Polizei

Jahrhundert-Katastrophe im Ahrtal

„Hölle und Himmel am selben Fleck"


Ab dem 20. Juli 2021 änderte sich die Lagebeurteilung. Die Struktur und der Auftrag waren anzupassen. Der Unterabschnitt wurde von „Absuche“ in „Hilfe“ umbenannt und blieb unter der Führung der Bereitschaftspolizei. Die Bevölkerung im Ahrtal hatte nach dem Erlebten und dem nach der Katastrophe in weiten Teilen eingetretenen zivilisatorischen Ausnahmezustand ein deutlich erhöhtes Sicherheitsbedürfnis, weshalb die Stärkung des subjektiven Sicherheitsgefühls im Zentrum der polizeilichen Maßnahmen des nunmehr umbenannten EA „Absperrung / Verkehr / Ereignisort“ stand. Durch offene und flächendeckende Präsenz im Katastrophengebiet, Gewährleistung einer ständigen Ansprechbarkeit sowie Hilfe bei Aufräumarbeiten bestanden unmittelbare Kontakte zu den Bürgerinnen und Bürgern im Ahrtal. Der Polizeiführer BAO „Ahr“ hatte die Polizei den Menschen zugewandt und helfend eingestellt, die Befehlsstelle des EA Ereignisortes nahm die Verantwortung an und die Einsatzkräfte vor Ort lebten die Bürgerpolizei in einer noch nicht dagewesenen mitmenschlichen Art und Weise.

Die Gesamt-BAO war hinreichend elastisch und die Struktur folgte der Strategie. Zur Gewährleistung der Ansprechbarkeit der Polizei war zeitweise der gesonderte EA „Anlaufstellen“ eingerichtet, die aufwachsende Aufgabe der Bürgernähe dort weitergehender konzeptioniert und umgesetzt worden. Später erfolgte die Rückführung in den EA Ereignisort unter Fortentwicklung dieser Konzepte.

Der UA „Hilfe“ hatte sich aus mehreren Hundertschaften der Bereitschaftspolizeien aus dem gesamten Bundesgebiet aber auch von Studierenden der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz sowie der Bundeswehr personalisiert. Einen Unterabschnitt, den es in den Planentscheiden bisher nicht gab, der jedoch das von außen erkennbare Gesicht einer der Bevölkerung zugewandten Polizei verkörperte. Neben der Wahrnehmung klassischer örtlicher Polizeiarbeit erfolgte die unkonventionelle und unbürokratische Hilfe für die Bürgerinnen und Bürger – bis hin später zur Unterstützung bei den amtlichen Beantragungsverfahren für Fluthilfen. Dies alles führte zwischen Menschen im Ahrtal und den Polizisten zu einer Verbundenheit, die teils bis heute persönlich fortbesteht.

Im Zusammenhang mit der polizeilichen Hilfe ist der Einsatz der Wasserwerfer noch einmal besonders hervorzuheben. Unter der Leitung der Technischen Einsatzeinheit (TEE) der Polizei Rheinland-Pfalz waren mit Unterstützung der Bundespolizei bis zum 20. Oktober 2021 täglich bis zu drei Wasserwerfer im Einsatz und Teil des gesamten Versorgungskonzeptes. Zu den vorrangingen Aufgaben gehörten der Transport von Brauchwasser für Wassertanks und Duschcontainer, Reinigung von Straßen und Gerätschaften, Bewässerung von Straßen und Beregnung beim Abriss von Gebäuden zur Reduzierung der enormen Staubbelastung. Die Abgabemengen betrugen zwischen 80.000 und 180.000 Liter Wasser täglich. Durch die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten hat die Bevölkerung den Einsatzwert der Wasserwerfer als sehr positiv wahrgenommen und ihn als „Partner“ schätzen gelernt. Diese geschlossene Einheit verließ mit als letzte den Einsatzraum.

 


Foto: Helfen Hand in Hand.

 

UA Verkehr

Gewährleistung eines ungehinderten Einsatzes der BOS / Freihalten der Not- und Rettungswege. Dies ist einer der originären Aufgaben der Polizei in größeren Gefahren- und Schadenslagen.

Das Verkehrsnetz im Ahrtal war in großen Teilen kriegsähnlich zerstört oder stark beschädigt. Straßen waren unterspült oder gänzlich weggebrochen, Brücken überwiegend Opfer der Flut und damit die Verbindung zum anderen Ufer gekappt. Geröllmassen und Schutt versperrten wichtige Zufahrtswege. Viele Ortschaften waren zunächst nicht über Land erreichbar und mussten aus der Luft versorgt werden. Selbst die international bedeutsame Bundesautobahn 61 wurde so stark beschädigt, dass sie im Bereich Autobahnkreuz Meckenheim über Monate teilweise gesperrt werden musste. Die Erstellung eines belastbaren Lagebildes zur Verkehrslage und zum Zustand der Verkehrsinfrastruktur war in den ersten Tagen nahezu unmöglich. Vorhandenes Kartenmaterial entsprach nicht dem IST-Zustand. Die Aufklärung zur Verkehrslage erfolgte vorwiegend durch die Polizeihubschrauberstaffel. Aber nur aus der Luft konnte die Standsicherheit und Befahrbarkeit der Verkehrswege nicht bewertet werden.

Die verbliebenen befahrbaren Straßen wurden von Hilfeleistenden, BOS-Fahrzeugen und Anwohnern dementsprechend stark belastet. Von Anfang an ergab sich über die Landesgrenzen hinaus eine Welle der Hilfsbereitschaft. Das führte zu einer enormen Anreise von Fluthelfern aus dem gesamten Bundesgebiet, die das bereits geschwächte Verkehrsnetz teilweise zum Erliegen brachte. Die technische Einsatzleitung hat nach Abstimmung mit der Polizei Allgemeinverfügungen zum Individualverkehr erlassen, Durchlassstellen und dauerhafte Kontrollpunkte an relevanten Stellen eingerichtet sowie überörtliche Einbahnstraßen ausgewiesen und beschildert. Die Synchronisation mit dem privat eingerichteten Helfershuttle erfolgte erst später. Die Umsetzung der vorgenannten Maßnahmen mit der zügigen provisorischen Instandsetzung wichtiger Verkehrswege führten erst im weiteren Verlauf zu einer Entspannung der Verkehrslage. In vielen Einzeldiskussionen mit betroffenen Menschen an den „Checkpoints“ war die Durchsetzung von Durchfahrtsverboten teils sehr konfliktträchtig, aber alternativlos.

 

Foto: Bewässerung zur Reduzierung der Staubbelastung.