Recht und Justiz

„Vertrauen ist gut“

Von der Verwertbarkeit erlangter Daten bezüglich sogenannter Kryptohandys



Des Weiteren käme auch ein Verstoß gegen Art. 31 RL-EEA und dessen Umsetzung in § 91g Abs. 6 IRG in Betracht. Art. 31 RL-EEA sieht eine Pflicht zur Benachrichtigung des von einer grenzüberschreitenden Telekommunikationsüberwachung betroffenen Zielstaates durch den überwachenden Staat vor. Der Zielstaat soll dann innerhalb von 96 Stunden entscheiden können, ob die Maßnahmen abgebrochen und die gewonnenen Erkenntnisse durch den überwachenden Staat nicht oder nur eingeschränkt verwendet werden dürfen. Im konkreten Fall wäre daher fraglich, ob Frankreich die Bundesrepublik Deutschland unmittelbar von den Maßnahmen bezüglich der EncroChat-Server hätte unterrichten müssen, jedenfalls soweit hiervon auch Nutzer auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland betroffen waren. Der Bundesgerichtshof lässt dahinstehen, ob es sich bei der Infiltration der Server überhaupt um eine mitteilungsbedürftige Telekommunikationsüberwachung gehandelt haben könnte. Ferner wird ausgeführt, dass ein Individualschutz des Art. 31 RL-EEA hinsichtlich betroffener Bürger wohl lediglich bezüglich einer Verwendung der erlangten Daten in etwaigen französischen Ermittlungsverfahren bestehen würde. Denn nur vor einer nicht gewollten Datenverwendung außerhalb des von der Telekommunikationsüberwachung betroffenen Zielstaates soll die Mitteilungspflicht des Art 31 RL-EEA schützen.14 Letztlich lässt der Bundesgerichtshof aber auch dies dahinstehen. Denn selbst wenn Art. 31 RL-EEA individualschützender Charakter zukäme, würde ein etwaiger Verstoß nicht zu einem Beweisverwertungsverbot bezüglich der an die Bundesrepublik Deutschland übermittelten Daten führen. Dem Strafverfahrensrecht lässt sich kein allgemein geltender Grundsatz entnehmen, wonach jeder potentielle Verstoß gegen Rechtsnormen ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht. Ob ein solches eingreift, ist vielmehr jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Maßgeblich beeinflusst wird das Ergebnis der Abwägung einerseits durch das Ausmaß des staatlichen Aufklärungsinteresses, dessen Gewicht im konkreten Fall vor allem unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit weiterer Beweismittel, der Intensität des Tatverdachts und der Schwere der Straftat bestimmt wird. Andererseits ist das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes von Belang, das sich vor allem danach bemisst, ob der Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich begangen wurde.15 Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung um jeden Preis gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle relevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist.16 Dies kommt etwa in Betracht, bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden.17 Im Rahmen der erforderlichen Abwägung führt der Bundesgerichtshof dann prägnant aus: „Es geht um die Aufklärung besonders schwerwiegender Straftaten, nämlich Verbrechen nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von 15 Jahren bedroht sind. Andere Beweismittel stehen hier für die Überführung des Angeklagten in den von seinem Geständnis nicht erfassten Fällen nicht zur Verfügung, so dass ohne die Verwertung dieser Beweismittel eine Überführung des Angeklagten in den relevanten Fällen nicht möglich wäre. Die EncroChat-Protokolle sind als Beweismittel besonders ergiebig, da darin offen über Drogengeschäfte in erheblichem Umfang kommuniziert wird. Demgegenüber fiele ein etwaiger individualschutzbezogener Rechtsverstoß […] nicht entscheidend ins Gewicht“.


Zuletzt soll bezüglich dieses Themenkomplexes eine mögliche Verletzung des Art. Art 6 RL-EEA problematisiert werden. Art. Art 6 RL-EEA sieht u.a. vor, dass mittels einer Europäische Ermittlungsanordnung nur Maßnahmen erbeten werden können, welche in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen angeordnet werden könnten. Der Bundesgerichtshof erklärt diese Regelung in der gegebenen Konstellation jedoch für nicht anwendbar. Denn es handele sich lediglich um die Übermittlung der durch einen anderen Mitgliedstaat aufgrund eigener Ermittlungstätigkeit nach dessen nationalem Recht bereits erlangten Beweismittel. Die Durchführung einer Ermittlungsmaßnahme wäre also seitens der Bundesrepublik Deutschland gerade nicht erbeten worden; vielmehr wäre diese ja bereits seitens der französischen Behörden erfolgt. Der Anordnungsstaat müsse in Konstellationen, in welchen auf die erlangten Erkenntnisse eines anderen Staates zugegriffen werden soll, lediglich prüfen, ob der Erlass der Europäischen Ermittlungsanordnung für die Zwecke des Verfahrens unter Berücksichtigung der Rechte der Verfahrensbeteiligten notwendig und verhältnismäßig ist. Diese Voraussetzung erfüllt dabei die Europäische Ermittlungsanordnung der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main von Juni 2020, da insbesondere unter Berücksichtigung der sehr hohen Kosten für Erwerb und Nutzung von EncroChat-Handys klare Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die Beweismittel sich auf schwerste Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität bezogen, deren Aufklärung ohne Zugriff auf die in Frankreich erlangten Informationen ansonsten kaum möglich gewesen wäre.18

 

3.3 Kein Beweisverwertungsverbot aus nationalem Verfassungsrecht

Ein Beweisverwertungsverbot ergibt sich nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs auch nicht unmittelbar aus deutschem Verfassungsrecht. Ein absolutes Beweisverwertungsverbot unmittelbar aus den Grundrechten, kann überhaupt nur im absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung bestehen, was bei der Planung und Durchführung von Straftaten hingegen nicht der Fall ist.19


Die Verwertung personenbezogener Informationen wie der EncroChat-Kommunikation greift zwar grundsätzlich in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein. Dabei hängt die durch die Verwertung der Daten liegende Eingriffsintensität maßgeblich davon ab, welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die betroffenen Daten haben und auf welchem Weg sie erlangt wurden.20 Bei wie hier erlangten Daten, die mit einen Eingriff in das von Art. 10 GG geschützte Fernmeldegeheimnis einhergehen, muss von Verfassungs wegen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders beachtet werden.


