Clankriminalität

Organisierte Kriminalität als Bedrohung für die Innere Sicherheit

4 Reaktionen der deutschen Behörden


Die politischen Entscheidungsträger Deutschlands haben das Problem kriminelle Familienclans erst relativ spät erkannt und die Behörden waren lange Zeit überfordert, da es der deutschen Polizei an Personal und Möglichkeiten fehlt, um Clankriminaliät als Phänomenbereich der Organisierten Kriminalität zu bekämpfen. Dabei helfen könnte eine Gesetzesänderung aus dem Jahr 2017, seither müssen die Behörden nicht mehr nachweisen, dass die Familienclans ihr Vermögen illegal erworben haben, sondern müssen diese belegen, auf legalem Wege an das Geld gelangt zu sein.23 Im Juli 2018 bekam der kriminelle Clan der Familie Remmo in Berlin die Folgen dieser Gesetzesnovelle zu spüren. In einer jahrelang vorbereiteten Aktion beschlagnahmte die Polizei 77 Immobilien des Clans im Wert von 9 Millionen Euro, gegen 16 Mitglieder des Clans laufen seither Ermittlungen wegen Geldwäsche.


Nach Angaben des deutsch-libanesischen Islamwissenschaftlers Ralph Ghadban behindern die Familienclans die Arbeit der Polizei wo es geht, bedrohen Polizisten und schüchtern diese ein.24 Wollen die Polizei und andere Behörden Maßnahmen durchführen, stehen schnell Dutzende Mitglieder der Clans um sie herum, blockieren, beschimpfen sie, fangen Schlägereien an. Dadurch entstehen „No-go-Areas“, rechtsfreie Räume. Die deutsche Justiz wird gelähmt durch Bedrohung von Zeugen und Opfern, die dann Aussagen und Anzeigen zurücknehmen. Daher enden die meisten Gerichtsverfahren gegen Familienclans ergebnislos. Konflikte werden durch die Familienclans durch Paralleljustiz, „Friedensrichter“ geregelt. Schulen und Jugendämter können ihre Aufgaben nicht erfüllen, weil die Großfamilien der Clans sich der Zusammenarbeit verweigern.25


Nach Einschätzung des Islamwissenschaftlers Ghadban habe der „deutsche Staat versagt“, „er weigert sich bis heute, das Problem wahrzunehmen“26 Aufgrund der materiellen Erfolge der arabischen Clans haben auch andere Großfamilien ähnliche Strukturen entwickelt, außerdem sind neue ethnische Clans eingewandert: Tschetschenen, Albaner, Kosovaren, Jesiden u.a. Dieser Zuwachs an Familienclans, die Parallelgesellschaften bilden, „stellt eine große Bedrohung für eine offene, liberale, individualisierte Gesellschaft dar“, so Ghadban.27


Ralph Ghadban, der als Experte für kriminelle Familienclans gilt, erhält seit April 2019 Morddrohungen aus dem Milieu der kriminellen Familienclans und steht seither unter Polizeischutz. Mit folgenden Worten kritisiert er die Reaktionen der politischen Verantwortlichen im Stadtstaat Berlin: „Auffällig ist die Haltung von Berlin: Außer dem stellvertretenden Bürgermeister von Neukölln hat kein Mensch Position bezogen. Weder der Innensenator, noch der Justizsenator oder wie sie alle heißen. Es brennt in Berlin, aber kein Wort davon, als ob sie von diesem Fall nicht betroffen sind. Die müssen irgendwann kapieren, dass die Haltung der Politik entscheidend ist.“28 Aus seiner Sicht sind zwei Punkte notwendig, um die Machenschaften der kriminellen Familienclans zu bekämpfen: „Der Staat muss energisch intervenieren. Aber man muss sich auf der anderen Seite Gedanken machen, wie man sie integrieren kann. Die werden hierbleiben. Und da habe ich an eine Art Aussteigerprogramm gedacht.“29 Der Berliner Bezirk Neukölln arbeitet mittlerweile an solch einem Aussteigerprogramm, das im äußersten Fall beispielsweise vorsieht, Kinder, Jugendliche aus den Familien zu nehmen.

