Recht und Justiz

Der Verdeckte Ermittler im LVwG SH

Eine überzeugende Ergänzung?

5 Kernbereichsschutz


Ebenfalls Ausfluss des Urteils des BVerfG zum BKAG21 sind die in § 186a LVwG SH normierten Vorschriften zum Schutz des Kernbereichs, welche auch für den Einsatz von VE entsprechend einschlägig sind. Diese sind zwar für einen effektiven Schutz dieses „letzten unantastbaren Bereichs menschlicher Freiheit“22 unabdingbar, bergen jedoch bezogen auf den Einsatz eines VE Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung.

Eine weitere Problematik dürfte der Umgang mit unfreiwillig23 erhobenen Informationen aus dem Kernbereich sein. Besonders im Fall eines langjährig aufgebauten, engen Vertrauensverhältnisses (welcher noch eher beim Einsatz von VP vorkommen dürfte) erscheint es nicht völlig abwegig, dass dem VE auch Sachverhalte anvertraut werden, die in der Gesamtbetrachtung zum Kernbereich gezählt werden müssen.24 Während die nachträgliche Betrachtung in Grenzfällen schon die Problematik von erneuten Gesprächen über dieses Thema nach sich ziehen dürfte, ist der Umgang des VE mit klaren Fällen des Kernbereichsschutzes in der konkreten Situation aus Sicht des Autors ein bislang kaum geregelter Graubereich. Hier kann die Empfehlung von Frister, VE (beim strafprozessualen Einsatz) müssten die Wahrnehmung „höchstpersönlicher Inhalte vermeiden“25, nur begrenzt überzeugen.

Es wäre eine konkret auf die Maßnahme bezogene Klarstellung sinnvoll, denn im Gegensatz zu den technisch basierten Maßnahmen wie der Telekommunikationsüberwachung oder der Wohnraumüberwachung, bei denen im Falle eines Tangierens des Kernbereichs die Maßnahme sofort unterbrochen werden kann, ist dies beim VE nicht so abrupt möglich, ohne zumindest die Maßnahme (wenn nicht sogar Leib und Leben des Beamten) zu gefährden.

 

6 Fazit


In der Gesamtbetrachtung ist die Einfügung einer Ermächtigung für den Einsatz von VE im LVwG SH zu begrüßen, da die Maßnahme als wichtiges Mittel der Schwerstkriminalität das Portfolio der bereits bestehenden verdeckten Datenerhebungsmaßnahmen sinnvoll erweitert. Damit hält diese Maßnahme in Schleswig-Holstein als letztem Bundesland Einzug ins Polizeirecht. Je nach Betrachtungsweise könnte man hier von einem Zugewinn an Harmonisierung zwischen den Bundesländern oder einem längst überfälligen Schritt sprechen.

Gerade im Zuge einer angestrebten Harmonisierung wäre es jedoch vorteilhaft gewesen, sowohl inhaltlich als auch systematisch-redaktionell im Gleichklang mit anderen Bundesländern vorzugehen. Neben den tatbestandlichen Voraussetzungen und den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit als auch in Bezug auf die Anordnungskompetenzen und -fristen besteht ein föderaler „Flickenteppich“, in den sich auch Schleswig-Holstein einreiht, auch wenn Pietsch dies in anderem Sachzusammenhang als „Wesensmerkmal des (Sicherheits-)Föderalismus“ betrachtet.26

Beispielhaft seien hier die Anordnungsfristen der verschiedenen Länder genannt. Diese reichen von drei Monaten27 bis zu einem Jahr28, teilweise wird auch gar keine Frist definiert29. Eine fachliche Begründung für die Auswahl bestimmter Fristen ist jeweils nicht ersichtlich, sondern dürfte sich vielmehr an den jeweiligen politischen Mehrheitsverhältnissen orientieren. Für eine effiziente, länderübergreifende polizeiliche Gefahrenabwehr wären jedoch einheitliche Rahmenbedingungen, besonders für solch eingriffsintensive verdeckte Maßnahmen, eine wesentliche Verbesserung im Sinne einer wehrhaften Demokratie.

Gerade für die Praxis bleibt daher abzuwarten, ob sich die neue Rechtsgrundlage mit ihren Verfahrensvorschriften als praktikabel erweist oder ob sich im Zuge erster Erfahrungen Nachbesserungsbedarf ergibt.


Bildrechte. Redaktion.

