„Mainzer Initiative Qualifizierte Leichenschau“

Gespräch mit EKHK Bernd Becker, stellvertretender GdP-Vorsitzender des Landes Rheinland-Pfalz

Kriminalpolizei: Was gibt es also zu kritisieren?

Becker: Immer weniger, denn es gibt auch positive Entwicklungen. Ich habe mich zum Beispiel sehr darüber gefreut, dass in den Medien zu hören war, dass Ärztevertreter mittlerweile konstatieren, dass es zu Situationen der Überforderung kommen kann. Und noch mal: Das liegt nicht an dem einzelnen Arzt oder der Ärztin, sondern daran, dass die gesetzliche Regelung Unmögliches verlangt. Es muss Schluss damit sein, dass die Lücke zwischen Gesetz und Wirklichkeit auf dem Rücken der Ärzte geschlossen wird. Es geht darum, den Ärzten beizustehen. Es kann nicht jeder Arzt in jeder Situation eine korrekte Leichenschau durchführen. Das sagte schon 2008 in einer GdP-Veranstaltung Prof. Dr. Thomas Riepert von der Mainzer Rechtsmedizin.

Kriminalpolizei: Es gibt aber auch Vorwürfe von Ärzten gegen die Polizei. Es soll angeblich immer wieder vorkommen, dass Kollegen darauf drängen, einen natürlichen Tod zu bescheinigen, damit kein Todesermittlungsverfahren durchgeführt werden muss!?

Becker: Niemand kann für eine ganze Berufsgruppe die Hand ins Feuer legen. Das gilt für Ärzte, wie für Polizisten. Solche strittigen Fälle entstehen, wenn die Polizei aus irgendwelchen Gründen dazu gerufen wurde. Es geht dann oft um mangelnde Routine und unterschiedliche Vorstellungen beim Ausfüllen der Todesbescheinigungen. Es kann sehr wohl medizinisch unklar sein, woran ein Mensch gestorben ist. Darum geht es der Polizei aber nicht. Sie will nur wissen, ob es Hinweise auf eine nichtnatürliche Todesursache gibt, insbesondere auf Fremdverschulden. Zu solchen Unklarheiten würde es nicht kommen, wenn die Leichenschau von besonders qualifizierten und amtlich verpflichteten Ärzten mit Routine durchgeführt würde. Wenn ein solcher Arzt die Polizei verständigt, ist vollkommen klar, dass es Gründe für Todesermittlungen gibt. Die übrigens trotzdem mit der Feststellung „natürlicher Tod“ enden können.

Kriminalpolizei: Was ist also die Forderung der GdP?

Becker: Für das Entdecken nichtnatürlicher Todesfälle ist die ärztliche Leichenschau der erfolgskritische Punkt. Sie liegt zwangsläufig „vor“ einer eventuellen polizeilichen Ermittlung. Daraus folgt, dass die ärztliche Leichenschau durch einen hierfür besonders qualifizierten Arzt durchgeführt werden soll und zwar am Sterbe- oder Fundort, weil die Gesamtumstände ausschlaggebend dafür sein können, ob es Hinweise auf einen nichtnatürlichen Tod gibt. Im Idealfall werden die ärztliche und die polizeiliche Leichenschau dann gemeinsam durchgeführt; die Expertise beider Professionen käme so voll zur Wirkung.

Kriminalpolizei: Das sei zu teuer, wird als Gegenargument angeführt.

Becker: Im Kreis Mainz-Bingen und der Stadt Mainz gibt es etwa 4.300 Sterbefälle im Jahr. In über der Hälfte dieser Fälle wird eine zweite Leichenschau vor Feuerbestattungen durchgeführt, die entfallen könnte, wenn eine qualifizierte Leichenschau für alle Leichen obligatorisch wäre. Die Leichenschauen werden auch heute schon durch die Angehörigen oder die Versicherungen bezahlt, vollkommen unabhängig von der Qualität ihrer Durchführung. Das Problem besteht eher auf der Angebotsseite: Wo sollen geeignete Ärzte herkommen? Wer bietet die Fortbildung an? Wie wird das organisiert? Aber was woanders geht, sollte mittel- und langfristig auch bei uns möglich sein.

Kriminalpolizei: Was ist mit „woanders“ gemeint?

Becker: Nach jahrelanger Befassung mit dem Thema bin ich der Überzeugung, dass das österreichische Modell auf ein Flächenland wie Rheinland-Pfalz sehr gut passen würde. Dort werden die Großstädte durch die Rechtsmedizin bzw. das Gesundheitsamt abgedeckt und auf dem Land gibt es den sog. „Sprengelarzt“, der jede Leiche in seinem Bezirk qualifiziert beschaut und einer amtlichen Verpflichtung unterliegt. Ich bin mir sicher: Die allermeisten Ärzte wären heilfroh, wenn sie diese schwierige Aufgabe in die Hände eines solchen Experten geben könnten.

Kriminalpolizei: Rechtsmediziner beklagen, dass es in Deutschland weniger Obduktionen gibt als in vergleichbaren Staaten.

Becker: Dazu gibt es eigentlich nur diese Erklärung: Die bedenklich geringe Zahl von Obduktionen ist eine Folge unentdeckter Verdachtsfälle und das wiederum eine Folge nicht optimaler Leichenschauen. Das macht den Handlungsbedarf noch einmal deutlich.

Kriminalpolizei: Die Polizei würde mit Verdachtsfällen überhäuft – sagen Manche?

Becker: Und andere sagen: Was macht denn der Kriminaldauerdienst noch, wenn er nicht mehr zu Todesfällen gerufen wird, die sich als natürlich herausstellen? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Eines wäre aber klar: Wenn ein forensisch qualifizierter Arzt die Polizei verständigt, stehen akribische Todesermittlungen an. Meine These ist die: Die Zahl begründeter Todesermittlungen würde zunehmen und die Zahl unbegründeter Ermittlungen ließe wohl deutlich nach.

Kriminalpolizei: Und was muss jetzt passieren?

Becker: Wir freuen uns erst einmal darüber, dass eine Arbeitsgruppe eingesetzt wurde. Wenn sich in der Folge eine Gebietskörperschaft finden würde, in der ein Pilotmodell aufgesetzt würde, wäre das ein weiterer guter Schritt. Darüber hinaus empfehlen wir als Lektüre den Abschnitt „Totenbeschau“ des „Salzburger Leichen- und Bestattungsgesetzes“. Darin ist Vieles sehr gut geregelt, von der Bestellung von Ärzten bis zur Mitwirkungspflicht behandelnder Ärzte oder Anstalten zum Beispiel. Eines ist mir noch ganz wichtig: Mit der Einführung muss auch in der Gemeinschaft rechtstreuer Bürgerinnen und Bürger um Verständnis und Akzeptanz geworben werden.

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