Recht und Justiz

„Klappe auf, Probleme da“

Von den strafrechtlichen Besonderheiten des EC-Karten-Einsatzes an Geldautomaten

2.3 Gewalt und Täuschung am Geldautomaten

Eine weitere Nuance erhält die Problematik durch ein jüngeres Kriminalitätsphänomen, das Rechtsprechung und Praxis beschäftigt:


G tätigt eine Bargeldabhebung am Geldautomaten. Nachdem er PIN und Summe eingegeben und bevor der Automat das Geld ausgegeben hat, eilt B, der G von diesem unbemerkt beobachtet hatte, herbei, stößt G zur Seite, ergreift das in diesem Moment vom Automaten ausgegebene Bargeld und flüchtet.


Abwandlung 1: B stößt G weg, nachdem dieser die PIN, aber bevor er die Summe eingeben kann und gibt selbst einen (hohen) Betrag ein.


Abwandlung 2: G wird, nachdem er die PIN eingeben hat, nicht weggestoßen, sondern von B abgelenkt, sodass dieser von G unbemerkt den Geldbetrag auswählen und die Auszahlung veranlassen kann.


Da B im Ausgangsfall und der 1. Abwandlung Gewalt anwendet, steht eine Strafbarkeit nicht nur wegen Diebstahls, sondern wegen Raubes gem. § 249 StGB in Rede. Diese setzt aber wiederum das Vorliegen einer Wegnahme voraus und knüpft somit an die dargelegte Problematik an.


Weitgehend unproblematisch ist noch, dass die Bank ihren Gewahrsam an den Geldscheinen nicht aufgegeben hat, sondern dieser lediglich gelockert ist. Gewahrsam ist die vom Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft, wobei sich die Zuordnung maßgeblich nach der Anschauung des täglichen Lebens bestimmt.24 Dass nach diesen Maßstäben der Gewahrsam weiterhin der Bank zugewiesen wird, ergibt sich zwanglos, wenn man sich vor Augen hält, dass sie anerkanntermaßen auch Gewahrsam an sämtlichen in ihren Räumlichkeiten befindlichen Gegenständen hat.25 Für die Scheine im Ausgabefach muss dies erst Recht gelten, da mit der Möglichkeit, die Scheine wieder einzuziehen, eine weitergehende faktische Zugriffsmöglichkeit besteht.26


Fraglich ist, ob der Gewahrsamswechsel von der Bank zu B sich als Gewahrsamsbruch und somit als Wegnahme darstellt oder ein tatbestandsausschließendes Einverständnis der Bank vorliegt. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 verneinte der 2. Strafsenat des BGH eine Raubstrafbarkeit mangels Wegnahme und stellte zur Begründung darauf ab, dass die tatsächliche Ausgabe des Geldes mit dem Willen der Bank erfolgt sei, da der Automat technisch ordnungsgemäß bedient worden sei.27 Der Senat gelangte stattdessen zu einer Strafbarkeit wegen räuberischer Erpressung gem. §§ 253, 255 StGB, weil diese nach ständiger Rechtsprechung keine Vermögensverfügung voraussetzt, sondern vielmehr jedes vermögensmindernde Verhalten genügt.28


