Außer Kontrolle

– Über die Freiheiten und die (Kriminalitäts-)Entwicklung in den bundesdeutschen Rotlichtmilieus –

Von Manfred Paulus, Erster Kriminalhauptkommissar a. D., Ulm/Donau

Ein paar Außenansichten


Die Wege sind holprig und steil. Sie führen hinauf in die Berge, hoch über Tirana. Wegzeiger, Hinweisschilder, Markierungen, gibt es schon lange nicht mehr und es scheinen gute Ortskenntnisse erforderlich, um hier zu einem bestimmten Ziel oder wieder zurück in die Hauptstadt zu finden. Plötzlich in einer Senke ein verstecktes, mit Stacheldraht umzäuntes und von bewaffneten Sicherheitskräften bewachtes Areal mit zwei alten Häusern, in denen ein gutes Dutzend junger, albanischer Frauen untergebracht ist – Opfer des Menschenhandels und der Sexsklaverei. Das Innenministerium des Landes hat sie im Rahmen von Opferschutzmaßnahmen hier untergebracht. Diese stehen wiederum im Zusammenhang mit EU-Vorgaben für die angestrebte Mitgliedschaft Albaniens in der europäischen Gemeinschaft. Hier oben in den Bergen lernen die jungen Frauen den Beruf einer Friseurin oder den einer Schneiderin. Das sind Tätigkeiten, mit denen sich in Albanien Geld verdienen lässt. Dann, wenn sie einmal keine Angst mehr haben, nicht mehr fliehen und um ihr junges Leben bangen müssen…
 

Ihre „Besitzer“ und Ausbeuter, Mitglieder krimineller Banden, Menschenhändler und Zuhälter, haben sich aufgemacht, nach ihnen zu suchen. Sie wollen sie wieder dahin zurückbringen, wo sie einst waren und von wo aus sie geflohen sind: Nach Deutschland oder nach Österreich. Sie wollen die jungen Frauen weiterhin als Sexsklavinnen ausbeuten und es ist zu befürchten, sie wollen Rache üben. Sie wollen ein Zeichen setzen, dass Flucht nicht geduldet wird und sie sind, sofern erforderlich, auch bereit, die jungen Frauen als lästige Zeuginnen aus der Welt schaffen, zu entsorgen. Um das zu verhindern, wurden sie hierher in Sicherheit gebracht – soweit es hier Sicherheit geben kann und Sicherheit gibt.
Schmutz, Dreck, Elend, Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein, Angst, Drohungen, Gewalt, Drogen, widerliche Freier, perverseste Praktiken… Elina, 19 Jahre jung und eine der in den Bergen Albaniens versteckten Frauen, fährt nervös durch ihr langes, blauschwarzes Haar und erzählt von ihrem Horrortrip, der sie von Albanien über Kosovo nach Deutschland und in die Sexzentren mehrerer deutscher (Groß-)Städte geführt hat.
Sie gleicht dabei plötzlich einer alten, verlebten Frau. Ihr hübsches Gesicht wirkt fahl, die Züge sind bitter ernst. Ein Schleier von Trauer und Resignation liegt über ihr und in den klaren, dunklen Augen bilden sich Tränen. Dann blickt sie plötzlich auf. Für einen Moment wirkt sie fordernd, stolz, kämpferisch.
„Warum gibt es so etwas in ihrem Land? Warum kann und darf es so etwas in Deutschland geben?“
Die Fragen gleichen Messerstichen, sie machen betroffen und sie beschämen.
„Auch wir sind traurig, dass es so etwas in Deutschland gibt…“ kommt verhalten eine Antwort, die keine Antwort ist.
Bei Gesprächen mit Angehörigen der Polizei, der (Kriminal-)Miliz oder mit Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und in den südosteuropäischen Rekrutierungs- und Transitländern der Ware Frau und Kind wird immer wieder deutlich, dass man dort sehr wohl weiß, was mit den Opfern des Menschenhandels in den bundesdeutschen Rotlichtvierteln, in Bars, Bordellbetrieben und auf den Straßenstrichs, geschieht. Die Rückkehrerinnen, maßlos enttäuschte, der Hölle bundesrepublikanischer Sexmärkte entflohene, oft völlig verzweifelte und aufgelöste, nicht selten schwer traumatisierte Frauen berichteten davon. In Albanien wie in Bulgarien und Rumänien, in Weißrussland und der Republik Moldowa wie in der Ukraine…
Und man weiß in all diesen Ländern auch, was mit den Tätern hierzulande nicht geschieht: Dass sie weitgehend risikolos agieren können, zumeist unverfolgt bleiben und dass kaum einmal ein angemessenes Urteil gegen sie ergeht. Man nimmt es mit Unverständnis, nicht selten mit Empörung und mit Verachtung zur Kenntnis.
Bemerkenswert erscheint, dass sich dieser, mit Hinblick auf die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern miserable Ruf der Bundesrepublik Deutschland keineswegs nur auf die ost- und südosteuropäischen Rekrutierungsländer der Opfer beschränkt. Die in Deutschland vielfach gewährte Toleranz, die Duldung oder gar Förderung entwürdigender Sexpraktiken in den entsprechenden Milieus und die wenig erfolgreiche Bekämpfung der Kriminalität im Schatten bundesdeutschen Rotlichts löste in der Vergangenheit zum Beispiel auch Irritationen und Verwunderung bei unserem Nachbarn Frankreich aus. 
Dort verfolgt man seit langem ganz andere, im Vergleich zur BRD geradezu gegensätzliche Strategien und eine höchst restriktive Politik den in weiten Teilen kriminellen Sexmärkten gegenüber. Während Zuhälterei im deutschen Strafgesetzbuch mit einem ähnlichen Strafmaß wie das Unerlaubte Entfernen vom Unfallort bedroht ist und seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes von 2002 in vielen Fällen überhaupt nicht mehr angeklagt wird, hat Frankreich in § 225 des Code Penal klare Kriterien zur Verfügung, nach welchen Zuhälterei mit am härtesten von allen Staaten dieser Welt bestraft werden kann und auch bestraft wird. Deshalb agieren Zuhälter zur Verärgerung Frankreichs von idyllischen, deutschen Rheinstädtchen aus, um ihre Opfer zum Beispiel von Kehl aus über die Europabrücke ins französische Straßburg zu treiben, wo diese den Straßenstrich bereichern. Auch diesen Straßenstrich, ein letztes Überbleibsel vom einstigen „Land der freien Liebe“, wollte Sarkozy während seiner Zeit als Innenminister im Jahre 2003 abschaffen, was freilich nicht gelang. Es scheiterte, so wie alle Versuche, die Prostitution abzuschaffen, im Verlauf der Jahrhunderte und der Menschheitsgeschichte scheiterten.
Die Bestrebungen, das Sexbusiness auf ein kontrolliertes Mindestmaß zu beschränken und Rotlichtkriminalität ebenso wie die damit untrennbar verbundene Organisierte Kriminalität (OK) in all ihren Facetten zu verhindern und wirksam zu bekämpfen, betreibt Frankreich jedoch unbeirrt weiter.
Auch in den USA beobachtet man sehr genau, was in Deutschland vor sich geht und man spricht gelegentlich sogar vom „Land des Bösen“, wenn von den Freiheiten die Rede ist, welche hierzulande den Rotlichtmilieus und damit auch Menschenhändlern, Zuhältern, der Organisierten Kriminalität (OK) eingeräumt werden, während die Sexsklavinnen und Opfer, auch solche schwerster und übelster Verbrechen, häufig allein und im Stich gelassen werden.
In den Vereinigten Staaten von Amerika ist Prostitution – bis auf wenige Ausnahmen – verboten. Die Philosophie des US-amerikanischen Prostitutionsverbots ist unter anderem der „National Security Presidential Directive“ zu entnehmen. Demnach wird Prostitution als grundsätzlich schädlich angesehen. Eine Legalisierung, so wird festgestellt, leistet dem Menschenhandel und der Zuhälterei Vorschub und entsprechende Milieuobjekte sind nichts als Fassaden, hinter denen sich Ausbeutung und Kriminalität entwickeln. Nach einer in der wissenschaftlichen Publikation „Journal for Trauma Practice“ veröffentlichten, US-amerikanischen Studie

