Innere Sicherheit weiterdenken: Ausgrenzung, Hass und Gewalt

mit einem Bericht zur 65. Herbsttagung des BKA (Teil 2)

 

5 Die nachrichtendienstliche Perspektive – Früherkennungs- und Analysefähigkeiten weiterentwickeln!


In den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, dass Hass und Gewalt zu den besonderen Herausforderungen für den Rechtsstaat und die Sicherheitsbehörden gehörten. Wie andere Redner auch, bezog er sich dabei insbesondere auf das Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten

Dr. Walter Lübcke und den Anschlag auf eine Synagoge in Halle.


Dabei hob er hervor, dass sprachliche Gewalt den Boden für reale Gewalt, Hass, Radikalismus und Extremismus bereite.


Die Ursachen für diese Entwicklungen sah der Redner insbesondere in

  • einem offensichtlich fruchtbaren Nährboden für Extremismus, der sich u.a. aus Krisen, Kriegen und Konflikten, zunehmenden Ungewissheiten bezüglich der eigenen und gesellschaftlichen Zukunft und dem Wegbrechen alter Gewissheiten speise;
  • einer zunehmenden Polarisierung der politischen Kultur in feindselige Lager, dem anwachsenden Vertrauensverlust gegenüber Leitmedien und öffentlichen Funktionsträgern und damit einhergehend einer allgemeinen Verrohung des politischen Klimas sowie
  • im Wegbrechen von ehemals trennscharfen Brandmauern zur Mitte der Gesellschaft.

Zu den Aufgaben seines Amtes im Kontext der beschriebenen Herausforderungen zählte Haldenwang u.a.:

  • die Verstärkung der nachrichtendienstliche Vorfeldaufklärung, um die Informationsgewinnung zu verbessern
  • die Stärkung der Analysekompetenz – gerade im digitalen Einsatzraum
  • den Ausbau der operativen Internetbeschaffung, um relevante Plattformen aufklären zu können und ein digitales Lagebild zu erzielen, das „Laufwege“ von Hass und Hetze sowie Radikalisierungsverläufe widerspiegele

 

6 Das Spektrum der Redner …


reichte auch in diesem Jahr wieder von Praktikern aus dem Bereich der Sicherheitsbehörden über Wissenschaftler bis zu Vertretern der Zivilgesellschaft. Weitere Redner der Tagung waren u.a. Prof. Dr. Harald Welzer, Soziologe, Sozialpsychologe und Publizist, Prof. Dr. Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein, Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW), der Journalist Frank Jansen, der ehemalige Ortsbürgermeister der Gemeinde Tröglitz, Markus Nierth sowie der Leiter der neuseeländischen Polizei, Mike Bush, der zum Tathergang des Terroranschlags auf zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch am 15. März 2019 als auch zu den bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnissen zum Tatverdächtigen referierte.

 

7 „Gehasst wird aufwärts und abwärts …“8


Diese Feststellung der Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Carolin Emcke, die sich dabei auf den italienischen Philosophen Giorgio Agamben9 bezog, verdeutlicht, dass es sich bei Hass um ein ubiquitäres Phänomen handelt, dass Hass also in faktisch allen Milieus vorkommt und unabhängig von den sozialen Stellungen der Hassenden, deren Bildungsgrad oder weltanschaulicher bzw. religiöser Positionierungen existiert.


Beispiele ließen sich in einer lange Reihe aufführen: Neben dem aus mutmaßlich rechtsextremistischer Motivation begangenen Tötungsverbrechen an dem Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke und damit verbundenen Hasspostings10 steht etwa das Verbot eines Auftrittes von palästinensischen „Hass-Rappern“ am Brandenburger Tor, die dazu aufgerufen hatten, Juden zu zertreten und Tel Aviv zu bombardieren11. Da stoßen die von „Fans“ des Fußballvereins Borussia Dortmund gezeigten Hassplakate in Fußballstadien der Bundesliga (zuletzt im Dezember 2019) gegen den Mäzen des Profifußballvereins TSG 1899 Hoffenheim, Dietmar Hopp12, genauso ab, wie die menschenverachtende Aufforderung einer „Comedian“, man müsse die Stadt Chemnitz wegen ihrer „braunen Gesinnung“ mit Napalm bombardieren13 oder die Einschüchterungsversuche und Hassausbrüche, mit denen Täter ein schwules Paar in Köln drangsalierten14.

