Die Kriminalität der Wirtschaft

Prävention durch Frauen und Compliance

 

Von Prof. Dr. jur. Kai-D. Bussmann, Halle1

 

1 Die Gier


In den vierziger Jahren wurde von Edwin Sutherland bereits der Begriff der „White-Collar Crime“ geprägt, um auch statushohe Tätergruppen in den Fokus der Kriminologie und Strafverfolgung zu rücken.2

Mittlerweile setzte sich eine Unterscheidung durch, die zwischen Occupational Crime (eigennützige Berufskriminalität) und Corporate Crime (zugunsten des Unternehmens) differenziert, um auch die Kriminalität von Unternehmen in den Blick zu nehmen.3 Wir haben uns durch die Medienberichte und – nicht erst seit „Dieselgate“ – daran gewöhnt, dass Unternehmen ihre Kunden und die Gesellschaft durch Wirtschaftsdelikte wie Betrug, Korruption oder Kartelldelikte und Datendiebstahl schädigen. Es gibt jedoch auch eine dunkle Seite in der Wirtschaft, die es seltener schafft in die Medien zu gelangen: Kriminalität gegen Unternehmen. Befragt man Unternehmen nach der Herkunft der Täter, so stammt etwa Hälfte die Täter aus dem eigenen Unternehmen.4



Abb. 1: Beziehung der Täter zum geschädigten Unternehmen5


Hinsichtlich der Merkmale von Occupational und Corporate Criminals ist bemerkenswert, dass sie in der Regel vor ihrer Tat weder gesellschaftlich noch strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Auch lassen sich ihre Straftaten nicht durch wirtschaftliche, soziale oder psychische Defizite erklären, worauf die „Straßenkriminalität“ zumeist zurückgeführt werden kann.6

Zwar handelt es sich, anders als der ursprüngliche „White-Collar Crime“ Begriff suggeriert, keinesfalls um feingekleidete Eliten, sondern ein großer Teil der Occupational Criminals stammt aus unteren und mittleren Berufsrängen (Abb. 2). Nur bei Corporate Criminals handelt es sich aufgrund ihrer Entscheidungskompetenz überwiegend um Führungskräfte (49%), sie begehen die „Raubzüge“ gegen andere Unternehmen und/oder ihre Kunden.

Angesichts der überdurchschnittlichen Gehälter und Bonusvergütungen im Senior- und Topmanagement verblüfft, dass es sich bei Straftaten gegen das eigene Unternehmen in 25% der Fälle um eine Person aus der obersten Führungsebene gehandelt hat. Sicherlich sind mit höheren Positionen attraktivere und leichtere Begehungsmöglichkeiten verbunden, aber wohl auch bloße Gier.7



Abb. 2: Position des internen und externen Haupttäters8

 

2 Einige sind gleicher als gleich: Strafanzeigen


Wir wissen aus Unternehmensbefragungen, dass mit steigendem Status der internen Täter die Wahrscheinlichkeit einer Strafanzeige oder zivil- bzw. arbeitsrechtlichen Reaktion sinkt. So wurden gegenüber Tätern aus dem eigenen Topmanagement seltener eine Strafanzeige gestellt (33%) als aus dem mittleren Management (49%) und anderen Beschäftigten (54%). Auch wurden gegenüber Topmanagern häufiger überhaupt keine Konsequenzen gezogen (20%; mittleres Management: 0%; andere Beschäftigte: 7%).9 Zur Strafanzeige kommen leichter kleinere Fälle, während die großen Wirtschaftsdelikte von Führungskräften überwiegend intern geregelt werden.

Überhaupt sind Strafanzeigen trotz durchaus hoher Schadenssummen keinesfalls die Regel. Zwar trennt man sich nach den Angaben der geschädigten Unternehmen in aller Regel von den Beschäftigten (Kündigung 87%), aber eine Strafanzeige erfolgte selbst bei gravierenden Wirtschaftsdelikten nur in etwa zwei Drittel der Fälle (Abb. 3). Immerhin häufiger als vor sechs Jahren, denn lange Zeit kam allenfalls jedes zweite gravierende Wirtschaftsdelikt zur Anzeige. Mit anderen Worten, die polizeiliche Ermittlung wird großenteils außerhalb der Werkstore gehalten. Allerdings lässt sich insofern ein Vergleich zur Kriminalität in Familien ziehen – auch einem relativ abgeschlossenen System. Auch hier wissen wir, das Meiste, vor allem der familialen Gewalt- und Sexualkriminalität, bleibt vor der Öffentlichkeit verborgen.10



Abb. 3: Konsequenzen gegenüber internen Haupttätern 2011-201711


Übrigens werden die Gründe für das Nichterstatten einer Strafanzeige nicht mit unzureichenden fachlichen Kompetenzen der staatlichen Ermittler (2%) oder zu geringen betriebswirtschaftlichen Kompetenzen begründet (4%). Der Verlust der Kontrolle über die eigene Ermittlungstätigkeit spielt sicherlich eine Rolle (15%), aber am häufigsten wurden schnellere Aufklärung durch interne Untersuchungen mittels eigener oder externer Ermittler (37%) genannt, zu hohe Publizitätsrisiken aufgrund mangelnder Vertraulichkeit (32%) und Vermeidung von Unruhe im Unternehmen (27%).12 Polizeiliche Ermittlungen stören vielfach, wen wundert’s?

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