Piratenjagd durch Private

Der Zulassung privater Sicherheitsdienstleister zum Schutz deutscher Seeschiffe als Paradigma für den schleichenden Verfall des staatlichen Gewaltmonopols

Hoheitlich Aufgabenwahrnehmung – ein Wahrnehmungsproblem


Beim sogenannten Anti-Piraten-Gipfel in Berlin im Januar 2010 waren sich die Vertreter der verschiedenen Ministerien, der Gewerkschaften, des Verbandes Deutscher Reeder und der Deutschen Seemannmission einig, dass der Schutz von Schiff und Besatzung eine hoheitliche Aufgabe sei und nicht in die Hände privater Sicherheitsfirmen gelegt werden dürfe. Insbesondere die hauptbetroffenen norddeutschen Küstenländer forderten mit deutlichen Worten den Einsatz von Bundeswehr und Bundespolizei. Der Verband Deutscher Reeder stellte unwidersprochen fest, dass Deutschland nach dem Internationalen Seerechtsübereinkommen sowohl eine Garantenstellung als auch eine damit verbundene Schutzpflicht für deutsche Schiffe habe. Auch auf der 193. Sitzung der Innenministerkonferenz im Dezember 2011 stand der hoheitliche Aspekt noch im Vordergrund. Zumindest in besonderen Situationen sollte eine individuelle Begleitung von deutschen Handelsschiffen in Betracht gezogen werden. Die mögliche Zertifizierung privater bewaffneter Sicherheitsdienste sollte durch die Bundespolizei erfolgen. Hamburg gab eine Notiz zu Protokoll, dass der Schutz von Seeschiffen unter deutscher Flagge eine staatlich, hoheitlich Aufgabe sei. Selbst der Einsatz zertifizierter privater Sicherheitskräfte darf kein Ersatz für fehlendes Engagement des Bundes bei der Bekämpfung der Piraterie sein. Der Einsatz Privater ist allenfalls als Assistenzeinsatz zu verstehen.
Die Festlegung auf die hoheitliche Aufgabenwahrnehmung berührt die Frage des staatlichen Gewaltmonopols. Hierbei handelt es sich um eine Kulturleistung des modernen Verfassungsstaates, durch die der Schutz des Bürgers und die Wahrung des Rechtsfriedens ausschließlich dem Staat übertragen ist, der zur Durchsetzung auch physischen Zwang anwenden darf. Auch wenn die verfassungsrechtliche Begründung mit Bestimmungen des Grundgesetzes unterschiedlich ausfällt und aus der Zusammenschau verschiedener Normen herausgelesen wird, herrscht Einigkeit, dass das exklusive Gewaltmonopol konstituierendes Merkmal souveräner Staatlichkeit ist und diese erst legitimiert. Das nahezu exklusive Gewaltmonopol des Staates begründet andererseits als korrespondierende Verpflichtung eine Schutzpflicht des Staates, die das Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigt hat. Sie verpflichtet aber auch den Gesetzgeber, die Sicherheitsorgane personell und materiell und mit den Handlungsvollmachten auszustatten, dass der Sicherheitsanspruch der Bevölkerung auch durchgesetzt werden kann. Bei der Ausgestaltung der Schutzpflichten steht dem Staat eine weite Einschätzungsprärogative im Rahmen seiner Kapazitäten zu. Einerseits darf nichts Unmögliches verlangt werden, andererseits darf der Staat nicht untätig bleiben, wenn besonders hochwertige Rechtsgüter gefährdet oder verletzt werden. Die Exklusivität hindert den Staat nicht, in eng begrenzten Ausnahmefällen hoheitliche Befugnisse auf Privatrechtssubjekte zu übertragen. Die wird meist mit der Faustformel umschrieben, dass der Staat eine Gewährleistungs-, aber keine Produktionsverantwortung für öffentliche Aufgaben hat. Grundsätzlich gilt aber nach Art. 33 Abs. 4 GG ein Funktionsvorbehalt dahingehend, dass die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen sind, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.
Aus dieser Rechtslage zog der vormalige Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, bereits im Frühjahr 2012 in einem Interview mit dem Bonner „Behörden Spiegel“ die an sich einzige logische Konsequenz: „Im Kampf gegen Piraten ist die Bundespolizei die beste Alternative.“ Sie sei originär präventiv und repressiv zuständig, besitze die nötige Expertise, könne notfalls Mittel des unmittelbaren Zwanges bis hin zum Schusswaffengebrauch einsetzen und gewährleiste nach einer Eingriffssituation den erforderlichen rechtskonformen Verfahrensgang. Außerdem sei in Hinblick auf die überschaubare Zahl der gefährdeten Schiffspassagen auch keine personelle Überforderung der Bundespolizei erkennbar. Bleibt eigentlich nur der Zusatz, dass es vornehmste Aufgabe einer an sich zuständigen Polizeiorganisation ist, dass sie bei Gefahr im Verzuge sofort einschreitet – zumindest dann und solange keine andere Lösung greift. Zwischenzeitlich steigerten nämlich die Seepiraten am Horn von Afrika ihre Attacken, erpressten zunehmend höhere Geldbeträge von Reedereien und Schiffseignern und setzten die als Geiseln genommenen Seeleute unbeschreiblichen Torturen aus.
Das entscheidende Treffen der Ressorts, Verbände und betroffenen Einrichtungen zum Thema Bekämpfung der Seepiraterie fand am 20. Juli 2011 unter Leitung des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie und Koordinator für die maritime Wirtschaft, Hans-Joachim Otto, statt. Die ursprünglichen Hoffnungen verflogen schnell, denn die Bundesregierung erklärte, dass „ein flächendeckender Schutz logistisch, finanziell und operativ nicht möglich“ sei. Wenig später trat dann auch noch der „administrativ-rechtlichen Aufwand“ als Hinderungsgrund dazu. Und schlussendlich wurden dann auch noch personelle Kapazitätsmängel vorgebracht.


