 9). Als Unterstützung stehen ihm neben seinem Abwesenheitsvertreter, eine persönliche Referentin sowie das Liaison and Coordination Office mit drei Verbindungsbeamten und einer lokalen Verwaltungsangestellten zur Verfügung.
Die Direktion Ermittlungen (Abb. 10) setzt sich einerseits aus den Einheiten zur Ermittlung von Kriegsverbrechen sowie Organisierter Kriminalität bzw. Korruption und andererseits als unterstützende Elemente aus der Einheit Internationale Zusammenarbeit sowie Beschaffung und Analyse von ermittlungs- und lagerelevanten Informationen zusammen.
Während sich die Ermittlung organisierter Kriminalität in ihrem Wesen wenig von Deutschland unterscheidet, ist die Ermittlung von Kriegsverbrechen eher außergewöhnlich und den zurückliegenden Kriegshandlungen geschuldet. Die Ermittlungen und Gerichtsverfahren sind sensibel und von polemisierenden politischen Statements sowie ideologischer Berichterstattung in den Medien begleitet, insbesondere wenn es sich bei den Tätern um der serbischen oder albanischen Ethnie zugehörige gefeierte Kriegshelden handelt. Dabei haben in der öffentlichen Wahrnehmung nur Täter der jeweils anderen Ethnie anerkannt Kriegsverbrechen begangen. Die Gerichtsverfahren werden in der Hauptsache bei wiederkehrenden Haftprüfungen zur Bestätigung der Untersuchungshaft oder bei Gelegenheit der Urteilsverkündung von öffentlichen Protesten mit erhöhtem Potenzial zur Gewalttätigkeit begleitet. Darüber hinaus sind täterseitige Maßnahmen zur Gefangenenbefreiung sowie zur Beeinflussung oder Beseitigung relevanter Zeugen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in Betracht zu ziehen.


Abb. 8 Anschlag auf internationalen Zollbeamten


Des Weiteren sichert die Direktion Ermittlungen den Informationsaustausch mit der serbischen Polizei sowohl für eigene Zwecke als auch als Vermittler für die kosovarische Polizei. Ein unmittelbarer Kontakt zwischen den beiden Polizeien gestaltet sich angesichts der Nichtanerkennung des Kosovo als schwierig bis unmöglich. Da verhindert schon ein Briefkopf mit den Insignien der Republik Kosovo jeden weiteren Bearbeitungsschritt. Dringend benötigten gemeinsamen Ermittlungsgruppen zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität steht die Frage der Unabhängigkeit immer wieder im Weg.
Die im Süden der Stadt Mitrovica untergebrachte Direktion Einsatz (Abb. 11) ist schwerpunktmäßig im Norden des Kosovo eingesetzt und setzt sich aus einem Einsatzzug (Supplementary Police Unit) mit einer SEK-Komponente sowie einer Einsatzhundertschaft (Formed Police Unit) zusammen. Das Aufgabenfeld erstreckt sich von Streifentätigkeit, Begleitschutz für Einsatzkräfte sowie Richter und Staatsanwälte über geschlossene Einsätze bei gewalttätig verlaufenden Demonstrationen bis zur Durchführung von Festnahmen bewaffneter Straftäter.
Darüber hinaus zählt eine Einheitmit Grenzschutz- und Zollaufgaben (Border Boundary Unit North) zur Direktion Einsatz. Sie setzt sich aus internationalen Grenzschutzbeamten sowie Zöllnern zusammen und unterstützt die kosovarische Grenzpolizei bei der Aufgabenwahrnehmung an den beiden Übergangsstellen im Norden. Im Wesentlichen versuchen die Beamten unter den bekannten politischen Rahmenbedingungen zur Statusfrage des Kosovo eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen serbischer und kosovarischer Grenzpolizei und Zoll zu fördern.
Die ebenfalls bei EXPOL angesiedelte Direktion Zeugenschutz gewährleistet das Zeugenschutzprogramm für Zeugen in von Executive Police und internationalen Staatsanwälten geführten Verfahren. Der gesetzliche und taktische Rahmen entspricht im Wesentlichen den in Westeuropa und Deutschland bekannten Standards.