  • geht die Mehrheit der Prostituierten nicht freiwillig der Prostitution nach,
  • sind 89 % von ihnen mehr oder weniger verzweifelt und wollen aussteigen,
  • werden bei einer Legalisierung trotz aller Gegenmaßnahmen auch immer wieder Kinder ausgebeutet,
  • werden zwischen 60 und 75 % der Prostituierten einmal oder mehrfach vergewaltigt,
  • sind 70 – 95 % der Frauen im Prostitutionsmilieu tätlichen Angriffen ausgesetzt,
  • leiden 68 % der Prostituierten an posttraumatischen Störungen, die denen von Kriegsveteranen oder Folteropfern gleichkommen.

Festgestellt wird auch, dass eine Legalisierung der Prostitution zwangsläufig eine Ausweitung der Sexmärkte und, damit verbunden, zunehmende Kriminalitätsraten mit sich bringt. Dennoch: Auch die USA sind keineswegs frei von Prostitution (sie ist in elf Countries Nevadas sogar erlaubt) und die Vereinigten Staaten sind auch nicht frei von Menschenhandel und Zuhälterei. Lateinamerikanische und osteuropäische Verbrecherbanden und Syndikate schleppen Frauen auch ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ und führen sie dort der Prostitution zu. Diese illegale Prostitution wird in den USA aber mit allen zur Verfügung stehenden, manchmal höchst unkonventionellen und ungewöhnlichen Mitteln bekämpft. So werden z. B. auf Straßen wie im Internet „Honeypots“ eingesetzt („Honigtöpfchen“ aufgestellt). Attraktive Polizistinnen in Zivil bieten sich an. Erklärt sich ein potenzieller Freier bereit und bezahlt den vereinbarten Preis, wird ihm auch gleich die Festnahme erklärt. 

Bei diesen Betrachtungsweisen und Gegebenheiten verwundert nicht, dass die in Deutschland gegebenen und eher mehr als weniger geduldeten Verhältnisse auch in den USA auf größtes Unverständnis stoßen.
Doch nicht nur in den ost- und südosteuropäischen Rekrutierungsländern der Ware Frau und Kind und dazu in Frankreich und den USA stehen deutsche Toleranz und Praktiken im Umgang mit den Milieus im Rotlicht in der Kritik.
Auch eine junge, thailändische Journalistin der „Bangkok Post“ (die größte, englischsprachige Zeitung Thailands) berichtete über die hässlichen Deutschen und von der sexuellen Ausbeutung der anmutigen Frauen und der unschuldigen Kinder des Landes – in deutschen Puffs wie am Golf von Siam.
Und der Bürgermeister des tschechischen Grenzstädtchens Cheb beklagte sich in der Vergangenheit wiederholt und nicht zu Unrecht über den weltweit schlechten Ruf seiner Stadt. Er vergisst dabei niemals anzumerken, dass dieser weniger seinen Landsleuten als den Deutschen (Freiern und Pädokriminellen) zu verdanken sei…
Diese und ähnliche, kritische Außenansichten über die Situation und den Umgang der Deutschen mit der Prostitution und den Prostitutions- oder Rotlichtmilieus werden ergänzt und bestätigt dadurch, dass sich Zuhälterbanden und -cliquen aus aller Welt nach Deutschland eingeladen fühlen und dass sich die viel beschriebene und zurecht gefürchtete Organisierte Kriminalität veranlasst sieht, in zunehmendem Maße in den bundesdeutschen Rotlichtmilieus zu investieren!Die deutsche Prostitutionslandschaft der Gegenwart, die Milieus im Rotlicht werden, nicht zuletzt verursacht durch anhaltendes Gewähren lassen und täterfreundliche Gegebenheiten, längst in weiten Teilen und auch nicht mehr nur in Berlin sondern bundesweit von vielfach der Organisierten Kriminalität (OK) zuzuordnenden Gruppierungen gelenkt und beherrscht. So von