Ein abweichende Lösung avisierte in 2019 der 3. Strafsenat des BGH:29 Der Senat nahm an, dass das tatbestandsausschließende Einverständnis in personeller Hinsicht auf denjenigen beschränkt sei, der sich durch Eingabe der Karte und der PIN legitimiert habe. Ein Einverständnis hätte somit allein mit der Entnahme durch G bestanden, die Entnahme durch B stellt sich hingegen als Gewahrsamsbruch und somit als Wegnahme dar. Diese Sichtweise überzeugt. Sie denkt die Idee des im Automaten verkörperten bedingten Einverständnisses lediglich stringent zu Ende. Akzeptiert man, dass das Einverständnis unter der Bedingung der ordnungsgemäßen Bedienung stehen kann, erscheint es inkonsequent, zur Erfüllung dieser Bedingung die ordnungsgemäße Bedienung durch eine beliebige Person genügen zu lassen, die dann selbst gar nicht Gewahrsam erlangt. Die Beschränkung auf denjenigen, der die Bedingung erfüllt, erscheint demgegenüber folgerichtig. Dass der Gewahrsamsinhaber sein Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel gegenüber bestimmten Personen erteilen kann und gegenüber anderen nicht, ist selbstverständlich, wenn sich die Personen tatsächlich gegenüberstehen, und würde von niemandem als Frage einer unbeachtlichen Rechtsbedingung diskutiert.30 Für das antizipierte, durch einen Automaten verkörperte Einverständnis kann dies nach den dargelegten Grundsätzen nur bedeuten, dass entsprechende personelle Begrenzungen auch nur anhand von Parametern erfolgen, die der Automat „überprüft“, da nur dann die Begrenzung objektiv Niederschlag in dem automatisierten Ablauf gefunden hat. Dies ist hier aber gerade der Fall. Dadurch, dass sich der den Automaten Bedienende durch EC-Karten- und PIN-Eingabe legitimieren muss, wird hinreichend deutlich, dass ein Einverständnis mit der Gewahrsamserlangung nur durch eben jene Person besteht.31 Dass die Bank gerade nicht mit der Übertragung des Gewahrsams an einen unbestimmten Dritten einverstanden ist, kommt – im automatisierten Ablauf manifestiert – dadurch zum Ausdruck, dass die Scheine automatisch wieder eingezogen werden, wenn sie nicht alsbald aus dem Fach entnommen werden.32 Vertreter der Gegenauffassung müssten eine Wegnahme auch dann verneinen, wenn ein Dritter im Ausgabefach vergessene Scheine an sich nimmt, bevor diese wieder eingezogen werden, obwohl – man stelle sich vor, der Einzugsmechanismus springt im selben Moment an, in dem der Täter zugreift – doch recht offen zu Tage liegt, dass dies nicht dem Willen der Bank entspricht. Da eine Ungleichbehandlung beider Konstellationen kaum zu rechtfertigen ist, zeigt sich hier noch deutlicher, dass dieser Begründungsansatz nicht richtig sein kann. Gerade weil die Beschränkung durch Abfrage von Karte und PIN im automatisierten Ablauf verobjektiviert ist, handelt es sich nicht um eine unbeachtliche innere Bedingung33 – die Berechtigung spielt gerade weiterhin keine Rolle34 – und es besteht auch kein Wertungswiderspruch zu der Konstellation des unberechtigten Karteneinsatzes35. Es macht dann auch keinen Unterschied, ob die Eingabe der Summe – wie in der 1. Abwandlung – durch den Täter oder – wie im Ausgangsfall – durch den Geschädigten erfolgt.36 Sowohl für die Legitimierung und damit die personelle Beschränkung als auch für das technische In-Gang-Setzen des Vorgangs sind Karten- und PIN-Eingabe der maßgebliche Vorgang, während der Betragsauswahl eine untergeordnete Bedeutung zukommt.37


Auf Grundlage der Auffassung des 3. Senats ist somit eine Wegnahme und damit eine Raubstrafbarkeit zu begründen. Dass der Gewahrsam der Bank dabei durch Gewalt gegenüber dem G gebrochen wird, steht der Tatbestandsmäßigkeit nicht entgegen, da der Raubtatbestand nicht voraussetzt, dass der Adressat der Nötigungshandlung der Gewahrsamsinhaber ist. Gleichermaßen erfasst sind vielmehr Konstellationen, in denen sich die Nötigungshandlung gegen einen Dritten richtet, der gegen den Gewahrsamsbruch einschreiten könnte.38


Einen anderen – aber zum selben Ergebnis führenden – Begründungsansatz wählte der 4. Strafsenat des BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 2020, der ein geringfügig abweichender – nämlich der als Abwandlung 2 geschilderte – Sachverhalt zugrunde lag.39 Der 4. Senat bejaht eine Strafbarkeit wegen Diebstahls und meint die Frage der Reichweite des tatbestandsausschließenden Einverständnisses der Bank offenlassen zu können, da der Geschädigte bereits (Mit-)Gewahrsam erlangt habe, den der Beschuldigte breche. Diese Sichtweise will der Senat ausdrücklich auf die vorliegende Konstellation der Ablenkung begrenzt wissen und lässt offen, wie Sachverhalte zu entscheiden wären, in denen der Täter Gewalt anwendet. Erscheint bereits die Annahme des Senats zweifelhaft, dass sich Gewahrsam dort annehmen lässt, wo der vermeintliche Gewahrsamsinhaber durch Täuschung faktisch an dem Zugriff gehindert ist,40 gilt dies umso mehr in den Konstellationen, in denen der Täter den Geschädigten durch Gewalt am Zugriff hindert.41


Auch wenn die Unstimmigkeiten hinsichtlich der Begründung zwischen den Senaten misslich erscheinen, ist für die Praxis der Strafverfolgung mit den Entscheidungen des 3. und 4. Senats doch hinreichend gesichert, dass derartige Fälle im Ergebnis als Diebstahls- und beim Hinzutreten von Gewalt oder entsprechender Drohung als Raubtaten42 zu werten sind.