Aufdeckungsbarrieren bei Serienmorden

I. Problemstellung
Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit kennzeichnen gerade Serienmörder als vermeintliche Unmenschen, die Unheil über ihre Mitmenschen bringen, Leben auslöschen. Und gerade deshalb rücken sie in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Sie inszenieren ein Drama, an dem nur sie selbst freiwillig teilnehmen. Auch wenn es kaum jemand wahrnimmt, sie kommunizieren mit uns. Aufgeführt wird immer dasselbe Stück: die Verstümmelung der Humanität und ihrer Spielregeln.

Stephan Harbort, Kriminalhauptkommissar, Polizeipräsidium Düsseldorf

Serienmorde beunruhigen nicht nur die Bevölkerung in besonderem Maße, sondern erfordern regelmäßig auch einen kriminalistischen Kraftakt. Die unbestreitbaren strategischen und logistischen, vor allem aber auch erkenntnistheoretischen Probleme bei der Fallbearbeitung können an konkreten Zahlen abgelesen werden: Die polizeiliche Aufklärungsquote liegt bei Serienmorden allgemein bei etwa 82 Prozent und bleibt damit spürbar unter den Vergleichszahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik für die Gesamtheit aller Tötungsdelikte, die sich bekanntlich im statistischen Mittel zwischen 90 und 95 Prozent bewegt. Bei seriellen Sexualmorden beträgt die Aufklärungsquote sogar lediglich knapp 72 Prozent. Relativiert wird der kriminalistische Erfolg indes durch die bescheidene Verurteilungsquote von unter 65 Prozent. Die Täter verüben in Deutschland durchschnittlich sechs Tötungsdelikte, bevor sie endlich überführt werden können, der Fahndungserfolg stellt sich erst nach etwa dreieinhalb Jahren ein. Würde man die bisher erkannten, aber nicht aufgeklärten Serienmorde berücksichtigen, es ergäben sich wesentlich unerfreulichere statistische Befunde. Erwähnung verdient ebenfalls der Umstand, dass lediglich jede zweite Mordserie als solche auch erkannt wird.


Tab. 1: Synopse Einmal- und Serienmörder5

Diese durchaus verbesserungswürdige Bilanz resultiert im Wesentlichen aus spezifischen Aufdeckungsbarrieren, die gerade bei Serienmorden immer wieder zu beobachten sind. Mittel und Methoden, die sich in anderen Todesermittlungsverfahren über Jahrzehnte hinweg bewährt haben, erweisen sich bei diesem Tätertyp häufig als unbrauchbar. Schon eine auf bestimmte Items beschränkte Synopse von Einmal- und Serienmördern macht deutlich, dass Kriminalisten es mit einer spezifischen Täterklientel zu tun bekommen (Tabelle 1) und allgemeine kriminalistisch-kriminologische Erfahrungswerte nur bedingt anwendbar sind. Die je nach Motivlage und Tätertyp variierenden besonderen Problemstellungen bei der Bearbeitung von Serienmord-Fällen transparent zu machen und kasuistisch zu unterlegen, ist Anliegen dieses Beitrags.

II. Kriminalphänomenologie
Den Endpunkt der Genesezum Serienmörder kennzeichnet in etwa neun von zehn Fällen eine gravierende Persönlichkeitsstörung. Charaktereigenschaften werden in der Regel erst dann unter diesem Fachbegriff eingeordnet, wenn die Betroffenen erkennen lassen, dass sie auf diese Eigenschaft(en) fixiert sind und zugleich deutlich darunter leiden, oder wenn die soziale Abweichung ein solches Ausmaß erreicht, dass das Umfeld sich davon beeinträchtigt fühlt. Konkret ist entweder das Beziehungserleben oder das Sozialverhalten oder beides erheblich gestört. Bei Serien-Sexualmördern liegt zudem regelmäßig auch mindestens eine Perversion vor.
Die Psychopathie ist allerdings gerade bei diesem Tätertyp ein überaus vielschichtiges und vielgesichtiges Krankheitsbild. Sie wird in all ihren Erscheinungsformen vornehmlich geprägt von Erbanlangen, der frühkindlichen Entwicklung, der Erziehung, aber ebenso durch die Wechselwirkung von ungewöhnlichem Charakter und der Reaktion seiner Umgebung. Bei eigenen Untersuchungen an 52 Probanden (Tabelle 2) kam heraus, dass das Charakterprofil der Täter bunt gemischt ist und keine generalisierende Aussage zulässt. Die brisantesten und häufigsten Charakterzüge sind emotionale Labilität, Gemütsarmut, egoistisch-egozentrische Grundhaltungen, geringe Frustrationstoleranz, eingeschränkte Impulskontrolle und Minderwertigkeitsgefühle. Allerdings lässt sich auch hier kein idealtypisches Charakterbild herausfiltern.

