Forensisch entomologische Untersuchungen im Kriminaltechnischen Institut des Bayerischen Landeskriminalamtes

3 Ausgewählte forensisch entomologische Forschungsprojekte


Um zu gewährleisten, dass ihr Fachwissen auf dem aktuellen Stand bleibt, nehmen die forensisch entomologischen Sachverständigen unter anderem regelmäßig an jährlich stattfindenden Laborvergleichsuntersuchungen und entsprechenden Fachkonferenzen teil. Darüber hinaus beteiligen sie sich auch an forensisch entomologischen Forschungsprojekten auf nationaler und internationaler Ebene, von denen an dieser Stelle stellvertretend zwei Projekte vorgestellt werden.

3.1 Versuche zur Auffindung von Schweinekadavern mittels Wärmebildkamera

Bereits seit vielen Jahren kommt bei der Suche nach Straftätern und Vermissten die Wärmebildkamera (FLIR, Forward Looking InfraRed) vom Hubschrauber aus standardmäßig zum Einsatz. Hierbei macht man sich zunutze, dass der Körper einer lebenden Person in der Regel eine höhere Temperatur aufweist als seine Umgebung. Die daraus resultierende unterschiedlich starke Wärmeabstrahlung wird durch die Wärmebildkamera in ein Graustufenbild umgewandelt. Diese Art des bildgebenden Verfahrens wird auch als Thermographie bezeichnet.

Aber wie stellt sich die Sachlage bei bereits verstorbenen Personen oder Opfern von Tötungsdelikten dar? Üblicherweise gleicht sich die Körpertemperatur nach Todeseintritt allmählich der Umgebungstemperatur an. Je nach Jahreszeit geschieht dies unterschiedlich schnell, aber prinzipiell ist zu erwarten, dass eine Leiche schon nach einigen Stunden bis spätestens etwa zwei Tagen nicht mehr mithilfe einer Wärmebildkamera thermographisch wahrgenommen und somit auf diese Weise aufgefunden werden kann.

Allerdings wurde bei forensisch entomologischen Freilandversuchen festgestellt, dass durch mikrobiell bedingte Verwesungsprozesse und vor allem durch die Aktivität leichenbesiedelnder Insekten ein Anstieg der Temperatur verursacht werden kann. In diesem Zusammenhang spielen gerade die Maden von Schmeißfliegen eine wichtige Rolle. Unter günstigen Bedingungen legen Schmeißfliegen ihre Eier in großer Zahl an einer Leiche ab. Die daraus schlüpfenden Maden bilden Fressgemeinschaften, sog. Madenmassen, die zum Teil aus mehreren tausend Individuen bestehen können. In diesen Madenmassen können Temperaturen auftreten, die über längere Zeit deutlich über der Umgebungstemperatur liegen, was eine Wahrnehmung durch eine Wärmebildkamera möglich erscheinen lässt. Auch wenn diese Zusammenhänge an sich bereits länger bekannt waren, lagen bis vor wenigen Jahren noch keine allgemein zugänglichen Erkenntnisse in Form von Publikationen vor, ein Umstand, der 2010 im Fall des vermissten Mirco in Nordrhein-Westfalen besonders deutlich wurde. Zwei Wochen nach seinem Verschwinden kam die Frage nach einem möglichen Einsatz von Wärmebildkameras bei der Suche des Kindes auf. Hierbei zeigte sich eine große Unsicherheit bzw. Unkenntnis darüber, wie lange nach Todeseintritt ein menschlicher Körper überhaupt noch eine thermographisch messbare Wärmemenge abstrahlt, das heißt, ein Sucheinsatz mittels Wärmebildkamera demnach überhaupt noch sinnvoll ist.

