Wirtschaftskriminalität

Lage und Herausforderungen

 

10 Gefährdungspotenzial durch Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung


Ein nicht im Rahmen des Bundeslagebildes Wirtschaftskriminalität 2017 thematisiertes, gleichwohl hinsichtlich des Gefährdungspotenzials beachtliches Phänomen umfasst Delikte der Wirtschaftsspionage und der Konkurrenzausspähung. Die statische Erfassung von Wirtschafsspionage und Konkurrenzausspähung ist einerseits durch ein doppeltes Dunkelfeld und ein verdecktes Hellfeld charakterisiert. Dadurch werden die Aussagen über den Umfang, die Schäden und die Begehungsweisen erheblich erschwert. Teilweise bemerken betroffene Unternehmen den illegalen Verlust von Informationen überhaupt nicht. Die Straftaten bleiben somit im absoluten Dunkelfeld, wenn etwa ein Mitarbeiter unerlaubt Daten auf einen USB-Stick speichert und an ein konkurrierendes Unternehmen weitergibt. Selbst wenn ein Vorfall bemerkt wird, erstatten viele Unternehmen keine Strafanzeige (relatives Dunkelfeld). Bei den angezeigten und in die PKS eingeflossenen Fällen kann es zu einem verdeckten Hellfeld kommen, indem ein Vorfall nicht als Verrat eines Geschäftsgeheimnisses erkannt wird.


Als Täter kommen Mitarbeiter von Nachrichtendiensten anderer Staaten, eines anderen Unternehmens, ebenso wie Dritte oder eigene Mitarbeiter in Frage. Der Phänomenbereich ist trotz seines hohen Schadenspotentials bislang unzulänglich erforscht. Mit dem Projekt „Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung in Deutschland und Europa (WISKOS)“ wurde dieser bislang nur rudimentär untersuchte Phänomenbereich systematisch und mit verschiedenen methodischen Ansätzen analysiert. Das im Zeitraum von 2015 bis 2018 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt wurde von einem Forschungsverbund durchgeführt, dem das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht und das Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung angehörten. Als assoziierte Partner nahmen am Projekt das BKA, das Landeskriminalamt Baden-Württemberg und die Hochschule der Sächsischen Polizei mit ihrer Expertise teil.22

 

 

11 Zusammenfassung

 

Dieser Beitrag konnte nur einige Aspekte, die sich u.a. auf das Gefahrenpotenzial von Wirtschaftsstraftaten bezogen, beleuchten. In der polizeilichen Praxis hat, so die eigene Wahrnehmung aus vielen Jahren Führungsverantwortung u.a. bei der Bekämpfung der Wirtschafts- und Organisierten Kriminalität nicht immer den herausgehobenen Stellenwert, den das Phänomen im gesellschaftlichen Kontext verdienen würde. Betrachtet man allein das im Text kurz skizzierte Ermittlungsverfahren des LKA Sachsen, ergeben sich viele Gründe, daran etwas zu ändern. Einen beachtlichen Beitrag könnte etwa das Bundeskriminalamt leisten, wenn es den Deliktsbereich nach zuletzt 200823 wieder einmal auf die Agende einer Herbsttagung setzen würde.

 

Anmerkungen

 

