Recht und Justiz

Gesetzliche Änderungen im Sexualstrafrecht

Von Prof. Dr. Dennis Bock und Cathrin Lebro, Kiel

 

3 Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern


Durch das Gesetz zur Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern69 wurde die Vorschrift des § 176e StGB eingeführt, die die Verbreitung und den Besitz von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern unter Strafe stellt.

3.1 Rechtspolitischer Hintergrund und geschützte Rechtsgüter

Die Einführung des § 176e StGB beruht auf dem stetigen Anstieg der Fallzahlen des sexuellen Missbrauchs in den letzten Jahren sowie der Beobachtung, dass im Internet (insbesondere im Darknet) vermehrt Anleitungen aufzufinden sind, wie sexueller Missbrauch vorbereitet, durchgeführt und verschleiert werden könne.70 Solche „Missbrauchsanleitungen“ könnten die Hemmschwelle potentieller Täter absenken und ihre Bereitschaft zur Begehung von Straftaten nach den §§ 176-176d StGB fördern. Zudem seien derartige Anleitungen durch die bestehenden Strafvorschriften, z.B. § 184b StGB (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte), § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten), § 131 StGB (Gewaltdarstellung) oder § 140 StGB (Belohnung und Billigung von Straftaten) nur unzureichend erfasst.71 Neben der Verhütung von Straftaten und der Schließung von Strafbarkeitslücken verfolgt die Vorschrift ferner das Ziel, eine Störung des Öffentlichen Friedens zu verhindern, wenn unter Nutzung menschenverachtender Sprache in derartigen Missbrauchsanleitungen Kinder als Objekte sexuellen Missbrauchs objektiviert werden.72 Demnach schützt die Vorschrift sowohl den Schutz des Individualrechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung als auch das Kollektivrechtsgut des Öffentlichen Friedens.73 Sprachlich orientiert sich das abstrakte Gefährdungsdelikt an § 130a StGB.74

3.2 Tatbestand

3.2.1 § 176e I StGB

Tatgegenstand des § 176e I StGB ist ein Inhalt i.S.d. § 11 III StGB, der geeignet ist, als Anleitung zu einer rechtswidrigen Tat nach §§ 176-176d StGB zu dienen und zusätzlich dazu bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zur Begehung solcher Taten zu fördern oder zu wecken. Anleitung ist nach der Gesetzesbegründung eine „Schilderung, die Kenntnisse zu Möglichkeiten der Tatvorbereitung oder Tatausführung vermittelt.“75 Sie muss keine Aufforderung an den Adressaten oder eine Billigung der Begehung beinhalten, sondern es genügt bereits, wenn sie die inhaltliche Vermittlung der Art und Weise, sexuellen Missbrauch an Kindern vorzubereiten, durchzuführen oder zu verschleiern, enthält.76 Der Inhalt soll bereits dann als Anleitung geeignet sein, wenn er die Vorbereitung, die abstrakte Durchführung oder das Nachtatverhalten beschreibt. Konkrete Handlungsanweisungen sind nicht erforderlich.77


Beispiel: A gibt dem B Hinweise, wie man am besten zu einem Kind Kontakt aufnimmt, ohne Rückschlüsse auf die eigene Identität zuzulassen.


Zusätzlich muss der Inhalt aber aus objektiver Sicht dazu bestimmt sein, die Bereitschaft anderer zur Begehung von Taten nach §§ 176-176d StGB zu fördern oder zu wecken. Dabei braucht das Fördern und Wecken der Bereitschaft aber nicht das alleinige Ziel sein. Diesbezüglich genügt Eventualvorsatz.78 Wie bei § 130a StGB reicht bereits das Hervorrufen einer generellen subjektiven Geneigtheit zur Begehung der Taten aus, ein konkreter Tatentschluss muss nicht hervorgerufen werden.79 Die Tathandlungen des Verbreitens und des öffentlich Zugänglichmachen orientieren sich an den Begrifflichkeiten des § 130a StGB.80