Tab. 2: Persönlichkeitsstörungen bei Serienmördern (n = 52)

Deshalb wäre es vermessen, bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen eine verbrechensrelevante Kausalität unterstellen zu wollen. Insofern besteht auch keine gesicherte Möglichkeit, einem gesuchten unbekannten Täter bestimmte, gerade ihn zutreffend charakterisierende fahndungsrelevante Merkmale zuzuschreiben.
Auch bei Störungen der Sexualpräferenz (Tabelle 3) ergibt sich überwiegend kein einheitliches Verhaltensprofil. Zu finden sind nahezu sämtliche Formen sexueller Devianzen. In den meisten Fällen liegen allerdings gleich mehrere Perversionen vor, von denen aber keine im Vordergrund steht. Dominant ist hier die Kombination von Sadismus und Fetischismus, wobei mitunter lediglich Tendenzen sichtbar werden.
Der ganz überwiegende Teil der Serienmörder fällt bereits vor dem ersten Tötungsdelikt durch wiederholte Normverletzungen auf. Man könnte in diesem Zusammenhang eine Deliktsperseveranz erwarten, das wäre durchaus logisch und plausibel. Doch das Gegenteil ist der Fall. Serienmörder lassen sich nicht auf eine bestimmte Verbrechensform reduzieren, sie verüben vor ihren Morden überwiegend Straftaten, die eine gänzlich abweichende Zielrichtung haben. So dominieren beispielsweise bei multiplen Sexualmördern in erster Linie Vermögens- und Körperverletzungsdelikte als Vorstrafen, und eben nicht Sexualverbrechen. Diese deliktische Bandbreite ist dadurch zu erklären, dass Serientäter generell nur sehr eingeschränkt bereit sind, Normen und Werte einer Gesellschaft zu akzeptieren, vor allem aber zu respektieren. So ist zum Beispiel die Vergewaltigung eingebettet in eine allgemein verwahrloste oder kriminelle Einstellung. Sexualität wird mit Gewalt genommen, wie auch andere Bedürfnisse gewaltsam befriedigt werden. Je vielschichtiger das Verlangen, desto vielgestaltiger das Verbrechen.


Tab. 3: Abnorme sexuelle Präferenzen

III. Perseveranz
Grundsätzlich kann man zwei Typen von Serienmördern unterscheiden: jene, die konkret planen, sich vorbereiten, organisiert und strategisch agieren, und solche, die sich spontan zu einem Verbrechen animieren oder hinreißen lassen. Viele Serienmörder lassen sich bei der Auswahl ihrer Opfer überwiegend von pragmatischen Überlegungen leiten. Denn das sofortige, blitzartige und planloseAttackieren birgt unkalkulierbare Risiken und Gefahren: Das Tatgeschehen kann bei heftiger Gegenwehr eskalieren, Schreie des Opfers könnten gehört werden, ein ungestörter Tatverlauf bleibt ungewiss, der Begegnungsort erscheint zur Durchführung der Tat ungeeignet, es gibt kaum Erfolg versprechende Fluchtmöglichkeiten. Die Opfer werden daher in Dreivierteln der Fälle nicht sofort angegriffen und überwältigt. Vielmehr wird das Terrain zunächst sondiert, potenzielle Opfer werden taxiert, belauert, verfolgt und ausgespäht. Erst wenn der angehende Mörder ausreichende Kenntnisse und genügend Wissen erlangt hat, die auch aus vorheriger krimineller Erfahrung ableitbar sind und ein profitables Opferprofil herausgearbeitet worden ist, beginnt die konkrete Tatplanung. Sie umfasst bestimmte Vorgaben, von denen im Regelfall nicht abgewichen wird: Tatzeit, Tatort, Tatmittel, Tatablauf. Und das vielfach beliebigoder zufälligausgewählte Opfer soll lediglich bestimmten Kriterien entsprechen: beispielsweise Kinder, junge Mädchen, Frauen, Prostituierte, Anhalterinnen oder ältere Menschen, die sich arglos und nicht selten (zu) sorglos oder vertrauensselig in einer unverfänglich und gefahrlos erscheinenden Situation umschmeicheln, überreden, einladen oder auf andere Art beeinflussen und an den späteren Tatort dirigieren lassen.
Obwohl die bis Mitte der 70er Jahre konsequent verfochtene Perseveranzhypothese in dieser stringenten und ausschließlichen Formulierung nunmehr als obsolet gilt, lehren uns einige in der jüngeren Vergangenheit verübte Serienmorde, dass sie noch immer zu beobachten ist: die Gleichförmigkeit in der Tatbegehungsweise, die unübersehbaren Übereinstimmungen, die mehrere Einzelfälle als Verbrechensserie erst erkennbar machen.

Fall 1: Der Berufsfachschüler Hans Dieter
Sch. tötete in den Sommermonaten des Jahres 1985 in Bonn und Bochum drei junge Frauen. Die Leichenfundsituationen waren weitestgehend identisch. Alle Opfer fand man in einem Erdgrab, die Leichen waren hügelartig unter belaubten Ästen versteckt worden. Im Rahmen der Ermittlungen stieß man auf den 26-Jährigen. Er hatte das letzte Opfer gekannt, sich sogar an der Suchaktion beteiligt. Und er war bereits vorbestraft – wegen Mordes an einem jungen Mädchen zehn Jahre zuvor. Die Besonderheit dabei: Auch dieses Opfer war auf gleichartige Weise vergraben worden. Diese Parallelen brachten die Kriminalisten schließlich auf die richtige Spur.