  • albanischen Clans (von der albanischen Mafia),
  • der russischen Mafia (zahlreiche kleinere und größere Gruppierungen und Organisationen),
  • von Balkan-Syndikaten,
  • von ukrainischen Banden,
  • von Arabern (von libanesischen Clans),
  • von türkischen Gruppierungen,
  • von litauischen Brigaden,
  • von bulgarischen Zuhälterbanden,
  • von Nigerianer(inne)n,
  • von Rockergruppierungen (Hells Angels)

und anderen, ähnlich strukturierten und nicht weniger kriminellen Organisationen.
Die für die Bekämpfung der „Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben“ zuständigen Dienststellen der deutschen Polizei warnen seit Jahren vor den Entwicklungen in den deutschen Milieus, vor der immer mehr im Dunkelfeld stattfindenden Rotlicht- und der fortschreitenden Organisierten Kriminalität.
Auch Roberto Scarpinato, Leiter des Pools von Staatsanwälten, der in Palermo und von Palermo aus seit Jahrzehnten die italienische Mafia bekämpft (er arbeitete schon mit dem legendären Richter Falcone zusammen, der 1992 von der Mafia in die Luft gejagt wurde und er hievte den italienischen Staatspräsidenten Andreotti aus dem Amt, indem er ihm Mafia-Kontakte nachwies) und der als einer der profiliertesten Mafiakenner und -jäger dieser Welt gilt, warnt Deutschland und die Deutschen seit Jahren so eindringlich wie vergebens vor dem Eindringen dieser Organisierten Kriminalität ins bundesdeutsche Rotlicht und darüber hinaus in die Gesamtgesellschaft.
Die Deutschen tun noch immer so, als wäre die Mafia ein Problem der Türken, Italiener, Japaner oder Chinesen…, haben sie wirklich nicht bemerkt, dass die deutschen Luden verdrängt wurden, dass Andere übernommen haben – solche, die fraglos der Organisierten Kriminalität oder der Mafia (beides unterscheidet sich allenfalls strukturell) zuzuordnen sind…?
Solche bemerkenswerten Außenansichten und Einschätzungen der Entwicklungen und des Geschehens im bundesdeutschen Rotlicht zeichnen übereinstimmend ein höchst negatives Bild. Und sie zeichnen ein geradezu desaströses Bild, was die Einschätzung des politischen und daraus resultierenden, polizeilichen und juristischen Umgangs mit den Gegebenheiten und den Herausforderungen betrifft.
Sind diese kritischen Einschätzungen und Feststellungen gerechtfertigt und besteht hinsichtlich des Umgangs mit der Prostitution und den entsprechenden, in weiten Teilen fraglos kriminellen Milieus tatsächlich Änderungs- und Nachholbedarf?