4.1 Antwort der Bundesregierung auf eine aktuelle Kleine Anfrage

Die Frage „Wie bewertet die Bundesregierung die Entwicklung der OK in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren?“ einer Kleinen Anfrage im Bundestag beantwortete die Bundesregierung damit, dass die Gesamtzahl der Ermittlungsverfahren gegen OK-Gruppierungen seit Jahren auf einem unverändert hohen Niveau liegt, ebenso das von der Organisierten Kriminalität ausgehende Bedrohungspotenzial. Als Geschäftsfeld der OK steht nach Ansicht der Bundesregierung die international organisierte Rauschgiftkriminalität im Vordergrund, gefolgt von Eigentums- und Wirtschaftskriminalität in unterschiedlicher Ausprägung. Dabei machen die OK-Gruppierungen vor Landesgrenzen nicht halt, sondern arbeiten eng mit Gruppierungen aus dem Ausland zusammen.30Auf die Frage „In welchen Bundesländern liegen nach Kenntnis der Bundesregierung Schwerpunkte im Bereich der OK?“ antwortete die Bundesregierung damit, dass im Jahr 2017 in Deutschland insgesamt 572 OK-Verfahren geführt wurden und dabei zahlenmäßige Schwerpunkte insbesondere in den Ländern Nordrhein-Westfalen (111), Bayern (76) und Berlin (68) lagen.31


Die Antwort der Bundesregierung auf die Frage „Welche Rolle spielen nach Einschätzung der Bundesregierung familiäre Strukturen im Bereich der OK (sog. Clankriminalität)?“ lautet, dass kriminelles Handeln familiärer Strukturen in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität an Bedeutung gewonnen hat, konkretere Aussagen allerdings erst ab dem „Bundeslagebild Organisierte Kriminalität“ des BKA für das Jahr 2018 getroffen werden können, da in diesem erstmals einheitliche Zuordnungskriterien und Indikatoren für Clankriminalität im Zusammenhang mit OK herangezogen werden.32


Die Frage „Werden Straftaten im Bereich der Clankriminalität durch die Bundesregierung oder ihr nachgeordnete Behörden gesondert erfasst? Wenn nicht, warum nicht, und erwägt die Bundesregierung eine gesonderte Erfassung?“ beantwortete die Bundesregierung damit, dass beim BKA im Rahmen der Erstellung des Bundeslagebildes Organisierte Kriminalität die festgestellten Tatverdächtigen ab 2018 gesondert erfasst werden, die dem Bereich Clankriminalität zugeordnet werden können. Aufgrund der Zielrichtung dieses Lagebildes werden Straftaten der Clankriminalität unterhalb der Schwelle der Schweren und Organisierten Kriminalität nicht berücksichtigt.33


Sie antwortete auf die Frage „Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um der Entstehung von Familienclans, die unter Missachtung der vorherrschenden staatlichen Strukturen, deren Werteverständnis und Rechtsordnung eine eigene, streng hierarchische, delinquente Subkultur bilden, entgegenzuwirken?“ damit, dass die Kommission Organisierte Kriminalität (KOK) im Oktober 2018 beschlossen hat, die Bekämpfung von Kriminalität durch Mitglieder ethnisch abgeschotteter Subkulturen zu intensivieren und diesbezüglich ein dauerhaftes Netzwerk aufzubauen.34

 

5 Clankriminalität in Nordrhein-Westfalen


Nach Angaben des bundesweit ersten „Lagebildes Clankriminalität“ des LKA Nordrhein-Westfalen sind insgesamt 104 Großfamilien vor allem aus dem Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen jedes Jahr für mehr als 4.500 Straftaten verantwortlich. Davon wiederum wird wiederum jede fünfte Straftat von Angehörigen nur zweier einflussreicher Familienclans ausgeführt.35 Ein Drittel aller 14.225 Clan-Straftaten, darunter vor allem „Roheitsdelikte“ wie schwere Gewalt, Raub, Brandstiftung, versuchter Totschlag und sogar zwei Tötungen, wurden in den vergangenen drei Jahren von aggressiven Mehrfachtätern begangen, also von Personen, die jährlich mindestens fünfmal als Tatverdächtige erfasst werden.


Der Abteilungsleiter für Organisierte Kriminalität im nordrhein-westfälischen LKA beschreibt „zwei Grundprinzipien“ im Denken und Handeln der kriminellen Familienclans: „Die Ehre der Familie geht über alles“ und „Es gilt das Recht des Stärkeren“. Ersteres führe zu einer starken Geschlossenheit der kriminellen Verbände und erschwere die Polizeiarbeit etwa durch verdeckte Ermittler. Die zweite Regel erkläre, warum die Clans auch vor brutaler Gewalt nicht zurückschreckten. Grundnormen der deutschen Rechtsordnung würden „als Schwäche ausgelegt“ und oft schlicht missachtet.36 Anonymisiert schildert das „Lagebildes Clankriminalität“ Nordrhein-Westfalen wie allein zwei Clans – O. und E. abgekürzt – den Phänomenbereich dominieren: Zusammen stellten sie von Januar 2016 bis Dezember 2018 1.211 von insgesamt 6.449 Tatverdächtigen und etwa jeden fünften Mehrfachtäter. Wohn- und Tatorte der kriminellen Familienclans liegen vorrangig im Norden des Ruhrgebiets, also im Essener Norden sowie in Gelsenkirchen, Duisburg und im Kreis Recklinghausen.37