Fall 2: Von November 1987 bis November 1990 fielen dem Grafiker Thomas H. in Hamburg und Buchholz drei Frauen zum Opfer. Dabei pflegte er eine stereotype Vorgehensweise. Er zwang seine Opfer mit Waffengewalt in seinen Wagen, fuhr mit ihnen in seine Wohnung, fesselte, knebelte und vergewaltigte die Frauen, erwürgte oder erdrosselte sie und entsorgte die Leichen mit seinem Wagen. Bei der Überprüfung der im Bereich des wahrscheinlichsten Tatortes lebenden vorbestraften Sexualtäter stieß man auf H. Der Grund war eine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung, verübt am 16. Januar 1988. Der Tathergang war denen der Morde sehr ähnlich gewesen. Unter Vorhalt eines Klappmessers hatte er eine 19-Jährige gezwungen, ihm in seine Wohnung zu folgen. Dort war die junge Frau gefesselt und anschließend vergewaltigt worden. Danach hatte H. sein Opfer allerdings freigelassen. Auch hier waren die sich ähnelnden Tatbegehungsweisen im Wesentlichen ausschlaggebend für den Ermittlungserfolg.
Tatsächlich spiegelt das Verhalten multipler Mörder in vielen Fällen eine Tendenz zu sich ähnelnden beziehungsweise übereinstimmenden Tatbegehungsweisen. Hierbei darf jedoch nicht in Vergessenheit geraten, dass es im Regelfall lediglich eine oder mehrere Tathandlungssequenz(en) sind, die auf denselben Täter hinweisen können. Dennoch erscheint diese Erkenntnis nicht generell geeignet, um eine zweifelsfreie Tat-Tat-Übereinstimmung annehmen zu können. Denn der Modus operandi ist ein kopfgesteuertes, erlerntes, dynamisches und jederzeit veränderbares Verhaltensmuster, das zudem von situativen Einflüssen vor, während und nach der Tat, aber insbesondere auch von der Intelligenz und den Lernerfahrungen des Täters gespeist und dominiert werden kann. Der Fall Mirko St. steht stellvertretend für eine Vielzahl von Serienmördern, die sich als lernfähig erweisen und auf äußere wie innere Einflüsse mit einem sich mitunter gravierend verändernden Tatverhalten reagieren. St. verübte in der Region Brandenburg in den Jahren 1983 und 1984 überwiegend an Knaben fünf vollendete sadistische Morde, in einem weiteren Fall überlebte das Opfer.
St. tötete zunächst einen 19-jährigen Mann durch Messerstiche, dem er zufällig in einem Park begegnet war. Allerdings war er nach dieser Tat regelrecht enttäuscht, denn er hatte sein Ziel nicht erreicht – das Beobachten des „Übergangs in den Tod“. Der damals 21-Jährige reflektierte das Tatgeschehen und legte sich eine neue Strategie zurecht. Das Opfer sollte nicht wieder ein Erwachsener sein, der sich wehren würde, der nicht ohne weiteres zu kontrollieren wäre; ein Kind sollte es treffen. Die Ziele: Risikominimierung, Gewährleistung einer ungestörten Tatausführung. St. hatte also dazugelernt.
Die folgende Tat entsprach dann auch schon eher seinen perversen Vorstellungen und Neigungen. Diesmal hatte er sein Opfer nicht überfallartig angegriffen und sofort zugestochen, sondern den Jungen zunächst im Halsbereich fixiert und an den Tatort geführt. Die Gegenwehr des an den Händen gefesselten Jungen beim Würgen hatte ihn aber irritiert. Wieder war der „Übergang in den Tod“ nicht genau zu beobachten gewesen. Bei der üblichen Reflexion der Tat kam ihm die Idee, das nächste Opfer auf andere Art zu fesseln. Die zweite Tat offenbart noch einen weiteren Lerneffekt. Er hatte den Tod des Jungen – ähnlich wie bei dem Mord an dem 19-Jährigen – für nicht sicher gehalten. Die Lösung: ein Herzstich. Noch eine bedeutsame Abweichung zur ersten Tat.
Auch das dritte Verbrechen, ein Doppelmord an zwei Brüdern, hatte teilweise ein anderes Erscheinungsbild. Diesmal fesselte er die Opfer konsequenter, nämlich an Händen und Füßen. Sie sollten sich nicht wehren können. Deshalb mussten die Kinder auch besonders lange leiden. 75 Minuten vergingen: ausfragen, fotografieren, streicheln, schlagen, würgen, stechen. Und: Endlich hatte er den Würgevorgang ausgiebig beobachten können, den er immer wieder bewusst abbrach, um wenig später weitermachen zu können. Diese Tat ließ auch eine erhebliche Zunahme von Gewalt erkennen. Diesmal fügte er seinen Opfern multiple Stichverletzungen zu, setzte ferner einen Kehlschnitt. Das hatte es vorher nicht gegeben.
St. wurde mit der Zeit selbstbewusster. Hatte er früher Wohnsiedlungen als mögliche Tatorte kategorisch ausgeschlossen, so ging er nun bewusst ein höheres Risiko ein. Sein fünftes Opfer suchte er nicht mehr in öffentlichen Parks oder Waldgebieten. Dies war ihm zu gefährlich geworden, die Ermittlungen der Kripo waren ihm nicht verborgen geblieben. Deshalb stellte St. potentiellen Opfern in einem aus seiner Sicht geeigneten Neubaugebiet nach und tötete dort einen Jungen im Keller eines Mehrfamilienhauses.
Schließlich lässt auch die letzte Tat eine weitere bedeutsame Veränderung des Modus operandi erkennen. St. verfolgte einen Jugendlichen zunächst bis zu dessen Wohnung und stieg erst einige Stunden später über eine Leiter in das Zimmer des Opfers ein, um es dort zu quälen und zu töten. Allerdings wehrte das Opfer sich heftig, St. musste flüchten. St. hatte seinen Modus operandi demnach durchgängig bewusst verändert oder war situativ gebunden von der ausgegebenen Marschroute abgewichen. Die überwiegende Zahl der Täter verhält sich genau so. An einer einmal angewandten Methodik wird nur dann konsequent festgehalten, wenn sie sich als erfolgreich und profitabel erweist.
Während bei planvoll agierenden Serienmördern in der Mehrzahl der Fälle Tendenzen zu einem perseveranten Verhalten festzustellen sind, fehlen diese Erkenntnismöglichkeiten bei eher spontan vorgetragenen Serientötungen. Diese Täter lassen eben kein strukturiertes Tatbild erkennen, der Modus operandi bei affektiv eingefärbten Serienmorden ist aus diesem Grund auch nur bedingt interpretierbar, in manchen Fällen sogar gänzlich unplausibel. Der Täter verhält sich gezwungenermaßen, er trifft spontane Entscheidungen, er agiert nicht, er reagiert. Charakteristisches Merkmal ist lediglich eine überbordende Gewaltanwendung, ein extremes Maß an Aggressivität, Motiv und Ursache hingegen bleiben genauso im Dunkeln wie die kaum zu schlussfolgernde Serientäterschaft.
Unter dem Aspekt der Perseveranz des Serienmörders sei auf eine weitere Besonderheit hingewiesen. Während etwa 90 Prozent der Täter einem Motiv beziehungsweise Motivbündel verhaftet bleiben, passieren immer wieder einmal Fälle, die sich über diese Blaupause nicht oder nicht in ihrem vollen Ausmaß als Mordserie verifizieren lassen. Der Malergehilfe Thomas R. beispielsweise tötete von 1983 bis 1995 in Berlin sieben Opfer. In dieser Zeit war den Ermittlungsbehörden gänzlich verborgen geblieben, dass einer der gefährlichsten Serienmörder der Nachkriegsgeschichte in der Stadt wütete. Neben einigen kriminalistischen Pannen (so wurde zum Beispiel ein Mord als Unglücksfall zu den Akten gelegt) war es insbesondere der unorthodox erscheinende motivische Hintergrund der Taten, der eine Serientäterschaft eher unwahrscheinlich machte: R. verübte vier Sexualmorde, zwei Raubmorde, überdies tötete er seinen Stiefvater nach einem Streit. In solchen Fällen stoßen auch erfahrene Todesermittler an ihre erkenntnistheoretischen Grenzen.

