Wirtschaftskriminalität

Lage und Herausforderungen



Bei der Bewertung des Schadenspotenzials der Wirtschaftskriminalität spielen, wie bereits erwähnt, die immateriellen Schäden eine bedeutende Rolle. Dazu werden insbesondere gezählt:

  • Gefahr, dass infolge finanzieller Abhängigkeiten und Verflechtungen bei einem wirtschaftlichen Zusammenbruch auch jene Geschäftspartner betroffen sein können, die an den kriminellen Handlungen der Täter nicht beteiligt waren.
  • Reputationsverluste von einzelnen Unternehmen oder auch ganzen Wirtschaftszweigen.
  • Wettbewerbsverzerrungen durch Wettbewerbsvorsprünge des mit unlauteren Mitteln arbeitenden Wirtschaftsstraftäters sowie die Folgewirkungen von Wettbewerbsverzerrungen, die entstehen durch Wettbewerbsvorsprünge des mit unlauteren Mitteln arbeitenden Wirtschaftsstraftäters. Es wird befürchtet, auf Mitbewerber ginge eine Ansteckungs- oder Sogwirkung aus, auf gleiche oder ähnliche Weise illegalen Gewinn zu erzielen bzw. Wettbewerbsvorsprünge aufzuholen. Eine zweite Folgewirkung wird darin gesehen, dass Dritte veranlasst werden, durch kriminelle Handlungen, wie z.B. Urkundenfälschung oder Bestechung, Wirtschaftsstraftaten zu unterstützen (Fernwirkung).
  • Kettenreaktion, d.h. die Gefahr, dass infolge finanzieller Abhängigkeiten und Verflechtungen bei einem wirtschaftlichen Zusammenbruch auch jene Geschäftspartner mitgerissen werden, die an den kriminellen Handlungen der Täter keinen Anteil hatten.
  • Gesundheitlichen Gefährdungen und Schädigungen als Folge von Verstößen gegen das Lebensmittel- und Arzneimittelgesetz, gegen das Arbeitsschutzrecht und das Umweltstrafrecht.
  • Als allgemeine Folge der Wirtschaftskriminalität wird befürchtet, auf Dauer schwinde sowohl bei den am wirtschaftlichen Wettbewerb Beteiligten als auch bei den Verbrauchern nicht nur das Vertrauen in die Redlichkeit einzelner Berufs- und Handlungszweige, sondern auch „das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der geltenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung“.11

Als weitere immaterielle Folge von Wirtschaftskriminalität kann gewertet werden, dass eine vermeintliche oder tatsächliche Zurückhaltung bzw. Unfähigkeit des Staates bei Repression und Prävention von Wirtschaftsdelikten als Nachahmungs- und Neutralisierungsgrund in Teilen der Bevölkerung angesehen werden kann. Im weiteren Sinne zählt auch die Schmälerung bzw. der Verlust geistiger und innovativer Potenziale der Mitarbeiter von Unternehmen zu diesen Folgen.


Problematisch ist allerdings der empirische Nachweis dieser immateriellen Folgen. Mittlerweile ist zumindest in Teilen der Wirtschaft eine deutlich größere Sensibilität als noch vor Jahren zu verzeichnen. Compliance-Programme werden auch und gerade vor dem Hintergrund potentieller Bedrohungen durch die wachsenden Risiken in der digitalen Wirtschaft in einer Vielzahl von Unternehmen eingeführt.12

 

5 Aufklärungsquote


Die Aufklärungsquote bei Wirtschaftsstraftaten betrug im Jahr 2017 94,6% (2016 waren es 94,0%.). Damit lag sie signifikant über der Gesamtaufklärungsquote aller in der PKS erfassten Straftaten (57,1%). Ursächlich dafür ist insbesondere der Umstand, dass es sich bei Straftaten der Wirtschaftskriminalität überwiegend um Delikte handelt, bei denen in der Regel Täter wie Opfer bekannt sind, so dass der Fall nach den Erfassungsregeln als aufgeklärt gilt.


Bei Wirtschaftsstraftaten handelt es sich zum großen Teil um sog. Kontrolldelikte, also Straftaten, die die durch proaktive Überwachung formeller oder informeller Instanzen aus dem Dunkelfeld in das Hellfeld gerückt werden.13 Kontrollinstanzen sind etwa die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Bundeszollverwaltung, Bewilligungsbehörden (etwa bei Subventionsbetrug), Staatsanwaltschaften, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Rechnungshöfe, Rechnungsprüfungsämter, Anti-Korruptionsstellen von Verwaltungen oder Ombudsleute.

