Im Zweifel für die Sicherheit?


In der öffentlichen und veröffentlichten Meinung werden Freiheit und Sicherheit häufig als Gegensätze aufgefasst. Der Wunsch nach größtmöglicher Sicherheit einerseits und weitgehender individueller Freiheit andererseits führt zwangsläufig dazu, dass zwischen Freiheit und Sicherheit ein permanentes Spannungsverhältnis besteht. Oftmals entsteht dabei der Eindruck, Sicherheit sei immer nur auf Kosten der Freiheit zu erlangen. Freiheit und Sicherheit konkurrieren zwar miteinander, sie sind deshalb aber keine natürlichen Gegensätze. Vielmehr brauchen sie sich gegenseitig, denn die tägliche Bedrohung unserer freiheitlichen Lebensweise ist keine Schimäre, sondern nur allzu oft brutale Realität. Die Freiheitsrechte brauchen deshalb den verantwortungsbewussten Staat und dessen Repräsentanten, nur in dessen Schutz können sie sich frei entfalten. Die Sicherheit wiederum braucht die Freiheit, da sie ohne Freiheit ihrer Bestimmung beraubt wäre und zur Sicherheit eines totalitären Gebildes degenerieren würde. Verantwortungsbewusste Sicherheitspolitik bedeutet deshalb, die zarte Pflanze der Freiheit immer wieder aufs Neue zu schützen, ihr die nötige Sicherheit zu geben, damit sie sich entfalten und wirken kann. Vorrangige Aufgabe des demokratischen Staates muss es sein, die Freiheitsrechte und Sicherheitsbedürfnisse des Einzelnen und der Gemeinschaft miteinander in Einklang zu bringen. Der Bürger muss sich im Rechtsstaat auf effektiven Schutz durch den Staat ebenso verlassen können wie auf den Schutz vor dem Staat. Nur wenn das Wechselspiel zwischen verantwortungsbewusster Freiheit und verantwortungsbewusster Sicherheit funktioniert, können wir frei von einer die absolute Wahrheit beanspruchenden Religion oder Ideologie und somit frei von einem totalitären, diktatorischen Staat leben.
Dennoch läuft die Freiheit auch im demokratischen Rechtsstaat immer wieder Gefahr, zu Gunsten der Sicherheit einge- und beschränkt zu werden. Die bundesrepublikanischen Parteienverbote der 1950er Jahre gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), die Notstandsgesetzgebung Ende der 1960er Jahre oder der sogenannte Radikalenerlass zu Beginn der 1970er Jahre symbolisieren bis heute das Spannungsverhältnis, in dem sich Freiheit und Sicherheit auch bei uns bewegen. Vor dem Hintergrund der mit den Ereignissen vom 11. September 2001 verbundenen Herausforderungen haben zudem Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen auch in demokratischen Gesellschaften eine neue Qualität bekommen. Es ist der Ausbau präventiver Sicherheitsmaßnahmen, vor allem der Streit um die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung, und in jüngster Zeit die Debatte um die Abhörmaßnahmen der National Security Agency (NSA), die die Diskussionen um Sinn und Unsinn unserer Sicherheitsarchitektur befeuern. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unsere Demokratie auch Gefahr läuft, die Freiheit vor ihren Gegnern auf Kosten der Freiheit zu schützen.
Sicherheit bedeutet aber für den Bürger nicht nur innere und äußere Sicherheit, sondern vor allem auch soziale Sicherheit. Gerade beim Stichwort „soziale Sicherheit“ wird aber deutlich, welchen Stellenwert die Freiheit für den Einzelnen oftmals hat. Folgt man den Ergebnissen einer Umfrage, die die renommierte Körber-Stiftung im Auftrag des Auswärtigen Amtes durchgeführt hat, so zählen nur 16 Prozent der Befragten die Freiheit zu ihrem Wertekanon. Schaut man auf die öffentliche und veröffentlichte Meinung, so gewinnt man leicht den Eindruck, dass die Freiheit zwar für die meisten Bürger ein schützenwertes Gut ist. Geht es aber um die Besitzstandswahrung, so muss in der Praxis die Freiheit zugunsten der sozialen Sicherheit nur allzu oft ins zweite Glied zurücktreten. Denn nur allzu leicht wird den materiellen Bedürfnissen Vorrang vor den ideellen Werten eingeräumt. Bundespräsident Joachim Gauck hat diese Haltung dazu veranlasst, in seinem Buch Freiheit. Ein Plädoyer ironisch den Artikel 1 des Grundgesetzes in „Die Besitzstandswahrung ist unantastbar“ abzuändern.
Im Zweifel für die Sicherheit? Nein, die Sicherheit kann nicht die Freiheit ersetzen. Die Werte einer offenen und demokratischen Gesellschaft dürfen nicht für eine (vermeintliche) Sicherheit geopfert werden. Sicherheit darf niemals die Freiheit ersticken und eine Friedhofsruhe nach sich ziehen, wie es in manchen autoritären oder gar diktatorischen Systemen nur allzu oft Gang und Gebe ist. Würden wir dieses zulassen, wären wir in nicht allzu ferner Zeit nicht anders als diejenigen, die unsere Freiheit bedrohen. Ein Blick in die jüngste deutsche Geschichte lässt hoffen, dass auch wir sicherheitsbewussten Deutschen durchaus den Stellenwert von Freiheit erkannt haben. Erinnert sei hier vor allem an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR und an die friedliche Revolution vom Herbst 1989.Sicherheit und Freiheit sind aber auch keine Antipoden und sollten auch nicht als solche behandelt werden. Vielmehr sind sie zwei Seiten einer Medaille. Allen Widrigkeiten zum Trotz befinden sich beide grundsätzlich in einem kreativen Spannungsverhältnis, wobei die Sicherheit quasi die Voraussetzung für die Freiheit bildet. Es ist die Verantwortung, die beide miteinander verbindet. Freiheit und Sicherheit brauchen die Verantwortung, denn ohne sie sind beide letztlich nur lose Worthülsen. Erst wenn der Staat und seine Bürger verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen wissen, können sie zum Wohle aller ihre ganze Kraft entfalten.

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