Übung „Piraterieeinsatz“ der Bundespolizei (Foto: Bundespolizei)


Die tatsächlichen Bemühungen der Bundesrepublik zur Lösung des Problems, so sie denn überhaupt als solche bezeichnet werden konnten, konterkarierten mithin die schnelle erforderliche Lösung. Statt umgehend und tatkräftig Soforteingriffsteams der Bundespolizei aufzustellen und einzusetzen – wobei man sogar auf die zwischenzeitlich durchgreifend navalisierte GSG 9 hätte zurückgreifen können – fühlte sich zunächst kein Ministerium zuständig, wurde die Zeit mit frucht- und ergebnislosen Gesprächsrunden vertrödelt. National fühlte sich kein Ministerium für die Lösung des Problems zuständig. Vielmehr arbeiten die einzelnen Ressorts im Rahmen ihrer tatsächlichen oder vermuteten Zuständigkeiten nebeneinander her. Erschwerend trat hinzu, dass keine Dringlichkeit zur Lösung des Sicherheitsproblems erkannt oder dieses kurzerhand geleugnet wurde, zum anderen wollte sich kein Ministerium die mit der Lösung der Probleme in diesem Sicherheitssegment verbundenen Rechtsfragen auf den Hals laden. So sah sich, obwohl der amerikanische Think Tank „Oceans Without Piracy“ den durch die Piraten verursachen Schaden allein für das Jahr 2011 mit rund 7 Milliarden Dollar berechnete, die deutsche Sicherheitspolitik jahrelang außerstande, den an sich erforderlichen hoheitlichen Schutz für Schiffe unter deutscher Flagge bereitzustellen. Vielmehr entschloss man sich nach Jahren quälender Diskussionen zu einer Lösung, die zunächst strikt abgelehnt worden war: die Zulassung in- und ausländischer Sicherheitsdienstleister zum maritimen Schutz auf Hoher See.