Abb. 9 Organisation Executive Police (EXPOL)

Abb. 10 Direktion Ermittlungen (Executive Criminal Investigation Department)

Abb. 11 Direktion Einsatz (Special Police Department)

3.3 Abgrenzung von Zuständigkeiten

Hinsichtlich der Zuständigkeit gilt, dass die örtliche Kosovo Police (Abb. 12) für das gesamte Spektrum polizeilicher Aufgaben im Kosovo verantwortlich zeichnet und die Rolle des sogenannten “1st responder” wahrnimmt, anders ausgedrückt, bei ihr liegt die Originärzuständigkeit. Die Gesamtpersonalstärke von rund 9000 Polizeibeamten für die Bereiche Schutzpolizei, Kriminalpolizei und Grenzpolizei bezogen auf rund 2 Millionnen Einwohner darf nach unseren Maßstäben als mehr als ausreichend bezeichnet werden.
Die Eulex Executive Police (Abb. 13) ist unabhängig von der Kosovo Police und mit eigenen hoheitlichen Befugnissen ausgestattet.
EXPOL kann Ermittlungen eigeninitiativ einleiten, stimmt sich dabei aber – sofern Geheimhaltungsgründe nicht dagegen sprechen – auch mit der Kosovo Police ab. Das Special Police Department leistet einerseits Unterstützung auf Anforderung der Direktion Ermittlungen oder Zeugenschutz oder wird andererseits als sogenannter "2nd responder" tätig. Dies geschieht entweder auf Anfrage der Kosovo Police oder wenn die Kosovo Police zur Lagelösung nicht fähig oder willens ist. Eine besondere Herausforderung stellt diese Rollenzuweisung als 2nd responder für die eingesetzten Beamten bei der Streifentätigkeit im Norden dar. Sie erfolgt koordiniert mit der Kosovo Police, allerdings werden bei Wahrnehmung polizeilich relevanter Ereignisse grundsätzlich keine Maßnahmen getroffen. Dies ist der Kosovo Police als 1st responder vorbehalten. Ein Einschreiten erfolgt nur im Falle einer akuten Bedrohung für Leben und Gesundheit oder bei unabdingbar notwendigen ersten Maßnahmen. Die Streifen indes dienen Executive Police im Wesentlichen zur taktischen Aufklärung und Gewinnung lagerelevanter Informationen.
Darüber hinaus sind die im Kosovo stationierten Nato-Truppen, Kosovo Forces (KFOR) in der Sicherheitsarchitektur zu berücksichtigen (Abb. 14). Die Truppenstärke betrug ursprünglich rund 50000 und beläuft sich mittlerweile auf etwa 4.500. KFOR nimmt auf Grundlage der UN Resolution 1244 die Aufgabe des “3rd responder” ein. Das Mandat sieht im Kern die Gewährleistung der Freizügigkeit sowie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor. Diese Überschneidung mit der Zuständigkeit sowohl der Kosovo Police und als auch der Eulex Executiv Police bedurfte bisweilen schwieriger Abstimmungsprozesse mit KFOR. Dies zeigte sich insbesondere bei Versammlungslagen mit potenziell gewalttätigem Verlauf, da sich die polizeiliche und militärische Einsatzstrategie und –taktik als nahezu unvereinbar erwiesen. KFOR versuchte mit seinen Kapazitäten zur Bewältigung von Demonstrationslagen unabhängig von der Lageentwicklung immer auf maximale Präsenz zu setzen und waren nur schwerlich von polizeilichem lageangepassten Vorgehen gerade im Hinblick auf polizeitaktisch in unterschiedlicher Ausprägung genutzte Präsenz zu überzeugen. Die potenziell gewalteskalierende Wirkung eines kreisenden Hubschraubers auf den Verlauf einer Versammlung oder die Präsenz starker Kräfte unter Nutzung von Nato-Draht zur Sperrung waren beispielsweise nur schwer zu vermitteln. Hierzu war und ist regelmäßig die beratende Intervention des Head of Executive Police erforderlich.

