Sicherheit in einer offenen und digitalen Gesellschaft

Lage – Herausforderungen – mit einem Bericht zur 64. Herbsttagung des Bundeskriminalamtes

2 Die digitale Welt und wie (panisch) die Menschen reagieren


Yvonne Hofstetter, Geschäftsführerin der Teramark Technologies GmbH, griff in ihren Ausführungen zu Beginn der Tagung genau den Teil der Digitalisierung auf, der die Manipulierbarkeit der Menschen und die Wirkzusammenhänge zwischen sozialen Medien und menschlichen Verhaltensmustern betrifft. Sie bezog sich dabei auf eine Amoklage vom 22. Juli 2016 in einem Münchner Einkaufszentrum und die sich daran anschließende Auswertung der Münchner Polizei zu den Reaktionen der Menschen in den sog. sozialen Medien. Dabei wurde konstatiert, dass 4.310 Notrufe eingegangen waren, davon waren 310 Mitteilungen über Terroranschläge an 71 verschiedenen Tatorten, an Phantomtatorten. Der Begriff „Phantomtatort“ sei eine Wortschöpfung der Münchner Polizei. Er bezeichne Angaben und Hinweise zu Tat- bzw. Ereignisorten, an denen tatsächlich keine Tathandlungen stattgefunden hatten, über die die Mitteilenden gleichwohl mehr oder weniger detailliert und glaubwürdig berichtet hatten. Diese Mitteilungen waren zumindest geeignet, polizeiliche Maßnahmen nach sich zu ziehen. Schwarmverhalten und Massendynamik hätten, so Frau Hofstetter, damals in München zu einer Massenpanik geführt. Einen ganz wesentlichen Anteil daran hätten die sozialen Netzwerke gehabt, betonte die Rednerin. Und eigentlich hätte es dafür weder aus der konkreten Lage noch aus der Sicherheitssituation in Deutschland insgesamt einen Grund für derartiges Verhalten gegeben. In der Folge ging die Rednerin der Frage nach, was mit unserer Gesellschaft geschehen sei, dass Menschen so emotional geworden seien und sich immer unsicherer fühlten.


2.1 Verunsicherung als Ursache jeglicher Sicherheitsdebatten?

Diese Verunsicherungen seien letztlich dafür verantwortlich, dass es überhaupt Auseinandersetzungen mit dem Thema Sicherheit in einer Gesellschaft gebe. Die Verunsicherungsthese von Frau Hofstetter darf bei nüchterner Betrachtung aktueller Forschungsergebnisse nicht unwidersprochen bleiben, wenngleich sicher der eine oder andere Besucher der Tagung und vielleicht auch Leser ihr beipflichten würde; aber da wären wir schon wieder beim Postfaktischen und nicht beim Bewiesenen.10 Neben wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Sicherheitsgefühl in Deutschland widerlegt auch der Umstand, dass da die Lageeinschätzungen der deutschen Sicherheitsbehörden natürlich auch und insbesondere die objektive Kriminalitätslage und nicht vordergründig das Sicherheitsgefühl der Bürger abbilden, gleichwohl jedoch zu dem Ergebnis gelangen, dass die Sicherheitslage angespannter als noch vor Jahren sei. Auch wenn man der Problemdarstellung der Rednerin nicht uneingeschränkt folgen muss, waren ihre Erklärungsansätze für Verunsicherungen und Ängste der Menschen durchaus bemerkenswert.
Mit dem Internet of Everything steige, so Hofstetter, nicht nur die Zahl der Interaktionen zwischen den vernetzten Teilchen exponentiell an. Menschen interagierten mit noch mehr Menschen und mit Sachen. Und mittlerweile kommunizierten Sachen zudem mit anderen Sachen. Diese Wechselbeziehungen machten eine Gesellschaft hochkomplex. Als Merkmale solcher komplexer dynamischer Systeme führte die Rednerin folgende auf:

  • Das Verhalten der Systeme sei nicht vorhersehbar und deshalb auch unsicher in Bezug auf die Zukunft. Der menschliche Wunsch nach Planbarkeit werde durch eine digitalisierte Gesellschaft also nicht erfüllt; vielmehr käme es zur Vervielfachung von Verunsicherungen.
  • Komplexe dynamische Systeme tendierten gegen das Chaos. Chaos sei ein Systemzustand, in dem keine Ordnung, keine Strukturen und keine Verlässlichkeit herrschten. Je stärker eine Gesellschaft vernetzt sei, desto mehr systemische Unsicherheit entstünde und desto näher bewege sie sich in Grenzbereichen zum Chaos.

2.2 Demokratie braucht in der digitalen Welt Vertrauen

Frau Hofstetter schloss ihre Ausführungen mit der These, dass Sicherheit nicht im Gegensatz zur Freiheit stehe, Sicherheit nicht zu denken sei, ohne das Gefühl von Angst und sein Pendant Vertrauen. Kritisch äußerte sich die Rednerin zum Einsatz Künstlicher Intelligenz und/oder Big Data Analytics für die Polizeiarbeit. Sinnvoller sei es hingegen, auf gut ausgebildete und gut bezahlte polizeiliche Fachkräfte zu setzen. Die Erklärung, warum das eine nur alternativ zum anderen zu denken sei, blieb die Rednerin allerdings schuldig.

3 Lageerkenntnisse und Herausforderungen aus der Perspektive des BKA


Der Präsident der BKA, Holger Münch, thematisierte im Rahmen seiner Ausführungen sowohl phänomenologische Entwicklungen und Herausforderungen, aber eben auch Handlungsoptionen für die Polizeien im Zeitalter von Big Data, Algorithmen und autonomen Systemen. Dabei bezog sich der Redner auch auf die durch den Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat Horst Seehofer im Rahmen der Tagung erhobenen Forderung, dass den Polizeien in der digitalen Welt die gleichen Befugnisse zustehen müssten, wie in der analogen.
An den Beginn seiner Ausführungen stellte der BKA-Präsident die Darstellung eines Sachverhaltes, bei dem Täter durch arbeitsteiliges Agieren mittels einer sog. DDos-Attacke ein konkurrierendes Unternehmen schädigen wollten. Beim Versuch, weltweit Router illegal in ein Botnetz zu integrieren, wurden auch Router in Deutschland angegriffen. Hier gelang der Angriff allerdings nicht, da die Router der Deutschen Telekom den Angriff abwehren konnten. Allerdings schalteten sie sich aufgrund der Attacke in einen sog. „undefinierten Zustand“ und damit aus.
Die Folge war, dass ca. eine Millionen Router ausgefallen waren und zahlreiche Privatpersonen, Firmen und öffentliche Einrichtungen keinen Internet- und Telefonzugang hatten. Neben der Verletzlichkeit von IT-Infrastrukturen machten die Ausführungen des BKA-Präsidenten auch deutlich, dass weder die Bundesrepublik als Staat noch einzelnen Unternehmen wehrlos gegen derartige Angriffe sind.