 

6 Verflüchtigung der Opfereigenschaft


Eine Spezifik von Wirtschaftsstraftaten ist die sog. Verflüchtigung der Opfereigenschaft. Typisch für dieses Merkmal sind etwa Straftaten im Gesundheitswesen. Die durch derartige Straftaten verursachten Schäden, müssen z.B. durch höhere Beiträge der Versicherten ausgeglichen werden. Ähnlich sind auch Delikte des Subventionsbetruges zu bewerten. Der sog. Steuerzahler, dessen Leistungen Grundlage für die Vergabe von Subventionen sind, ist sich seiner Eigenschaft als Geschädigter, also Opfer regelmäßig nicht bewusst. Die Kausalität zu den jeweiligen Delikten und den Tätern kann damit durch das Opfer meist nicht erkannt werden. Eine Anzeigeerstattung erfolgt daher durch die Opfer regelmäßig nicht. Das Dunkelfeld bei Wirtschaftsdelikten dürfte also erheblich sein. Im Ersten Periodischen Sicherheitsbericht wird dazu folgende Feststellung getroffen: „Das Ausmaß und die deliktsspezifisch unterschiedliche Größe des Dunkelfeldes der Wirtschaftskriminalität hat strukturelle Gründe. Wirtschaftsstraftaten sind häufig so angelegt, dass das Delikt mangels eines unmittelbar und persönlich Geschädigten gar nicht bemerkt wird. Beispiele hierfür sind die Steuerhinterziehung, der Subventionsbetrug, die Nichtabführung von Beiträgen zur Sozialversicherung, die Preisabsprachen bei Kartellbildungen. Nicht selten sind die Mitwisser zugleich die Mittäter bzw. die am Delikt Beteiligten, wie bei Korruption. Hinzu kommt, dass die üblichen Mechanismen sozialer Kontrolle weitgehend versagen. Wie die ‚Bundesweite Erhebung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten‘ (BWE) gezeigt hat, handelt es sich bei knapp 50% der von schwerer Wirtschaftskriminalität Geschädigten um Kollektivopfer (Staat, soziale Einrichtungen), von den Individualopfern wiederum waren die Hälfte Unternehmen. Die Opfereigenschaft ‚verflüchtigt‘ sich bei Kollektivopfern.“14


Betrachtet man die gesellschaftlichen Folgen, sowohl materieller als auch immaterieller Natur, dürfte nahezu jeder Deutsche im Laufe seines Lebens Opfer von Wirtschaftsstraftaten werden. Anzeige erstattet hingegen nur ein Bruchteil der Opfer.


Wie wird nun Wirtschaftskriminalität in der Gesellschaft wahrgenommen? Hans See, Mitbegründer von Business Crime Control stellte dazu fest: „Wirtschaftskriminalität wird von großen Teilen der Bevölkerung in ihrer Auswirkung auf ihr persönliches Leben, ihre soziale Sicherheit, Gesundheit, ihre Arbeits- und Wohnbedingungen, ihr physisches und psychisches Wohlergehen weit unterschätzt, oft überhaupt nicht erkannt. Ahnungslosigkeit und Interessenlosigkeit machen es schwer, Journalisten und Publizisten für die Aufklärung über die Sozialschädlichkeit von Wirtschaftskriminalität zu gewinnen. Sie interessiert allenfalls der Sensationswert einer Story – nicht der tiefere Zusammenhang. Politik und Wissenschaft hängen schon zu sehr am Tropf der Wirtschaft, als dass von dieser Seite die zum Erhalt und zur Weiterentwicklung einer sozialökologisch orientierten Demokratie notwendige Aufklärung geleistet würde, die der Größe und dem Ernst des Problems angemessen wäre.“15


Auch wenn See bezüglich der journalistischen Aufbereitung von Wirtschaftsverbrechen nur bedingt zuzustimmen ist, steht fest: Das Wahrnehmen von Wirtschaftskriminalität ist unmittelbar mit dem Umstand verbunden, dass gerade in diesem Deliktsbereich viel häufiger Kollektivopfer anzutreffen sind. Die Opfereigenschaft verflüchtigt sich, die Bürger fühlen sich nicht betroffen und geschädigt.