Im Rahmen innerstaatlicher Ermittlungen wird der Grundrechtseingriff durch die unterschiedlichen Voraussetzungen für verschiedene Ermittlungsmaßnahmen bereits bei der Anordnung der Maßnahme selbst limitiert (etwa Beschränkung auf besonders schwere Straftaten oder Fälle qualifizierten Verdachts). Kann diese Beschränkung in Fällen wie dem vorliegenden nicht geleistet werden, weil hier durch einen anderen Mitgliedstaat (Frankreich) in originärer Anwendung seines nationalen Rechts in die Grundrechte Betroffener eingegriffen wird, sind die dadurch möglichen Unterschiede bei den Eingriffsvoraussetzungen auf der Ebene der Beweisverwendung zu kompensieren.21


Zu diesem Zweck greift der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung sodann auf die in den strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen zurück, die insoweit als verfassungsrechtliche Schutzmechanismen für die Beweisverwertung dienen. Demnach dürfen aufgrund der Bedeutung der französischen Ermittlungsmaßnahmen in Anlehnung an die Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau – § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO22– derart erlangte Daten zur Überführung solcher besonders schwerer Straftaten verwendet werden, für deren Aufklärung die eingriffsintensivsten Ermittlungsmaßnahmen des deutschen Strafverfahrensrechts – namentlich eine Online-Durchsuchung gem. § 100b StPO oder eine akustische Wohnraumüberwachung gem. § 100c StPO – hätten angeordnet können.23


Die im vorliegenden Fall in Rede stehenden Verbrechen erfüllen die Voraussetzungen für eine Beweisverwertung nach dieser gebotenen strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Vorwürfe wiegen auch im Einzelfall schwer, da es jeweils um den Handel mit Betäubungsmitteln im Kilogrammbereich geht und die Erforschung des Sachverhalts ohne dieses Beweismittel nicht möglich wäre.


Weiter betont der Bundegerichtshof, es wäre unter verfassungsrechtlichen Aspekten gerade nicht geboten, dass das deutsche Strafprozessrecht eine entsprechende Ermittlungsmaßnahme vorsieht. Die bloße Nichteinhaltung deutschen Rechts bei einer ausländischen Ermittlungsmaßnahme kann nicht per se ein unselbstständiges Beweisverwertungsverbot begründen.24 Die Einhaltung rechtstaatlicher Mindeststandards wird in solchen Fällen – wie vorstehend ausgeführt – insbesondere durch eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung unter (entsprechender) Anwendung besonderer nationaler Verwendungsvorbehalte gewährleistet.25

3.4 Kein Verstoß gegen Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)

Schließlich führt der Bundesgerichtshof aus, dass die Verwertung der EncroChat-Daten auch mit den Regelungen der EMRK vereinbar ist. Insbesondere sind zu einem Beweisverwertungsverbot führende Verstöße gegen Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) sowie Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) bei einer durch einen Richter angeordneten Maßnahme bezüglich der gegenständlichen schweren Straftaten nicht festzustellen.26

 

4 Resümee


Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist absolut zu begrüßen und in ihren Formulierungen erfreulich deutlich. Es wäre aber wohl auch kaum dem „Bürger von der Straße“ zu vermitteln, wenn derartige Daten, welche sich nahezu ausschließlich auf schwerste Straftaten beziehen, und die geeignet sind, diese unmittelbar zu beweisen, nicht seitens der Ermittlungsbehörden verwertet werden dürften. Ferner muss es diesen möglich sein, bezüglich technischer Aufrüstungsmaßnahmen krimineller Organisationen reagieren zu können. Denn insbesondere dieser Ermittlungskomplex hat wieder einmal nachhaltig verdeutlicht, wie umfassend die Beteiligten bereits technische Neuerungen genutzt und wie wenig sie ihr Handeln an Landesgrenzen ausgerichtet haben. Die Bekämpfung derartiger krimineller Netzwerke setzt daher entschlossenes Vorgehen der Ermittlungsbehörden, einen steten überregionalen bzw. internationalen Austausch der jeweiligen Erkenntnisse und die Koordinierung der Ermittlungshandlungen voraus. Von der Bereitschaft zu überobligatorischem Einsatz ganz zu schweigen. All dies haben die beteiligten Behörden in beeindruckendem Maße bezüglich des „Encrochat-Komplexes“ umgesetzt und so sicherlich einige Wirkungstreffer im Bereich des internationalen Betäubungsmittelhandels landen können. Die dabei eingeübten Handlungsroutinen dürften sich auch in naher Zukunft bei der Auswertung der erlangten Daten aus den mit Encrochat vergleichbaren Krypto-Netzwerken „SkyECC“27 und „ANOM“28 als nützlich erweisen. Angesichts dieses wegweisenden Beschlusses des Bundesgerichtshofes dürften der Verwertbarkeit auch dieser Daten in deutschen Strafprozessen keine Bedenken entgegenstehen.