IV. Sozialverhalten und Sozialkontrolle
In vielen Fällen wird die abnorme Entwicklung der Täter durch erzieherisches Fehlverhalten begünstigt, manchmal sogar hervorgerufen. Überwiegend ist das Verhältnis zu beiden Erziehungsberechtigten erheblich belastet, ein facettenreiches Konfliktfeld tut sich auf. Emotionale Zurückweisung, allgemeine Vernachlässigung des Kindes und Prügelpädagogik sind die häufigsten Fehlerziehungsformen. Die späteren Täter werden so schon früh in eine Außenseiterposition gedrängt, ihre Existenz wird geprägt von Misstrauen und Misserfolgen, das Vertrauen in Menschen und Beziehungen geht weitestgehend verloren. Dafür jedoch müssen sie hautnah erfahren, dass sich einMittel besonders eignet, um Probleme zu lösen und sich durchzusetzen: Gewalt. Die mitunter verschrobenen Vorstellungen und handfesten Erfahrungen der eigenen Unzulänglichkeit bedingen ein sozial abweichendes Verhalten. Wer sich als anders oder gar abartig empfindet, scheut die Gemeinschaft. Denn dort drohen (vermeintliche) Entlarvung, Entmachtung, Enttäuschung und Erniedrigung – eine von vielen Tätern gemachte leidvolle Lebenserfahrung. Nicht wenigeNach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD 10) der Weltgesundheitsorganisation – es handelt sich hierbei um klinisch-diagnostische Leitlinien – liegt in solchen Fällen „eine große Diskrepanz zwischen dem Verhalten und den geltenden sozialen Normen„ vor. Charakteristisch sind unter anderem: herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen anderer; deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen; Unvermögen zur Beibehaltung längerfristiger Beziehungen, aber keine Schwierigkeiten, Beziehungen einzugehen; sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Verhalten. Solche Menschen können sich mit bestehenden Konventionen nicht abfinden, begehren auf, provozieren, lassen nur eigene Regeln gelten. So bekannte der dreifache Mörder Frank K. freimütig: „Ich kann nicht nach Regeln leben, die andere aufstellen. Dann muss derjenige sich zurückziehen. Zum Beispiel: Wenn ich besoffen Auto fahre, fahre ich besoffen Auto. Ist mir egal, ob es da ein Gesetz gibt oder nicht. Ich mach’ das dann einfach. Über die Folgen denke ich gar nicht nach, ist doch egal. Auch wenn ich mit Strafe rechnen muss: Ich mach’ das, wozu ich Lust hab’.Es fehlt das soziale Verständnis und Bewusstsein. Überwiegend wird aus einer Einzelgängerposition heraus so agiert, manchmal spielen jedoch auch gruppendynamische Prozesse eine Rolle.