 

8 Gräben zuschütten oder vertiefen? Auf Hass mit Hass antworten?


(Nicht nur) auf der BKA-Herbsttagung wurde es deutlich ausgesprochen: Hass hat in einer freiheitlichen und offenen Gesellschaft nichts zu suchen und ihm ist überall, wo er durch Menschen geäußert und verbreitet wird, entschieden zu begegnen. Ob alle Reaktionen, auch der Judikative, geeignet sind, Gräben zuzuschütten, darf vor dem Hintergrund etwa des Beschluss des LG Berlin (27 AR 17/19) zu massiven Beleidigungen gegenüber der Grünen-Politikerin Renate Künast15 oder der Entscheidung des BVerfG vom 16.1.2017 zu dem natürlich nur als massive Beschimpfung anzusehenden Slogan „All Cops Are Bastards“ (A.C.A.B.)16 durchaus hinterfragt werden.


Eher fragwürdig, weil destruktiv, erscheint etwa die durch den Deutschlandfunk publik gemachte Forderung des Musikkritikers Jens Balzer, „Wir müssen wieder hassen lernen – und zwar richtig.“ Und das hieße jene zu hassen, die bestimmen wollten, wer mehr und wer weniger wert sei, die glaubten, uns sagen zu dürfen, wie andere leben sollten, wen man lieben und mit wem man zusammenleben dürfe, erklärte Balzer.17 Fragwürdig erscheint dieser Aufruf nicht nur, weil hier Grundwerte einer aufgeklärten und offenen Gesellschaft missachtet werden; fragwürdig auch deshalb, weil damit genau das dualistischen Weltbild, das die Zuordnungen in die Guten und die Bösen, in schwarz und weiß vornimmt, die den gesellschaftsgefährdenden Charakter von Hass ausmachen, als Wertmaßstab für die Beurteilung menschlichen Handelns angelegt wird. Die bereits zitierte Carolin Emcke widerspricht einem solchen gedanklichen Ansatz vehement, indem sie fordert: „Fanatismus und Rassismus muss nicht nur in der Sache, sondern auch in der Form widerstanden werden. Das bedeutet eben nicht, sich selbst zu radikalisieren. Das bedeutet eben nicht, mit Hass und Gewalt das herbeiphantasierte Bürgerkriegsszenario (oder das einer Apokalypse) zu befördern. Es braucht vielmehr ökonomische und soziale Interventionen an den Orten und in den Strukturen, wo jene Unzufriedenheit entsteht, die in Hass und Gewalt umgeleitet wird.“18 Kriminalistik und Kriminologie haben hierbei eine nicht zu unterschätzende, wenngleich natürlich nicht eine alleinige oder prominente Rolle zu spielen.

 

9 Fazit


Die Bedeutung gesellschaftlicher Spaltungsprozesse, die Entstehung und die Auswirkungen von Hass und damit einhergehende Herausforderungen für die Arbeit der Sicherheitsbehörden waren das zentrale Thema der 2019’er Herbsttagung des BKA. Sie war wohl eine der politischsten in der Geschichte dieser Veranstaltungsreihe; eine übrigens erneut ausgezeichnet organisierte Tagung, die bei den Teilnehmern viel Nachdenklichkeit erzeugte und eine Vielzahl von Handlungserfordernissen (nicht nur) für die Sicherheitsbehörden aufzeigte.