Ein Blick auf die einschlägige, deutsche Gesetzgebung


Sind es vielleicht gesetzgeberische Versäumnisse, Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen, die zu Missständen führten und führen?
Einschlägige, die Prostitutionsmilieus betreffende, gesetzliche Veränderungen wurden jedenfalls wiederholt vorgenommen, ohne die Gegebenheiten und Besonderheiten dieser Parallelgesellschaften im Rotlicht (ausreichend) zu kennen oder sie aber in angemessener Weise zu berücksichtigen. Die Eigenheiten und Besonderheiten der Milieus und die (ungeschriebenen) Milieugesetze wurden bei entsprechenden Gesetzesinitiativen vielfach – mit der Folge einer ausbleibenden oder gar kontraproduktiven Wirkung – ignoriert.
Beispiele:
Zum 1.1.2001 wurde auf eine Hamburger Initiative hin, mitten im Zeitalter von AIDS, das Geschlechtskrankheitengesetz (GeschlKrG) außer Kraft gesetzt, womit die bis dahin vorgeschriebenen, regelmäßigen Gesundheitskontrollen für Prostituierte abgeschafft wurden. Abgesehen von gesundheitlichen Aspekten hatte dies zur Folge, dass die regelmäßigen, sozialen Kontakte der Frauen in der Prostitution hin zu Ärzten oder Gesundheitsämtern ebenso unterblieben, wie die nach dem GeschlKrG möglichen und vielfach vorgenommenen, polizeilichen Kontrollen.
Verkannt wurde und verkannt wird bis heute, dass solche Kontakte der Prostituierten hin zu Personen und Organen der Allgemeinheit neben nicht zu unterschätzenden, präventiven Aspekten unverzichtbar sind, um Viktimisierungsprozesse und Straftaten in den Parallelgesellschaften im Rotlicht zu erkennen und dass sich jede Einschränkung solcher Kontakte kriminalitätsfördernd auswirkt und für die (potenziellen) Opfer der Milieus fatale Folgen nach sich ziehen kann und nach sich zieht.
Der Tatbestand des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung stellt seit jeher hohe Anforderungen. Er gilt seit jeher als wenig praktikabel und war deshalb in der Vergangenheit auch wiederholt Veränderungen unterworfen. Ausnutzung – Zwangslage – Hilflosigkeit – verbunden mit dem Aufenthalt in einem fremden Land – diese und andere Tatbestandsmerkmale sind oft nur schwer nachweisbar, von Milieupersonen oder -anwälten dagegen zumeist leicht und problemlos zu widerlegen. Gelingt der Nachweis ausnahmsweise aber doch einmal, dann stellen strafprozessuale Anforderungen oft unüberwindbare Hürden dar. So sind die für ein Urteil erforderliche Anwesenheit und die Aussagen eines Opfers vor Gericht (der Personalbeweis) für die Täter problemlos verhinderbar und sie werden von den Ausbeutern der Opfer des Menschenhandels und der Sexsklaverei in steter Regelmäßigkeit verhindert. Manchmal auch von staatlicher Seite aus, wenn sie vor anstehenden Gerichtsterminen des Landes verwiesen wurden.
Ähnlich ist es beim Nachweis des Tatbestands der Zuhälterei, der aufgrund des Prostitutionsgesetzes von 2002 ohnehin nur noch eine sehr begrenzte Anwendung finden kann. Mit diesem Prostitutionsgesetz, das seine Zielsetzung, die Situation der Prostituierten zu verbessern, verfehlen musste und klar verfehlt hat, haben sich entscheidende, höchst negative Veränderungen ergeben, welche sich auf die Strafverfolgung auswirken und eine solche nicht nur erheblich erschweren, sondern in vielen Fällen unmöglich machen. Das im Jahr 2002 in Kraft getretene Gesetzeswerk sollte den Prostituierten dienen; es dient allein den Zuhältern.
Vielleicht steht das im Zusammenhang damit, dass sich – so Hauptkommissar Hohmann, langjähriger Leiter des Stuttgarter Ermittlungsdienstes Prostitution in einem Interview der EMMA – Ausgabe Frühling 2011 – die damals amtierende Bundesjustizministerin zwar eingehend mit einem Stuttgarter Bordellbesitzer beraten haben soll aber darauf verzichtete, sich zum Beispiel beim erfahrenen und fraglos kompetenten Prostitutionsdienst der Stuttgarter Polizei Rat oder Meinung einzuholen. Das Gesetz verkennt jedenfalls die Realitäten und führt an den vorgegebenen Zielen meilenweit vorbei.
Es geht zum Beispiel in seiner gesamten Logik davon aus, dass die (Rotlicht-)Milieus, in denen die Prostitution eingebettet ist und die sie lenken und beherrschen, von der Gesellschaft und Allgemeinheit nicht oder nur unwesentlich abweichende Bereiche sind, deren Eigen- und Besonderheiten unberücksichtigt bleiben können. Ein fataler Irrtum! In den Subkulturen und Parallelgesellschaften der Prostitutionsmilieus bestimmte und bestimmt zum Beispiel niemals der Gesetzgeber oder das Prostitutionsgesetz darüber, wer sich kranken- oder sozialversichert und wer nicht, sondern allein die Zuhälter. Das war so, das ist so und das wird in absehbarer Zeit auch so bleiben. Das Machtgefälle zwischen Bordellbesitzer oder Zuhältern und Prostituierten lässt dabei, so wie in anderen Bereichen auch, keinerlei Entscheidungsfreiheiten zu. Die bundesdeutschen Rotlichtmilieus sind – und auch das wurde verkannt oder aber ignoriert – Subkulturen mit völlig eigenen Wertvorstellungen, mit eigenen Gesetzen, eigenen Richtern und wenn erforderlich, auch mit eigenen Henkern.
Und alle Milieupersonen, Täter wie Opfer, Mieter wie Vermieter, Wohnsitzlose, Drogenabhängige, Prostituierte, Schlepper, Zuhälter und Kiezkönige, sind und fühlen sich diesen Gesetzen – allein diesen Gesetzen – unterworfen und verpflichtet. Die Opfer des Menschenhandels lernen das in ihrer ersten Lektion und die wird ihnen zumeist schon vor Betreten deutschen Bodens und deutscher Bordelle erteilt. Die Gesetze der Allgemeinheit dagegen interessieren in den Milieus nicht; sie haben nicht zu interessieren. Sie werden ignoriert, allenfalls verächtlich zur Kenntnis genommen, mit Füßen getreten oder belächelt – es sei denn sie sind, so wie das Prostitutionsgesetz, für die Milieus und Milieupersonen selbst von Nutzen.
Dieses Prostitutionsgesetz stellt die Prostitution, wiederum in Verkennung der Realitäten, jedem anderen Gewerbe gleich (sie war und ist aus mehreren Gründen kein Gewerbe wie jedes andere und wird nie ein solches sein).
Es billigt Zuhältern zudem und ausdrücklich ein – wenn auch eingeschränktes – Weisungsrecht zu. Vielleicht ist es der Stuttgarter Bordellbetreiber gewesen, der die damalige Bundesjustizministerin dahingehend beraten hat. Bleibt doch für jeden Kenner der Szenerie ein Rätsel, wer dieses Recht einschränken soll. Bleibt doch für den Kenner der Gegebenheiten ein noch viel größeres Rätsel, wie der Gesetzgeber auf die geradezu absurd erscheinende Idee kommen konnte, Zuhältern in der Gesetzgebung überhaupt ein ausdrückliches Weisungsrecht einzuräumen. Verstehen diese es doch nicht erst seit Jahrzehnten, sondern seit Jahrhunderten in hinlänglich bekannter und nicht selten drastischer und strafrechtlich relevanter Weise (mit Drohungen und Gewalt), Weisungen zu erteilen.
Auf die Idee, ihnen das gesetzlich auch noch ausdrücklich zuzubilligen und einzuräumen, kamen die Gesetzesmacher, angefangen vom Inkrafttreten der Carolina, der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls des V. im Jahr 1532 bis hin zum Tag des Inkrafttreten dieses Prostitutionsgesetzes am 1.1.2002 jedenfalls nicht. Dieses vom deutschen Gesetzgeber ausdrücklich erteilte Weisungsrecht wird in seiner Umsetzung in allen zivilisierten Staaten dieser Welt als Zuhälterei und damit als Vergehen oder gar als Verbrechen bestraft!
Die Folgen dieser verwunderlichen und höchst täterfreundlichen Bestimmung konnten dann auch nicht ausbleiben und sie blieben nicht aus: Plötzlich lehnten und lehnen es die Gerichte (z. B. das LG Augsburg) ab, Anzeigen wegen nachgewiesener Zuhälterei mit dem Hinweis auf dieses Weisungsrecht auch nur entgegenzunehmen, obwohl von den Ausbeutern zum Beispiel Preise, Arbeitszeiten, Sexualpraktiken und ähnliches diktiert wurden, obwohl ein Nacktheitsgebot ausgesprochen oder ein Telefonverbot für Prostituierte oder für Milieuopfer angeordnet wurde.Während Ende des Jahres 2001 in Berlin Bundespolitikerinnen mit einer Bordellchefin auf das Prostitutionsgesetz und das „Ende der Sittenwidrigkeit“ anstießen, wurden die Folgen des „fortschrittlichen Gesetzeswerks“ schon kurze Zeit später von vielen Seiten beklagt.
Im Jahre 2004 wurde – ebenfalls in Berlin – bei einem Hearing von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Polizei und Justiz festgestellt, dass Deutschland, nicht zuletzt aufgrund des Prostitutionsgesetzes, inzwischen im gesamten EU-Bereich Schlusslicht bei der Bekämpfung des Menschenhandels (des Frauenhandels und der Sexsklaverei) geworden ist. Bis zum heutigen Tage dürfte sich das nicht positiv verändert, sondern eher in dramatischer Weise verschlechtert haben.
Zu Beginn des Jahres 2007 kündigte die Bundesregierung, nicht zuletzt aufgrund weiterer, zahlreich aufgekommener Kritik von verschiedenster Seite und vermehrter Hinweise auf Fehlentwicklungen, eine Reform des Prostitutionsgesetzes an. Es blieb bei der Ankündigung.
Im November 2010 machten anlässlich einer Innenministerkonferenz die Polizeichefs aller Länder auf die Auswüchse aufmerksam, die sich durch die „gesetzlich sanktionierte Enthemmung“ ergeben würden und im April 2011 kündigte die Bundesministerin für Familie einen Gesetzesentwurf an. Er liegt bis heute nicht vor.