Hansjoachim W. überfiel, beraubte und tötete im Sommer 1985 binnen weniger Wochen in Berlin drei ältere Frauen. Schon als Jugendlicher ließ er sich zu Gewalttätigkeiten animieren. Warum er sich so verhalten hatte, begründete er so: „In dieser Gemeinschaft ging es für mich hauptsächlich darum, Anerkennung zu finden, Freunde, Menschen, die mich so akzeptierten wie ich war, deshalb und natürlich auch, weil ich keiner wohlhabenden Familie entstammte, nahm ich an Einbrüchen und Raubüberfällen teil. Das Wie und Warum zählte für mich eigentlich nicht so sehr, wie aber sehr wohl, dass ich dazugehörte. Natürlich weiß ich heute, dass es nicht der richtige Weg, nicht die richtige Machart war, um das zu finden was ich eigentlich suchte. Aber es war die einzige Art und Weise, mich zu behaupten.„
Unabhängig vom gezeigten Sozialverhalten wird etwa jeder zweite Täter von einem diffusen Offenbarungsdrang getrieben. Peter Kürten, der „Vampir von Düsseldorf“, beschrieb seinen emotionalen Niedergang folgendermaßen: „Es kommt einmal ein Zeitpunkt auch bei dem schwersten Verbrecher, an dem er nicht mehr weiter kann. Er bricht eben seelisch zusammen. Das mag wohl hauptsächlich mitbestimmend gewesen sein, dass ich mich meiner Frau gegenüber offenbart habe.“
Entweder wollen die Täter sich mit ihren Verbrechen brüsten oder suchen nach einem Weg, um seelischen Ballast loszuwerden. Während die Intention also durchaus variieren kann, ist das Ergebnis immer dasselbe: die Täter sprechen über ihre Verbrechen, offen oder symbolisch, vornehmlich im Familien- oder Freundeskreis. Besonders ärgerlich erscheint in diesem Zusammenhang der Umstand, dass eine Vielzahl von Tötungsdelikten gar nicht hätten passieren dürfen, wenn man den Tätern nur aufmerksam zugehört, ihnen geglaubt hätte oder aus ihren Selbstbekenntnissen Konsequenzen abgeleitet worden wären – eben ein Hinweis an die Polizei.
Die Reaktionen des sozialen Umfelds der Täter auf deren Selbstbekenntnisse waren durchaus unterschiedlich: sie wurden nicht ernst genommen, nicht verstanden, nicht richtig gedeutet, übersehen, übergangen, vergessen oder einfach verschwiegen. Verdrängung statt Verständnis. Viele Kinder, Frauen und Männer könnten heute noch leben, wäre man den Tätern bei dem Versuch der eigenen Demaskierung nur behilflich gewesen. Auch bei seriellen Patiententötungen spielen spezifische Aufdeckungsbarrieren den Tätern in die Hände. Neben den generellen Anforderungen des Arzt- oder Pflegeberufs belasten die Mörder in Weiß vor allem Kommunikations- und Kooperationsprobleme am Arbeitsplatz, die zu besonderen Belastungssituationen führen. So war es auch bei Wolfgang L., der 1990 in einem Gütersloher Krankenhaus mindestens acht Frauen und zwei Männer durch Luftinjektionen tötete. „Ich wurde halt zu Leuten eher hingeschickt, die im Sterben lagen, weil ich der einzige Mann in der Schicht war, weil das eben auch eine körperlich sehr schwere Pflege war. Dann wurde ich da reingeschickt: Mach’ das mal. Du kannst das schon.„
Der damals 34-Jährige war der einzige Mann in einem Team von Schwestern. Er wurde von vielen abgelehnt und abgewiesen. Für die meisten Kollegen war L. einfach nur laut oder brutal oder anbiedernd. Ein Mann fürs Grobe eben, der in erster Linie die Leichen wegzuschaffen hatte. Dafür schien er gut genug. Zu Partys oder anderen privaten Gelegenheiten wurde L. grundsätzlich nicht eingeladen. Um dennoch zu gefallen, war er gerne gefällig, übernahm sogar klaglos Spät- und Nachtschichten. Er wollte so aber auch für sich sein und den unbequemen Kollegen aus dem Weg gehen.