Abb. 12 Kosovo Police


Abb. 13 Executive Police

3.4 Einblicke in Erfahrungen als Head of Executive Police

Der Head of Executive Police trägt die Personal- und Führungsverantwortung für die beschriebenen Organisationsbereiche. Aus der Funktion habe ich regelmäßig an Besprechungen auf der strategischen Ebene sowohl innerhalb als auch außerhalb der Mission teilgenommen so eben an der Koordinierung dienenden Besprechungen mit dem kosovarischen Innenminister als auch dem Leiter der Kosovo Police.
Als einen besonderen Höhepunkt meiner Amtszeit darf die Initiierung und letztliche erfolgreiche Durchführung eines Treffens zwischen dem Leiter der Kosovo Police und der Polizei Serbiens gelten. In einer Vorbesprechung mit dem Leiter der Polizei Serbiens in Belgrad betonte dieser zwar die gute Zusammenarbeit mit Eulex Executive Police konnte aber hinsichtlich der Zusammenkunft mit seinem Amtskollegen ohne politische Rückendeckung keine Zusagen machen. Einmal mehr spielte dabei die Frage der Unabhängigkeit des Kosovo die entscheidende Rolle. Im weiteren Verlauf gelang es mir, den Leiter der kosovarischen Polizei zu überzeugen, dieses erste Treffen im Innenministerium in Belgrad stattfinden zu lassen. Der Vorschlag fand dann auch die Zustimmung des kosovarischen Innenministers und Premierministers.
Die Begegnung selbst lief in überwiegend entspannter Atmosphäre ab, sollte aber noch ein Nachspiel haben. Vereinbarungen über Willensbekundungen zur zukünftigen Zusammenarbeit hinaus, konnten allerdings bei dieser Gelegenheit noch nicht erzielt werden. Die beiden Polizeichefs bekundeten ihren Willen zur Zusammenarbeit abseits der politischen Statusfrage. Das Treffen wurde jedoch durch den serbischen Innenminister politisiert als er am gleichen Tag dazu gegenüber den Medien ein Statement abgab. Er erläuterte, dass der Leiter der Polizei der Provinz Kosovo im Innenministerium in Belgrad Bericht erstattet habe. Es lässt sich leicht vorstellen, auf welche Resonanz dies auf kosovarischer Seite sowohl beim Leiter der Kosovo Police als auch dem Innenminister gestoßen ist. Die folgende Intensivierung der Zusammenarbeit erwies sich dann als sehr schwierig und bedurfte weiterer unablässiger Bemühungen.
Ansonsten war ein wesentlicher Teil der Aufgabenwahrnehmung der Planung und Durchführung des Überganges der verbleibenden Executivaufgaben an die Kosovo Polizei geschuldet. Dies geht zurück auf das von der EU mit den Mitgliedsstaaten abgestimmte und seit Oktober 2014 gültige Mandat, das bis Juni 2016 die Umsetzung einer Rückzugsstrategie für Executive Police aus dem Kosovo vorsieht. Als besondere Herausforderung im Sinne des Veränderungsmanagements stellte sich die aus dem geänderten Mandat resultierende Umorganisation in Executive Police dar, die mit einer massiven Personalreduzierung von etwa 1000 auf 450 Mitarbeiter einherging. Die Implementierung der notwendigen aufbau- und ablauforganisatorischen Anpassungen würde ich im Nachhinein als besonderen Kraftakt bezeichnen, der durch die ohnehin regelmäßigen Personalwechsel internationaler Polizeibeamter noch verschärft wurde.
Einen eigenen Stellenwert hat aber auch die Gesamteinsatzverantwortung des Head of Executive Police und speziell die Fortentwicklung der Einsatzstrategie im Norden. Die kosovarische Polizei im Norden ist als Regionaldirektion fester organisatorischer Bestandteil der Kosovo Police aber nicht frei von der politischen Diskussion um die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo. So würde der Einsatz zentral organisierter Spezialeinheiten oder geschlossener Einheiten der Kosovo Police auf erheblichen Widerstand der serbischen Bevölkerung im Norden stoßen, Straßenblockaden und gewalttätige Übergriffe wären die sichere Folge. Die fehlenden Kapazitäten der Kosovo Police im Norden werden zum Teil durch das Aufgabenspektrum und Kräfte des Special Police Department aufgefangen. Sicher leicht nachvollziehbar, dass sowohl Strategie als auch Einsätze von Executive Police vor diesem Hintergrund einer ständigen und unmittelbaren Abstimmung sowohl mit dem Leiter der Kosovo Police selbst als auch den Leitern Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung der Kosovo Police bedürfen.
Im Rahmen dieser Gesamteinsatzverantwortung liegt ein besonderer Fokus auf der Gewährleistung der Verfügbarkeit jederzeit aktueller lagerelevanter Informationen, die immer auch eine Anpassung und Fortschreibung bestehender taktischer Grundsatzentscheidungen implizieren. Die Brisanz und Dynamik lässt sich am Ertrinken eines albanischen Jugendlichen in Mitrovica festmachen. Er hatte sich mit zwei weiteren Jugendlichen in den Norden der Stadt mit dem Ziel des Diebstahls eines Kampfhundes begeben. Von serbischen Jugendlichen bei der Tat überrascht, wurden sie verfolgt und flüchteten durch den die Stadt trennenden Fluss Ibar. Dabei wurde er von der wetterbedingt starken Strömung mitgerissen und Tage später einige Kilometer flussabwärts tot aufgefunden. Nicht nur das Auftauchen eines Gerüchtes, es seien Schüsse gefallen, sondern auch die Parallelen zu den eingangs erwähnten landesweiten Unruhen in 2004 ließen aus polizeilicher Sicht interethnische Auseinandersetzungen befürchten und erforderten umgehend die lageangepasste Verstärkung der Streifen und Bereitschaftskräfte. Zur Erinnerung, im Jahr 2004 waren drei Kinder im Ibar ertrunken, wozu in den Medien die Falschinformation verbreitet worden war, die Kinder seien von Serben in den Fluss getrieben worden.

