Die polizeibezogenen Empfehlungender StPO-Expertenkommission zur praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens

9. Einstellung von Strafverfahren, die nur der Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche dienen


Die Expertenkommission empfiehlt :„Die Möglichkeit, zivil- oder verwaltungsrechtliche Vorfragen vor Anklageerhebung im Zivil- oder Verwaltungsrechtsweg klären zu lassen, sollte auf alle Fälle erweitert werden, in denen die Erhebung der öffentlichen Klage in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht vom Bestehen oder Nichtbestehen einer nach Zivil- oder Verwaltungsrecht zu beurteilenden Rechtsposition abhängt. Voraussetzung hierfür sollte sein, dass dem Anzeigeerstatter die Rechtsverfolgung im Zivil- oder Verwaltungsrechtsweg möglich und zumutbar ist, die Schwere der Schuld oder das öffentliche Interesse nicht entgegensteht und das für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständige Gericht zustimmt.“
Die derzeitige Rechtslage eröffnet der Staatsanwaltschaft mit § 154d StPO die Option einer Verfahrenseinstellung, wenn die Erhebung der Strafklage von einer zivil- oder verwaltungsrechtlichen Frage abhängt und der Anzeigeerstatter eine von ihr gesetzte Frist zur Klageerhebung im Zivil- oder Verwaltungsprozess ungenutzt verstreichen lässt. Die Kommission schlägt die erhebliche Erweiterung der Norm mit dem Ziel vor, diejenigen Fälle zu erfassen, in denen die staatliche Materialsammlung für zivil- oder verwaltungsrechtliche Prozesse die einzige Intension des Anzeigeerstatters ist, ein echtes Strafverfolgungsinteresse bei ihm also offensichtlich nicht besteht. Der Vorschlag wird durch den Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer befürwortet.
Eine solche sehr begrüßenswerte Regelung könnte die Polizei insbesondere bei den sog. Inkasso-Fällen entlasten, in denen die Strafanzeige nur dem Zweck dient, den Druck auf den säumigen Schuldner zu erhöhen und ihn so zur Erfüllung einer tatsächlich oder vermeintlich bestehenden Forderung zu bewegen. Wenn eine solche Strafanzeige unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft einginge, etwa die Anzeige eines Sportstudiobetreibers gegen einen säumigen Kunden, könnte dort dann frühzeitig das Verfahren eingestellt werden. Sollte die Anzeige allerdings bei der Polizei eingehen, würde die angestrebte Ressourcenschonung bei ihr nur dann eintreten, wenn eine sehr frühe und enge Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft erfolgt. Sinnvoll könnte ein Kriterienkatalog etwa in der RiStBV sein, der vorgibt, in welchen Fällen die Anzeige vor Aufnahme der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vorgelegt und ihr die Möglichkeit einer vorübergehenden oder endgültigen Einstellung gegeben werden soll.

10. Erweiterte Verlesungsmöglichkeit im Hauptverfahrenfürnichtrichterliche Vernehmungsprotokolle


Die Expertenkommission empfiehlt: „Die Verlesung von Niederschriften über die nichtrichterliche Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten sollte in der Hauptverhandlung auch zulässig sein, wenn der unverteidigte Angeklagte dem nach Belehrung zustimmt und die Verlesung lediglich der Bestätigung des Geständnisses dient.“
Bei nicht verteidigten Angeklagten ist derzeit die Verlesung von Protokollen über die nichtrichterliche Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen und Mitbeschuldigten nur stark eingeschränkt und damit sehr selten möglich. Eine Aufweichung des Grundsatzes der umfassenden Überprüfung von Geständnissen durch Einbringung von nichtrichterlichen Vernehmungsprotokollen nach entsprechender Belehrung und Zustimmung des Angeklagten könnte insbesondere in den Strafverfahren vor den Amtsgerichten zu einer Entlastung der Polizei führen. Bei geständigen Angeklagten und eindeutigem Sachverhalt könnte auf diese Weise die Vernehmung von Polizeibeamten in der Hauptverhandlung in vielen Fällen entbehrlich oder wenigstens stark verkürzt werden. Daher ist dieser Vorschlag aus der Sicht der Polizei zu begrüßen.
Der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer ist anderer Auffassung. Dort wird die Gefahr gesehen, dass der nicht verteidigte Angeklagte die Tragweite seiner Zustimmung nicht erkennt. Diese Gefahr kann nicht bestritten werden. Allerdings obliegt es dem Richter, den Angeklagten entsprechend aufzuklären und ihm so eine tragfähige Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Das zeigt auch der Vergleich mit der Rechtsmittelbelehrung: Selbstverständlich muss auch bisher schon allen Verurteilten eine Rechtsmittelbelehrung erteilt werden, obwohl es auf der Hand liegt, dass unverteidigte Verurteilte die Belehrung in den meisten Fällen nicht verstehen und die Fristen für die Einlegung von Rechtsmitteln von einer Woche nach Urteilsverkündung (§§ 314 Abs. 1, 341 Abs. 1 StPO) so kurz sind, dass die Möglichkeiten zur Beratung mit einem Rechtsanwalt – zumal ohne Schriftfassung des Urteils – begrenzt sind.

11. Fazit


Die meisten die Polizei betreffenden Vorschläge zur Änderung des Strafverfahrensrechts erscheinen sinnvoll und könnten im Fall ihrer Umsetzung die Arbeit der Polizei erleichtern oder Zeit einsparen. Sie sind daher überwiegend zu begrüßen. Anders ist es nach hier vertretener Auffassung bei dem Vorschlag zum Wegfall des Richtervorbehalts bei Blutentnahmen aus Anlass eines Straßenverkehrsdelikts, wobei diese Idee schon länger und auch sehr kontrovers diskutiert wird.
Ein erster, hier aber nicht bekannter Gesetzesentwurf zur Änderung der StPO soll den Landesjustizverwaltungen Anfang des Jahres 2016 zur Prüfung und Stellungnahme übersandt worden sein. Insoweit bleibt abzuwarten, ob und gegebenenfalls welche Änderungen kommen und wie sie tatsächlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet werden. Vielleicht kann die Polizei schon ab Mitte des Jahres 2017 von einem etwas vereinfachten Strafverfahrensrecht profitieren.

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