Um diese Zusammenhänge genauer zu untersuchen, wurde ein Forschungsprojekt in Kooperation zwischen der Rechtsmedizin Frankfurt, der Hubschrauberstaffel NRW, der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW und dem Bayerischen Landeskriminalamt initiiert. Dabei wurden in bislang drei Versuchsstaffeln zu unterschiedlichen Jahreszeiten auf einem für die Öffentlichkeit unzugänglichen Versuchsgelände tote Schweine ausgelegt. In den Versuchen wurden verschiedene Fall- und Ablageszenarien simuliert. Einige Schweine lagen beispielsweise unbekleidet oberflächlich frei, andere dagegen bekleidet, ein Teil wurde mit Ästen abgedeckt usw. Abgesehen von der Dokumentation der Insektenbesiedelung mit entsprechender Probennahme sowie regelmäßigen Temperaturmessungen auf und in den Kadavern wurden die Schweine weitgehend sich selbst überlassen. An festgelegten Tagen erfolgten über einen Zeitraum von ca. drei Wochen überwiegend nachts Überflüge in Verbindung mit thermographische Messungen durch einen mit einer Wärmebildkamera ausgestatteten Helikopter. Die Ergebnisse der ersten Versuchsstaffel 2014 wurden vorab bereits im Jahr 2017 veröffentlicht.2 Hierbei zeigte sich, dass die auftretenden Madenmassen an den Schweinen Temperaturen generierten, die teilweise bis zu 10°C über der Umgebungstemperatur lagen. Dies führte dazu, dass die beiden Versuchsschweine bzw. deren Überreste auch noch nach drei Wochen Liegezeit (!) thermografisch auffindbar und darstellbar waren.

Die vollständige Auswertung der Ergebnisse der nachfolgenden beiden Versuchsstaffeln aus den Jahren 2017 und 2018 dauert noch an. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt zeichnet sich eine grundsätzliche Bestätigung der Ergebnisse aus der ersten Versuchsstaffel ab, wobei bestimmte Ablageszenarien durchaus die Darstellbarkeit und Auffindbarkeit mittels Wärmebildkamera beeinträchtigen oder gänzlich verhindern können. Des Weiteren bewirkte die Umstellung der Hubschrauberstaffel NRW auf das neue FLIR Star Safire 380-HD System im Jahre 2017 eine enorme Verbesserung der Bildqualität und der Darstellbarkeit gegenüber 2014, was thermografische Aufnahmen von beeindruckender Auflösung und Schärfe ermöglichte (Abb. 1, 2).


Abb. 1: Thermografische Nachtaufnahme von vier frei liegenden Schweinekadavern aus dem Helikopter nach ca. acht Tagen Liegezeit, rote Markierungen: unbekleidet, gelbe Markierungen: bekleidet; Die hell aufleuchtenden Flächen repräsentieren die Bereiche der Schweine mit erhöhter Wärmeentwicklung und -abstrahlung aufgrund von Madenmassen (m.f.G.d. KOK Lars Weidlich, SG 43.2, Flugeinsatzgruppe Düsseldorf).


Abb. 2: Detailaufnahme eines bekleideten Schweines nach einer Liegezeit von ca. 10 Tagen. Deutlich ist die aufgrund fortgeschrittener  Madenaktivität großflächige Wärmeabstrahlung erkennbar (helle Bereiche) erkennbar (m.f.G.d. KOK Lars Weidlich, s.o.).

Es ist geplant, in einer letzten Versuchsstaffel die Möglichkeiten der Thermographie im Winter zu untersuchen, d.h. ob und wie lange eine Darstellung der Kadaver möglich ist, wenn eine Besiedelung durch Insekten nahezu ausgeschlossen werden kann. Möglicherweise reicht die mikrobielle Aktivität allein zumindest für ein schwaches Temperatursignal bereits aus.

Nach Abschluss der Auswertung aller Versuchsstaffeln ist eine Veröffentlichung der gesammelten Erkenntnisse angedacht, um den Entscheidungsträgern eine Entscheidungshilfe bei zukünftigen Leichen- oder Vermisstensuchen an die Hand geben zu können.