  1. Leitender Kriminaldirektor a.D. Ralph Berthel studierte Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 2001 bis 2005 war er Dozent für Kriminalistik an der damaligen PFA in Münster-Hiltrup (heute: DHPol). Von 2005 bis 2013 leitete er die Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg/O.L. und unterrichtete Kriminalistik im Masterstudiengang „Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement“. Von 2013 bis 2015 leitete er das Projekt „Die sächsische Polizei im digitalen Zeitalter - Die Nutzung von sozialen Netzwerken und von Mobilfunk-Applikationen (Polizei-App) durch die sächsische Polizei (DigiPol)“. Von 2015 bis 2019 war Ralph Berthel Abteilungsleiter im LKA Sachsen. Er ist Ehrenprofessor (Pocetnyi Professor) der Belgoroder Juristischen Hochschule des Ministeriums des Innern Russlands, Dozent im Masterstudiengang Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und Modulverantwortlicher im Masterstudiengang Kriminalistik an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Der Autor ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik e.V. Erreichbarkeit: [email protected].
  2. Weiterhin werden der Wirtschaftskriminalität Taten zugerechnet, die zwar nicht vorbehaltlos Wirtschaftsstraftaten sind, jedoch einer entsprechenden Professionalität in der Begehung bedürfen. Dies sind Delikte, die im Rahmen tatsächlicher oder vorgetäuschter wirtschaftlicher Betätigung begangen werden und über eine Schädigung von Einzelnen hinaus das Wirtschaftsleben beeinträchtigen oder die Allgemeinheit schädigen können und oder deren Aufklärung besondere kaufmännische Kenntnisse erfordern. Insbesondere Straftaten aus strafrechtlichen Nebengesetzen sind unter dieser Betrachtungsweise zu bewerten.
  3. Sutherland, White-Collar Criminality, American Sociological, 1, 2/1940, S. 4.
  4. Berthel, Aktuelle Herausforderungen bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie, 2003, S. 14.
  5. PSB, 2001, Bundesministerium des Innern, Bundesministerium der Justiz, Berlin, S. 133.
  6. Berthel, Im Osten etwas Neues? Lagedarstellung im Bereich Wirtschaftskriminalität in einem neuen Bundesland und Überlegungen zu Bekämpfungsansätzen bei Wirtschaftsdelikten, der kriminalist, 2/2000, S. 79 sowie Berthel, 2003, S. 15f.
  7. Während des Erstellens des Beitrages lag dem Verfasser erst das Lagebild 2017 (https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Wirtschaftskriminalitaet/wirtschaftskriminalitaet_node.html, Stand, 20.6.2019) vor.
  8. Bundeskriminalamt, Wirtschaftskriminalität Bundeslagebild 2017, S. 3.
  9. Betrugsstraftaten werden nur dann der Wirtschaftskriminalität zugerechnet, wenn sie die in § 74c Abs. 1 Nr. 1 bis 6b GVG der EN 2 dargestellten Kriterien erfüllen.
  10. Bundeskriminalamt, Wirtschaftskriminalität Bundeslagebild 2017, S. 5.
  11. PSB, a.a.O. S. 151.
  12. PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft/Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Wirtschaftskriminalität 2018, Mehrwert von Compliance - forensische Erfahrungen, www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf, Stand: 22.6.2019.
  13. Berthel/Lapp, Kriminalstrategie, 2017, S. 95.
  14. PSB, a.a.O. S. 134.
  15. See, Bedrohungspotenzial für Staat und Gesellschaft in der organisierten Wirtschaftskriminalität, in: Rechtliche und strategische Aspekte der Kontrolle der organisierten Wirtschaftskriminalität, Polizei-Führungsakademie, Münster, 2001, S. 115.
  16. Berthel, 2003, S. 23f.
  17. Knecht, Das Persönlichkeitsprofil des Wirtschaftskriminellen, Kriminalistik, 2006, S. 201-205; Schuchter, Persönlichkeitsprofile von Wirtschaftsstraftätern – Bedeutung für die Prävention dieser Handlungen in Unternehmen, ZRFC Zeitschrift Risk, Fraud & Compliance, 2010, > mehr, Abruf: 23.6.2019.
  18. Hare, Psychopaths and their nature, In: Raine, Violence and psychopathy2001, S. 5-34.
  19. Müller, Persönlichkeitsprofile von Wirtschaftsstraftätern, Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik, 2010.
  20. PWC, Wirtschaftskriminalität in Deutschland: CEO-Fraud wird zum Massendelikt, obwohl Compliance Programme insgesamt Wirkung zeigen, www.pwc.de/de/risk/wirtschaftskriminalitaet-in-deutschland-ceo-fraud-wird-zum-massendelikt-obwohl-compliance-programme-insgesamt-wirkung-zeigen.html, Stand: 23.6.2019.
  21. Bundeskriminalamt, CEO-Fraud – Warnhinweis, www.bka.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Expertensuche_Formular.html, Stand: 23.6.2019.
  22. Ausführlich dazu: BKA, Projekt „Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung in Deutschland und Europa“ (WISKOS), www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/Spionage/WISKOS/WISKOS.html (Stand: 23.6.2019 sowie Knickmeier/Bruhn, Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung in Deutschland und Europa, erscheint demnächst in DIE POLIZEI.
  23. Berthel, Wirtschaftskriminalität und Globalisierung – die Polizei vor neuen Herausforderungen, DIE POLIZEI, 2009, S. 61-71.