„Geh´ mit (k)einem Fremden mit…!“

Kriminalprävention in der Praxis (Teil 2)

3.1 Auf die Intuition ist Verlass

In einer Gefahrensituation ist das ungute Gefühl einer der verlässlichsten Faktoren, der einen Menschen vor dieser Gefahr warnen könnte. Dieses ungute Gefühl kann mit den Begriffen Angst oder Furcht gleichgesetzt werden. Gerade Angst wird jedoch eher als negatives Gefühl gewertet, das unerwünscht ist. Es wird nicht selten in einem Atemzug mit Depression genannt. Ängste müssen „überwunden“ oder Angststörungen „beseitigt“ werden. Dabei gehört Angst zu unseren Grundgefühlen6 und sichert unser Überleben. Sie gehört zu den Emotionen, die kulturübergreifend vorhanden sind, woraus sich auf eine angeborene Kompetenz7 schließen lässt. Es ist zur Erhöhung der eigenen Sicherheit wichtig, ungute Gefühle zu beachten und damit die eigene Intuition ernst zu nehmen. Dabei geht es nicht darum, in ständiger Besorgnis zu leben, sondern gelassen auf die vorhandenen Instinkte zu vertrauen. Um diese Instinkte zu fördern und zu fordern, können mit Kindern frühzeitig Gespräche über Lebenssituationen und die darin auftretenden Gefühle geführt werden. Interessanterweise haben Eltern kaum ein Problem damit, ihrem Kind zu erklären, was denn passieren könnte, wenn es unvorsichtig ohne Kontrollmaßnahmen (Blicke nach links und rechts) über die Straße geht. Die gleichen Eltern sprechen mit ihren Kindern jedoch nicht darüber, welche konkreten Folgen es haben kann, wenn sich Kinder trotz unguter Gefühle, ohne Kontrollmechanismen einem Erwachsenen anvertrauen oder einen Weg weitergehen, auf dem in Sichtweite mehrere ältere Kinder „herumlungern“. Diese sicherheitsfördernden Gespräche sollten sich an Standardsituationen orientieren, es können Erlebnisse des Tages besprochen werden oder es werden dazu Bilder mit emotionaler Gesichtsmimik genutzt, die zahlreich im Internet zu finden sind. Die hier dargestellte Aufzählung (Gefühlsliste) sollte altersangemessen und individuell erweitert werden und kann als Diskussionsgrundlage unter den Erziehungsverantwortlichen, wie auch im Dialog mit den Kindern dienen. Emotionsbezogene Erziehungspraktiken wirken sich positiv auf die sozioemotionale Entwicklung des Kindes aus.8

3.2 Die Gefühlsliste

 

Vor diesem Hintergrund ist stets zu prüfen, ob wir Kindern „Ängste ausreden“ sollten oder diese – und damit auch die sonstigen Gefühle – nicht einfach nur ernst nehmen und „erwachsen“ damit umgehen sollten. Der Angst, dass ein „Monster unter dem Bett liegt“ kann entweder damit begegnet werden, dass es die Eltern weg sprechen („Da ist kein Monster. Du brauchst keine Angst zu haben.“) oder es kann ernst genommen werden („Du hast also Angst, das hätte ich auch, wenn dort ein Monster wäre. Lass uns mal gemeinsam mit der Taschenlampe nachschauen.“). Auf lange Sicht führt die erste Variante dazu, dass es letztlich die Erwachsenen sind, die Kindern aus einer wissenden und überlegenen Position heraus sagen, wie ihre Gefühle „sein sollten“ – was ein Kind zu empfinden hat. Ein fataler Schritt, wenn dann irgendwann potentielle Gewalttäter das Gleiche tun. Völlig tabu sind daher auch Erziehungsmaßregeln, die damit begründet werden, dass man selbst „erwachsen“ sei, wisse, was gut für das Kind ist und damit das Kind mehr oder weniger bedingungslos – auf Grund seines Kindseins – den Anweisungen zu folgen habe („Erwachsene haben immer Recht“, „Erwachsenen widerspricht man nicht“). Dabei sind die Erziehungsmaßregeln nicht immer so plump und offensichtlich ungeschickt formuliert. Ein ständiges „Ich weiß, was richtig/gut für dich ist“, erwähnt zwar nicht ausdrücklich das Erwachsensein. Das Kind spürt jedoch sehr wohl, dass hierdurch das Erwachsenen-Kind-Verhältnis betont wird. Es ist auch darüber nachzudenken, ob die Zurückhaltung mit eigenen Gefühlen, wie sie uns durch soziale Instanzen wie Schulen, Universitäten, Arbeitsstellen und die Gesellschaft im Allgemeinen auferlegt werden, so erstrebenswert ist. Diese regulativen Elemente unserer Kultur werden von Kindern im Verlauf der Vorschulzeit übernommen und später in ihr sich entwickelndes Selbst transferiert.9 Wenn das Kind die Gefahr über seine Gefühle wahrnimmt, stellt sich die Frage, was in der Praxis zu tun ist, um das Risiko zu minimieren: An wen kann sich das Kind wenden; auf wen kann sich das Kind unter allen Umständen verlassen – auch ohne akuten elterlichen Rat? Als Antwort auf diese Fragen kann eine sogenannte Positivliste dienen, mit der sich gerade auf die Vertrauenspersonen im Leben eines Kindes konzentriert wird.