Professionelle polizeiliche Arbeit am Ereignisort

Eine Frage der Berufsehre

6 Wichtige Begleit-/Folgemaßnahmen


Zu Beginn polizeilicher Handlungen am Tatort, insbesondere dann, wenn man sich eine erste Übersicht verschafft hat, könnte die Lage Maßnahmen der Ersten Hilfe und Gefahrenabwehr als höchste Priorität erfordern.14 Aber auch Zeugen könnten den Tatort verlassen wollen und dauerhaft für die Beweisführung verloren sein, wenn sie nicht sofort identifiziert und hinsichtlich ihrer Rolle befragt werden. Zu beachten ist, dass darunter auch der Täter sein könnte. Spuren können durch Witterungseinflüsse, Brandeinwirkung, Schaulustige u.ä. Bedingungen unwiederbringlich beschädigt oder gänzlich zerstört werden, wenn man sie nicht unverzüglich auf geeignete Weise schützt. Das kann man z.B. durch Abdecken mit einer Plane, einem wetterfesten Gefäß oder durch geeignete Absperrung erreichen. Aber auch die gegenständliche Sicherung, verbale Beschreibung, Skizzen und Fotoaufnahmen sind geeignete Mittel, möglichst viele Informationen aus der Spur zu bewahren. Unter Umständen bleibt eine sofortige Notsicherung (z.B. fotografisch) die einzige Alternative, um den Totalverlust der Spur zu verhindern.15 Diese Notwendigkeit zu erkennen und dann entschlossen zu handeln, wenn man sich des potentiellen Beweiswertes der Spur bewusst ist, zeugt von einer professionellen Einstellung. Deshalb sollten sich die am Ereignisort handelnden Polizeibeamten als wichtiges Rädchen im Getriebe des gesamten „Ersten Angriffs“ begreifen. Dabei – wiederum als Leitlinie des Handelns zu verstehen – haben alle Einsatzkräfte miteinander zu kommunizieren und sich gegenseitig zu unterstützen. Der Sicherungsangriff wird deshalb mit einer detaillierten persönlichen Übergabe an die nachfolgenden Kräfte des Auswertungsangriffs abgeschlossen. In einem Protokoll sind die bisherigen Erkenntnisse zu fixieren. Insofern sind alle Standardhandlungen und Ablaufphasen des „Ersten Angriffs“ miteinander verzahnt und bedingen einander. Natürlich gibt es zahlreiche Fälle des täglichen Einsatzgeschehens, die schnell und einfach aufzunehmen sind, jedoch das konkret gebotene Verhalten zu erkennen, ist entscheidend für Dauer, Aufwand, Ergebnis, Beweiswert. Mit Hilfe der eigenen Fachkenntnisse, aber auch mit Fantasie, gesundem Menschenverstand, Einfühlungsvermögen und dem logischen kriminalistischen Denken16, kann dann ein Bild von dem zu untersuchenden Ereignis entstehen, welches zu einer erfolgreichen polizeilichen Ermittlungstätigkeit führt. Es wird oftmals noch unscharf sein, doch dieser Versuch der geistigen Rekonstruktion ist der Schlüssel zu den zielführenden Beweisen. Erst überlegen, dann handeln.17 Die aufgestellten Hypothesen über das vorangegangene Geschehen, das Ergebnis der gedanklichen Rekonstruktion, werden oftmals die Spurensuche wesentlich beeinflussen. Das heißt, man wird Spuren und Beweisgegenstände nur dort suchen, wo man sie erwartet (Heuristische Methode18). Das ist effektiv, zeitsparend und Erfolg versprechend zugleich. Bei unklarer Situation, schweren Straftaten und unübersichtlichen Ereignisorten wird die Polizei anders vorgehen. Man wird systematisch und gründlich nach sichtbaren und unsichtbaren (latenten) Spuren sowie nach Beweismitteln suchen (Systematische Methode). Das ist aufwändiger sowie zeitintensiver und hängt, wie bereits erwähnt, davon ab, welchen Aufwand die Untersuchung des Ereignisses erfordert bzw. rechtfertigt. In jedem Fall ist es jedoch ratsam, vorher die vorgefundene Situation fotografisch zu sichern. Die eigentliche Spurensuche und -sicherung sollte dann mit der gebotenen Sorgfalt und Vorsicht erfolgen (z.B. Handschuhe tragen, nichts unnötig anfassen). Wenn die Spurenlage unerklärlich von der aufgestellten Hypothese abweicht, sind zwingend neue Überlegungen notwendig. Es könnte sich um Spuren handeln, die nicht im Zusammenhang mit dem Ereignis stehen (Trugspuren19) oder bewusst als falsche Fährte gelegt worden sind, um die Polizei über den wahren Geschehensablauf zu täuschen (sog. Fingierte Spuren20). Keine Spuren zu finden, bedeutet nicht automatisch, dass der Ereignisort spurenlos ist. In diesem Falle sollte man die Prozedere der Spurensuche auf den Prüfstand stellen. Spätestens bei den beschriebenen Erscheinungen müssen Spezialisten (Kriminaltechniker) hinzugezogen werden. Das gilt auch, wenn man sich hinsichtlich geeigneter Methoden der jeweiligen Spurensicherung, über die fachgerechte, spurenschonende Verpackung über die Beschaffung von Vergleichsmaterial nicht sicher ist.21

