Recht und Justiz

Aufklärungsdrohnen im Polizeieinsatz

Grundgesetzliche Vorgaben und Grenzen beim präventiv-polizeilichen Einsatz von Drohnen



5. Eingriffsrechtfertigung durch Gesetze


Grundrechtseingriffe sind zulässig, wenn und soweit sie auf einer grundgesetzkonformen gesetzlichen Ermächtigung beruhen und diese im Einzelfall in verfassungskonformer Weise angewandt worden ist. Letzteres ist eine Frage der Gesetzesanwendung im Einzelfall und kann hier nur erwähnt, aber nicht für jede Fallkonstellation durchdekliniert werden. Über einzelne Fälle hinaus wichtiger ist die erste Anforderung. Hinsichtlich der Anforderungen an die Gesetze unterscheidet die inzwischen gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach der Eingriffsschwere.26Schwerwiegende Grundrechtseingriffe sind danach solche, welche mindestens einem der folgenden vier Kriterien unterfallen: 

  • Eingriffe in besonders geschützte Freiheitsgarantien (z.B. Art. 13; 8; 5 GG),27
  • fehlende Kalkulierbarkeit und daraus resultierende fehlende Vermeidbarkeit bzw. Abwendbarkeit des Eingriffs für Betroffene. Hier fehlen namentlich mögliche überwachungsfreie Handlungsalternativen (etwa: Benutzung nicht videoüberwachter Wege) und rechtzeitige Rechtsschutzmöglichkeiten.28 Das gilt insbesondere bei heimlichen oder verdeckten Informationseingriffen.29 
  • Informationsverwendung zu Folgeeingriffen in Grundrechte, etwa zur Erstellung von Bewegungsbildern:30 Je weiter und weniger spezifisch die Informationsverwendung geregelt ist, desto schwerer wiegt schon deren Erhebung.31 Hier wirken also die Verwendungsmöglichkeiten auf die Erhebungsmöglichkeiten zurück.32
  • Möglichkeit einer Beeinträchtigung nicht nur individueller Freiheit, sondern der Freiheit der Gesellschaft im Staat.33 Freiheit ist eben nicht nur individuelle, sondern auch gesellschaftliche, soziale und politische Freiheit. Sie ist auch die Freiheit zur Bildung, Artikulation und Betätigung der Zivilgesellschaft. 


Derart schwerwiegende Informationseingriffe sind nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung nicht generell unzulässig. Sie unterliegen allerdings gesteigerten Zulässigkeitsanforderungen schon auf der Ebene der gesetzlichen Befugnisnormen. Zu diesen Anforderungen zählen insbesondere:

  • Notwendigkeit einer expliziten gesetzlichen Entscheidung über die Zulassung eines scherwiegenden Eingriffs: Die Maßnahme muss im Gesetz explizit genannt sein und darf sich nicht allein auf Generalklauseln stützen.
  • Begrenzung der gesetzlichen Zulassung des schwer wiegenden Eingriffs auf den Schutz hinreichend bestimmter qualifizierter besonderer Schutzgüter und hinreichend spezifische, im Gesetz konkretisierte Gefahrlagen.34 Maßgeblich ist hier neben dem Übermaßverbot das Bestimmtheitsgebot, deren Anforderungen in derartigen Konstellationen ineinander übergehen.35 
  • Vorhandensein ausreichender gesetzlicher Regelungen zu den Eingriffsfolgen, insbesondere zum Schutz besonderer Vertrauensverhältnisse,36 des Schutzes Unverdächtiger oder nur zufällig mitbetroffener Nichtverantwortlicher oder sonstiger Dritter;37 sowie zur Informationsverwendung.
  • Vorhandensein hinreichender Verfahrensregelungen, etwa zu besonderen Genehmigungsvorbehalten (Behördenleitervorbehalt, Richtervorbehalt),38 zu Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten hinsichtlich stattgefundener Eingriffe; zu Kennzeichnungspflichten derart erhobener Daten (zur Steuerung der Möglichkeiten ihrer Übermittlung)39 und zur späteren Bekanntgabe stattgefundener Informationseingriffe mit dem Ziel einer Ermöglichung nachträglicher gerichtlicher Kontrolle. 

