Rechtssprechung

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist

 

II Prozessuales Strafrecht

 

§ 94 StPO – Sicherstellung und Beschlagnahme von Gegenständen zu Beweiszwecken; hier: Potenzielle Beweisbedeutung. Ein Gegenstand hat potenzielle Beweisbedeutung, wenn in einer ex-ante-Sicht die nicht fernliegende Möglichkeit besteht, ihn im Verfahren zu Untersuchungszwecken in irgendeiner Weise zu verwenden. In welcher Weise der Gegenstand Beweisbedeutung haben kann, braucht zum Zeitpunkt der Sicherstellung noch nicht festzustehen.

Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte kann es ausreichend sein, von den sichergestellten Gegenständen Lichtbilder zu verwenden, soweit eine kriminaltechnische Untersuchung der Gegenstände nicht erforderlich erscheint. (BGH, Beschl. v. 14.6.2018 - StB 13/18)


§ 110 Abs. 3 StPO – Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien; hier: Zugriff auf Internetseiten des Beschuldigten im Internet. Beim Beschuldigten (B) durchsuchte die Polizei wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung. Das Handy des B wurde am Durchsuchungstag vor Ort mit dem UFED Physical Analyzer gesichert. Dabei werden unter anderem auch die auf dem Gerät gespeicherten Zugangsdaten zu Online- und Clouddiensten ausgelesen und in einem sogenannten Account-Package dem IT-Prüfer zur Verfügung gestellt. Dieses Package kann sodann mit einem anderen Tool, dem UFED Cloud Analyzer, eingelesen werden. In den nächsten Tagen bemerkte B, dass von einer fremden IP-Adresse auf seine Konten bei Facebook, Google und LinkedIn zugegriffen wurde. Wie sich herausstellte, versuchte der Cloud Analyzer, sich mit dem Internet zu verbinden und online mithilfe der Zugangsdaten weitere, online gespeicherte Daten abzurufen.

Das LG Koblenz sieht hierin eine zulässige Maßnahme in Form einer Online-Sichtung gem. § 110 Abs. 3 StPO und hält für den Zugriff auf die (wohl) im Ausland gespeicherten Daten kein Rechtshilfeersuchen für notwendig. (LG Koblenz, Beschl. v. 24.8.2021 – 4 Qs 59/21)


§ 119 StPO – Haftgrundbezogene Beschränkungen während der Untersuchungshaft; hier: Durchsuchung, Fesselung, Spuckschutz und Vermummung. Der vollziehbar ausreisepflichtig türkische Staatsangehörige (K) wurde aus der Untersuchungshaft heraus durch das SEK zur Gerichtsverhandlung (Verdacht des Fahrens ohne Fahrerlaubnis in elf Fällen in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen) verbracht. Nach dem Ende der Verhandlung betraten zwei Beamte des SEK die Zelle des K, um den Rücktransport in die JVA vorzubereiten. Die Beamten trugen hierbei Sturmhauben. Die persönlichen Sachen K´s wurden untersucht und – in unbekleidetem Zustand – seine natürlichen Körperöffnungen, Achselhöhlen und Kniekehlen in Augenschein genommen. Ein Arzt war nicht anwesend. Dem K wurden Hand- und Fußfesseln angelegt, die mittels Feuerwehrgurt am Körper fixiert wurden. Die Beamten setzten ihm eine Spuckhaube und eine Schlafbrille auf. Zusätzlich wurde ihm ein Gehörschutz angelegt. Der K verhielt sich während dieser Maßnahme kooperativ.

Durchsuchungen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen sich als schwerwiegender Eingriff in die Intimsphäre und damit in das durch Art. 2 Abs.1 GG gewährleistete Persönlichkeitsrecht dar und berühren zudem die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Das gilt in besonderem Maße, wenn sie mit der Nachschau im Bereich von normalerweise bedeckten Körperöffnungen verbunden sind. Derartige körperliche Durchsuchungen können durch die Erfordernisse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt sein, sie dürfen aber nur in schonender Weise und nicht routinemäßig, unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles, durchgeführt werden. Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalles abzuwägen. (VG Braunschweig, Urt. v. 2.12.2020 – 5 A 65/20)