Anfang Januar 2019 ging die Polizei Nordrhein-Westfalens mit einem Großaufgebot von 1.300 Beamten nachts in sechs großen Ruhrgebietsstädten – Bochum, Dortmund, Essen, Duisburg, Recklinghausen und Gelsenkirchen – gegen kriminelle Großfamilien vor. Es ging um den Verdacht der Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit, sagte eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums.38 Dabei wurden 14 Menschen festgenommen und 100 Strafanzeigen erstellt. Dies war die „größte Razzia gegen Clan-Kriminalität in der NRW-Geschichte“, hieß es in einem Tweet des nordrhein-westfälischen Innenministeriums. Insgesamt wurden mehr als 1.500 Menschen und über 100 Shisha-Bars, Wettbüros, Spielhallen und Diskotheken kontrolliert.39 In Essen wurde nach Angaben der Polizei eine Person festgenommen und die Polizei stellte mehrere Hundert Kilogramm unversteuerten Tabak sicher. Außerdem wurden nach Polizeiangaben Waffen wie verbotene Messer und Teleskopschlagstöcke sowie mehrere Tausend Euro Bargeld beschlagnahmt. Zum Abschluss der Kontrollen zitierte das nordrhein-westfälische Innenministerium auf Twitter den Innenminister Herbert Reul: „Diese Nacht hat eine klare Botschaft: Bei uns gilt nicht das Gesetz der Familie, sondern das Gesetz des Staates.“40

 

6 Clankriminalität in Berlin


Berlin gilt als Hauptstadt der kriminellen Familienclans.41 Mindestens dreizehn sicherheitsrelevante Großfamilien stehen im Fokus der Berliner Behörden, ca. 10.000 Mitglieder krimineller Familienclans sollen allein in Berlin leben. Die Clans in Berlin heißen u.a. Remmo, Al-Zein, Abou-Chaker, Miri, Omeirat, Fakhro und Chahrour. Ihre Geschäftsfelder sind Drogenhandel, Prostitution, Schutzgeld, Waffenhandel, Geldwäsche, Raub- und Einbruchsdelikte. Ganze Stadtviertel in Neukölln, Wedding und Moabit haben diese kriminellen Familienclans unter ihre Kontrolle gebracht. Daneben berichten Polizisten immer häufiger davon, dass sie bei Einsätzen von Mitgliedern der Clans attackiert und angegriffen werden.42


18 Mitglieder des kriminellen Clans Remmo aus dem Berliner Bezirk Neukölln haben insgesamt mehr als 200 Straftaten verübt. In Neukölln ist das Phänomen Clankriminalität besonders ausgeprägt. Dort leben rund 330.000 Menschen, der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund ist hoch und jeder vierte Einwohner bezieht Sozialhilfe. Im Herbst 2018 wurde dort der 36-jährige Intensivtäter Nidal Remmo erschossen, auf offener Straße, an einem sonnigen Nachmittag. Seine Kinder mussten den Mord mit ansehen, die Täter sind bis heute nicht identifiziert.43

Warum sind arabisch-stämmige kriminelle Familienclans in Berlin so oft im Gespräch?

Wahrscheinlich auch weil in der Vergangenheit mehrere Aufsehen erregende Straftaten mit kriminellen Familienclans in Verbindung gebracht wurden:

  • Im Herbst 2018 wurde in Berlin-Neukölln hier der 36-jährige Intensivtäter Nidal Remmo durch Mitglieder des Clanmilieus erschossen, auf offener Straße.
  • Der Diebstahl einer hundert Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Bode-Museum in Berlin im Jahr 2017 im Wert von ca. 3,75 Millionen Euro.
  • Ein Raubüberfall auf das „KadDeWe“ in Berlin im Jahr 2014, bei dem Schmuck und Juwelen gestohlen wurden.
  • Ein Überfall auf ein internationales Pokerturnier im Grand Hyatt Hotel Berlin im Jahr 2010.
  • Darüber hinaus sorgten Berichte vor allem von Boulevard-Medien über eine Verbindung des Rappers Bushido zum Abou-Chaker-Clan für Aufmerksamkeit.44