Dabei muss nicht für jede einzelne Maßnahme jede der genannten Regelungen in einer besonderen Bestimmung getroffen werden. Es genügt auch, wenn sie für bestimmte oder hinreichend bestimmbare Eingriffe in allgemeinen Bestimmungen aufgenommen sind. 
Einfache Informationseingriffe sind demgegenüber solche, welche nicht die genannten Kriterien für schwerwiegende Maßnahmen erfüllen. Sie lassen sich nach abstrakten Kriterien schwer beschreiben, sind jedoch rein quantitativ der Regelfall auch polizeilicher Informationserhebung. Zu ihnen zählen etwa die personenbezogene Erhebung und Registrierung (auch) öffentlich wahrnehmbarer Zustände, Verhaltensweisen u.ä., und zwar auch solcher personenbezogener Art; die Informationsgewinnung durch Auskünfte Dritter, Informations- oder Amtshilfe anderer staatlicher oder privater Stellen, sofern die übermittelten Daten dort nicht durch schwerwiegende Eingriffe im soeben genannten Sinne gewonnen wurden; die öffentlich wahrnehmbare Informationserhebung (auch durch zulässig installierte technische Vorkehrungen, etwa Kameras) und zahlreiche andere Maßnahmen mehr. Solche Maßnahmen sind zulässig40 aufgrund – auch generalklauselartiger – gesetzlicher Ermächtigung, sofern sie

  • die allgemein geltenden Bestimmtheitsanforderungen erfüllen und
  • den Maßstäben des Bestimmtheitsgebots genügen kann. 

Besondere Regelungen sind am ehesten nötig zur Begrenzung der Eingriffe auf den gesetzlich zugelassenen Personenkreis und auf die Behandlungen typischerweise mit erfasster Nichtbetroffener. Hinsichtlich der Verwendung derartig erhobener Informationen genügen die allgemeinen bereichsspezifischen Bestimmungen. 
Das Kriterium der Eingriffsschwere ermöglicht so abstrakt eine Konkretisierung der Anforderungen an gesetzliche Befugnisregeln. Zwar lassen sich in der Wirklichkeit nicht sämtliche Maßnahmen hinreichend eindeutig einer der beiden genannten Gruppen zuordnen. Insoweit liegt der Unterscheidung ein gewisser typisierender Charakter zugrunde. Doch sind die Anforderungen hinreichend offen, um möglichen Übergangserscheinungen und Randphänomenen angemessen Rechnung tragen zu können. Hier sei nochmals hervorgehoben: Die Rechtsprechung unterscheidet auf Verfassungsebene grundsätzlich nicht zwischen den Anforderungen an präventiv-polizeiliche bzw. repressiv-polizeiliche Befugnisnormen.41