Dazu ein weiteres Beispiel: Nach einer vorsätzlichen Brandstiftung an einem gestohlenen PKW war der Täter über ein Feld geflüchtet. Man konnte der Spur folgen und im weiteren Verlauf die nassen Winterschuhe des mutmaßlichen Täters sicherstellen. Sie waren mit dicken Anhaftungen feuchter Erde verunreinigt. Sie wurden in einer Plastiktüte verpackt. Auf den Gedanken, Papiertüten zu benutzen und, was noch viel wichtiger gewesen wäre, die Schuhe zu trocknen, war niemand gekommen. Vergleichsmaterial (Erde) vom Brandort wurde ebenfalls feucht verpackt und zudem in unzureichender Menge entnommen. Das ganze Desaster fand seine Vollendung, indem schlicht vergessen wurde, das Spurenaufkommen an die Kollegen der Kriminaltechnik zu übergeben. So gelangten die inzwischen verrotteten Sachen erst nach Wochen auf den Tisch des Sachverständigen und es war nicht mehr viel zu retten. Eine umfassende Erläuterung würde hier den Rahmen sprengen. Als Fazit sei aber gesagt: Je wichtiger die Spur, desto wichtiger ist ihre professionelle Behandlung! Da nicht immer professionelle Kriminaltechniker zur Verfügung stehen, ist es oftmals unumgänglich, selbst vor Ort die Beweise zu sichern. In beschriebenen Fall sind einige Grundregeln nicht beachtet worden. Nasse Spurenträger sind grundsätzlich zu trocknen. Zum Transport sollte man möglichst unverschlossene, geeignete Papierbehältnisse verwenden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Spuren von Täter und Opfer streng voneinander getrennt werden. Brandspuren sind in Aluminiumtüten (Brandschutztüten) zu transportieren. Die geschilderten Fehler waren alle vermeidbar.

Die gründliche Tatortarbeit und eine folgerichtige Versionsbildung sind von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der kriminalpolizeilichen Ermittlungen.


Bild 1: Gesicherte Eindruckspuren im Schnee.