Die Polizeien der Länder melden dem Bundeskriminalamt (BKA) jährlich anhaltend nicht mehr als vier-, fünf- oder sechshundert Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (von denen nur wenige einzelne in einem angemessenen Urteil gegen die Täter münden).
Allein das ist mehr als nur ein Indiz dafür, dass diese Kriminalität in Deutschland nicht (mehr) erfolgreich bekämpft werden kann und bekämpft wird, sondern aus einem möglicherweise gigantischen Dunkelfeld besteht. Von etwa 400.000 Frauen, die sich in Deutschland prostituieren (oder die dazu gezwungen werden) handelt es sich nämlich immerhin zur Hälfte und in manchen Städten und Rotlichtbezirken bis zu 90 % (die Tendenz ist weiterhin steigend) um Ausländerinnen – zumeist um Frauen (und Kinder) aus Ost- und Südosteuropa. Es sind also mehrere hunderttausend Ausländerinnen, die sich gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland prostituieren oder aber, die Opfer des Menschenhandels und der Sexsklaverei sind. Und die inzwischen verfestigten und perfektionierten Strukturen der Anwerbung, der Schleusung und der Ausbeutung lassen begründet vermuten, dass diese Frauen (und Kinder) nicht nur in wenigen Einzelfällen sondern sehr häufig Opfer sind. Untermauert wird diese Feststellung durch weitgehend übereinstimmende, kriminalpolizeiliche Erkenntnisse, nach denen die in den deutschen Milieus tätigen Frauen zu 95 – 99 % fremdbestimmt sind. Nimmt man dazu zur Kenntnis, wer und wie gegenwärtig in den bundesdeutschen Milieus bestimmt wird, dann kommt man zwangsläufig zu der Erkenntnis, dass dabei für Freiwilligkeit kaum mehr Platz bleibt. Fazit: Menschenhandel und Sexsklaverei weisen in Deutschland mit großer Wahrscheinlichkeit ein gigantisches und bislang kaum vorstellbares Dunkelfeld auf.