Als sich die Todesfälle während seiner Schichten auffällig häuften, schimpften sie ihn zynisch den „Vollstrecker„. Eine seiner Kolleginnen berichtete in der Gerichtsverhandlung: „Einmal sind drei Patienten in einer Nacht gestorben. Das ist mein Trauma. Bei der Übergabe hieß es, man hätte sie mit allem versorgt, was man machen kann. Einer hatte einen schweren Herzinfarkt, einer Nierenversagen seit mehreren Stunden, einer lag im Koma. Am liebsten wäre ich weggelaufen. Dass man einen solchen Patienten hat, kommt vor. Aber nicht gleich drei, denen man nicht helfen kann. Wir haben darüber geredet und gescherzt, um die Sache nicht zu sehr an uns herankommen zu lassen. Wir haben Wolfgang gebeten, zu uns zu kommen, um mal zu gucken. Das geht an den Rand der psychischen und physischen Belastbarkeit, wenn man von 22 Uhr bis 7 Uhr früh drei Sterbende betreuen muss. Wir haben vor dem Bett eines Patienten gestanden, dessen Pulsschläge immer schwächer werden. Wir haben uns unterhalten, und ich habe zu ihm gesagt: Du hilfst mir doch? Morgens wurde gesagt: Befehl ausgeführt. Matthias hat das gesagt. Und wir haben darüber gelacht.„
L. hatte die Patienten kurzerhand getötet. „Der erste Fall war ein Mann, der nach einem Schlaganfall zu lange weg gewesen war. Er war nicht mehr ansprechbar. Es wurden immer wieder Medikamente gegeben, die diese Existenz verlängern sollten. Und irgendwann hatte ich da mal so eine blöde Spritze in der Hand. Der Mensch tat mir furchtbar leid, klar, aber ich konnte es nicht verhindern. Dann habe ich Luft injiziert. Ich bin rausgegangen, als ich die Luft injiziert hatte, bin aber relativ schnell wieder reingegangen, aber da war der Mensch schon tot.„
Er versuchte sein eigenes Leiden zu beseitigen, indem er den vermeintlichen Verursacher des Leidens beseitigte: „Die Menschen taten mir sehr leid. Es waren eigentlich keine Motive, ich hatte keinen Grund, diese Menschen zu töten. Ich bin nie in ein Zimmer reingegangen mit dem Ziel: dieser Mensch stirbt. Niemals. Ich habe mir jedesmal vorgenommen: das war das letzte Mal, das passiert nicht wieder. Aber es lief dann immer völlig automatisiert ab.„
Im Wesentlichen sind es vier Faktoren, die solche Tötungsspiralen erst möglich machen: das überwiegend tadellose berufliche Image der Täter, die Unvorstellbarkeit solcher Gräueltaten, die Angst der Klinik- oder Heimleitung vor einem Skandal in der Öffentlichkeit und die Furcht vor dem Ruin der eigenen beruflichen Karriere und strafrechtlichen Konsequenzen. Und genau das sind ideale Rahmenbedingungen, um arglose Opfer auch über einen längeren Zeitraum hinweg unerkannt oder unbehelligt töten zu können. Ob zusätzliche Qualitätskontrollen und Kontrollmechanismen die gravierenden Schwächen des sozialen Systems tatsächlich werden beseitigen können, bleibt abzuwarten.
Von den äußeren Umständen wesentlich mitbestimmt und begünstigt werden auch Serienverbrechen, die uns nicht nur besonders verwerflich, sondern überdies vollkommen unverständlich erscheinen – die Tötung von Neugeborenen. Die Vorstellung, dass auch Mütter hochgefährlich sein können, widerspricht unserem Lebensinteresse, unserer Lebenserfahrung.
Ein besonders tragisches Beispiel: Anfang August 2005 ging eine kollektive Erschütterung durch diese Republik, als alles herauskam. Denn solch ein Verbrechen wie das in Frankfurt an der Oder hatte es in der deutschen Kriminalgeschichte noch nicht gegeben – neuntote Babys. Neunmal hatte eine Mutter das eigene Kind kurz nach der Geburt getötet, zwei Jungen und sieben Mädchen, erstmals 1988, letztmals im Jahre 1998. Die Leichen lagen in vier Eimern, einem Wäschekorb sowie in einem Aquarium und einer Kinderbadewanne, verstaut in Einkaufstüten, Stoffbeuteln, Müllsäcken, einem Mantel. Zufällig waren Verwandte in einer Garage hinter dem Elternhaus von Sabine H. auf die sterblichen Überreste der Opfer gestoßen.

Der Neonatizid wird meist von Frauen begangen, bei denen eine erhebliche Persönlichkeitsproblematik besteht, etwa fehlende Reife oder mangelnde Bewältigungsmechanismen. Die Schwangerschaft wird geheim gehalten, aber auch vor sich selbst geleugnet. Die Mütter kommen aus allen sozialen Schichten, haben aber eins gemein: sie fühlen sich mit der Schwangerschaft allein gelassen. Die spätere Tötungshandlung ist eingebettet in eine extreme Stresssituation, denn die meisten Täterinnen werden infolge der vollkommen verdrängten Schwangerschaft von der Geburt regelrecht überrascht. Und weil es keine Schwangerschaft geben darf, können sich keine Muttergefühle entwickeln, der Säugling wird konsequent abgelehnt – mit tödlichen Konsequenzen.
Die Ursachen für derart schauderhafte Verbrechen sind nicht nur in einer Pathologie der Täterinnen zu suchen. Erst das Zusammentreffen mehrerer Faktoren kann ein solches Drama in Gang setzen. Beachtlich erscheinen insbesondere die sozialen Bezüge, in denen die werdenden Mütter leben und töten. Schließlich muss der Krisenfall Schwangerschaft gerade vor dem sozialen Umfeld verheimlicht werden. Auch hier wird eine soziale Rahmenbedingung gesetzt, ohne die solche Verbrechen gar nicht passieren können. Hätte Sabine H. einen anderen Mann geheiratet, hätte sie andere Schwiegereltern gehabt, hätte sie einen Arzt aufgesucht, hätte sie sich jemandem anvertrauen dürfen, hätte jemand genauer hingeschaut, vermutlich hätte es überhaupt keine toten Babys gegeben.