Dies soll mit einem dritten Beispiel belegt werden: In einer Stadt in Sachsen-Anhalt sowie in benachbarten Ortschaften kam es im Winter 2011/2012 zu einigen Brandstiftungen in Kleingartenanlagen. Zunächst dauerte es eine Zeit, bis die Version, dass es sich um eine Häufung oder Serie von vorsätzlichen Brandstiftungen handeln könnte, immer mehr in den Vordergrund rückte. Gründliche Tatortarbeit hatte Gemeinsamkeiten herausgestellt, die man auf den ersten Blick nicht gleich erkennen konnte. Auffällig war, dass die angegriffenen Gartenlauben hinsichtlich der Fassaden, Bausubstanz und Einrichtung relativ wertintensiv waren. In jedem Fall fehlten nach den Bränden hochwertige Gegenstände von den Brandorten. Konnte es möglich sein, dass es die Täter nicht vordergründig auf das Legen von Feuer, sondern vielmehr auf Diebstahl von Wertgegenständen abgesehen haben könnten? Die Brände könnten mit dem Ziel der Spurenvernichtung gelegt worden sein. Suchten wir also nach Feuerteufeln und müssten eigentlich nach Einbrechern fahnden? Weitere Ermittlungen rückten dann tatsächlich zwei der Polizei bekannte Einbrecher in den Focus der Überlegungen. Inzwischen war der Winter eingebrochen und zeigte sich mit Temperaturen um -20 °C und einer geschlossenen Schneedecke von seiner stärksten Seite. In einer sehr kalten Nacht ging ein Firmengebäude in Flammen auf. Es handelte sich um eine Produktionsstätte für Elektro-Schaltanlagen. Der Schaden wurde damals auf 1.000.000 Euro beziffert. Die Feuerwehr hatte große Mühe, das Löschwasser noch im flüssigen Zustand zum Brandort zu pumpen. Nachdem der Brand gelöscht und der Brandort genügend erkaltet war, um erste Untersuchungen zu beginnen, begaben sich Kriminaltechniker an den Ereignis-/Tatort. Hier war hinsichtlich der eigenen Sicherheit besonders zu beachten, dass der gesamte Brandort äußerlich an vielen Stellen durch vereistes Löschwasser wie mit Zuckerguss überzogen war. Die Beamten stellten sehr schnell fest, dass ein Materiallager für Kupferprofile über ein eingeschlagenes Fenster angegriffen worden war. Schwere, meterlange Kupferschienen waren entwendet worden. Das Gesamtspurenbild wies relativ sicher auf zwei Täter hin. In der Folge hatten diese die schweren Schienen durch den Schnee, einige 100 Meter über einen angrenzenden Acker bis zu einem kleinen Bauernhaus gezogen. Dort endete die Spur. Das entstandene Spurenbild (durchgehende parallele Eindruckspuren im Schnee, mit mittig verlaufenden Schuheindruckspuren einer Person), wurde zunächst für eine Schlittenspur gehalten. Die einzigen Bewohner des Hauses waren die beiden Einbrecher, die bereits im Verdacht gestanden hatten, die Laubenbrände verursacht zu haben. Bei der folgerichtig veranlassten Durchsuchung nach §§ 102 ff. StPO auf dem Grundstück der beiden Tatverdächtigen wurden Kupferschienen mit frischen Schneeanhaftungen als Passstücke für unsere „Schlittenspur“ und passende Schuhe als zweifelsfreie Spurenverursacher zu den Schuheindruckspuren sichergestellt. Weitere aufgefundene Gegenstände konnten den Gartenlaubeneinbrüchen/-bränden zugeordnet werden. In ihren Vernehmungen ließen sich die beiden Beschuldigten umfassend geständig ein. Sie gaben an, in allen Fällen die Brände gelegt zu haben, um nach der Tat die eigenen Einbruchspuren zu vernichten. Die Idee war ihnen aus einem Film gekommen. Nach dem Großeinsatz der Feuerwehr war mit einem riesigen Durcheinander von Schuheindruckspuren im Schnee zu rechnen. Zum Glück befand sich die „Schlittenspur“ etwas abseits. Mit Beginn der Spurensuche an wurde eine Trasse festgelegt, auf der sich die Polizeibeamten bewegten. So wurden Polizeispuren von Täterspuren eindeutig getrennt. Wenn auch der Schnee als idealer Spurenträger die Aufklärung erleichtert hat, so war doch für die gesamte Beweisführung entscheidend, dass nicht nur nach Brandbeschleunigern u.ä., sondern auch nach Einbruchspuren gesucht worden war.

Bild 2: Von den Tätern abgelegte Kupferschienen.