§ 158 StGB – Strafanzeige, Strafantrag; hier: Strafantrag bei einer „Internet-Wache“ der Polizei. Ein über eine sog. Online-Wache gestellter Antrag erfüllt nicht das Schriftformerfordernis und ist unwirksam. Denn es würde die Schutzfunktion des Schriftformerfordernisses in § 158 Abs. 2 StPO aufgegeben, wenn ein „nur online“ gestellten Strafantrag bei einer „Internet-Wache“ der Polizei genügen würde. (AG Auerbach, Beschl. v. 26.1.2021 – 3 Cs 500 Js 24368/20)


§§ 163b Abs. 1, 163c StPO – Maßnahmen/Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung; hier: Zuerst strafprozessuale und danach präventive Ausrichtung der Maßnahme. Am 9.2.2019 gegen 7:26 Uhr versuchte der B, gemeinsam mit weiteren Personen auf dem Gelände des Tagebaus G. einen Braunkohlebagger zu besetzen. Gegen 9:07 Uhr wurde die Gruppe zur Identitätsfeststellung nach §§ 163b Abs. 1, 163c StPO in Gewahrsam genommen. Eine Identifizierung des B war (zunächst) nicht möglich, da er sich weigerte, Angaben zu seiner Person zu machen, er keine Ausweispapiere bei sich führte und seine Fingerkuppen verklebt waren. Er lehnte es ab, die Fingerkuppen zur Abnahme von Fingerabdrücken mit dem Lösungsmittel Aceton reinigen zu lassen. Gegen 18:45 Uhr erfolgte am selben Tag die richterliche Anhörung. Sodann wurde eine Freiheitsentziehung des namentlich noch nicht bekannten B auf Grund des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) zum Zweck der Feststellung seiner Identität für zulässig erklärt und die Fortdauer des Gewahrsams bis längstens 14.2.2019 12:00 Uhr angeordnet. Die Ingewahrsamnahme wurde damit begründet, dass es der Polizei ohne Feststellung der Identität des B nicht möglich wäre, ein Aufenthaltsverbot nach § 34 Abs. 2 PolG NRW auszusprechen. Bei unterlassener Identifizierung sei ein erneutes Eindringen in das Tagebaugebiet zu erwarten, was durch die Erteilung eines polizeilichen Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Gefahrenabwehr verhindert werden solle. Nach Vorlage des Führerscheins durch dritte Personen konnte die Identität des B ermittelt werden und er wurde am 11.2.2019 um 12:45 Uhr aus dem polizeilichen Gewahrsam entlassen.

Zwar regeln §§ 163b und 163c StPO die Befugnis zur Identitätsfeststellung zum Zwecke der Strafverfolgung einschließlich damit verbundener Freiheitsentziehung abschließend, sodass insofern ein Rückgriff auf weiterreichende polizeiliche Ermächtigungen nicht möglich ist. Die polizeirechtlichen Ermächtigungsgrundlagen bleiben dagegen aber anwendbar, soweit präventive Zwecke außerhalb des Strafverfahrens verfolgt werden. So, dass eine zunächst nach StPO angeordnete Gewahrsamnahme anschließen auch auf gefahrenabwehrrechtliche Grundlagen gestützt werden kann, wenn dies eben solchen Zwecken dient. (BGH, Beschl. v. 17.12.2020 – 3 ZB 8/19)

 

 

III Sonstiges


Ein betrunkener Kraftfahrer wurde im Auto sitzend von der Polizei angetroffen und griff noch vor Ort im Zuge von Maßnahmen zur Feststellung der Alkoholkonzentration alsbald die Polizei tätlich an. Ein Strafbefehl wegen Wiederstandes wurde am 7.7.2020 rechtskräftig, ein Urteil wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr erging am 23.7.2020.

Mit Beschluss vom 1.7.2021 (1 Rv 13 Ss 421/21) stellte das OLG Stuttgart per Beschluss fest, dass die Sanktionierung einer Trunkenheitsfahrt wegen des Doppelverfolgungsverbotes dann nicht möglich ist, wenn der tätliche Angriff auf Polizeibeamte bereits rechtskräftig abgeurteilt worden ist.

 

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