Recht und Justiz

Sicherungsverwahrung – Grundrechte im Rahmen der neuen Gesetzgebung

C. Rechtfertigung und Verhältnismäßigkeit


Die Rechtmäßigkeit eines Eingriffes in die Grundrechte der Sicherungsverwahrten entscheidet sich auf Ebene der Verhältnismäßigkeit. Zum einen sind die Grundrechte der Sicherungsverwahrten betroffen, zum anderen existieren Schutzpflichten des Staates gegenüber den Grundrechten potentieller Opfer. Die Intensität der Schutzpflicht nimmt dabei mit konkretisierter Gefahr und Wesentlichkeit des Grundrechtes zu.85
Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit hat Verfassungsrang. Es ergibt sich aus dem „Wesen der Grundrechte selbst“, dass die Freiheit des Bürgers durch den Staat nur so weit beschränkt werden [darf], als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist“.86 Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne fordert demnach eine „adäquate Zweck-Mittel-Relation und zielt auf einen angemessenen Ausgleich zwischen der Schwere der grundrechtlichen Beeinträchtigung und der Bedeutung des mit der Maßnahme verfolgten öffentlichen Belangs“.87 Nicht abgestellt werden darf darauf, dass die Sicherungsverwahrung, insbesondere die nachträgliche, nur einen kleinen personellen Anwendungsbereich hat. Dass nur wenige von einem schweren Grundrechtseingriff betroffen sind, ist kein Gegenstand der Verhältnismäßigkeit.88
Die Sicherungsverwahrung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen dar, er wird der Freiheit entkleidet und von der Gesellschaft ferngehalten. Wegen dieses Eingriffs, der zudem aus rein präventiven Gründen erfolgt, ist daher ein besonders strikter Maßstab an die Verhältnismäßigkeit anzulegen. Dem Freiheitsanspruch des einen (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) steht das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegenüber, dem der Staat durch seine allgemeine Schutzpflicht genüge tun muss. Diese beiden Positionen sind demnach im Einzelfall gegeneinander abzuwägen.89
Die Sicherungsverwahrung muss ultima ratio bleiben.90 Konkret heißt das, dass gewichtige Schutzinteressen Dritter vorliegen müssen91 und die Gefahrenprognose ebenfalls der Verhältnismäßigkeit zu unterwerfen ist. Es muss also die Gefahr „schwerer Gewalt- oder Sexualtaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten“ sein.92

D. Fazit


Mit den seit 1998 beginnenden Gesetzesänderungen hat die Zahl der Sicherungsverwahrten zugenommen, obgleich die schweren Straftaten gesunken sind.93 Die Sicherungsverwahrung dient der staatlichen Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern. Es ist zu beachten, dass es totale Sicherheit schon per se illusorisch ist. Jede Ausdehnung des staatlichen Schutzes muss mit Einschränkungen individueller Freiheit einhergehen. Die Sicherungsverwahrung ist dabei am einschneidensten: Dem Individuum wird die Freiheit präventiv entzogen.
Kinzig gibt folgendes Beispiel: Angenommen die Basisrate für die Rückfallwahrscheinlichkeit beträgt 1 %. Dann würden von 1.000 Kriminellen 10 absolut rückfällig werden. Würde nun eine 90 % Treffsicherheit in der Prognose bestehen, so würde man 9 von den 10 die rückfällig würden sicherungsverwahren können. Allerdings würde man auch 10 % der übrigen 990 nicht rückfälligen Täter sicherungsverwahren. Mithin würden 108 Menschen in Sicherungsverwahrung kommen, davon würden 99 jedoch nicht rückfällig werden.94 Die Zahlen sind dabei austauschbar, über sie lässt sich trefflich spekulieren, schon allein weil auf Grund der Individualität des Rückfalls keine Vergleichsgruppen existieren können. Auch kann die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit einer Prognose nicht ermittelt werden, da nur ein falsches positives Gutachten registriert werden könnte. Dennoch verdeutlicht das Beispiel, dass präventive Verwahrung einen freiheitlichen Kollateralschaden anrichtet.
Das Rechtsstaatsprinzip gebietet es daher an dieses Instrument scharfe Kriterien anzulegen und die Grundrechte der Betroffenen im Auge zu behalten. Ein freiheitsorientierter Vollzug und eine Angleichung an normale Lebensverhältnisse werden zweifelsohne die öffentlichen Haushalte belasten. Baden-Württemberg rechnet beispielsweise hinsichtlich der aufgewerteten Unterkunft mit 50.000 € pro Sicherungsverwahrten und ca. 750.000 € jeweils jährlich für sechzehn Stellen für die Betreuung von Sicherungsverwahrten. Acht davon für die ca. 70 sich bereits im Vollzug der Sicherungsverwahrung befindlichen, die übrigen acht für Strafgefangene mit angeordneter und vorbehaltener Sicherungsverwahrung.95
Selbst bei grundrechtsschonender Ausgestaltung führt die Sicherungsverwahrung daher nicht nur zu einer Risikoreduktion, sondern ebenso zu einem freiheitlichen Kollateralschaden und hohen Kosten.
An allen drei Aspekten wird sich das Instrument Sicherungsverwahrung messen lassen müssen.