Über Reiseerleichterungen für Täter und Opfer


Seit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens in die Europäische Gemeinschaft im Jahre 2007 werden Frauen (und Kinder) vermehrt aus und über diese beiden Länder nach Deutschland gehandelt und auf der „Balkan-Schiene“ hierher verbracht. Dadurch sind plötzlich auch zahlreiche Ungarinnen (Romas) in den Rotlichtzentren Österreichs, der Schweiz und Deutschlands anzutreffen. Und bulgarische, rumänische und ungarische Zuhälter dazu. Doch nicht nur die mit dem EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens verbundenen Reiseerleichterungen wurden unverzüglich für die Rekrutierung und Schleusung der Opfer dieser Märkte genutzt. Nicht nur sie belegen, wie schnell und geschickt die international agierenden Täter und Tätergruppierungen auch auf grenz-politische Veränderungen hin reagieren und wie gekonnt sie bestehende Lücken nützen.
Bereits im Jahre 2002 (Im Jahr des Inkrafttretens des Prostitutionsgesetzes), machte der deutsche Botschafter in der Republik Moldowa (Moldawien) das Auswärtige Amt in Berlin wiederholt darauf aufmerksam, dass nicht mehr das Botschaftspersonal, sondern allein Gruppierungen der Organisierten Kriminalität darüber entscheiden, wer ein Visum für die Einreise von Moldowa nach Deutschland erhält und wer nicht. Vor dem Gebäude der deutschen Botschaft in Chisinau, der Hauptstadt Moldawiens, bildeten sich damals jeden Morgen lange Menschenschlangen. Drei-, vierhundert Personen, zumeist junge Männer und junge Frauen, standen täglich geduldig an, um ein Visum zur Einreise in die BRD zu ergattern. Doch nicht nur das. Vor der Botschaft, seitlich neben Gebüsch und unter Bäumen, wurden auch jeden Morgen, pünktlich zur Öffnungszeit der Botschaft, mehrere PS-starke Nobelfahrzeuge der Firma Daimler-Benz mit getönten Scheiben geparkt. Und dann gab es – Tag für Tag – fortgesetzt Bewegungen aus der Menschenschlange heraus zu diesen Fahrzeugen hin und von den Fahrzeugen in den vorderen Bereich der diszipliniert aufgereihten Menschen vor der Botschaft.
Allein die Herrschaften in den Fahrzeugen mit dem Stern auf der Motorhaube entschieden auf diese Weise über lange Zeiträume hinweg, wer das Botschaftsgebäude betreten konnte und wer nicht. Allein die der Organisierten Kriminalität zuzuordnenden Kontrolleure entschieden, wer in den Besitz eines Visums kommen und nach Deutschland einreisen konnte und wer nicht. Es kann getrost davon ausgegangen werden, dass es neben den wenigen, die dafür bezahlen konnten, vorrangig OK-Angehörige und ihre Helfer waren und deren (potenzielle) vorwiegend weibliche Opfer aus dem verarmten, kleinen Land. Es erscheint geradezu unglaublich: Die Hilferufe des Botschafters blieben ungehört.
Erst viel später wurde dann (ohne nennenswertes Ergebnis und ohne Folgen) versucht, die Angelegenheit aufzuarbeiten (Visa- oder Fischer-Volmer-Affäre mit Untersuchungsausschuss im Jahre 2005) und Außenminister Fischer musste sich im Parlament als Zuhälter bezeichnen lassen. Als solcher bestraft wurde er freilich nie.
Gegenwärtig werden von kriminellen Balkan-Syndikaten und albanischen Clans offensichtlich höchst interessiert die Vermittlungsgespräche über einen möglichen und beabsichtigten EU-Beitritt Albaniens verfolgt. Der Hintergrund: Albanische Clans – die albanische Mafia – haben während der letzten Jahre dem Kanun, den überlieferten und ungeschriebenen „Gesetzen der Berge“ wieder Leben eingehaucht. Nicht ohne Grund, denn nach diesen Gesetzen sind Frauen und Kinder geradezu rechtlos und sie sind der Besitz des Mannes. Das ist deshalb bedeutsam und von Nutzen, weil sich diese kriminellen Clans (unter anderem) auf den Frauen- und Kinderhandel spezialisiert haben und längst nicht mehr nur das Prostitutionsgeschehen in verschiedenen Balkanregionen sondern auch in weiten Teilen Italiens und in vielen Städten und Regionen Deutschlands beherrschen.
Albanien (und seine Nachbarländer, in denen Albaner wohnen) hat zudem die jüngste Bevölkerung Europas. Und mit den zahlreichen (rechtlosen und im Besitz der Männer befindlichen) Kindern und jungen Frauen des Landes und solchen aus anderen Rekrutierungsländern sind offensichtlich weiterhin Handels- und Ausbeutungsgeschäfte in großem Ausmaß geplant. Vorwiegend im dafür geradezu prädestiniert erscheinenden Zielland Bundesrepublik Deutschland, welches von diesen Clans bereits nahezu flächendeckend besetzt ist und wo die Basis bereits besteht.
Während man im politischen Deutschland noch immer davon auszugehen scheint, dass von einem kleinen und unterentwickelten Land keine Gefahr ausgehen kann, wird die albanische Mafia (nach zum Teil erschreckenden und sehr leidvollen Erfahrungen) von italienischen Experten und von der amerikanischen Bundespolizei FBI gleichermaßen und seit geraumer Zeit als die gegenwärtig gefährlichste Verbrecherorganisation dieser Welt bezeichnet.
Dass im Rahmen der Annäherung des Landes Albanien an die EU seit 15. Oktober 2010 Albanern Visafreiheit (auch) für die Einreise nach Deutschland gewährt wird – sofern die Einreisenden einen biometrischen Pass besitzen, was für den albanischen Normalbürger aus finanziellen Gründen ein Problem sein kann, für Kriminelle und der OK zuzuordnende Personen und ihre Opfer allerdings kaum –, das wird vom ersten Tag an in hohem Maße genutzt.
Und diese (Ein-)Reiseerleichterung machen sich auch nicht nur die von Albanien aus agierenden Clans sondern ganz selbstverständlich auch die albanisch-stämmigen Kriminellen in Kosovo zunutze, die noch immer ein Visum für die Einreise nach Deutschland bräuchten, aber zum Beispiel die täglich verkehrende Fähre von Durres in Albanien nach Bari/Italien benutzen, um in den EU-Raum und nach Deutschland zu gelangen. Sie bräuchten ein Visum, sie brauchen dennoch keines.
Die wenigen Beispiele (es gibt noch viel mehr davon) zeigen, dem Transport der Ware Frau und Kind von Ost- und Südosteuropa und ihrer Ausbeutung im häufig von Täter- wie von Opferseite bevorzugten Zielland Deutschland, werden durch Visabestimmungen und Einreisebeschränkungen sowie (fehlende) Grenzkontrollen längst keine ernsthaften oder wirksamen Hürden oder Grenzen mehr gesetzt. Auch deshalb nimmt der Frauen- und Kinderhandel von Arm nach Reich, von Ost nach West oder vom Balkan nach Deutschland nicht ab sondern weiterhin zu.

