Auslandseinsatz in der EU Mission - EULEX Kosovo


3.3 Abgrenzung von Zuständigkeiten

Hinsichtlich der Zuständigkeit gilt, dass die örtliche Kosovo Police (Abb. 12) für das gesamte Spektrum polizeilicher Aufgaben im Kosovo verantwortlich zeichnet und die Rolle des sogenannten “1st responder” wahrnimmt, anders ausgedrückt, bei ihr liegt die Originärzuständigkeit. Die Gesamtpersonalstärke von rund 9000 Polizeibeamten für die Bereiche Schutzpolizei, Kriminalpolizei und Grenzpolizei bezogen auf rund 2 Millionnen Einwohner darf nach unseren Maßstäben als mehr als ausreichend bezeichnet werden.
Die Eulex Executive Police (Abb. 13) ist unabhängig von der Kosovo Police und mit eigenen hoheitlichen Befugnissen ausgestattet.
EXPOL kann Ermittlungen eigeninitiativ einleiten, stimmt sich dabei aber – sofern Geheimhaltungsgründe nicht dagegen sprechen – auch mit der Kosovo Police ab. Das Special Police Department leistet einerseits Unterstützung auf Anforderung der Direktion Ermittlungen oder Zeugenschutz oder wird andererseits als sogenannter "2nd responder" tätig. Dies geschieht entweder auf Anfrage der Kosovo Police oder wenn die Kosovo Police zur Lagelösung nicht fähig oder willens ist. Eine besondere Herausforderung stellt diese Rollenzuweisung als 2nd responder für die eingesetzten Beamten bei der Streifentätigkeit im Norden dar. Sie erfolgt koordiniert mit der Kosovo Police, allerdings werden bei Wahrnehmung polizeilich relevanter Ereignisse grundsätzlich keine Maßnahmen getroffen. Dies ist der Kosovo Police als 1st responder vorbehalten. Ein Einschreiten erfolgt nur im Falle einer akuten Bedrohung für Leben und Gesundheit oder bei unabdingbar notwendigen ersten Maßnahmen. Die Streifen indes dienen Executive Police im Wesentlichen zur taktischen Aufklärung und Gewinnung lagerelevanter Informationen.
Darüber hinaus sind die im Kosovo stationierten Nato-Truppen, Kosovo Forces (KFOR) in der Sicherheitsarchitektur zu berücksichtigen (Abb. 14). Die Truppenstärke betrug ursprünglich rund 50000 und beläuft sich mittlerweile auf etwa 4.500. KFOR nimmt auf Grundlage der UN Resolution 1244 die Aufgabe des “3rd responder” ein. Das Mandat sieht im Kern die Gewährleistung der Freizügigkeit sowie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor. Diese Überschneidung mit der Zuständigkeit sowohl der Kosovo Police und als auch der Eulex Executiv Police bedurfte bisweilen schwieriger Abstimmungsprozesse mit KFOR. Dies zeigte sich insbesondere bei Versammlungslagen mit potenziell gewalttätigem Verlauf, da sich die polizeiliche und militärische Einsatzstrategie und –taktik als nahezu unvereinbar erwiesen. KFOR versuchte mit seinen Kapazitäten zur Bewältigung von Demonstrationslagen unabhängig von der Lageentwicklung immer auf maximale Präsenz zu setzen und waren nur schwerlich von polizeilichem lageangepassten Vorgehen gerade im Hinblick auf polizeitaktisch in unterschiedlicher Ausprägung genutzte Präsenz zu überzeugen. Die potenziell gewalteskalierende Wirkung eines kreisenden Hubschraubers auf den Verlauf einer Versammlung oder die Präsenz starker Kräfte unter Nutzung von Nato-Draht zur Sperrung waren beispielsweise nur schwer zu vermitteln. Hierzu war und ist regelmäßig die beratende Intervention des Head of Executive Police erforderlich.