V. Viktimologie
Die kriminalistisch-kriminologische Erfahrung lehrt, dass der Tötung eines Menschen im Allgemeinen ein Konflikt vorauseilt. In etwa 80 Prozent der Fälle besteht zwischen Opfer und Täter eine für Kriminalisten nachvollziehbare und die Überführung des Täters begünstigende Vorbeziehung. Die übliche Ermittlungsstrategie, den Mörder im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis beziehungsweise im beruflichen Umfeld des Opfers zu suchen, greift, hat sich in Tausenden von Fällen als erfolgreich erwiesen. Beim Mord in Serie hingegen liegen die Dinge anders. In 82 Prozent der Fälle, bei seriellen Sexualmorden sogar bei 89 Prozent der Taten, besteht keine vordeliktische Täter-Opfer-Beziehung. Gerade dieser Umstand erschwert die kriminalistische Fallbearbeitung.
Das Opfer gehört ebenso wie der Täter und sein soziales Umfeld zum Ursachenkomplex. Vielfach hängt es sogar von speziellen Eigenschaften des Opfers ab, ob es zu einer Tötung kommt. Grundsätzlich fällt es den Tätern leicht(er), einem fremden Menschen das Leben zu nehmen. Und das nicht ohne Grund, denn ein Unbekannter verfügt selten über Eigenschaften, denen der Täter Rechnung tragen müsste, die ihn hemmen könnten. Anonymität ist also eine wesentliche Vorbedingung, um sich als Täter präsentieren und inszenieren zu können.
Nicht selten hängt es vom Verhalten der ausgewählten oder attackierten Person ab, welchen Verlauf die Begegnung mit dem potenziellen Peiniger nimmt, ob sie überhaupt zum Opfer wird und die Tat in eine Tötungshandlung mündet. Auch beim sadistischen Tötungsakt ist das so. Eine ganze Reihe von Tätern berichtete übereinstimmend, dass die Opfer sich oftmals passiv und widerstandslos in ihr bitteres Schicksal gefügt hätten. So hatte beispielsweise auch das letzte Opfer des dreifachen Mädchenmörders Manfred W. kapituliert, seinen Mörder geradezu angefleht: „Mach’ schnell, damit ich nicht so viel spüre!„ Dass es sich nicht um bloße Wahrnehmungsverzerrungen der Täter gehandelt haben dürfte, belegt die Tatsache, dass in einer Vielzahl von Fällen keine Kampfspuren oder entsprechende Abwehrverletzungen bei den Opfern festgestellt werden konnten. Auch ließ sich dieses Verhalten nicht durchgängig aus der Persönlichkeit der Opfer herleiten. Was ist es dann?
Eine sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung beinhaltet für das Opfer stets die Hoffnung, zumindest mit dem Leben davonzukommen. Der sadistische Tötungsakt hingegen ist ausschließlich auf die Qualen des Opfers gerichtet, der unvermeidlich erscheinende Tod kommt dann einer Erlösung gleich. Es geht dem Täter dabei ausschließlich um Bemächtigung, Entmenschlichung, Vernichtung. Sein todbringendes Ziel bleibt dem Opfer naturgemäß nicht verborgen. Schlimmer noch, dieses Wissen ist Voraussetzung für sein perverses Zeremoniell, er muss die Todesangst und Hilflosigkeit seines Opfers spüren und sehen können. Eine extrem menschenfeindliche Atmosphäre, die durch den Täter bewusst initiiert wird und das Opfer unvorbereitet in eine Horror-Welt katapultiert. Es erscheint schwer vorstellbar, was Menschen in solchen Situationen empfinden. Aber der Gedanke, das unmittelbare Erleben, einem Fremden bis zum drohenden qualvollen Tod bedingungslos ausgeliefert zu sein, dürfte tatsächlich dazu führen, dass das Opfer eine entwaffnende Wehrlosigkeit empfindet und sich wie paralysiert in sein Schicksal fügt.