Das Zulassungsverfahren – der Türöffner für die Bewachungsunternehmen


Die Zulassung von Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen regelt nunmehr das Gesetz zur Einführung eines Zulassungsverfahrens für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen vom 4.3.2013 (BGBl. I S. 362) ergänzt durch die Seeschiffbewachungsverordnung und die Verordnung zur Durchführung der Seeschiffbewachungsverordnung. Mit dem Verfahren, mit dem gesetzgeberisches Neuland betreten wurde, sollen nach Meinung des Gesetzgeber vor allem rechtliche Unsicherheiten beseitigt werden, da die bisherigen Verfahren sich bis dato angeblich in einer rechtlichen Grauzone bewegt hätten.
Das gesamte Zulassungsverfahren, häufig fälschlicherweise als Zertifizierung bezeichnet, übertrug der Gesetzgeber nicht der Bundespolizei, sondern bereicherte das ohnehin bunte Aufgabenportfolio des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) um eine weitere im Grunde wesensfremde Facette. Das BAFA, eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, beschäftigt sich nämlich im Hauptamt mit der Ausfuhrkontrolle, der Durchführung der Einfuhrregelungen der Europäischen Union, der Wirtschaftsförderung für kleinere und mittlere Unternehmen und wird im Bereich der Nutzung erneuerbarer Energien und des Steinekohlbergbaus tätig. Bekannt wurde es bisher lediglich durch die Abwicklung der Abwrackprämie. Affinitäten zur maritimen Kriminalitätsbekämpfung sind hingegen kaum erkennbar, es denn, man subsumiert das Zulassungsverfahren für die Bewachungsunternehmen unter Wirtschaftsförderung für kleine und mittlere Betriebe. Versucht man überhaupt eine sachliche Begründung für diese Aufgabenzuordnung zu finden, so können diese allenfalls historischen Ursprungs sein, denn das Bewachungsgewerbe auf Seeschiffen ist in § 31 der Gewerbeordnung geregelt, die von jeher zu den Regelungsmaterien des Wirtschaftsministeriums gehört. In diesem Gesetzeswerk finden sich nunmehr die Regelungen zur Schiffsbewachung in trauter Nachbarschaft mit Paragraphen, die u.a. die Schaustellung von Personen, Tanzlustbarkeiten und Spielgeräte mit Gewinnmöglichkeiten regeln. Kein Wunder, dass unter diesen Vorzeichen das Sicherheitsgewerbe schon seit langem in Hinblick auf die Besonderheiten ihrer sich ständig erweiternder Aufgabenfelder im Bereich der inneren Sicherheit ein eigenes Sicherheitsgesetz fordert.
Die Bewachungsunternehmen müssen im Zulassungsverfahren, für das Gebühren bis zu 18.000 Euro erhoben werden, darlegen, dass sie besondere Anforderungen an die betriebliche Organisation und ihre Einsatzverfahren sowie an die Qualität ihres Personals erfüllen. Hierfür entstehen noch einmal nicht unbedeutende Kosten. Die Zulassungspflicht gilt ab 1.12.2013 für alle nationalen und internationalen Unternehmen, die Sicherheitsaufgaben auf deutschflaggigen Schiffen wahrnehmen wollen. Die Verpflichtung wurde auch in der angepassten See-Eigensicherungsverordnung festgeschrieben. Die Überprüfung nimmt das BAFA im Benehmen mit der Bundespolizei vor. Die Modalitäten für Erwerb, Besitz und Führen von Waffen und Munition regelt § 28 a Waffengesetz. Der Einsatz von Kriegswaffen ist ausgeschlossen. Die grundsätzliche Zuständigkeit wurde nach § 48 Abs. 1 WaffG der Waffenbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg übertragen.
Der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft begrüßte das Zulassungsverfahren, da er darin nur Vorteile erkannte. Mit dem Gütesiegel des aufwändigen und peniblen Zulassungsverfahrens verbunden mit den hohen Standards, die erfüllt werden müssen, hat man ein Pfund in der Hand, mit sich leicht auf dem großen Markt der nationalen Konkurrenten wuchern lässt. Allerdings wird die Forderung des BDSW an die Reeder, künftig deutsche Unternehmen mit der Bewachung zu beauftragen, vor allem eine Frage der Kosten sein. Auch der neue Präsident des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft, Gregor Lehnert, hat die Zeichen der Zeit erkannt und fordert nicht nur die Übernahme der Zuständigkeiten für die Sicherheitswirtschaft durch die Innenressorts von Bund und Ländern, sondern auch verbindliche Rechtsgrundlagen für private Sicherheitsunternehmen in Form eines eigenen Gesetzes. Allerdings sperren sich das Bundeswirtschaftsministerium und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag gegen die Initiative. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, auch wenn in 25 europäischen Staaten die Sicherheitswirtschaft im Innen- bzw. Justizministerium ressortiert.