Abb. 12 Kosovo Police


Abb. 13 Executive Police

3.4 Einblicke in Erfahrungen als Head of Executive Police

Der Head of Executive Police trägt die Personal- und Führungsverantwortung für die beschriebenen Organisationsbereiche. Aus der Funktion habe ich regelmäßig an Besprechungen auf der strategischen Ebene sowohl innerhalb als auch außerhalb der Mission teilgenommen so eben an der Koordinierung dienenden Besprechungen mit dem kosovarischen Innenminister als auch dem Leiter der Kosovo Police.
Als einen besonderen Höhepunkt meiner Amtszeit darf die Initiierung und letztliche erfolgreiche Durchführung eines Treffens zwischen dem Leiter der Kosovo Police und der Polizei Serbiens gelten. In einer Vorbesprechung mit dem Leiter der Polizei Serbiens in Belgrad betonte dieser zwar die gute Zusammenarbeit mit Eulex Executive Police konnte aber hinsichtlich der Zusammenkunft mit seinem Amtskollegen ohne politische Rückendeckung keine Zusagen machen. Einmal mehr spielte dabei die Frage der Unabhängigkeit des Kosovo die entscheidende Rolle. Im weiteren Verlauf gelang es mir, den Leiter der kosovarischen Polizei zu überzeugen, dieses erste Treffen im Innenministerium in Belgrad stattfinden zu lassen. Der Vorschlag fand dann auch die Zustimmung des kosovarischen Innenministers und Premierministers.
Die Begegnung selbst lief in überwiegend entspannter Atmosphäre ab, sollte aber noch ein Nachspiel haben. Vereinbarungen über Willensbekundungen zur zukünftigen Zusammenarbeit hinaus, konnten allerdings bei dieser Gelegenheit noch nicht erzielt werden. Die beiden Polizeichefs bekundeten ihren Willen zur Zusammenarbeit abseits der politischen Statusfrage. Das Treffen wurde jedoch durch den serbischen Innenminister politisiert als er am gleichen Tag dazu gegenüber den Medien ein Statement abgab. Er erläuterte, dass der Leiter der Polizei der Provinz Kosovo im Innenministerium in Belgrad Bericht erstattet habe. Es lässt sich leicht vorstellen, auf welche Resonanz dies auf kosovarischer Seite sowohl beim Leiter der Kosovo Police als auch dem Innenminister gestoßen ist. Die folgende Intensivierung der Zusammenarbeit erwies sich dann als sehr schwierig und bedurfte weiterer unablässiger Bemühungen.
Ansonsten war ein wesentlicher Teil der Aufgabenwahrnehmung der Planung und Durchführung des Überganges der verbleibenden Executivaufgaben an die Kosovo Polizei geschuldet. Dies geht zurück auf das von der EU mit den Mitgliedsstaaten abgestimmte und seit Oktober 2014 gültige Mandat, das bis Juni 2016 die Umsetzung einer Rückzugsstrategie für Executive Police aus dem Kosovo vorsieht. Als besondere Herausforderung im Sinne des Veränderungsmanagements stellte sich die aus dem geänderten Mandat resultierende Umorganisation in Executive Police dar, die mit einer massiven Personalreduzierung von etwa 1000 auf 450 Mitarbeiter einherging. Die Implementierung der notwendigen aufbau- und ablauforganisatorischen Anpassungen würde ich im Nachhinein als besonderen Kraftakt bezeichnen, der durch die ohnehin regelmäßigen Personalwechsel internationaler Polizeibeamter noch verschärft wurde.
Einen eigenen Stellenwert hat aber auch die Gesamteinsatzverantwortung des Head of Executive Police und speziell die Fortentwicklung der Einsatzstrategie im Norden. Die kosovarische Polizei im Norden ist als Regionaldirektion fester organisatorischer Bestandteil der Kosovo Police aber nicht frei von der politischen Diskussion um die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo. So würde der Einsatz zentral organisierter Spezialeinheiten oder geschlossener Einheiten der Kosovo Police auf erheblichen Widerstand der serbischen Bevölkerung im Norden stoßen, Straßenblockaden und gewalttätige Übergriffe wären die sichere Folge. Die fehlenden Kapazitäten der Kosovo Police im Norden werden zum Teil durch das Aufgabenspektrum und Kräfte des Special Police Department aufgefangen. Sicher leicht nachvollziehbar, dass sowohl Strategie als auch Einsätze von Executive Police vor diesem Hintergrund einer ständigen und unmittelbaren Abstimmung sowohl mit dem Leiter der Kosovo Police selbst als auch den Leitern Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung der Kosovo Police bedürfen.
Im Rahmen dieser Gesamteinsatzverantwortung liegt ein besonderer Fokus auf der Gewährleistung der Verfügbarkeit jederzeit aktueller lagerelevanter Informationen, die immer auch eine Anpassung und Fortschreibung bestehender taktischer Grundsatzentscheidungen implizieren. Die Brisanz und Dynamik lässt sich am Ertrinken eines albanischen Jugendlichen in Mitrovica festmachen. Er hatte sich mit zwei weiteren Jugendlichen in den Norden der Stadt mit dem Ziel des Diebstahls eines Kampfhundes begeben. Von serbischen Jugendlichen bei der Tat überrascht, wurden sie verfolgt und flüchteten durch den die Stadt trennenden Fluss Ibar. Dabei wurde er von der wetterbedingt starken Strömung mitgerissen und Tage später einige Kilometer flussabwärts tot aufgefunden. Nicht nur das Auftauchen eines Gerüchtes, es seien Schüsse gefallen, sondern auch die Parallelen zu den eingangs erwähnten landesweiten Unruhen in 2004 ließen aus polizeilicher Sicht interethnische Auseinandersetzungen befürchten und erforderten umgehend die lageangepasste Verstärkung der Streifen und Bereitschaftskräfte. Zur Erinnerung, im Jahr 2004 waren drei Kinder im Ibar ertrunken, wozu in den Medien die Falschinformation verbreitet worden war, die Kinder seien von Serben in den Fluss getrieben worden.

Abb. 14 KFOR