3.2.2 § 176e II StGB

§ 176e II StGB enthält zwei Tatvarianten. Nach § 176e II Nr. 1 StGB macht sich strafbar, wer einen Inhalt, der geeignet ist, als Anleitung zu einer Tat nach §§ 176-176d StGB zu dienen, verbreitet oder öffentlich zugänglich macht. Im Unterschied zu § 176 I StGB ist hier keine objektive Bestimmtheit zur Anleitung erforderlich, so dass für sich betrachtet „neutrale“ Inhalte, wie z.B. eine medizinische Abhandlung über die Besonderheiten der Geschlechtsorgane eines Kindes,81 erfasst werden.82 Als Ausgleich muss der Täter in der Absicht handeln, die Bereitschaft anderer zur Begehung solcher Taten zu fördern oder zu wecken. § 176e II Nr. 2 StGB setzt voraus, dass der Täter öffentlich bzw. in einer Veranstaltung eine Anleitung zu solchen Taten gibt und in der Absicht handelt, die Bereitschaft Dritter zu wecken oder zu fördern. Hierunter fallen gerade auch nicht verkörperte Äußerungen, v.a. Reden.83

3.2.3 § 176e III StGB

§ 176e III StGB qualifiziert Fälle, in denen der Täter den Inhalt i.S.d. § 176e I StGB tatsächlich abruft, besitzt, einer anderen Person zugänglich macht oder dieser den Besitz an ihm verschafft. Der im Vergleich zu § 176e I StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) niedrigere Strafrahmen (Freiheitsstrafe mit bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe) rechtfertigt sich aus der unterschiedlichen Größe der Empfängergruppe und dem damit einhergehenden geringeren abstrakten Gefährdungspotential.84 Für Straftaten nach § 176e III StGB ermöglicht § 176e VI StGB die Einziehung der Tatgegenstände (§§ 74 ff. StGB). Sie ist der Regelung des § 184b VII StGB nachgebildet.85

3.2.4 § 176e IV, V StGB

Die § 176e IV, V StGB enthalten nach dem Vorbild der § 184b V, VI StGB Tatbestandsausschlüsse für Tathandlungen, die der Erfüllung rechtmäßiger Aufgaben bzw. dienstlichen Pflichten (§ 176e IV StGB) und bestimmten Aufgaben im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (§ 176e V StGB) dienen. Verdeckte Ermittler können sich dadurch zur Identifizierung einzelner Täter und Betreiber von kriminellen Handelsplattformen im Internet mit computergenerierten Bildern Zutritt zu kinderpornographischen Foren verschaffen, die oftmals als „Eintrittskarte“ verlangt werden (sog. „Keuschheitsprobe“).86

 

4 Fazit


Im Zuge der letzten Gesetzesänderungen hat der Gesetzgeber zumindest punktuell eine systematisch sinnvolle Neuordnung der Straftaten gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern vorgenommen.87 Bedauerlicherweise hat er es aber verpasst, die sorgfältig ausgearbeiteten Empfehlungen der Reformkommission umzusetzen, v.a. was die Streichung von Straftatbeständen angeht.88 Angeheizt von der politischen Debatte und medienwirksamen Fällen wurde stattdessen in kurzer Zeit ein Reformpaket auf den Weg gebracht und trotz zahlreicher kritischer Stellungnahmen umgesetzt, das die Anhebung von Strafrahmen und die Ausdehnung der Strafbarkeit als Allzweckwaffe für die Bekämpfung von sexuellem Missbrauch ansieht und auf generalpräventive Abschreckung setzt. Ob dies zum Ziel führt, scheint unter Berücksichtigung kriminalpolitischer Erkenntnisse äußerst zweifelhaft.89 Insofern bleibt zu hoffen, dass bei dem nächsten Gesetzesvorhaben die von den Sachverständigen geäußerten Bedenken ernst genommen und entsprechend berücksichtigt werden. Eine rein symbolische Strafrechtspolitik hilft weder Täter noch Opfer.


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