 

Anmerkungen

 

  1. Der Autor ist in der Abteilung 3 (Staatsschutz) des Landeskriminalamtes Schleswig-Holstein und nebenamtlich für die Fachgruppe Rechtswissenschaften im Fachbereich der Polizei an der FHVD des Landes tätig.
  2. LT-Drucksache 19/2118.
  3. Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2021, Handbuch des Polizeirechts, 7. Auflage, Teil E, Rn. 681.
  4. BVerfGE 120, 274 (328 f.); Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2021, a.a.O., Teil E, Rn. 683.
  5. BVerfGE 141, 220.
  6. Teilweise auch „verdeckt ermittelnde Personen“, vgl. § 16 Abs. 2 HSOG.
  7. Vgl. zur Rechtsfigur Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner, 2020, Polizeiaufgabengesetz, Polizeiorganisationsgesetz, 5. Auflage, Art. 37, Rn. 1.
  8. In Deutschland unzulässig, vgl. Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, 2022, Strafprozessordnung, 65. Auflage, § 110a, Rn. 4a.
  9. Kingreen/Poscher, 2020, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Auflage, S. 239 f.
  10. Für das Beispiel islamistischer Terrorismus s. Bundesministerium des Innern, 2021, Verfassungsschutzbericht 2021, S. 177; Bundeskriminalamt, 2021, Politisch motivierte Kriminalität. Bundesweite Fallzahlen, S. 22.
  11. Zur vergleichbaren Regelung im BKAG siehe auch BT-Drucksache 16/10121, S. 25.
  12. Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, 2019, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage, § 4 BVerfSchG, Rn. 57; anders zur „Sicherheit“ des Bundes und der Länder vgl. VG Berlin v. 7.4.2011, Az. 2 K 39.10; Roewer, 1987, Nachrichtendienstrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 3 BVerfSchG, Rn. 31.
  13. Kailitz, 2004, Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland: Eine Einführung, S. 212.
  14. Vgl. zum Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2021, a.a.O., Teil E, Rn. 743; Roggan, in: Graulich, 2019, Festschrift, S. 115 (120).
  15. Womöglich „wesenstypische ermittlungstaktische Maßnahme“ nach Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2021, a.a.O., Teil E, Rn. 744.
  16. Eigenständige Normen siehe Art. 37 BayPAG, § 35 BbgPolG, § 47 BremPolG, § 29 HmbPolDVG, § 36a NPOG, § 20 PolG NRW; gemeinsame Norm mit VP-Einsatz siehe § 26 ASOG Bln, § 16 HSOG, § 18 SOG LSA; anders siehe § 49 BWPolG, § 34 RlpPOG, § 38 SächsPolG, § 33 SOG M-V; § 31 SPolDVG; § 34 ThürPAG.
  17. LT-Umdruck 19/4576, S. 8 f.; LT-Drucksache 19/3684 (Abschlussbericht 1. Parlamentarischer Untersuchungsausschuss 19. Wahlperiode), zu den Schlussfolgerungen hinsichtlich der Führung von Vertrauenspersonen u.a. S. 406 ff., zur Gesamtschlussfolgerung hinsichtlich des Umgangs mit Quellen und Vertraulichkeitszusagen z.B. Alternative Meinung 1, S. 904 ff.
  18. BVerfGE 141, 220 (290, 294).
  19. Anders z.B. § 33a Abs. 5 S. 5 NPOG.
  20. Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2021, a.a.O., Teil E, Rn. 742.
  21. BVerfGE 141, 220.
  22. BVerfGE 6, 32 (Elfes-Urteil).
  23. Ein VE-Einsatz zur gezielten Erhebung von Daten aus dem Kernbereich wäre ohnehin unzulässig, vgl. BVerfGE 141, 220 Rn. 126; BT-Drucksache 18/11163, S. 115; Roggan, 2019, GSZ, S. 112 ff.
  24. Zur strafprozessualen Verwertungsverbot vgl. Frister, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2021, a.a.O., Teil F, Rn. 338.
  25. Frister, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2021, a.a.O., Teil F, Rn. 338.
  26. Pietsch, KriPoZ 2022, S. 36 (u.a. unter Hinweis auf Frommel, NK 2020, S. 123); zur Kritik an dieser Auffassung vgl. Brenneisen, Die Kriminalpolizei 2/2022, S. 23; ders., DP 4/2022, S. 30.
  27. § 49 Abs. 6 S. 3 BWPolG; § 31 Abs. 3 S. 2 SPolDVG; § 34 Abs. 4 S. 2 RlpPOG; § 33a Abs. 5 S. 5 NPOG; § 18 Abs. 5 S. 4 SOG LSA (kein Richtervorbehalt vorhanden, lediglich Vorbehalt des Innenministeriums); § 34 Abs. 4 S. 5 ThürPAG; § 28 Abs. 3a S. 5 BPolG; § 45 Abs. 5 S. 3 BKAG.
  28. § 26 Abs. 4 S. 11 ASOG Bln.
  29. § 16 Abs. 5 HSOG; § 35 Abs. 4 BbgPolG; § 38 Abs. 6 SächsPolG.

 

 

Seite: << zurück123