Über die Polizeiarbeit im Rotlicht und über Milieupersonen vor Gericht


Herkömmliche und klassische polizeiliche Mittel und Methoden sind seit jeher wenig oder gar untaugliche Instrumente, um Milieukriminalität wirksam zu bekämpfen. Was nützt eine Vernehmung, wenn das Gegenüber permanent schweigt (oder lügt)? Was nützt eine Telefonüberwachung, wenn die Polizei beim zweiten, gesprochenen Satz als Mithörer begrüßt wird? Was nützt eine Durchsuchung in einem kurz zuvor offensichtlich sauber leer gefegten Milieuobjekt ? Was nützt eine Razzia, wenn Zuhälter beim Eintreffen der Kräfte grinsend hinter dem Tresen stehen und die Pässe der Bediensteten, fein säuberlich aufbereitet, zur Einsichtnahme bereitgelegt sind?Die Milieus im Rotlicht sind ständig und seit jeher auf der Suche nach Zugängen zu den für sie interessanten und nützlichen Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Sport, Medien, Justiz und nicht zuletzt zur Polizei… Und sie sind keineswegs immer erfolglos dabei – wie nicht zuletzt entsprechende Enthüllungen immer wieder einmal beweisen. Schließlich haben sie ja auch Gewichtiges zu bieten: Sex, Geld, Skrupellosigkeit…
Angesichts der Grenzöffnungen nach Osten hin und allen inzwischen bestehenden (Ein-)Reiseerleichterungen und -möglichkeiten, angesichts der Professionalität der Täter und Tätergruppierungen im Bereich der Anwerbung, Schleusung und Ausbeutung ihrer (potenziellen) Opfer, angesichts der veränderten Machtverhältnisse in den Milieus (deutsche Luden wurden vielfach entmachtet und in die neuen Strukturen integriert oder aber verdrängt; ausländische, vielfach der OK zuzuordnende Gruppierungen haben übernommen), angesichts der Abgeschlossenheit und der vielfach verkannten Eigen- und Besonderheiten der deutschen Rotlicht- oder Prostitutionsmilieus, sind es zumeist nur noch höchst aufwändige und langfristig angelegte, mit keiner Erfolgsgarantie ausgestattete Strukturermittlungen, die zu Ermittlungserfolgen im Bereich der Milieu- und Organisierten Kriminalität führen können.
Gerade diese aber werden der Polizei durch

  • die Personalsituation,
  • fehlende Mittel,
  • Überlagerungen und andere Erfordernisse (z. B. Islamisten-
  • szene),
  • Zwang und Jagd nach schnellen Erfolgen,
  • Statistikhörigkeit oder
  • Pleiten vor Gericht und andere Faktoren

in zunehmendem Maße erschwert oder gar unmöglich gemacht.
Die Polizei(führung) trägt allerdings selbst dazu bei, wenn sie den Forderungen nach schnellen (und doch oft fragwürdigen) Erfolgen all zu schnell nachgibt, wenn sie die Statistiken und statistische Zahlen zu sehr verehrt oder gar zum alleinigen Maßstab ihres Handelns nimmt, wenn sie aus solchen Gründen und zu solchen Zwecken der Milieukriminalität nicht (mehr) den ihr angemessen Stellenwert einräumt…
Durch die Abschaffung des GeschlKrG, durch die Streichung des Tatbestandes der Förderung der Prostitution (eine Eintrittskarte für die Polizei ins Milieu und ein Ermittlungstatbestand, der zwar reformbedürftig war aber nicht entbehrlich erscheint) und durch das Prostitutionsgesetz selbst wurden die für eine effiziente und wirksame Kriminalitätsbekämpfung zwingend erforderlichen, polizeilichen Zugänge und Kontrollen erheblich eingeschränkt oder gar unmöglich gemacht. Diese nun gegebenen, gesetzlichen Rahmenbedingungen führen im Zusammenhang mit allen anderen, täterfreundlichen und tatfördernden Veränderungen (Reiseerleichterungen, fehlendes, gesellschaftliches Problembewusstsein, geschicktes Täterverhalten, ohnmächtige Justiz…) dazu, dass sich die Polizei veranlasst sehen könnte, sich mehr und mehr aus einem höchst undankbaren Arbeits- und Kriminalitätsfeld zurückzuziehen und sich anderen, dankbareren Aufgaben zuzuwenden. Schon die mit vergleichbar geringem Aufwand mögliche Sicherstellung von einem oder zwei Kilogramm des Stoffes, aus dem die (Alb-)Träume sind, lässt sich als „Erfolg“ im Rahmen der OK-Bekämpfung verkaufen und feiern. Dabei wird der Stoff täglich containerweise ins Land gekarrt und nicht zuletzt im Rotlicht als „Vielzweckwaffe“ eingesetzt und an den Mann bzw. an die Frau gebracht.
Stellen sich bei der Bekämpfung von Milieukriminalität durch die Polizei gelegentlich aber doch noch Ermittlungserfolge ein, so werden diese nicht selten bei Gericht zunichte gemacht. Das ist nicht der Justiz, den Gerichten oder einzelnen Richtern anzulasten, sondern ergibt sich ebenfalls aus unzulänglichen und in keiner Weise den Strategien und Machenschaften der gegenwärtigen Herausforderungen angepassten, in Teilen völlig veralteten, strafprozessualen Bestimmungen oder wenig praktikablen Strafvorschriften.
Keiner anderen gesellschaftlichen Gruppierung ist es jemals gelungen, Rechtsstaatlichkeit so gekonnt, so wirksam und in so hohem Maße auszuhebeln, wie diesen Milieus und ihren Bossen im Rotlicht. Der Rechtsstaat wird kaum irgendwo so gedemütigt und vorgeführt, wie bei Zuhälter- oder Menschenhandelsprozessen in deutschen, von Milieupersonen voll besetzten und vereinnahmten Gerichtssälen. Diese Milieupersonen (und ihre Anwälte) organisieren bewusst und gezielt Provokationen, Störungen, Einschüchterungen, Widerstände, überraschende Aussagen und Wendungen. Sie versuchen einzuschüchtern und zu verunsichern. Sie halten sich nicht an die Spielregeln der Gesellschaft sondern wenden die der Parallelgesellschaften (im Rotlicht) an. Zumeist sind es nur sehr erfahrene, mit den Machenschaften und Methoden von Milieupersonen vertraute Richter, die davon unbeeindruckt bleiben.
Zuhälter verhindern die für ein Urteil erforderliche Anwesenheit der Opfer vor Gericht (indem sie diese zuvor nach Unbekannt ausfliegen lassen). Erscheinen sie dennoch, verhindern sie belastende Opferaussagen mit zumeist unbemerkten aber höchst wirksamen Methoden (dein kleiner Bruder lebt morgen nicht mehr, wenn du…). Und sie kennen zudem die Zwänge der Gerichte und der Richter und sie nutzen auch diese bis zu den Grenzen hin aus – die Zwänge der Prozessökonomie. Milieuanwälte und -personen verzögern, zwingen zum Vertagen, stellen Beweisanträge (die nach Absurdistan führen) am Fließband, zwingen die Gerichte damit ein ums andere Mal zum Deal – zum Vorteil der Täter und zum Leidwesen oder Entsetzen der Opfer.
Ganz nebenbei sind solche Deals und daraus resultierende Bagatelleurteile auch geeignet, Frustration und Demotivation bei den Ermittlungsbeamten und Ermittlungsbehörden auszulösen.
Verfahrensausgänge dieser Art belegen, dass der betriebene Aufwand in keinem Verhältnis zum erzielten Ergebnis stand. Die zwangsläufige Folge davon könnte sein: Der (polizeiliche) Aufwand wird den (zu erwartenden) Ergebnissen angepasst. Langfristige und aufwändige Strukturermittlungen werden weniger oder bleiben aus. Das wiederum würde zu abnehmenden, statistischen Zahlen führen. Zahlen, die so interpretiert werden könnten, als wären Rotlicht- und Organisierte Kriminalität rückläufig, was letztlich (fast) alle zufrieden stellen könnte: Die Politiker, die Polizisten, die Justiz, die OK-Bosse, das Milieu, die Menschenhändler und die Zuhälter… Allein den (potenziellen) Opfern wäre damit wahrlich nicht gedient. Der Rechtstaatlichkeit freilich auch nicht.

