Sicherheit in einer offenen und digitalen Gesellschaft

Lage – Herausforderungen – mit einem Bericht zur 64. Herbsttagung des Bundeskriminalamtes

3.1 Drei Dimensionen digitaler Straftaten

Durch rasches, abgestimmtes Handeln des BKA, des BSI und des angegriffenen Unternehmens sei, so Münch, die Identifizierung des Täters innerhalb weniger Wochen und kurze Zeit später dessen Festnahme in Großbritannien möglich gewesen. Der Fall verdeutliche, dass digitale Straftaten von drei Dimensionen charakterisiert würden:

  • Räumliche Dimension: Die Grenzen von Staaten spielten hier, wie in vielen anderen Fällen, für den Täter keine Rolle. Entsprechend waren die Ermittlungen auch international.
  • Digitale Dimension: Im vorliegenden Fall verfügte der Täter selbst über die für die Begehung der Taten erforderlichen IT-Kenntnisse. Doch um Cyberangriffe begehen zu können, müsse man kein Experte mehr sein; vielmehr könne man solche „Dienstleistungen“ auch in der Underground Economy des Word Wide Web einkaufen, betonte der BKA-Präsident.
  • Gesellschaftliche Dimension: Der Cyberangriff hatte Auswirkungen auf Millionen deutscher Haushalte, die zeitweilig ohne Internetzugang waren. Der Schaden betrug rund 2 Millionen Euro. Und zu den gesellschaftlichen Dimensionen gehört sicher auch die rechtspolitische Frage, ob die verhängte Strafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung den Unwertgehalt der Tat widerspiegelt und welches Signal die Verhängung einer solchen Strafe in die Gesellschaft sendet.

3.2 Kooperationen und Zukunftsfähigkeit der deutschen Polizeien

Formen der Zusammenarbeit, wie sie Münch zu Beginn seiner Ausführungen im Zusammenhand mit der Aufklärung des Angriffes mittels einer DDos-Attacke beschrieben hatte, stellte er in den Mittelpunkt seiner weiteren Darlegungen. Dabei bezog er sich sowohl auf die Erfordernisse der Kooperation zwischen den Polizeien als auch die Ausprägung spezieller Fähigkeiten einzelner Organisationen zum Nutzen der gesamten Polizeiorganisation.
Wenn von Zukunftsfähigkeit der Polizeien in Deutschland die Rede sei, müsse man den Blick nicht nur auf die Bekämpfung von Cybercrime richten. Vielmehr sollten auch die Formen der Zusammenarbeit der Polizeien im föderalen Rechtsstaat neu gedacht werden. Um einen modernen, intelligenten und damit auch erfolgreichen Föderalismus in der Polizei zu leben, müsse zu einer sinnvollen Arbeitsteilung und effektiveren Zusammenarbeit gefunden werden. Die tradierte föderale Arbeitsweise der Polizei, sei noch zu häufig geprägt vom obersten Verwaltungsgrundsatz „§1: Jeder macht seins“ und stoße bei der Dynamik der Veränderung schnell an Grenzen.


3.3 BKA will Kompetenzen im Bereich Cyber-Gefahrenabwehr übernehmen

Globalen, digital vernetzen Gefahren könne man nicht mit lokalen Maßnahmen der Gefahrenabwehr begegnen. Münch forderte daher, dass Cyberabwehrbefugnisse nicht nur bei den Polizeien der Länder, sondern künftig auch beim Bund liegen müssten. Das BKA sei bereit und in der Lage, Verantwortung für die Gefahrenabwehr im Cyberraum zu übernehmen. Dabei könnten sich präventive Zuständigkeiten des BKA am Erfolgsmodell „Präventivbefugnisse zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus“ und an den schon bestehenden Strafverfolgungskompetenzen des BKA im Bereich Cybercrime orientieren.
Münch sah daher eventuelle Zuständigkeiten BKA dann gegeben, wenn

  • eine Bundeseinrichtung oder Kritische Infrastrukturen betroffen seien,
  • eine länderübergreifende Gefahr bestehe
  • oder wenn die Zuständigkeit einer Landespolizei nicht erkennbar sei bzw. ein Land das BKA um Übernahme des Falls ersuche.

3.4 Cyberkompetenzen des BKA werden ausgebaut

Unabhängig von der etwaigen Zuweisung von Gefahrenabwehrkompetenzen habe das BKA Weichen gestellt, um den dynamischen Entwicklungen im Cyberraum entsprechen zu können. Aufbauend auf den bereits vorhandenen Kompetenzen beabsichtige das BKA noch stärker in eigene Fähigkeiten, die technische Infrastruktur, Methodenkompetenz und das Personal zu investieren. Dazu stelle man sich organisatorisch neu auf. Im BKA werde eine eigene Abteilung zur Bekämpfung und – unter Vorbehalt der zu schaffenden rechtlichen Befugnisse – Abwehr von Cybercrime einrichten. In dieser Abteilung sollten künftig Ermittlungsverfahren der Cybercrime im engeren Sinne geführt werden, so Münch. Das war mehr als nur die Ankündigung einer neuen Organisationseinheit. Es war die Unterlegung der Forderung nach Kompetenzen im Gefahrenabwehrbereich mit Ressourcen, was den Ländern eine Teilaufgabe ihrer alleinigen Gefahrenabwehrzuständigkeiten in diesem Bereich schmackhaft machen sollte.
Abschließend erhob der BKA-Präsident die Forderung nach einer grundsätzlichen Neugestaltung der föderalen Polizei-Strukturen in der Bundesrepublik. Erforderlich seien in diesem Kontext,

  • die Entwicklung einer gemeinsamen digitalen Plattform der deutschen Polizeien,
  • eine neue Form von Arbeitsteilung bei der Entwicklung von Fähigkeiten sowie
  • eine Bund-Länder-Zusammenarbeit, die Themenführerschaften festlege und damit schneller und agiler agieren könne.