Abb. 14 KFOR

 

4. Ausblick


Die Frage der Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo wird für eine kaum absehbare Zeit das Verhältnis von Serbien und Kosovo prägen. Die serbische Regierung sieht sich zwar angesichts der EU-Beitrittsverhandlungen einem gewissen Druck ausgesetzt. Dennoch verlautbaren Vertreter der serbischen Regierung fortgesetzt bei verschiedenen Gelegenheiten, einer Unabhängigkeit des Kosovo unter keinen Umständen zustimmen zu können. So wird diese widerstreitende Diskussion um die Staatlichkeit des Kosovo die kosovarische Regierung bei der dringend notwendigen priorisierten Fokussierung auf die wirtschaftliche Entwicklung behindern. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Lebenssituation der Menschen und damit letztlich auf deren Bereitschaft im Land zu bleiben aus. Darüber hinaus wird der Handlungsdruck durch das Durchschnittsalter der Bevölkerung von rund 29 Jahren und einer Arbeitslosigkeit von mehr als 50 Prozent in der Altersgruppe 15 – 24 verstärkt. Insofern erscheint nachvollziehbar, welchen hohen Stellenwert die bisher durch die EU versagte Visumsfreiheit gerade für die jüngere Generation darstellen würde. Insgesamt lässt sich leicht das Potenzial sozialen Unfriedens aber auch einer steigenden Motivation zum Verlassen des Landes erahnen. Mithin könnte eine dauerhafte Perspektivlosigkeit die bisher ausgesprochen niedrige Anfälligkeit gegen islamisitische Anwerbungsversuche in der überwiegend muslimischen Bevölkerung verändern.
Die gesellschaftliche Entwicklung und letztlich auch die innere Sicherheit stehen in engem Zusammenhang mit der Bereitschaft zu einer Aufarbeitung der Vergangenheit und damit eben auch der Kriegsverbrechen. Dies erscheint als eine besondere Herausforderung als die Veteranen der Kosovo Liberation Army (KLA) von einer Bevölkerungsmehrheit als Helden angesehen werden und maßgebliche Köpfe dieser KLA höchste politische Ämter begleiten sowie mutmaßlich in organisierte Kriminalität und Korruption involviert sein dürften.
Darüber hinaus ist offen, inwieweit das vorhandene nationalistische Gedankengut, das sich an dem Bestreben nach einem Groß-Albanien in Abgrenzung von Serbien festmacht, eine erweiterte Mehrheit finden kann. Derzeit wird diese politische Strömung von der im Parlament vertretenen Partei „Vetevendosje“ mit einem Wähleranteil von rund 14% getragen. Diese Partei lehnt den Pristina-Belgrad-Dialog und somit auch aktuell erzielte Vereinbarungen ab. Das gilt insbesondere für die aktuell beschlossene Etablierung eines Verbundes der serbisch dominierten Kommunen. In einer Debatte zu den entsprechenden gesetzlichen Grundlagen musste jüngst gar das Parlament geräumt werden, da Mitglieder dieser Partei Tränengas als Form des Protests eingesetzt hatten. Für die serbische Bevölkerung gerade im Norden des Kosovo wäre die Stärkung der serbischen Kommunen dagegen ein wichtiger Schritt. Es würde ihnen mithin die Anerkennung des Kosovo erleichtern und damit eine Grundlage für das Vertrauen in kosovarische Sicherheitsbehörden darstellen.
Nahezu parteiübergreifend – zumindest beim kosovo-albanischen Teil umstritten – ist auch die Vereinbarung mit der EU zur Einrichtung eines internationalen Gerichts (Specialist Chamber) zur Verfolgung besonders herausragender Kriegsverbrechen. Hierzu hat sich erst in zweiter Abstimmung eine denkbar knappe Mehrheit im Parlament gefunden. Offensichtlich befürchten auch höchste politische Amtsträger in den Fokus dieses Gerichtes zu geraten. Unverhohlen wird gerade von der nationalistischen Partei gewalttätiger Widerstand angekündigt. Derzeit werden Versuche unternommen, eine breite gesellschaftliche Unterstützung für einen landesweiten Protest zu generien.
Nicht zuletzt lässt die Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen Kosovo und Serbien auf der Ebene Justiz und Polizei einerseits noch viele Fragen unbeantwortet, ist aber andererseits im Hinblick auf die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität auf dem Balkan und im Sinne europäischer Sicherheitspolitik zeitlich drängend.
Zuletzt muss gegenwärtig offen bleiben, welche Auswirkung die geplante Beendigung der EU-Mission Eulex Kosovo zum Juni 2016 für die weitere Entwicklung des Landes haben wird. Es bleibt die Hoffnung, dass die erzielten Ergebnisse gerade im Bereich Polizei als Fundament der Fortentwicklung nachhaltig wirken.

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