Abschließende Bemerkungen zur Öffentlichkeitsarbeit


Ich habe lange überlegt, ob ich mich zu dem Thema öffentlich äußern soll“ ließ der Staatssekretär eines für die Regulierung der Prostitution und den damit zusammenhängenden Problemen zuständigen Ministeriums im Vorfeld einer Fernsehdiskussion zum Thema (Zwangs-)Prostitution in einem Studio verlauten und er ließ auch wissen, dass die Frau Ministerin es abgelehnt habe, das zu tun.
Neben falscher Scham und mangelndem Pflichtbewusstsein könnte aus diesen Äußerungen auch darauf geschlossen werden, dass es in diesem Land selbst oder gerade an zentralen und zuständigen Stellen am erforderlichen Problembewusstsein fehlt. Freilich werden von privaten wie von den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht nur Ministerinnen eingeladen und ersatzweise Staatssekretäre entsandt. Und auch nicht nur ihnen scheint es gelegentlich am Elementarsten, so wie an einem angemessenem Problembewusstsein zu fehlen. Nach einer Boxveranstaltung, die durch einen K.O. ein all zu schnelles Ende fand, wurden von einem Fernsehreporter nicht die am Ring sitzenden Franz Beckenbauer, Günter Jauch oder andere Prominente bemüht, um die Sendezeit zu füllen. Das Mikro wurde vielmehr einem, wohl standesgemäß ebenfalls in der ersten Reihe sitzenden, Zuhälter vor die Nase gehalten. Kaum in Freiheit und noch etwas bleich von der wegen Menschenhandels verbüßten Haft, stammelte er dann wenig Bedeutsames über den Kampfverlauf ins Mikro; neben ein paar der üblichen, wüsten Schlägereien im Milieu hatte und hat er vom Boxsport keine Ahnung.
Ob, an wen und in welcher Höhe Gelder für diesen obskuren Auftritt geflossen sind oder welche sonstigen, süßen Verlockungen wem in Aussicht gestellt wurden, das alles wurde freilich nicht bekannt.
Anderen Bordellbetreibern und (Spitzen-)Zuhältern wurde es in diesem Land wiederholt ermöglicht, in Talkshows aufzutreten, sie wurden vor laufender Kamera als clevere Geschäftemacher hofiert (Bordellbetriebe an die Börse!) oder dem staunenden Publikum als schillernde Persönlichkeiten einer modernen Gesellschaft vorgestellt, als Sammler sündhaft teurer Ferraris bewundert oder als in den Adel eingekaufte Prinzen bestaunt.
Wiederum andere wandelten sich inmitten dieser, unserer Gesellschaft sehr plötzlich in seriöse Geschäftemacher und Unternehmer. Sie betätigen sich als Großinvestoren im Bereich von Freizeitanlagen, Wellnessbetrieben, Erlebnis- oder Saunalandschaften… Sie errichteten als Freizeittempel getarnte Edelbordelle, bestens platziert neben Flughäfen, Business- oder Politzentren oder neben der Polizeiakademie (nichts ist Zufall in diesen Milieus, alles ist Strategie). Wiederum andere sind (angeblich) ausgestiegen und managten plötzlich Sportgrößen oder wandelten sich gar zu Parlamentariern…
All das kann man freilich auch einfacher und kürzer darstellen, indem man die Vermutung oder Gewissheit zum Ausdruck bringt: Sie (und damit möglicherweise auch die OK) unterwandern die Gesellschaft und dringen in sie ein. Geschickt, gekonnt, erfolgreich…
Es bleibt zu hoffen und zu wünschen, ihre Opfer sahen und sehen die genannten Shows und Präsentationen im deutschen Fernsehen nicht.
Es bleibt auch zu hoffen, sie hören das Knallen der Korken nach so manchen Gesetzesinitiativen, Reiseerleichterungen, nach ausbleibender Strafverfolgung, Bagatelleurteilen und Freisprüchen nicht und sie wissen nichts davon, dass ihre Ausbeuter hierzulande im Schampus baden.Elina, der jungen und hübschen, im deutschen Rotlicht ausgebeuteten und schwerst traumatisierten Frau, tief in den albanischen Bergen versteckt, bleibt das wenigstens vorerst erspart. Ein Fernsehgerät gibt es dort nicht.