Gelingt es dem Opfer hingegen, einen personalen oder emotionalen Bezug zum Täter herzustellen, könnte das drohende Unheil abgewendet werden. So berichtete zum Beispiel ein junges Mädchen, das von Manfred W. mit eindeutigen Absichten im Auto mitgenommen wurde und unbehelligt geblieben war, vor Gericht, sie sei gar nicht auf die Idee gekommen, vor diesem Mann Angst zu haben; er habe so unbeholfen und ängstlich gewirkt. Sie hatte ihn nämlich während der Fahrt in ein längeres Gespräch verwickelt und somit kein Gefühl der Passivität und Anonymität aufkommen lassen, das im Regelfall zwingende Vorbedingung für die Realisierung sadistischer Phantasien ist.
Seriemörder erweisen sich in vielen Tatsituationen als höchst empfindsam, reagieren auf unerwartete, unerwünschte oder unpassende Verhaltensweisen und Äußerungen der Opfer mit Mäßigung. Unmittelbare Folge dieser speziellen Gestimmtheit ist ein auf den ersten Blick paradoxes Täterverhalten: Während einige Opfer einen qualvollen Tod finden, bleibt anderen Angegriffenen ein solches Schicksal erspart – obwohl auch in diesen Fällen ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Tötung vorhanden gewesen wären.
Manfred St. gehört in diese Kategorie Serientäter, die von Fall zu Fall entscheiden. St. vergewaltigte und ermordete als 30-Jähriger Anfang der 90er Jahre im Ruhrgebiet zwei Frauen, wesentlich mehr Opfer ließ er entkommen. Warum er sich so verhalten hatte, erklärte er so: „Am Anfang ist mir schnell bewusst geworden, was ich tun wollte: vergewaltigen und töten. Aber wenn die Frauen mit mir sprachen, von Kindern erzählten oder mir anboten, sie zu küssen, wurde ich total unsicher und bin weg. Der Ablauf, den ich mir vorgestellt hatte (Gegenwehr, Schreien), trat nicht ein, und ich fühlte mich wie ein kleiner Feigling, der nur noch weg wollte.„
Auch der zweifache Mädchenmörder Ronny R. zeigte sich irritiert, als er ein weiteres Opfer missbrauchte, das Mädchen dabei aber plötzlich zu weinen begann: „Dadurch ist das ‚Programm‘ (gemeint ist ein bestimmter, vorphantasierter Tatablauf) irgendwie ins Stocken geraten. Die Tränen haben sie gerettet. Da habe ich gedacht: Das kannst du doch nicht machen. Die Tränen haben den Beschützerinstinkt in mir wachgerufen, mich an meine eigenen Kinder erinnert. Auf einmal sind mir so viele Gedanken durch den Kopf geschossen, dass ich aus dem Takt gekommen bin. Ich musste auch an früher denken, wie es mir selbst ergangen war. All das ist in meinem Kopf auf einmal durcheinander gewirbelt, und da stand für mich klipp und klar fest, dass ich sofort aufhören muss.„ Ein bestimmtes Opferverhalten kann also dazu führen, dass es den Tätern nicht gelingt, sich auf die Tat einzustimmen, ihre Tötungshemmung zu überwinden.
In diesem Kontext verdient folgender Umstand besondere Beachtung: nicht wenige Täter berichten, dass sie neben den vollendeten Tötungsdelikten eine Vielzahl von Versuchen unternommen hätten, um Opfer in ihre Gewalt zu bringen, es aber aus den unterschiedlichsten Gründen nicht zu einer Tat gekommen sei. Das Besondere dabei: in vielen Fällen gab es schon einen unmittelbaren Kontakt zwischen Noch-nicht-Täter und Beinahe-Opfer. Leider sind diese Erkenntnisse, vor alledem aber die hieraus resultierenden und überaus Erfolg versprechenden Ermittlungsansätze bisher nur in wenigen Fällen auch tatsächlich genutzt worden.
Ähnlich wie Patiententötungen sind auch serielle Beziehungsmorde rahmengebunden. Fast immer sind es Frauen, die sich in einer Sackgassensituation wähnen, keinen Ausweg mehr sehen und ihre Widersacher heimtückisch töten. Im Wesentlichen sind es drei Aspekte, die die Täterinnen immer wieder davonkommen lassen: ihr einwandfreier Leumund, eine spurenarme Tötungsart und Fehler bei der Leichenschau.

VI. Schlussbemerkungen
Die beschriebenen Aufdeckungsbarrieren kennzeichnen den Serienmord als eigenständigen Deliktsbereich, der das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung in besonderem Maße beeinträchtigt und moderne kriminalistische Mittel und Methoden für eine erfolgreiche(re) Bekämpfung erforderlich macht. Daher erscheint es durchaus gerechtfertigt, dieser bisher kaum erforschten Gewaltform auch eingedenk ihrer statistisch eher marginalen Bedeutung dennoch eine wissenschaftliche Relevanz beizumessen. Den dargestellten Unwägbarkeiten bei der kriminalistischen Fallanalyse und Fallbearbeitung kann überwiegend wirksam begegnet werden – sofern ihnen Beachtung geschenkt wird. Eine interdisziplinäre Forschung tut Not, will man nicht zu leugnende Defizite beseitigen und künftigen Herausforderungen gerecht werden.


Fußnoten
1 Harbort, Kriminalistik 1999, 642 (645).
2 Harbort, Die Kriminalpolizei 2004, 76.
3 Harbort, Fußn. 1.
4 Vgl. zur Aufklärungsproblematik bei seriellen Sexualmorden Harbort, Kriminalistik 2006, 737.
5 Die statistischen Werte wurden den Publikationen von Rode und Scheld: Sozialprognose bei Tötungsdelikten. Eine empirische Studie. Springer: 1986, S. 14 ff. und Harbort, Kriminalistik 1999, 642 ff., 713 ff., entnommen und gegenübergestellt.
6 Vgl. Harbort (o. Fußn. 1), S. 649.
7 Zu vergleichbaren Ergebnissen bei Vergewaltigern vgl. Straub und Witt, Kriminalistik 2003, 19 ff.
8 Vgl. dazu mit Fallbeispielen aus jüngerer Zeit Seges, Kriminalistik 1998, 478 ff.; Hochgartz, Kriminalistik 2000, 322 ff.
9 Harbort, Das Serienmörder-Prinzip. Was zwingt Menschen zum Bösen? Droste: 2006, S. 45 ff.
10 Vgl. nur die Kasuistiken bei Jäger, Der Kriminalist 1983, 281 ff.; Maisch, Zentralblatt für Gerontologie und Geriatrie 1996, 201 ff.; Harbort, Das Hannibal-Syndrom. Phänomen Serienmord. Piper: 2003, S. 314 ff.; Püschel und Lach, Deutsches Ärzteblatt 2004, A 2285 ff.
11 Vgl. dazu die Kasuistik bei Bajanowski et al.: Tötungsserie durch Luftembolie, in Oehmichen (Hrsg.): Lebensverkürzung, Tötung und Serientötung – eine interdisziplinäre Analyse der „Euthanasie„, Schmidt-Römhild: 1996, S. 195 ff.
12 Friedrichsen, Der Spiegel 1993 (Heft 30), S. 72 ff.
13 Vgl. dazu www.aerzteblatt.de/v4/news/newsdruck.asp
14 Vgl. nur die Kasuistik bei Müller, Kriminalistik 1958, 492 ff.15 Vgl. nur Rückert, Die Zeit 1999 (Nr. 2), S. 9 ff.