Assistierter Suizid – Ein Problem für die Polizeiarbeit?

Von KHK a.D. Rolf Strehler, Aschersleben

 

Es gehört zu den Aufgaben von Polizeibeamten, bei einem Verdacht des Suizids den Leichenfundort aufzusuchen. Zunehmend in den öffentlichen Fokus ist die Frage gerückt, ob es künftig für Suizidwillige die Möglichkeit geben wird, sich auf ihre Bitte hin bei der Ausführung ihres geplanten Vorhabens assistieren zu lassen. Egal wie die Diskussion ausgeht, es bleibt ein „nicht-natürlicher“ Todesfall. Deshalb soll das Thema in diesem Beitrag aus kriminalistischer Sicht beleuchtet werden, ohne allerdings den Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu erheben.

 

 

1 Einleitung


Nachfolgender Sachverhalt, der den Verfasser vor etwa 15 Jahren nachdenklich gestimmt hatte, soll der Einstimmung dienen:


Ein Ehepaar hatte gemeinsam 59 glückliche Jahre verbracht. Die Ehe war kinderlos geblieben, es gab keine nahen Verwandten. Plötzlich erkrankte die Frau sehr schwer. Nach einer gemeinsamen Zeit des Kampfes gegen das Unvermeidliche wurde klar, dass sie in einer Pflegeinrichtung untergebracht werden musste. Die beiden Senioren hatten sich gegenseitig geschworen, den anderen aus hilfloser, aussichtsloser Lage, zu erlösen, wenn es keinen anderen Weg geben sollte. Das gegenseitige Versprechen, den Partner nicht unerträglich leiden zu lassen, umfasste auch die Suizidhilfe. Damals waren solche Begriffe wie Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Palliativmedizin noch nicht so im öffentlichen Bewusstsein, wie man das heute kennt. Der Mann besuchte in der Folge täglich seine schwerkranke Frau. Sie lag nur noch auf dem Rücken und blickte ihn an. Allein konnte sie sich nicht mehr bewegen. Die Kommunikation wurde täglich schwieriger. Eines Tages, nachdem die Frau ihn wiederholt gebeten hatte, ihr beim Suizid zu helfen, hielt er es nicht mehr aus und fasste einen folgenschweren Entschluss. Er legte seiner Frau ein großes Kissen auf das Gesicht und verließ unbemerkt den Raum. Zufällig, unmittelbar danach, betrat eine Pflegekraft das Zimmer. Klar erkennend, dass die Patientin nicht fähig gewesen war, sich das Kissen selbst aufzulegen, beendete sie den Erstickungsvorgang im allerletzten Moment. Zeugen hatten den Mann beim Verlassen der Einrichtung gesehen. Der Vorfall wurde umgehend bei der Polizei zur Anzeige gebracht. In seiner Vernehmung ließ der Beschuldigte sich geständig zur Sache ein. Juristisch und statistisch war die Sache klar, wir hatten den Versuch eines Tötungsdelikts geklärt.


Es stellt sich die Frage, warum manche Menschen im Suizid die einzige Lösung ihrer Probleme sehen. Muss es verboten sein, ihnen dabei zu helfen? Hatte es im Beispielsfall wirklich keinen anderen Weg für den Mann gegeben? Welche Alternativen würden ihm und seiner Ehefrau heute zur Verfügung stehen?


Dieser Beitrag will die vielfältigen Hilfsalternativen und -angebote, welche suizidwilligen Personen zur Verfügung stehen, sowie die bedeutenden Fortschritte in der Palliativmedizin nicht aufzählen, abwägen oder auch ignorieren. Inspiriert durch das TV-Kammerspiel „Gott“, soll die hypothetische Frage im Mittelpunkt stehen, welche Auswirkungen ein legal assistierter Suizid auf die Arbeit der Polizei haben könnte. Ein Paradigmenwechsel in Deutschland bahnt sich vorsichtig seinen abwägenden Weg durch die zahlreichen gesellschaftlichen, staatlichen und religiösen Instanzen. Die Anzahl der Wortmeldungen zu diesem Thema in den Medien nimmt zu. Unter den Protagonisten, die sich öffentlich äußern, findet man zunehmend prominente Namen. Am Ende der Debatten sollten transparente, rechtsstaatlich genormte Regularien entstehen. Diese müssten klare Voraussetzungen definieren, wie das eigene Leben selbstbestimmt und in Würde durch passiv oder aktiv assistierten Suizid beendet werden kann. Die nachfolgenden und weitere Fragen sind in diesem Kontext zu erörtern und zu beantworten. Soll die Hilfe durch Dritte legalisiert werden, wenn ein Mensch aus freiem Entschluss sein Leben beenden will? Unter welchen Umständen kann er mit der gewünschten Unterstützung rechnen? Wer wäre in solch einem Fall autorisiert dem Wunsch zu entsprechen, ohne sich selbst strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen? Wie soll das Prozedere ablaufen? Können bestimmte Personen bzw. Berufsgruppen verpflichtet werden, bei einem Suizid zu helfen?