6. Polizeidrohnen als schwerwiegende Grundrechtseingriffe


Die Frage nach den grundgesetzlichen Anforderungen an Ermächtigungsgrundlagen für den Einsatz polizeilicher Aufklärungsdrohnen setzt demnach die Qualifikation dieses Instruments als schwerwiegender oder nicht-schwerwiegender Eingriff voraus. Dabei ist – da Gesetze nicht vergangene und kaum gegenwärtige, sondern eher zukünftige Sachverhalte regeln – nicht allein der gegenwärtige Stand der Technik statisch zugrunde zu legen, sondern vielmehr die genannte Offenheit der Entwicklung einzubeziehen. Nicht alles, was gegenwärtig technisch (noch) nicht möglich ist, begrenzt Einsatzszenarien und Regelungsbedürfnisse für die Zukunft. Danach sind insbesondere folgende Kriterien einzubeziehen.
Drohnen können auch personenbezogene Aufnahmen ermöglichen. Auch wenn dies gegenwärtig noch schwierig ist: Kleine Drohnen verfügen lediglich über eine Kameratechnik, welche die Identifizierbarkeit von Personen nur auf kurze Entfernungen ermöglicht. Die Drohne muss also nahe an die aufzunehmenden Personen heran fliegen. Nur große Drohnen können aus größerer Entfernung bereits hinreichend auflösbare Aufnahmen ermöglichen. Doch ist nicht nur die Drohnen-, sondern auch die Videotechnik offen. Das gilt auch für die Ermöglichung des Heranzoomens, der Fokussierung von Aufnahmen auf einzelne Personen und der nachträglichen Vergrößerung von Aufnahmen. Zudem finden sich im Netz immer mehr Vergleichsaufnahmen zur Ermöglichung einer Identifizierung von Personen. Von daher ist die Möglichkeit eines Personenbezuges der Videoaufnahmen jedenfalls für die Zukunft nicht auszuschließen. Es gelten daher grundsätzlich die Anforderungen an die Beschaffung personenbezogener Informationen.42
Doch ermöglichen Drohnen nicht nur die Aufnahme einzelner Personen, sondern erfassen auch die Umgebung, also etwa auch andere Personen. Diese sind regelmäßig nicht sämtlich verdächtig oder als potentielle Störer ausgemacht. Im Gegenteil: Der Einsatz richtet sich nur äußerst selten gegen alle, zumeist hingegen nur gegen einzelne Personen. Insoweit kommt möglichen Eingriffen eine erhebliche Streubreite zu. Die allermeisten der in das Visier geratenden Personen sind Unverdächtige oder Nicht-Verantwortliche. Sie geraten nur deshalb auf die Kamera, weil entweder die Verantwortlichen vorher noch nicht hinreichend bekannt sind oder weil aus technischen Gründen Dritte nicht von vornherein ausgeschlossen werden können. Jedenfalls bei Anwesenheit einer größeren Personenzahl gilt regelmäßig: Die allermeisten Betroffenen sind keine potentiellen Adressaten weiterer polizeilicher Maßnahmen. Eine derart große Streubreite ist in der Rechtsprechung des BVerfG ein Kriterium für schwerwiegende Eingriffe.43 Da der Drohneneinsatz zudem gesetzlich nicht näher geregelt ist, fehlt es auch an adäquaten Regelungen über die Verwendung der Daten Betroffener wie Nichtbetroffener.44
Der Einsatz der Drohnen erfolgt regelmäßig ohne öffentliche Ankündigung oder Vorwarnung. Er kommt also für die Betroffenen überraschend (gerade angesichts der aktuell noch kleinen Zahl polizeilicher Drohnen). Hier tut sich eine Alternative auf: Ist der Einsatz für Betroffene wahrnehmbar, kann er geeignet sein, sie von Meinungsäußerungen, Teilnahme an einer Versammlung u.ä, abzuhalten: Wenn sogar Drohnen zum Einsatz kommen, könnte es dort riskant oder sogar gefährlich werden. Dann wäre der Eingriff schwerwiegend, weil besondere Handlungsfreiheiten beeinträchtigt werden.45 Ist der Einsatz für die Betroffenen hingegen nicht bemerkbar, dann gilt: Ein Ausweichen auf andere, unüberwachte Alternativen ist nicht möglich; Rechtsschutz jedenfalls ex ante auch nicht erreichbar. Auch von daher sind die Eingriffe als schwerwiegend zu qualifizieren.46 
Schließlich ist auch ein weiterer Aspekt zu berücksichtigen: Derjenige der Legitimationsbeschaffung durch Gesetzgebung. Legislative ist kein Selbstzweck und nicht allein zur Beschäftigung von Parlamentariern notwendig. Sie soll auch politische und gesellschaftliche Diskussionen anstoßen, kanalisieren und aufnehmen. Dafür ist der parlamentarische Prozess rechtlich als öffentlicher, als verfahrensoffener und tendenziell transparenter ausgestaltet. Er soll nicht nur Legitimation bzw. Akzeptanz in Politik und Parlament, sondern auch in der Gesellschaft herstellen oder widerspiegeln. Angesichts des gegenwärtiger Standes der Drohnendiskussion, gekennzeichnet von einem eher niedrigen Kenntnisniveau, weit reichender Offenheit der technischen Entwicklung und damit einhergehend einem hohen Befürchtungs- und Kritikpotentialen, ist der Bereich von einem ausgeprägten Maß an Verunsicherung charakterisiert. Diese kann bei Betroffenen und Beobachtern das Niveau gesellschaftlicher Freiheit jedenfalls berühren,47 indem Unsicherheit hinsichtlich der eigenen Handlungsmöglichkeiten und der den Behörden eröffneten Beobachtungspotentiale entstehen kann. Aus einer solchen Sicht entsteht Bedarf nach einer grundlegenden gesellschaftspolitischen Entscheidung: Will man eine neue Dimension von Beabachtungsmöglichkeiten eröffnen oder verschließen? Hier ist das parlamentarische Verfahren hinsichtlich seiner Ansprüche und Leistungen der juristischen Subsumtionskunst von Experten und Behörden weit überlegen. Auch dieser Aspekt spricht für die Notwendigkeit eines Gesetzes. Es sind demnach nicht nur eines, sondern mehrere der vom Bundesverfassungsgericht angeführten Argumente für eine Qualifikation als schwerwiegender Grundrechtseingriff einschlägig. Dann allerdings gelten auch die dafür aufgestellte Anforderungen, namentlich diejenigen an ein spezifisches Gesetz, welches die einschlägigen Rechtsfragen hinreichend bestimmt und in Übereinstimmung mit den grundgesetzlichen Anforderungen regelt.48
Wohlgemerkt: Dies alles gilt allein dann, wenn der einzelne Drohneneinsatz überhaupt grundrechtsrelevant werden kann, also Personen ohne oder gegen ihren Willen in das Visier der Kameras geraten können. Bei den meisten der aufgezeigten Szenarien ist dies nicht der Fall. Dann bedarf es aber keiner Befugnisnorm, der Einsatz richtet sich allein nach den Aufgabennormen der Polizeigesetze und der StPO.49