 

2 Beurteilung durch das BVerfG2


Vereinfacht dargestellt hat jeder Bürger das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und die Freiheit, sich das Leben zu nehmen. Dies ist von Staat und Gesellschaft zu respektieren. Dazu gehört auch die Freiheit, sich zum Suizid bei Dritten Hilfe zu suchen und angebotene Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Widerspruch dazu wurde in der Fassung des § 217 Abs. 1 StGB (Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung) aus dem Jahre 2015 gesehen. Die Regelung ließ dem Einzelnen, so die Auffassung des BVerfG, faktisch keinen Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit.3 Gemeint war damit das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben. Die Vorschrift wurde deshalb als mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklärt. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung muss strikt verhältnismäßig sein. Bei assistierter Selbsttötung kollidiert das individuelle Recht sich selbst zu töten und hierfür Unterstützung zu suchen u.a. mit der Pflicht des Staates, die persönliche Autonomie und das hohe Rechtsgut Leben zu schützen. Strafrechtliche Mittel zum Schutz dieser hohen Rechtsgüter sieht das BVerfG als gerechtfertigt an, verlangt aber, dass „trotz Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt.“ Abschließend stellt das Gericht zweifelsfrei fest, dass niemand zur Suizidhilfe verpflichtet werden kann.


In Deutschland ist der Prozess der intensiv geführten Auseinandersetzungen um legalisierte, aktive Sterbehilfe noch nicht abgeschlossen und gewinnt an Dynamik, was davon zeugt, dass man sich der Tragweite einer finalen Entscheidung wohl bewusst ist. Ferdinand von Schirach hatte sich mit dem TV-Kammerspiel „GOTT“4 an dieses Tabuthema herangewagt. Der Autor hatte einen alten aber körperlich gesunden Mann, der den Verlust seiner geliebten Ehefrau nicht verwinden konnte, in den Mittelpunkt gerückt. Im Suizid den einzigen Ausweg sehend, war dieser mit der Bitte an seinen Arzt herangetreten, ihm ein todbringendes Medikament zu überlassen. In einer fiktiv gespielten Sitzung des Ethikrates legten u.a. hochrangige Ärzte, Juristen, Politiker und Kirchenvertreter die gegenwärtig dominierenden Sichtweisen auf diese Thematik dar. Am Ende votierten 70,2% der Fernsehzuschauer dafür, der Arzt möge dem Lebensmüden das tödliche Medikament verabreichen. Dieses Ergebnis lässt vermuten, dass der Wunsch nach einem selbstbestimmten, würdevollen Lebensabschluss in breiten Bevölkerungsschichten ausgeprägt ist. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass der alte Mann aus medizinischer Sicht noch eine positive Lebensprognose hatte. Sein Suizidwunsch hatte rein seelisch-psychische Ursachen, was für den Arzt natürlich unakzeptabel sein musste. Eine folgerichtige Frage der begleitenden Diskussionen war, ob man einem Arzt zumuten kann, ein solches Ansinnen im Widerspruch zu seinem Berufsethos zu erfüllen. Aus der Ärzteschaft war der Tenor zu erkennen, dass sie in bestimmten Fällen für das Ansinnen lebensmüder Suizidkandidaten durchaus Verständnis haben, sich jedoch als die falschen Ansprechpartner sehen. Es wird nach Alternativen gefragt. Jeder Arzt dürfte sich mit solchen Fragen konfrontiert sehen. Der Vergleich zu einem Feuerwehrmann, der absurder Weise gebeten wird ein bewohntes Haus anzuzünden, drängte sich dem Verfasser dieses Beitrags auf. Es wurde aber auch sehr deutlich, wie facettenreich und widersprüchlich sich die Pro- und Kontra-Argumente auf der Suche nach einem Kompromiss durch die Gesellschaft ziehen. Der interessierte Beobachter wird feststellen, dass prominente Persönlichkeiten zunehmend darüber nachdenken, allgemeinverbindliche, rechtsstaatlich abgesicherte Kriterien für den Umgang mit dem Wunsch suizidwilliger Personen auf selbstbestimmten Abschied zu entwickeln. „Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte bin ich aus schwerwiegenden Gründen und nach reiflicher Überlegung zu der Entscheidung gekommen mein Leben zu beenden. Bitte helft mir dabei!“ So ähnlich könnte die Motivlage eines Menschen beschrieben werden, der um assistierten Suizid ersucht. Dabei geht es u.a. auch um professionelle Beratung, ohne einem Sterbehilfeverein beitreten zu müssen. Kurz gesagt, es geht um eine transparente Regelung der Sterbehilfe.

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